Studierende leben nicht vom Brot allein

Aber von Brot leben sie eben auch. Deshalb lenkten Mitglieder des Bildungssyndikats Leipzig die Aufmerksamkeit beim EEF auf einen Aspekt abseits der hochschulpolitischen Debatte … auf die Alltagsmühen, den Broterwerb.

Wenn die Politik auch danach trachtet, Bildung weiter zu formalisieren und zu kanalisieren … gelingen wird das nie. Denn Bildung hat andere Dimensionen, die nicht administrativ zu zügeln sind. Letztlich ist die Kommunikation unter Menschen, der Austausch über Perspektiven und Methoden, das, was Bildung ausmacht – dazu braucht man keinen Minister und keine Präsidenten. Früher oder später wird der Bologna-Prozess fallen, denn er orientiert sich nicht an Bildungsbestrebungen. Die Reformen werden zweifelsohne den „gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken“, aber vielleicht auf andere Weise, als sich das die Minister ausmalen dürften.

Tatsächlich ist – darauf wiesen die Bildungssyndikate in ihrem Vortrag beim EEF hin – der Bedarf an qualifizierter Arbeit steigend. Um diese Nachfrage der Wirtschaft zu decken, muss es auch eine „Ökonomisierung des Wissens“ geben, wie sie der Bund der Deutschen Industrie fordert. Dabei wirken BA/MA-Studiengänge genauso mit wie die „autonome“ Universität, die als Forschungs- oder Lehrunternehmen auftritt. Mit der Verwissenschaftlichung der Lohnarbeit geht die Proletarisierung der Studierten einher.

Dieser langfristige, gesellschaftliche Prozess – seit Anfang der 1960er hat sich die „Akademikerquote“ in der Erwerbsbevölkerung fast versechsfacht, auf 16,5 Prozent – setzt individuell nicht erst nach dem Studium ein. Vielmehr schlagen sich ein Drittel der Studierenden mit gelegentlichem, und ein weiteres Drittel mit permanentem Jobben durch. Ein Viertel der Teilzeitkräfte, also 600.000 Menschen, rekrutiert sich aus dem Hochschulbereich. Da Studierende kaum organisiert ihre Interessen vertreten, unterschreiten sie regelmäßig gängige Standards – und beeinflussen damit auch den allgemeinen Arbeitsmarkt.

Studentische Beschäftigungsverhältnisse unterscheiden sich zwar formal, sind aber allesamt als prekär zu bezeichnen. In der Telefonzentrale von emnid (Göttingen) beispielsweise arbeiten SchülerInnen und Studis als „freie Mitarbeiter“ auf Honorarbasis (1). Nicht selten liegt der Stundenlohn bei fünf, oder sechs Euro … manchmal gibt es gar keinen schriftlichen Arbeitsvertrag. Äußerst selten hingegen sind Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, bezahlter Urlaub, Kündigungsschutz etc. An den Universitäten sieht es nicht anders aus, und „studentische Hilfskräfte“ sind in der Regel befristet eingestellt. Immer mehr Festangestellte müssen sich im Zuge gegenwärtiger Sparmaßnahmen seitens „autonomer“ Hochschulen auf befristete Verträge einlassen – die Befristung war zuerst bei Studierenden durchgesetzt. Teilweise werden sie sogar durch studentische Beschäftigte ersetzt.

An diesen Bedingungen wird sich solange nichts ändern, bis aus dem Studentenmilieu eine selbstbestimmte Organisierung erwächst, die sich auch mit anderen prekär Beschäftigten in Kontakt setzt und alltägliche Grenzen überwindet. Dazu wollen die Bildungssyndikate mit einem Fragebogen beitragen (2). Zum einen wird so die Problematik an der Uni thematisiert. Zum anderen ist eine eigenständige Untersuchung vor Ort notwendig, weil praktisch alle Daten zur sozialen Situation der Studierenden aus nur einer Quelle, den Sozialerhebungen des Deutschen Studentenwerks, stammen.

Die soziale Situation während des Studiums hat prägenden Einfluß: wenn sie zunehmend durch prekäre Fünf-Euro-pro-Stunde-Jobs charakterisiert ist, kann ein qualifizierter Arbeitsplatz freilich als Karriere erscheinen. Andererseits besteht die Möglichkeit, sich selbst einzusetzen für die eigenen Belange und Erfahrungen zu sammeln, die sich als wichtig heraus stellen werden. In gemeinsamen Kämpfen kann in der Tat ein neuer sozialer Zusammenhalt entstehen, der berufsständische Egoismen überwindet, sich gegenseitig bestärkt und sich nicht mehr zufrieden gibt mit einigen materiellen Zugeständnissen und Wahlversprechen: Eine soziale Bewegung, die sich selbst – der Gesellschaft – den materiellen Reichtum und die Kultur zurückerstattet, die ihr heute noch vorbehalten bleiben.

A.E.

(1) Infos dazu bei www.callcenteroffensive.de
(2) Kontakt & Infos: fau-leipzig@gmx.de

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