Es ist stiller geworden, um das Hartz-Konzept. Die Gesetze sind ja auch beschlossen. Jetzt heißt´s wohl allseits: abwarten was passiert. Nun, es ist an uns – den unmittelbar und den mittelbar Betroffenen – etwas passieren zu lassen, was uns passt! Ein kompakter Überblick* zu dem was wir vom Tisch haben wollen …
Mein Name ist Hinrich Garms. Ich bin tätig in der BundesArbeitsGemeinschaft der Sozialhilfeinitiativen als aktives Mitglied und ich bin bei der Arbeitslosenzeitung „quer“ und auch im Berliner AntiHartz-Bündnis. Ich wollte etwa berichten über die Geschichte der Gesetze nach Hartz, das „fünfte Evangelium nach Hartz“ sozusagen.
Im Spiegel vor etwa drei Wochen stand ganz groß und breit, bevor die Gesetze in den Bundestag kamen, „Hartz ist Geschichte“. Das seh´ ich nicht so. Das wäre zwar schön, aber es ist auch eine mediale Fälschung, insofern da die ganzen Sachen, die bei Hartz standen, kurz danach im Bundestag konkret umgesetzt wurden.
Um noch mal die „Hartz-Geschichte“ ein bisschen Revue passieren zu lassen: Zunächst einmal stand der Skandal in der Bundesanstalt für Arbeit [BA] im April, wobei gesagt wurde, die Vermittlungen laufen nicht schnell genug, es wären falsche Zahlen offeriert von der Bundesanstalt usw. usf.
Dann wurde der Präsident der BA, Jagoda, der von der CDU kommt, entlassen und es wurde ein SPD-Präsident eingeführt, der Johannes Gerster, also ein Modernisierer. Dann wurde ziemlich schnell eine Kommission eingesetzt, von der vielen nicht klar war, was die eigentlich machen sollte. Vielleicht war auch der Gewerkschaft ver.di nicht klar, was diese Kommission machen sollte, sonst hätte sie vielleicht nicht die Beauftragte für Beschäftigte der Bundesanstalt für Arbeit, Frau Kunkel-Weber, da rein geschickt, sondern vielleicht jemand anderen. Auf jeden Fall war es ihnen spätestens klar als Herr Hartz sein Dreihundertfünfzigseitenpapier dann präsentierte – in sakraler Atmosphäre im Berliner Dom auf dem Gendarmenmarkt, vor 350 applaudierenden Claqueuren. Als es dann klar wurde, da war es fast zu spät.
Danach wurde gesagt, dass man solche Ergebnisse von Expertenkommissionen dummerweise noch im Parlament diskutieren muss. Deswegen wurden aber auch im Eilverfahren zwei Gesetze gemacht, die schon rund um den 15. November innerhalb von einer Woche verabschiedet wurden. Also mir selber ist so ein Eilverfahren aus der parlamentarischen Geschichte eigentlich nur aus dem Einigungsvertrag bekannt, der auch nur ein Flickwerk war und die entsprechenden Folgen hatte. Die Hartz-Papiere, allein vom parlamentarischen Vorgehen, hatten meiner Meinung nach einen ähnlichen Charakter: es musste schnell durchgezogen werden, und es sollen die meisten Gesetze schon zum ersten Januar in Kraft treten. Was nun in diesen Gesetzen enthalten ist, kann ich kurz und knapp unter drei Überschriften zusammenfassen:
1. Gesetze, die direkt ArbeitnehmerInnen schädigen
2. Gesetze, die direkt Erwerbslose und SozialhilfeempfängerInnen schädigen
3. Gesetze, die direkt die Gesellschaft schädigen.
Ich denke, man muss das nochmal sehen, dass die einzelnen Gesetze schon so schlimm sind, dass sie alles in den Schatten stellen, was so in den letzten 20, vielleicht auch sogar 40 Jahren, an Sozialkürzungen gekommen ist. So schlimm die einzelnen Gesetze aber auch sind, die Gesamtwirkung wird eigentlich nur durch das Gesamtkunstwerk erreicht, dass die Gesetze miteinander verzahnt sind und alle erwischen können. Um das mal ein bisschen aufzufächern: Gesetze die direkt ArbeitnehmerInnen schädigen, sind die Erleichterung (für sogenannte „Arbeitgeber“ natürlich) LeiharbeiterInnen einzustellen, die vollkommene Entrechtung von Menschen, die in Leiharbeit geschützt wurden, die Aufhebung von Befristung bei Leiharbeit, die Aufhebung von anderen Schutzrechten bei Leiharbeit, und die gleichzeitige Einrichtung von sogenannten Personal-Service-Agenturen (PSA): ein Schelm, wer böses dabei denkt. Personal-Service-Agenturen also, die vom Arbeitsamt mit Kommunen. und Ländern eingerichtet werden und direkt Menschen vom Arbeitsamt in Leiharbeitsfirmen vermitteln sollen. Diese können sowohl gegründet werden von kommunalen Beschäftigungsgesellschaften als auch von Leiharbeitsfirmen wie Adecco oder Randstad, oder wie hier in Leipzig die umstrittene Leipziger Beschäftigungsgesellschaft. Wenn Menschen aus dem Arbeitsamt direkt in Betriebe vermittelt werden, dann können sie in den Betrieben zunächst einmal nach welchem Lohn arbeiten? Zunächst einmal können sie sechs Wochen als PraktikantIn arbeiten, das heißt zu Arbeitslosengeld/-hilfe, die sie vorher bekommen haben – was ein Skandal ist. Erstens ist das eine staatliche Förderung von Betrieben. Zweitens ist das eine Lohndrückerei. Und drittens ist das die Aufhebung von Statuten – entweder hat man Arbeit oder man ist erwerbslos, beides zusammen ging bis vor kurzem nicht – obwohl natürlich Kleinbetriebe auch Praktika vergeben haben – aber in so großem Rahmen, und dass auch noch gesetzlich dazu aufgefordert wird, ist ein Skandal.
Das zweite war die Diskussion, die auch aufkam, um Tarifverträge mit Leiharbeit. Da wurde auch einige Verwirrung erzielt, insofern als es eine Übergangsfrist für neue Gesetze von einem halben Jahr gibt und nicht von einem ganzen Jahr, wie oft in den Medien behauptet wird. Die Frist, in der sozusagen Alt-Entliehene noch zu alten Tarifen beschäftigt werden können; aber vom 1. Januar bis 30. Juni greifen diese Gesetze, so dass Neu-Entliehene sowieso nach neuen Gesetzen entliehen und nach neuen Tarifen beschäftigt werden, und Menschen, deren Verträge auslaufen, die dann arbeitslos werden, auch dann sofort nach neuen Tarifen beschäftigt werden.
Es gilt auch das Wort, wonach Tarifverträge abgeschlossen werden sollen für Leiharbeit. Das Problem ist, Tarifvertrag sagt nichts weiter aus, als dass ArbeitnehmerInnen und ArbeitgeberInnen sich einigen um einen Preis, und wenn der Preis halt ein Euro ist, dann ist das auch ein Tarifvertrag. Die Frage ist in dieser Branche, wie in anderen Branchen auch, ob es nicht besser ist, gar keinen Tarifvertrag abzuschließen als so einen. Die offiziellen Gewerkschaften sehen das natürlich anders als andere. Aber ich sage mal so, das Wort Tarifvertrag allein sagt noch nichts aus.
Was natürlich auch noch ArbeitnehmerInnen schädigt, ist die Ausweitung von geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen, also den sogenannten 500-EuroJobs, und zwar in der sogenannten „haushaltsnahen Dienstleistung“ … das heißt nichts weiter, als Putzen und Waschen für reiche Familien. Das sind Jobs, die zum Großteil Frauen betreffen werden, wo die Schwelle da sie nur ganz gering (nämlich mit 10%) sozialversichert sind und auch nur ganz gering (mit 10%) Pauschalsteuer besteuert werden, nach oben geschraubt wird.
So werden die Menschen also vom Arbeitsamt direkt in schlechte Arbeitsbedingungen gezwungen. Es gibt noch ´ne alte Grenze von 325 Euro für andere geringfügige Beschäftigungsverhältnisse das Wort gibt´s jetzt nicht mehr, das heißt jetzt „MiniJob“. [Mittlerweile wurde die Grenze für alle Bereiche auf 400 Euro festgesetzt, H.G.]
Diese Minijobs können kombiniert werden mit „haushaltsnahen Dienstleistungen“, so dass die Obergrenze für schlecht versteuerte und schlecht sozialversicherungspflichtig gemachte Beschäftigungsverhältnisse bei 825 Euro liegt [in die immerhin der Arbeitgeber sonst 50% einzahlt]. Es wird ganz klar: wenn man zwei Jobs kombiniert, wird es billiger – eine ganz neue Ausrichtung.
Verschlechternd wirkt sich auch aus, dass der Status ArbeitnehmerIn ganz aufgelöst wird, indem Erwerbslose und SozialhilfeempfängerInnen verstärkt in sogenannte „Ich-AGs“ oder „Familien-AGs“ gedrängt werden. Das heißt, vom Staat bzw. vom Arbeitsamt wird massiv mit 25.000 Euro in drei Jahren gefördert, ausgezahlt in Raten á 600 Euro, dass jemand eine eigene Bude aufmacht und als Selbständiger über die Runden kommen muss. Und somit, könnte man sagen, arbeiten der Staat und das Arbeitsamt daran, dass die Klassen verschwinden (1) … aber nicht zugunsten der Klasse, sondern zugunsten des vollständigen Umformens der Menschen in Scheinselbständige.
Was die Erwerbslosen direkt betrifft, sind zunächst einmal die massive Kürzung von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe eingearbeitet, die Nichtanpassung an die Netto-Inflationsrate, die massive Anrechnung von Vermögen. Die Vermögensgrenze, die bei maximal 33.800 Euro lag, wird runtergesetzt auf 13.000 Euro, und das auch nur bei Menschen, die ungefähr 60 Jahre alt sind und sozusagen ihre Lebensversicherung und anderes angespart haben. Vermögen wird nicht mehr angerechnet wie früher, es gibt nicht mehr so hohe Freibeträge, und es wird massiv das Einkommen von EhepartnerInnen verrechnet, so dass hier Menschen – auch insbesondere wieder Frauen – aus der Arbeitslosenhilfe gedrängt werden. Indem gesagt wird, „dein Mann. oder Lebenspartner verdient gerade noch genug, um dich mit durchzufüttern, also kannst du keine Arbeitslosenhilfe mehr haben, du hättest sie vielleicht nach dem alten Gesetz noch haben können, aber jetzt nicht mehr.“
Weiterhin wird gekürzt, wenn Menschen in Umschulungsmaßnahmen sind. Wenn Leute Arbeitslosenhilfe hatten, dann haben sie bis jetzt Unterhaltshilfe bekommen, nach Arbeitslosengeld-Norm, die bekommen jetzt nur noch nach Arbeitslosenhilfe-Norm. Das ist eine massive Kürzung um genau 10 Prozent.
Wo ArbeitnehmerInnen noch rausgeschmissen werden aus den Betrieben, das ist das sogenannte Bridge-System, das ist eine verschlechterte Vorruhestandsregelung für die gesamte Gesellschaft. Das heißt im Klartext, dass Menschen ab 55 aufgefordert werden, wenn sie (24 Monate hindurch) Arbeitslosengeld bekommen, in so eine Art Frührente zu gehen, das heißt dann „Brückengeld“. Während der Zeit bekommen sie 50% des ihnen ansonsten zustehenden Arbeitslosengeldes, kriegen aber einen Garantieschein, dass sie vom Arbeitsamt nicht mehr belästigt werden. Auf der anderen Seite müssen sie dann mit 60 in Vorrente gehen und mit 63 in Rente und all diese kleinen Schritte sind verbunden mit Renteneinbußen massiver Art, dass sie vielleicht mit 65 die ihnen zustehende Rente bekommen würden – wenn die nicht bis dahin durch eine Kommission gekürzt worden ist. Also auch hier: massive Kürzungen.
Welches sind die anderen Seiten der Medaille, die auch die Gesellschaft schädigen? Ich denke, auch Eingriffe in die ArbeitnehmerInnenrechte und die Rechte von Erwerbslosen schädigen natürlich den demokratischen und sozialen Charakter der Gesellschaft. Aber was nochmal direkt in gesellschaftliche Zusammenhänge eingreift, ist auf der einen Seite das jugendlichen-, frauen- und migrantlnnen-feindliche Bild, das durch diese neuen Gesetze vermittelt wird. Zum zweiten die Fälschung der Statistik, die dadurch ausgebaut wird, dass sie noch ein Gesetz erlassen wollen, mit dem Menschen raus-gerechnet werden aus der Erwerbslosenstatistik. Und nicht zu vergessen ist auch die Einführung einer bundesweiten Chipkarte (wahrscheinlich im nächsten Frühjahr), die zunächst einmal die Daten von SozialhilfeempfängerInnen und Erwerbslosen erfassen wird und last not least vernetzt wird mit Betriebsdatensystemen etc. Um nach und nach die gesamte BRD statistisch zu erfassen und auf einer Chipkarte zu speichern, die jeder Mensch bekommen soll. Am Anfang soll der Mensch auch noch sehen, was da raufgeschrieben wird; am Ende nicht mehr. Und das ist ja die Höhe, und zwar sollen die Daten nicht einmal vom Bundesamt für Statistik oder von der Bundesanstalt für Arbeit oder ähnlichem, sondern von einem wie auch immer gearteten privaten Unternehmen gesammelt und verarbeitet werden.
Für Arbeitslose ist noch zu erwähnen, dass im Vorfeld der „PSA“ Job-Center eingeführt werden, in denen Menschen in Kategorien eingeteilt werden – Profiling genannt – also, es wird aufgeteilt in unwürdige und würdige Arme, es wird aufgeteilt in Menschen, die noch Arbeitslosengeld I oder II bekommen und Menschen, die noch Sozialgeld bekommen. Wobei sicher ist, dass dieses Sozialgeld hinterher niedriger ist als die jetzige Sozialhilfe.
Also das sind alles Dinge, die (bis auf die Chipkarte) sofort eintreten sollen. In den Monaten darauf ist damit zu rechnen, dass ABM und SAM massiv abgebaut werden und am Ende der Entwicklung, ich schätze im nächsten Sommer, steht die sogenannte Zusammenlegung .von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, wobei es noch mehrere Varianten gibt, wie das durchgeführt werden kann. Dabei gibt es auch Probleme, dies mit den Kommunen finanziell zu ordnen. Aber es ist damit zu rechnen, dass die Sozialsysteme in dieser Art und Weise bis zum 1.August vollkommen umgekrempelt werden. Auch wird diskutiert, im Frühjahr oder Sommer nächsten Jahres (was zum Hartz-Paket gehörte) ein sogenanntes Ausbildungszeitwertpapier für Jugendliche einzuführen, die dann nicht mehr vom Betrieb ihre Ausbildung bezahlt kriegen, sondern ihr Geld für die Ausbildung mitbringen müssen.
Alles in allem kann man sagen, in diesem Moment ist Hartz nicht Geschichte, sondern Hartz ist ziemlich aktuell und ich denke, da sollten wir alle etwas gegen tun, sowohl gegen die Umsetzung der jetzt entstandenen Gesetze wie auch gegen die nächsten Gesetze, die jetzt noch produziert werden.
* Vorgetragen am 7.12.02 auf einer Veranstaltung der FAU Leipzig. Vielen Dank für´s Skript!
(1) vgl. dazu „Wiedernoch weben am Leichentuch?“, S. 12 f.
Hartz-Gesetze