Sachbearbeitermoral

Ein Betroffenenbericht

Wenn mensch am frühen Morgen Post von Arbeitsamt im Briefkasten findet, diese öffnet und folgende Zeilen liest: „Sehr geehrter Herr Soundso, bitte kommen Sie am 21.04.2009 um 9:30 in die Arbeitsgemeinschaft Leipzig, blablabla…“, dann ist der gerade noch freudig begonnene Tag sachgerecht ruinieren. Der strahlendblaue Morgenhimmel verfärbt sich grau, der Kaffee schmeckt plötzlich nach Dieselöl, der Frühstückstoast nimmt eine gummiartige Konsistenz an. (Übrigens: Warum beginnen diese Anschreiben immer mit „Sehr geehrter“ und „bitte“, wenn die Drohung durch die auf der Rückseite desselben Blattes abgedruckte „Rechtsfolgenbelehrung“ doch kaum zu übersehen ist? Ich schätze, es hat was mit gesellschaftlichen Konventionen zu tun…)

Aber es hilft alles nichts: Zum angegebenen Zeitpunkt finde ich mich am vereinbarten Ort ein, und verlasse diesen etwa zwanzig Minuten später zähneknirschend und mit finsterem Blick. Würde mir in diesem Moment ein Bekannter über den Weg laufen, er würde erschreckt zurückweichen und ausrufen: „Meine Güte! Was haben sie mit dir gemacht?“ Natürlich ist es nicht zu leugnen: Mein Interesse daran, mich für miese Bezahlung zum Laubharken in öffentlichen Grünanlagen zu bewerben, tendiert großzügig gegen Null. Allgemeinwohl hin oder her – Grünanlagenpflege stinkt einfach! Aber wie soll ich das dem Sachbearbeiter begreiflich machen? „Ach nee, lieber nicht…“ ist in jedem Fall die falsche Antwort.

Dann holt der Sachbearbeiter nämlich tief Luft und setzt eine vorwurfsvolle Miene auf. Ich weiß schon, was jetzt kommt: Sachbearbeitermoral. Nicht dass er damit viel erreichen würde – moralische Vorwürfe wirken nun mal nicht sehr überzeugend, wenn der Sachbearbeiter im selben Atemzug damit droht, mir das Existenzminimum wegzukürzen. Und überhaupt, liest der Mensch denn keine Zeitung? 15 Prozent Arbeitslosenquote in Leipzig, Finanzkrise, und überhaupt der ganze Scheiß mit Kapitalismus und so – da kann man doch schon mal keine Arbeit haben! Je eher man sich dran gewöhnt, um so besser!

Aber nein: „Herr Soundso, Sie leben hier von Steuergeldern – und das, Herr Soundso, kann einfach nicht sein.“ Sagt der Sachbearbeiter. Als ob das ein Argument wäre! Die Bundeswehr finanziert sich auch durch Steuergelder und kauft sich davon Panzer, die dann in Afghanistan oder so von irren Is­la­mis­ten zu Klump ­geschossen werden bzw. selbst dazu dienen, dort Sachen kaputt zu machen. Ich dagegen, ich tue wenigstens keinem was zuleide.

Obwohl ich gestehen muss, dass auch in mir mitunter Gewaltfantasien brodeln und rumoren, wenn ich die Höhle des Sachbearbeiters verlasse. Wäre ich selbst ein Moralist wie mein Sachbearbeiter oder wie Heinrich Böll (dem ja Gewaltfantasien auch nicht fremd waren, siehe „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“), dann würde ich beim Hinausgehen in meinen Bart brummeln: „Mein Sachbearbeiter ist ein böser Mensch. Nicht nur, dass er mir das Existenzminimum kürzt – nein, er heuchelt dabei auch noch! Möge er mit Stumpf und Stiel ausgerottet werden!“ Nun ja, man kennt ja solche Gewaltfantasien… Und man weiß: Wenn Moralisten durchdrehen, dann stürzen sie sich am Ende mit Flugzeugen in irgendwelche Hochhäuser oder machen sonst was für verrückte Sachen.

Nachdem ich also drohend in meinen Fanatikerbart gebrummelt habe, würde ich nach Hause gehen, mir über Ebay eine Schusswaffe besorgen und dann daran gehen, meinen Rachegelüsten freien Lauf zu lassen – als ehemaliger Grün­an­lagenpfleger weiß ich schließlich, wie es ausschaut, wenn etwas mit Stumpf und Stiel ausgerottet werden muss.

Aber zum Glück für meinen Sachbearbeiter bin ich kein Moralist. Ich bin im Grunde meines Herzens ein netter Mensch, der unschöne Blutbäder verabscheut und versteht, dass es nicht Bosheit ist, die den Sachbearbeiter zu seinem Verhalten treibt, sondern schlichte Blödheit. „Schön und gut“, werden einige von euch jetzt fragen, „aber was lernen wir nun daraus?“ Zwei Dinge, die euch in eurem späteren Leben noch sehr nützlich sein werden, liebe Kinder! Zum einen, dass Sachbearbeiter im richtigen Moment lieber mal die Klappe halten sollten – dass Risiko, dass ihnen irgendwann jemand gegenüber sitzt, der ihre Moralpredigten ernst nimmt, ist einfach zu groß. Zum anderen, dass Gewaltfantasien zwar lustig sind, dass aber die Idee, alle blöden Menschen mit Blut und Feuer vom Angesicht der Erde zu fegen, nicht wirklich praktikabel ist – schon allein darum, weil so ein Verhalten beweisen würde, dass man selbst nur ein dummer Moralist ist.

(justus)

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