Sicherheit im Doppelpack

Zwischen NATO-Gipfel und Innenministerkonferenz

Herrschaftskritiker_innen und Gipfel­stürmer_innen können schon mal ihre Sachen packen: 2009 stehen gleich zwei Großereignisse ins Haus, die genug Anlass zum Protest geben. So soll der jährliche NATO-Gipfel dieses Mal in Frankreich und Deutschland über die Bühne gehen. Die Konferenz selbst wird am 3. und 4. April 2009 in Strasbourg stattfinden, die „Geschäftsessen“ der Vertei­digungs­minister hingegen in Baden-Baden, 50 Kilometer von Strasbourg entfernt. Und im Herbst 2009 werden sich die europäischen Innenminister in Stockholm treffen, um dort den Rahmen für die Sicherheitspolitik der EU in den nächsten Jahren festzulegen. Dabei haben beide Veranstaltungen mehr mit­ei­nander zu tun, als mensch auf den ersten Blick vermuten würde.

Militärische Weltpolizei…

Der NATO-Gipfel soll nicht nur das 60jährige Bestehen des Bündnisses feiern. Es stehen auch weitreichende Veränderungen auf dem Programm. Die geplante Abschaffung des bisher geltenden Vetorechts soll künftige militärische Missionen vereinfachen, diese könnten in Zukunft auch ohne UN-Mandat möglich sein.

Auch die strategischen Richtlinien für die nächsten Jahre sollen dort festgelegt werden. Wie die aussehen könnten, macht ein von fünf ehemaligen Generälen verfasstes Strategiepapier (1) deutlich, das im April 2007 unter dem Titel „Towards A Grand Strategy For An Uncertain World“ („Hin zu einer umfassenden Strategie für eine unsichere Welt“) veröffentlicht wurde. Dort heißt es: „Die wichtigste Herausforderung der kommenden Jahre wird sein, auf das vorbereitet zu sein, was sich nicht vorhersagen lässt (…) Den westlichen Alliierten steht eine lange, andauernde und präventiv zu führende Verteidigung ihrer Gesellschaften und ihrer Lebensart bevor. Deshalb müssen sie Risiken auf Distanz halten, während sie ihre Heimatländer beschützen.“

Als mögliche Bedrohungen, vor denen die westlichen Gesellschaften präventiv mit militärischen Mitteln geschützt werden sollen, sehen die NATO-Strategen dabei den internationalen Terrorismus und das weltweite organisierte Verbrechen, mögliche Unruhen als Folge von Nahrungs­mittelkrisen, aus dem Klimawandel resultierende soziale Konflikte ebenso wie massenhafte illegale Einwanderung.

An dieser Aufzählung sieht man bereits, wie stark sich die Rolle des Militärs seit dem Ende der Blockkonfrontation zwischen Ost und West gewandelt hat. Ein Angriff einer feindlichen Armee auf die „westlichen Gesellschaften und ihre Lebensart“ gehört jedenfalls nicht zu den angeführten Szenarien. Stattdessen sollen soziale Konflikte militärisch „bearbeitet“ werden. Die NATO (so das Konzeptpapier) müsse sich „zu einem effizienteren Instrument für die Analyse der sozio-ökonomischen Bedingungen entwickeln, die Sicherheitsproblemen zu Grunde liegen“ – natürlich nicht, um an den Ursachen etwas zu ändern, sondern um die Symptome besser bekämpfen zu können. Ziel ist es, potentielle Bedrohungen schon im Vorfeld zu erkennen und „präventiv“ zu bekämpfen. Aufgabe der NATO bei der Intervention in Krisenregionen soll es sein, für Stabilität in den betroffenen Staaten und die Errichtung von „Good Gover­nance“ zu sorgen, den „freien und gerechten Handel“ und den Zugriff auf Rohstoffe zu sichern – kurz gesagt, neue Märkte und Einflusszonen erschließen und dafür sorgen, dass auch dort die Kapitalakkumulation ungestört ablaufen kann.

Im Zuge dieser Entwicklung verschwimmen auch die Grenzen zwischen innerer und äußerer Sicherheit zusehends. Dem Strategiepapier zufolge braucht es, um den beschriebenen Gefahren erfolgreich begegnen zu können, ein Konzept von „Homeland Security“ (Heimatschutz), das beide Bereiche miteinander verknüpft – dies läuft auf die Errichtung einer „globalen Sicher­heitsarchitektur“ hinaus, bei der Militär, Polizei, Politik, Forschung und Zivilgesellschaft zusammenwirken sollen. Mit der Eindämmung bzw. Bekämpfung von Aufständen, Terrorismus und organisierter Kriminalität übernimmt das Militär immer mehr die Rolle einer „Weltpolizei“. Nicht umsonst soll z.B. die Bundesmarine mittlerweile gegen Piraten im Golf von Aden vorgehen. Die Diskussionen um den Einsatz der Bundeswehr ihm Inland bilden die Kehrseite dieser Entwicklung.

…polizeiliche Außenpolitik

In eine ähnliche Richtung denkt auch die sogenannte Future Group. Diese informelle Gruppe wurde 2007 auf Initiative Wolfgang Schäubles und des ehemaligen EU-Kommissars für Justiz und Innere Sicherheit Franco Frattini ins Leben gerufen. Neben diesen gehören ihr u.a. auch die Innenminister von Spanien, Portugal, Frankreich, Slowenien, Schweden, Ungarn, Belgien und der Tschechischen Republik an. Im Juni 2008 legte diese Gruppe den europäischen Regierungen ein Strategiepapier mit Empfehlungen für die Gestaltung der Sicherheits- und Rechtspolitik von 2010 bis 2014 vor. Das Dokument (2) trägt den schönen Titel „Freedom, Security, Privacy – European Home Affairs In An Open World“ („Freiheit, Sicherheit, Privatsphäre – Europäische Innenpolitik in einer offenen Welt“).

Darin fordern die Innenminister u.a. eine stärkere grenzüberschreitende Zusammenarbeit der europäischen Polizeibehörden und Geheimdienste. Vor allem der Datenaustausch soll erleichtert werden, um terroristische Bedrohungen besser abwehren zu können. Bestehende Datenbanken wie das Europol-Netzwerk EIS, das Schengen-Fahndungssystem SIS II und die Visum-Datenbank VIS sollen dafür miteinander verknüpft werden. Bis zur Realisierung dieses Traumes von der Super-Datenbank ist aber noch ein gutes Stück Weg zurückzulegen. Nicht nur bestehende Inkompati­bilitäten bei der verwendeten Hard- und Software müssen überwunden und gemeinsame Standards bei der Datenerhebung eingeführt werden. Auch Datenschutz-Regelungen stehen den behördlichen Begehrlichkeiten noch im Wege.

Im zweiten Schritt soll es darum gehen, die so angehäuften riesigen Datenmengen (das Dokument spricht gar von einem „Daten-Tsunami“) sinnvoll zu ordnen und per Computer automatisch bestimmten Rastern entsprechend zu durchforsten. Der Wunschtraum der Sicherheitsarchitekten wäre es, diese potentiellen Gefährdungen schon im Vorfeld ausfindig machen und bekämpfen zu können. Eventuell auftauchendem Unbehagen auf Seiten der so überwachten Bürger soll propagandistisch begegnet werden: Es sei erforderlich, „den Bürgern der Europäischen Union zu erklären, wie Informationen verarbeitet und geschützt werden, auf der Basis von Verhältnismäßigkeit und Erforderlichkeit“.

Ähnlich wie in dem NATO-Papier wird die „illegale Einwanderung“ als drängendes Problem ausgemacht. Um diese zu bekämpfen, sollen die Befugnisse der mit der Abwehr von Migrant_innen an der EU-Außengrenze befassten Frontex-Agentur erweitert werden. Dabei müssten z.B. die Kompetenzen der an den jeweiligen Einsätzen mit Schiffen und Flugzeugen beteiligten Staaten und die Verantwort­lichkeiten für Flüchtlinge, Asylsuchende und Schiffbrüchige geklärt werden. Gleichzeitig soll Frontex künftig mehr Autonomie, etwa bei der Ausbildung von Grenzschutztruppen und der Abschiebung von Migrant_innen, gegeben werden. Zudem sollen die Grenztruppen künftig auch außerhalb des EU-Territoriums, z.B. vor der afrikanischen Küste, operieren.

Denn auch die Innenminister sehen eine „wachsende wechselseitige Abhängigkeit von Innerer und Äußerer Sicherheit“. Nur logisch, dass sie sich Aufgabenbereichen zuwenden, für die sie bislang nicht zuständig waren. So fordern sie eine stärkere Einflussnahme der EU auf sogenannte „Dritt­staa­­ten“. Als „Kandidatenländer“, an denen ein besonders vitales Interesse von europäischer Seite bestünde, werden u.a. der Irak und dessen Nachbarstaaten, Afghanistan, China und Indien genannt. Innen-, Außen-, Verteidigungs- und Entwick­lungs­hilfe­minis­terien müssten zusammen­ar­beiten, um auch im Ausland etwaigen Bedrohungen begegnen zu können.

Dabei übernimmt nicht nur das Militär zunehmend polizeiliche Aufgaben – im Zuge der wachsenden „Internationalisierung von Konfliktlösungen“ findet auch eine Militarisierung der Polizei statt. So heißt es in dem Papier: „Die zunehmende Vielfalt an Bedrohungen lässt es für die EU und andere notwendig werden, mit sich überschneidenden Polizei- und Militärproblemen in Krisenregionen zurecht zu kommen.“ Entsprechend werden deutsche Polizeibeamte bald nicht mehr nur als Ausbilder in Krisengebieten tätig werden. Auch paramilitärische Einheiten der Bundespolizei sollen künftig als „Schnelle Eingreiftruppe“ bei Auslandseinsätzen dabei sein – im Rahmen der europäischen Gendarmerietruppe EGF. Eine erste Hundertschaft wird bereits im bayrischen Ort Sankt Augustin ausgebildet, weitere Einheiten sollen bis 2010 folgen.

Gegenmaßnahmen

Auch die Polizei wird also den Anforderungen der zunehmenden Militarisierung der europäischen Außenpolitik angepasst. Beim Gerangel um geopolitische Einflusszonen, Rohstoffressourcen und Absatzmärkte will die EU nicht abseits stehen. Mit dem Aufbau europäischer „battle groups“ stehen mittlerweile auch die Mittel bereit, um den eigenen Interessen im weltweiten Konkurrenzkampf wirksam, und notfalls auch gewaltsam Geltung zu verschaffen.

Im Gegenzug wird auch die Innere Sicherheit verstärkt an einem militärischen Konzept des „Zivilschutzes“ ausgerichtet. Konkrete Bedrohungen treten dabei innen- wie außenpolitisch hinter allgemeine „Risi­ko­analysen“ zurück: Um ins Visier der Polizeibehörden zu geraten, reicht mehr und mehr der bloße Verdacht aus, man plane eine Straftat. Und auch das Militär will künftig nicht mehr warten, bis ein potentieller Konflikt tatsächlich eskaliert. Die Bedrohung durch den „internationalen Terrorismus“ liefert hier wie dort die Rechtfertigung dafür. Damit diese Neuausrichtung der europäischen Innen- und Außenpolitik nicht unbemerkt und unwidersprochen über die Bühne geht, formiert sich zur Zeit ein breites Bündnis antimilitaristischer und antikapita­listischer Gruppen (3).

Auch die Gegenseite bereitet sich auf den NATO-Gipfel vor. Ein Streitpunkt ist zum Beispiel die Lage und Größe möglicher Protestcamps. Der baden-württem­bergische Innenminister Heribert Rech erklärte, man werde nur geordnete Camps in überschaubarer Größe zulassen. Während das Anti-Gipfel-Aktionsbündnis bei Strasbourg und Kehl zwei Camps für bis zu 18 500 Menschen einrichten will, möchte der Innenminister nicht mehr als 1.500 Personen dulden – sonst könnte die Polizei überfordert sein.

Zudem sollen schon im Vorfeld des Gipfels großflächige Kontrollen durchgeführt werden, um z.B. zu verhindern, das Waffen auf das Campgelände geschmuggelt werden. Mutmaßliche Gewalttäter will man mit strengen Meldeauflagen und Aufenthaltsverboten fernhalten. Um die jeweiligen Veranstaltungsorte in Strasbourg, Kehl und Baden-Baden werden Sicher­heits­zonen eingerichtet. Es wird davon ausgegangen, dass das Stadtzentrum von Strasbourg während des Gipfels komplett gesperrt und selbst für Anwohner nur mit Passierschein zugänglich sein wird.

Einen Zaun wie in Heiligendamm wird es wohl weder in Strasbourg noch auf deutscher Seite geben. Einem kürzlich veröffentlichten Sicherheitskonzept für Baden-Baden zufolge soll es dort um die absolute Sperrzone herum eine weitere Sicherheitszone mit starker Polizeipräsenz geben, um das „Einsickern“ von „Störern“ zu verhindern. Die Bundeswehr soll sich derweil um die „Sicherheit im Luftraum“ kümmern – ob darunter (wie in Heiligendamm) auch Aufklärungsflüge über die Protestcamps verstanden werden, ist derzeit noch unklar. Ebenfalls ist angedacht, die Grenzübergänge zwischen Deutschland und Frankreich an diesem Wochenende zu sperren. Hoffen wir mal, dass dieses Konzept nicht aufgeht und sich im April genügend viele Gegen­de­mons­trant_innen in Strasbourg, Kehl und Baden-Baden einfinden, um den großen wie den kleinen Sicherheitsstrategen die Suppe gebührend zu versalzen.

(justus)

(1) als PDF ist das Dokument im Internet unter euro-police.noblogs.org/gallery/3874/grand_strategy.pdf zu finden

(2) siehe euro-police.noblogs.org/gallery/3874/eu-futures-jha-report.pdf

(3) Mehr dazu unter gipfelsoli.org und euro-police.noblogs.org

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