sy.bi.le im Interview

Wir sprachen mit AktivistInnen des syndikats bildung leipzig an der Uni Leipzig

Feierabend!: Was, bitte, ist denn ein Bildungssyndikat?

sy.bi.le: Ein bisschen mehr als ’ne Gewerkschaft, aber nie mehr als die Mitglieder draus machen. Unsere Organisierung fühlt sich der anarcho-syndikalistischen Bewegung verbunden, die schon immer ein sehr umfassendes Verständnis von Gewerkschaft hatte und noch hat. Da beschränkt sich das Engagement nicht auf den Arbeitsplatz, sondern erstreckt sich auch auf die Selbstorganisation gesellschaftlichen Lebens und zielt letzten Endes auch auf die Abschaffung des Lohnsystems. Wir haben uns der Freien ArbeiterInnen Union (FAU), einem bundesweiten Gewerkschaftsverband, angeschlossen und bilden mit anderen Bildungssyndikaten eine Branchenvereinigung, in etwa wie die GEW im DBG. Von diesen großen Verbänden unterscheidet uns aber, dass wir Hierarchien vermeiden wollen und daher auch keine bezahlten FunktionärInnen haben, dafür jedoch lokale Autonomie, z.B. was Schwerpunktsetzung, Aktionen und Finanzen anbelangt. Ein weiterer Unterschied ist, dass wir nichts von sozialpartnerschaftlichen Verhandlungen und dergleichen halten, sondern unsere Interessen durch direkte Aktionen durchsetzen wollen. Schließlich noch, dass wir die herrschaftliche Spaltung in Lehrende und Lernende nicht anerkennen. Dies ist ein Eckpfeiler unserer Utopie freier Bildung, weshalb wir also LehrerInnen, DozentInnen, SchülerInnen, StudentInnen, MitarbeiterInnen, Büroangestellte etc. organisieren wollen.

Wann habt ihr euch zusammengefunden, und warum? Was wollt ihr machen?

Tja, bisher sind wir eine rein studentische Initiative, die seit Frühling dieses Jahres besteht. Zuvor engagierten sich die meisten von uns in einer lokalen Studierendengruppe … gelangten aber zu der Ansicht, dass eine bundesweite Vernetzung – auch über das studentische Spektrum hinaus – und eine kontinuierlichere Organisierung unabdingbar sind, um genügend Nachdruck zu entfalten. Zugeständnisse seitens einer Regierung können nur erzwungen werden, und das macht mensch am besten mit wirtschaftlichem Druck (Streik). Außerdem fanden wir viele Proteste der vergangenen Semester zu "diplomatisch" und inhaltlich kritikwürdig. Im sy.bi.le wollen wir Farbe bekennen für eine selbstbestimmte und freie Bildung ohne Selektion, Hierarchien und Leistungsdruck, und ganz entschieden jeglichem "Standort"-Palaver, jeder Elitebildung usw. entgegen treten. Aber wir wollen nicht nur schlaue Papiere verfassen sondern auch unsere Ideen in die Praxis umsetzen. So beteiligen wir uns an dem Projekt der selbstorganisierten Seminare und erstreben noch in diesem Semester ein eigenes Lokal mit anarchistischer Bibliothek. Bei all dem vergessen wir nicht, dass wir einer Gewerkschaftsbewegung angehören. Durch direkte, unmittelbare Aktionen möchten wir nicht nur Verschlechterungen der Studien-, Arbeits- und Lebensbedingungen abwehren, sondern auch Verbesserungen erstreiten. Dabei ist uns der Gedanke der Solidarität wichtig.

Was kritisiert ihr am jetzigen Bildungssystem? Was setzt ihr dem entgegen?

Gut, die prinzipiellen Kritikpunkte sind schon angeklungen: Selektion, Hierarchien und Elitebildung, Fremdbestimmung und Bürokratisierung, Leistungsdruck und Überwachung. Das alles sind mehr oder weniger notwendige Bestandteile eines kapitalistischen Bildungssystems, dessen Hauptzwecke eben in einer scheinbar objektiven Selektion, der Ausbildung von brauchbaren Humankapital für den Standort sowie der Erziehung zu guten StaatsbürgerInnen liegen. Wir setzen dem eine Utopie entgegen, in der sich alle nach eigenen Interessen – unabhängig von sozialen Status, Alter, Geschlecht und sonstigen Zuschreibungen – bilden können. Dabei wird der solidarische Austausch sicher eine gewichtige Rolle spielen. Wir alle können viel voneinander lernen – ganz ohne die formale Aufspaltung in „Lehrende“ und „Lernende“. Dabei ist uns klar, dass sich dies letztendlich nur durch die Überwindung kapitalistischer Verhältnisse sowie des permanenten Versuch des Abbaus aller Herrschaftsformen verwirklichen lässt.

Wie schätzt ihr die aktuellen Bildungspolitik ein und: was ändert sich durch die derzeit geplanten und durchgeführten Maßnahmen?

In Sachsen – aber auch anderswo – werden momentan recht drastische Haushaltskürzungen vor allem im Bildungsbereich realisiert. Damit einher gehen natürlich auch Kündigungen und die Umstellung auf Teilzeit; dies verschlechtert die Arbeitsbedingungen sowohl der Beschäftigten als auch der Studierenden. Und: Viele elementare Veröffentlichungen sind in der Uni-Bibliothek nicht zu finden. Mindestens ebenso bedeutend aber sind die Vorschläge der SHEK (Sächsische Hochschulentwicklungskommission), die auf eine Straffung der Hierarchie, der Ungleichheit innerhalb der Uni zielen, um die Kommerzialisierung der Hochschule zu forcieren – Bildung wird so bis auf’s letzte zu Ware. Laut Unesco wird der weltweite Bildungsmarkt auf zwei Billionen (2.000.000.000.000) US-Dollar geschätzt, und irgendwo muss das Geld ja herkommen. Ein Dauerbrenner sind, klar, auch Studiengebühren – selbst wenn Rot/Grün sie uns als "Bildungsgutscheine" verkaufen will. Statt aber einfach nur den status quo zu verteidigen, wollen wir uns lieber der realen Umsetzung unserer Utopie widmen.

Kann mensch dagegen nichts unternehmen, demonstrieren scheint ja kaum zu helfen?

Dagegen kann mensch sehr wohl ‚was unternehmen! Auch Demos sind nicht gänzlich wirkungslos. Worauf es ankommt, meinen wir, ist der Rückhalt solcher Initiativen unter den Betroffen und deren Entschlossenheit. Wenn die meisten unserer KommilitonInnen höchstens einmal im Semester an einer Latschdemo teilnehmen und ansonsten auf die studentische Stellvertretung in den Gremien hoffen, sieht es natürlich eher trübe aus. Aber so sehen das zum einen nicht alle Studis, und zum zweiten gibt’s ja auch noch die Beschäftigen: im Institut, in der Mensa, in der Bibliothek, im Rechenzentrum sowie beim Putzen und Reparieren. Sie sind zwar von der Zahl her ungleich weniger, aber ohne sie läuft nichts; darin liegt ihre Macht. Bei alldem sollte natürlich nicht ausgeschlossen sein, die Auseinandersetzungen auch auf andere Branchen und Bereiche des gesellschaftlichen Lebens zu übertragen. Vor allem aber muss mensch in Bewegung bleiben, nicht resignieren und verzweifeln. Wir müssen uns gegenseitig unterstützen, that’s the only way out.

Danke für das Interview.

Bildung

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