Stimmungsmache gegen Roma in Volkmarsdorf

Frauen rennen aus Angst weg, Kinder dürfen nicht mehr auf die Straße, Wassereimer werden aus den Fenstern geschüttet. Bürgerkriegsähnliche Zustände werden heraufbeschworen und eine private Bürgerwehr als letztes Mittel in Betracht gezogen. So schildert einer der selbsternannten „letzten deutschen Mieter“ die Situation in Volkmarsdorf im August 2010.

Seit fast einem halben Jahr hält die Stimmungsmache gegen die im multikulturell geprägten Leipziger Stadtteil (1) lebenden Roma an. AnwohnerInnenbeschwerden, Gespräche hinter vorgehaltener Hand und Anfeindungen gegen Roma auf der Straße oder in der Schlange im Supermarkt lassen erkennen: Rassismus und Antiziganismus sind keineswegs überwunden.

Stattdessen werden typische anti­ziganistische Vorurteile reproduziert. So werden die Roma für Lärm, Müll und angeblich zunehmende Diebstähle, Einbrüche und Sachbeschädigungen verantwortlich gemacht. (2) Ein Anstieg der Kriminalitätsrate ist laut Polizei jedoch nicht zu verzeichnen. (3)

Mit reichlich Stereotypen und Vorurteilen im Kopf werden hier wieder einzelne Menschen in Schubladen gepackt und als Störer der guten deutschen Ordnung identifiziert. Es wird sogar gedroht, eine Bürgerwehr zu gründen.

Die NPD veröffentlichte am 01.09.2010 unter der Überschrift „Multi-Kulti-Terror in Leipzig-Volkmarsdorf – NPD-Stadträte begrüßen geplante Gründung einer Bürgerwehr“ eine Pressemitteilung (4) und konstruiert darin eine „permanente Situation der Bedrohung für deutsche Anwohner“. Außerdem stellten die Nazis, wie in der Mitteilung angekündigt, eine Anfrage im Leipziger Stadtrat zur „Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch Sinti und Roma“.(5)

Da die NPD in Volkmarsdorf recht hohen Zuspruch hat (6) und auch einer der Stadträte im Viertel (7) wohnt, liegt es nah, dass die Nazis in Kontakt mit den Beschwerdeführern stehen oder diese eben aus dem Umfeld der NPD kommen.

Schuld an all dem Übel sollen mal wieder die „Zigeuner“ (8) haben, darüber scheinen sich Teile der AnwohnerInnenschaft und die NPD jedenfalls einig zu sein. Dass der Mob die Sache zur Not auch selbst in die Hand nehmen will, zeigt welche Gefahr von weit verbreiteten rassistischen Einstellungen ausgeht.

Viele Akteure im Leipziger Osten und auch die LVZ betrachten die Problemlage fast ausschließlich als ordnungspolitische Fragestellung. (9) Im Aktionsbündnis „Sicherheit im Leipziger Osten“ (10), einem Zusammenschluss aus VertreterInnen verschiedener Behörden und Vereine, hat sich eine Arbeitsgruppe „Roma“ gegründet – wohlgemerkt ohne Einbeziehung der Roma. In der kürzlich vom Aktionsbündnis veröffentlichten Anwohnerinformation „Roma in der Nachbarschaft“ darf natürlich die Telefonnummer von Polizei und Ordnungsamt nicht fehlen.

Noch mehr schockiert der Inhalt des Schreibens, denn dieser reproduziert anti­zi­ganistische Vorurteile, statt sie als solche zu entlarven. So schreibt die Arbeitsgruppe: „Maßnahmen, wie etwa verstärkte Streifengänge der Polizei, die beherzte Ansprache der Roma durch Bürger mit Zivilcourage oder aber auch die zunehmend kühle Witterung haben dazu beigetragen, dass in letzter Zeit weniger Beschwerden über Lärm, Verschmutzung usw. zu verzeichnen waren“. (11) Abschließend lädt die AG „Roma“ zu einer „Veranstaltung zur aktuellen Lage“ in Volkmarsdorf ein.

Es besteht also dringend Handlungsbedarf um den Nazis in der Nachbarschaft etwas entgegenzusetzen. Erste Schritte sind bereits gemacht: Eine Gruppe von Engagierten veranstaltete unter dem Motto „Abspielen statt Abgrenzen – Bürgerwehr und Rassismus wegkicken“ am 21.11. 2010 im Rahmen einer Kundgebung ein antirassistisches Fußballturnier. So soll direkte Solidarität gelebt und vor Ort ein erstes Zeichen gegen die rassistische Stimmungsmache gesetzt werden.

Initiative „Bürgerwehr Aufessen!“

Kontakt: antira-lo@gmx.de

 

(1) Laut „Sozialreport 2009“ der Stadt Leipzig haben 26,3% der EinwohnerInnen in Volkmarsdorf einen Migrationshintergrund (www.leipzig.de/sozialreport)

(2) Siehe LVZ-Artikel vom 27.08.2010 „Extreme Feindlichkeit – Zoff um Sinti und Roma in Volkmarsdorf: Stadt und Polizei reagieren auf Anwohnerbeschwerde“

(3) Siehe Mephisto97.6-Meldung vom 27.08.2010 „Polizei lehnt Bürgerwehr in Volkmarsdorf ab“

(4) Siehe www.npd-leipzig.net/2010/09/01/multi-kulti-terror-in-leipzig-volkmarsdorf-npd-stadtraete-begruessen-geplante-gruendung-einer-buergerwehr/

(5) Anfrage Nr. V/F 213 vom 15.09.2010 an den Oberbürgermeister der Stadt Leipzig

(6) Wahlergebnis der NPD 2009 in Volkmarsdorf: Sächsischer Landtag Direktstimmen 9,9%, Listenstimmen 10,5%; Leipziger Stadtrat 8,0%; höchste Ergebnisse in ganz Leipzig

(7) NPD-Stadtrat Rudi Gerhardt Idastr. 18, 04315 Leipzig siehe www.rechte-sachsen.de/Kommunalwahlen_NPD_2009_Ergebnis_Sitze.pdf

(8) Die Fremdbezeichnung „Zigeuner“ ist von Stigmatisierung und Stereotypen geprägt. Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma lehnt diesen Begriff ab. Er wird hier aber verwendet, weil eben nicht reale Menschen gemeint sind, sondern das projizierte Bild.

(9) Siehe dazu auch CEE IEH #181 „Was die LVZ Sonntagabend vom Tatort lernen könnte…“ www.conne-island.de/nf/181/3.html

(10) Mehr Informationen zu Zielen und Arbeitsweise des Bündnisses unter www.leipziger-osten.de/content/aktionsbuendnis-sicherheit/

(11) Das Schreiben ist auf den 15.11.2010 datiert und wird seitdem an Haushalte und bei verschiedenen Veranstaltungen verteilt.

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