Schlagwort-Archive: 2003

Technische Liquidierung der Projektwerkstatt

Inmitten vom Landkreis Giessen steht seit 1993 die Projektwerkstatt: Ein offenes Haus mit technischen Arbeitsräumen, Archiven, Seminarbereichen usw. Sie wurde genutzt von verschiedenen Gruppen für Projektarbeit, zur Vorbereitung von Aktionen und vielem mehr. Am Morgen des Freitags, 10.1.2003, war vieles davon beendet: Ein Kommando des Giessener Staatsschutzes stürmte die Projektwerkstatt liquidierte sie technisch – ohne Durchsuchungsbescheid und ohne Übergabe einer Beschlagnahmeliste wurden alle eingesetzten Computer, Bildschirme, Modems, Laufwerke, Monitore, Stromkabel, Tastaturen, Mäuse usw. weggeholt. Auf die Frage, warum eine Tastatur für die Polizei wichtig wäre, kam die Antwort einer Angestellten beim Staatsschutz Giessen: „Das kostet Euch 25 Euro“.

Auch das macht klar, dass es hier nicht um die Verfolgung etwaiger Straftaten geht, sondern um die technische Ausschaltung eines der letzten unabhängigen politischen Zentren in Deutschland.

Bereits am Abend vorher wurden zwei Personen der Projektwerkstatt ohne Angabe von Gründen auf ihrem Weg zu einer Veranstaltung von Ministerpräsident Koch verhaftet. Wie der Staatsschutz durchblicken ließ, geschah auch das zur besseren Durchführung der technischen Ausräumung der Projektwerkstatt. Die beiden Verhafteten wurden von den Leitern des Staatsschutzes und des Zentralen Kommissariats Giessen beschimpft („morgen gehts zum Doktor“ bis „Du kriegst aufs Maul“ oder „bei uns sind schon einige die Treppe runtergefallen“), getreten und ins Gesicht geschlagen.

Nähere Hintergründe sind bei der Projektwerkstatt zu erfragen. Aufgrund der technischen Liquidierung sind Faxe, Mauls usw. nur sehr eingeschränkt möglich. Dieser Text entstand auf dem ersten in Betrieb gesetzten 486er. Die Projektwerkstatt braucht Unterstützung in Form technischer Ausstattung. Bitte meldet Euch unter 06401/903283

(Presseinfo)

Politmix

Stoppt den Krieg, bevor er beginnt?

Der Angriff auf den Irak ist im vollen Gange

In den Reden der Friedensdemonstrationen wird oft behauptet, es gelte einen Krieg der Staatengemeinschaft gegen den Irak zu verhindern. Dies ist unglücklich formuliert, geht es doch darum, den Irakkrieg zu beenden. Denn, wie sich mancher erinnern wird, deklarierten die USA und Großbritannien nach dem Golfkrieg 1992 Flugverbotszonen über dem Irak, was dessen Luftverteidigung lahmlegte, um die im Norden lebenden Kurden zu schützen. De facto schützen sie aber türkische Luftangriffe auf kurdisch-bewohntes Gebiet und bombardieren abwechselnd mit der Türkei. Da im Bombenhagel nichts wächst, ist das Land sehr öd geworden. Ihren Anteil daran haben auch die militärischen Attacken des Irak gegen die kurdischen Gebiete inklusive Giftgaseinsatz. Selbst die Kampfflieger wissen nicht mehr, was sie abschießen sollen. Der angeblich „neue Krieg“ kann als eine weitere Operation betrachtet werden, um mit Bodentruppen einmarschieren zu können.

Der dann offene Krieg, der wenn er kurz ist, ein Wirtschaftsmotor ist, die zu erschließenden Ressourcen und die Kontrolle darüber, würden die US- Wirtschaft ankurbeln. (Die USA sind hoch verschuldet und müssten um sich zu entschulden, dreieinhalb Monate lang alle produzierten Güter und Dienstleistungen an ihre Schuldner abtreten.) Wenn die US-Wirtschaft floriert, ist der für die EU wichtige Export nach Nordamerika gesichert. Gelingt dies nicht, besteht die Gefahr, dass u.a. mit einer Dollarkrise die Krise des kapitalistischen Systems offen zu tage tritt. (Der Dollar basiert nicht mehr auf einen realen Gegenwert, sondern auf der militärischen Macht der USA, die papiernen Wertversprechen einzulösen.) Diese Krise äußert sich u.a. in globalen Absatzschwierigkeiten aufgrund hoher Produktivität, die Arbeit für alle unnötig macht, und dem Zwang zu wachsen, um Profit machen .zu können. Eine systeminterne Alternative zum Dollar könnte der Euro sein, doch nur wenn auch er militärisch gedeckt werden kann, was dann für die EU ein triftiger Kriegsgrund wäre…(1) Dauert der offene Krieg aber zu lange, „leidet“ auch die Wirtschaft. Krieg ist im Kapitalismus verankert.

Im Durchschnitt werden über dem Irak seit 1991 jeden zweiten Tag Bomben abgeworfen. Laut dem britischen Verteidigungsminister hat die Royal Air Force (RAF) zwischen März und November 2002 mehr als 124 Tonnen Bomben abgeworfen. Von August bis Dezember 2002 gab es 62 Attacken von US-amerikanischen F-16 Flugzeugen und RAF-Tornados – angeblich zielen die Bomben auf irakische Luftverteidigungen, aber viele „verirren“ sich in bevölkerte Gebiete, wo zivile Tode unvermeidlich sind. Während die Blair-Regierung behauptet, es seien „noch keine endgültige Entscheidungen getroffen“, haben die Royal Air Force (RAF) und US-Bomber ihre Patrouillen über dem Irak verstärkt. Die Bombardements auf den Irak haben sich verdreifacht. Die Bombardierung, die 1991 einsetzte, ist ein vor der Weltöffentlichkeit „geheim“ gehaltener Krieg – nach dem Motto: Was die Tagesschau nicht sendet, gibt es nicht.

Die US-amerikanische und britische Regierungen rechtfertigen sich, sie hätten ein UN-Mandat, um die „Flugverbotszonen“ zu überwachen, die sie nach dem Golf-Krieg deklarierten. Diese „Zonen“, die ihnen die Kontrolle über einen großen Teil des irakischen Luftraum geben, seien legal und von der UN-Sicherheitsrats-Resolution 688 gestützt. Das ist laut Dr. Boutros-Ghali, der 1992 Generalsekretär der UN war, als die Resolution 688 verabschiedet wurde falsch. „Die Frage über Flugverbotszonen wurde nicht debattiert.“

Wieso kooperieren die USA und Großbritannien mit der Türkei, die der US-amerikanischen „Weltordnung“ nicht kritiklos gegenüber steht? In Anbetracht der Ölfelder im mittleren Osten .und in Zentralasien ist die Türkei ein strategisch wichtiges Mitglied der Nato und Empfänger von militärischem Gerät von den USA, auch sind US-amerikanische und britische Bomber in der Türkei stationiert. Der Aufstand der kurdischen Bevölkerung der Türkei ist in den Augen der USA eine Bedrohung der „Stabilität“ der türkischen „Demokratie“.

Im März 2001 protestierten die RAF-Piloten im kurdischen Irak dagegen, dass immer wenn die Türkei die Kurden im Irak angreifen wollte, die Patrouillen zurück zum Stützpunkt gerufen und der Bodenbesatzung befohlen würde, den Radar auszuschalten. Die Türkei macht nichts anderes als US & Royal Air Force in ihrer humanitären Maske. Die einen bombardieren, während die anderen Pause machen. Die Bezeichnung „Kampf“ täuscht allerdings. Der Irak hat keine moderne Luftverteidigung mehr. So meint „Kampf“, Bomben oder Raketen auf eine Infrastruktur werfen, die von einem 12 Jahre altem Embargo plattgemacht wurde.

Das Wall Street Journal berichtete, dass die USA einem „echten Dilemma“ gegenüberstehen: der Luftwaffe gehen die Ziele aus. „Wir sind unten beim letzten Schuppen“, protestierte ein Beamter. Die Ergebnisse solcher Attacken sind die Reste eines LKWs, ein Schuh, die Skelette von 150 Schafen, und sechs Menschen. Als Einzelheiten dieser Attacke in London vorgetragen wurden, sagte ein Beamter: „Wir nehmen uns das Recht zu harter Aktion, wenn wir bedroht werden.“

Offiziell ist nun klar, dass die USA eine Schlacht gegen den Irak vorbereiten. Das Pentagon sagt, wenn Bagdad nicht schnell aufgebe, dann muss es das Ziel von „überwältigender Feuerkraft“ sein. Im Rahmen des offiziellen „Anti-Terror-Kriegs“ soll das türkische Regime nun mit einem Bestechungsgeld von 6 Milliarden „belohnt“ werden, wenn es der US-„Koalition“ gegen den Irak beitritt.

hannah

Krieg

Die Großstadtindianer (Folge 4)

Eine Heimat, ein Springer und ein paar Gläser IV

‚Ich war beim letzten Male noch nicht ganz zu Ende gekommen.‘ Während ich am Bleistift kaute, das rotseitige Büchlein vor mir, schoss der Gedanke durch meinen Kopf. ‚Aber die erste Episode war immerhin fast fertig, ein wenig zu idyllisch und ein Schuss zuviel Realismus, trotzdem, für den ersten Versuch…‘ Ich schrieb den Gedanken auf und erinnerte mich noch einmal an den letzten Tag, als Kalle und ich mit Boris, Schlumpf und Schmatz losgezogen waren, um Buggemüller wegen seiner Wagenladung Gläser in der Kneipe „Zum Fass“ zu treffen. Der Wirt hatte mir das Brett in die Hand gedrückt, nachdem Kalle und Buggemüller sich lauernd gegenüber setzten. Boris, Schlumpf und Schmatz warteten am Wagen. Kalle gewann weiß, und ich zweifelte keine Sekunde an seinen Künsten. Buggemüller war ein einfältig geradeaus-denkender Linienspieler, gegen Kalles ausgefeilte Springertaktiken hatte er kaum eine Chance: Er musste ihn mittlerweile ein Dutzend mal geschlagen haben, und Buggemüller konnte einfach nicht begreifen, wie es einem „jungen Kerl ohne Erfahrung“, wie er sagte, gelang, ihm eine derartige Schmach zuzufügen. Doch von vorn.

Um an die Einweckgläser der Fabrik im Osten der Stadt heranzukommen, die Buggemüller in unregelmäßigen Abständen zur Deponie fuhr, mussten wir damals seine Schwachstellen herausfinden. Die Suche währte nur kurz. Sein ehrgeiziger Charakter verband sich mit seinem wöchentlichen Hobby zu einer der menschlichsten Schwächen auf unserer Scholle: er konnte einfach nicht verlieren. Schon gar nicht im Schachspielen! Es war ein leichtes gewesen, ihn zur Wette um seine Wagenladung zu reizen. Damals waren wir einfach zum sonntäglichen Treffen gegangen, und Kalle hatte Buggemüller herausgefordert. Der nahm selbstsicher an. Und der ganze Schachstammtisch sah zu. Kalle gewann zweimal. Matt und Matt. Buggemüller kochte vor Wut und sein feistes Gesicht lief rot an. Er presste zwischen den verbissenen Lippen nur ein Wort heraus. „Revanche!!!“ Das war der Moment, an welchem er sicher um fast alles gewettet hätte. Als Kalle ihm erklärte, dass wir nur die Gläser haben wollten, die er in jenem Monat von der Fabrik holte, stutzte er kurz und grinste dann verächtlich: „Top, die Wette gilt!“ Buggemüller müller hatte wohl erkannt, dass ihn das wenig kostete, im Gegenteil bezahlten Feierabend versprach. Kalle machte jedoch der aufkeimenden Euphorie Buggemüller ein jähes Matt und wir gewannen unsere erste Ladung Gläser. Dabei hatten wir Buggemüllers Ehrgeiz richtig eingeschätzt. Er konnte es einfach nicht ertragen, nicht gegen Kalle gewinnen zu können. Der Köder hatte gestochen. Und so verabredeten wir mit ihm, ein weißes Tuch an seine Lkw-Antenne zu binden, wenn er, wieder einmal Gläser geladen hatte, zur Kneipe zu fahren und dort auf uns zu warten. Es war schon zu einem Ritual geworden, und Buggemüller nutzte die gewonnene Zeit nach den verlorenen Spielen, um seinen Lohn und seine Ehrsucht im Alkohol zu ertränken.

Ich hörte Kalles Stimme: „Springer auf F5, Herr Buggemüller, haben Sie das nicht gesehen?“ und blickte zu ihm. Er war mittlerweile in eine tiefgrübelnde Haltung verfallen und brütete über seiner aussichtslosen Stellung. „Du Bastard“, zischte es zwischen seinen Zähnen hervor, „ich geb auf!“ Er warf mit einem für seine Handmaße fast zärtlichen Schubs seinen König um und wischte dabei ein Pferd vom Brett: Beim Bücken sagte Kalle zu ihm: „Vielleicht beim nächsten Mal, Herr Buggemüller!?“ Der Fleischberg schwieg einen Moment, fixierte den sich aufrichtenden Kalle und sagte dann gebrochen kurz: „Ja!“ Ich trat zum Tisch. „Wir laden jetzt die Gläser ab. Schönen Feierabend Herr Buggemüller. Wir sehen uns beim nächsten Mal.“ Er antwortete monton kurz: „Ja!“, und als Kalle ihm die Hand entgegenstreckte, war sein Blick in die Ferne entrückt. Erst als wir schon fast draußen waren, hörten wir das bekannt selbstbewußte Brummen und Tönen seiner Stimme, die wieder Sicherheit atmete. „Beim nächsten Mal schlag ich den Burschen. Bestimmt!“ Kalle schmunzelte mir zu, ich zwinkerte zurück.

Kaum waren wir durch die Tür getreten, vermischte sich das Brummen mit dem Gezeter einer reifen Frau, welches in Salven über die Straße hackte. Wir sahen uns an. Das war doch Charlotte Götz, oder Oma Lotte, wir wir sie liebevoll nannten. Sie besuchte uns an und wann und tauschte Einweck gegen den besten Kuchen der Stadt. Beim Handwagen hatte sich eine kleine Ansammlung gebildet. Ich hörte Schlumpf schrille Töne aus seiner Flöte blasen. Schmatz jagte seinen zottligen Schwanz, Boris stand ein wenig abseits, und Oma Lotte redete wie wild auf Oberwachtmeister Otto (Spitzname „00“) ein. Der hatte sich vor Schlumpf aufgebaut, um ihn wohl des Betteln zu bezichtigen. Doch Oma Lotte musste bereits eine ganze Weile zetern, denn der Wachtmeister war schon auf dem Rückzug. Als wir hinübergingen, hörten wir noch die letzten Worte, die sie dem flüchtenden Otto hinterherwarf „Kleine Kinder, Arme und dann am besten noch alte Omas, wart´, das werd´ ich Deiner Mutter erzählen! Kunstbanause!!!“ Wir bedankten uns für ihre Hilfe, und während des Umladens der Gläser gaben Schlumpf und Schmatz noch ein Konzert extra für Oma Lotte. Schlumpf spielte wie toll auf seiner kleinen Flöte und Schmatz jaulte und tanzte. Die Heiterkeit steckte nicht nur Charlotte Götz, sondern auch uns an, und so waren die Gläser flugs auf dem Handwagen und in den Kiepen verstaut. Samt Gummis und Deckel eine fette Beute! Wir verabschiedeten uns von Oma Lotte und traten den Heimweg an, den Berg hinauf in Richtung unserer Heimat. Am Tor empfing uns, vom Aussichtsturm winkend, Moni. „Wir sind alle zum Essen eingeladen, bei Fabian und Ilba. Aber vorher spült ihr noch die Gläser aus, bitte Jungs! Die stinken so …“, sie kniff sich in die Nase, „Pfui, pfui!“ Das Ende eine kleinen Episode. Ein Anfang. (Fortsetzung folgt.)

clov

…eine Geschichte

Never stop dreaming

Eine „Fragestunde“ mit der Friedensbewegung

Eins vorneweg, ich werde das was ich Ihnen sage, nicht danach, entscheiden, was Sie hören wollen. Viel zu sehr beschneidet sich die Linke in ihren Möglichkeiten, wenn sie sich auf die Masse fixiert oder in einen linken aktivistischen Agitationspopulismus verfällt. Die Friedensdemo in Leipzig ist ein bestes Beispiel für Massenfixierung. Hauptsache es sind viele, da steigen die Teilnehmerzahlen in schwindelnde Höhen, erst zehn dann zwanzig dann dreißig- oder gar vierzigtausend und der Sprecher am Mikro bekommt fast einen Orgasmus, bei soviel an Masse vor seinen Füßen. (1)

Nachdem die Massen dann alle auf dem Augustusplatz versammelt waren, redeten attac, eine Ärzteorganisation und Sportler für den Frieden. Die Hauptfrage lautete: Warum sind wir hier? Der attac-Redner wusste das, denn zehntausende sind hier in Leipzig, weil woanders auch Zehntausende sind. Und noch besser, Millionen waren in Berlin und Rom und Paris und London weil sie wussten, dass auf anderen Kontinenten ebenfalls Millionen auf die Straße gingen. Halten Sie diese Argumentation auch für ausgemachten Blödsinn? Gehen Sie zur Demo um bei ´ner Demo mitzulatschen? Oder gehen sie aus inhaltlichen, ja aus politischen Gründen raus und zeigen ihre Meinung? Dazu später mehr.

Jetzt halten Sie sich erst mal fest: Der attac-Redner musste noch eine Frage stellen und die war so brisant, dass er sie gar nicht erst beantwortete: „Denn wer profitiert am Ende vom entfesselten Kapitalismus und den Kriegen?“ Ja wer? Die bösen Amerikaner, die die Weltherrschaft an sich reißen wollen, wie Pinky und Brain? Die transnationalen Konzerne, die die Macht übernehmen? Das Finanzkapital, dass ganze unschuldige Völker in den Abgrund reißt? Oder gar die Juden, die wie 40 % der Bundesbürger meinen, sowieso zu viel Einfluss auf das Weltgeschehen haben? (2)

Wie Sie vielleicht merken, unterstelle ich dem attac-Redner nicht, Antisemit zu sein. Er muss sich jedoch den Vorwurf gefallen lassen, durch seine Offenlassung der Antwort, oben genannten Kurzschlüssen und Ressentiments Vorschub zu leisten.

Dass bei attac nicht alles Gold ist was glänzt, zeigte die attac-Friedenstour mit Julie Fry aus den USA, der Journalistin Yvonne Ridley aus London und Alfonso De Vito, einem Aktivisten der Antiglobalisierungsbewegung aus Neapel, die auch im Januar. in Leipzig gastierte. In München setzte De Vito die Ereignisse im Warschauer Ghetto 1943 und die Massaker in den palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra und Shatila in Beirut im Jahre 1982 gleich. Und Julie Fry bezichtigte Israel des Völkermords und beschwor den heroischen Widerstand des palästinensischen Volkes. Zum unrühmlichen Abschluss erklärte der eingeladene islamische Geistliche Mohammed Herzog bei der letzten Veranstaltung in Berlin: „In 25 Jahren werden wir erfahren, wer die Täter waren. Wenn die Amerikaner ihre Geheimbücher aufschlagen. Es sieht ja fast so aus, als ob Amerika es selbst getan hätte.“ (3)

Doch zurück zur Friedensdemo in Leipzig Warum gehen Sie montags dorthin? Die Ärzteorganisation wusste warum: Weil der zweite Golfkrieg und das Embargo tausende Menschenleben und eine intakte Infrastruktur zerstört hat. Dem stimme ich zu, doch hätte ich mir gewünscht, dass sie auch erwähnt hätten, dass Hussein Lieferungen für sich und seine Familie reserviert hat und in Luxus und ohne Probleme leben konnte, während die Menschen im Irak ums Überleben kämpften und Hussein Giftgas gegen die kurdischen Siedlungen im Norden einsetzte etc.pp.

Die Sportler wussten auch warum sie da waren, dort wo Olympia sein soll, müssen auch Friedensdemos sein. Soweit so unklar? Okay.

Doch warum gehen Sie jeden Montag auf die Straße? Wegen ’89 und den Montagsdemos, die allerorten gehypt, instrumentalisiert und mystifiziert werden? Oder gehen Sie aus Sehnsucht nach Frieden? Erstmal ein guter Grund! Aber warum waren beim Kosovokrieg und Afghanistan-Krieg nicht mehr als 500 Leute auf der Straße und jetzt sind es über 10.000? Weil es diesmal gegen die USA geht und nicht gegen die eigene Regierung? Weil es gut tut, die Staatsgewalt auf der eigenen Seite zu haben? Die Differenz der Teilnehmerzahlen ist gravierend, also kann die Friedenssehnsucht nicht ausschlaggebend sein.

Und fast zum Schluss: Warum ist eine tiefgreifendere kapitalismuskritische Position, die nicht auf Personen oder einzelne Staaten fokussiert, kaum anzutreffen? Warum beschränken sich die meisten mit dem Bild des verrückten Cowboys, der Blut mit Öl tauschen will? Zum Beispiel: Resist Leipzig tragen nach einem Augenzeugenbericht ein Transpi, auf dem eine Tankstelle in Texas der Welt das Öl abzapft. Oder ein Straßentheater, in dem der peitschenschwingende Bush den CIA und MI6 vor sich hertreibt, die wiederum UNO und Völkerrecht in Ketten halten.

Eine Frage hätte ich noch, bevor es für heute genug ist: Warum rennt jemand mit dem Schild „Heil Bush???“ mitten in der Friedensdemo rum und wird nicht wegen zwar verschämter aber nicht desto trotz Gleichsetzung Bushs mit Hitler rausgeschmissen?

Haben Sie sich die Fragen gestellt?

Haben Sie Antworten?

Dann schreiben Sie uns!

Stichwort Ich, der Krieg und Frieden

kater francis murr

(1) letzten Endes waren es laut LVZ 18.000 DemonstrantInnen, da die LVZ aber selbst für die Montagsdemos trommelt, ist wohl eher mit weniger zu rechnen.
(2) laut einer Infratest-Umfrage im Oktober 2002 www.juden.de/newsarchiv/dezember 2002/16100202.shtml
(3) mehr auf jungle-world.com/ seiten/2003/06/228.php

…und Frieden

Leipzig & St. Pauli

Tapferes Leipzig. Das ist ja wie 1989 – kurz vor dem Umsturz. Die BürgerInnen der Heldenstadt schreien sich mal wieder auf emotionsgeladenen Diskussionsveranstaltungen ihre Wut aus dem Wanst und müssen von der Polizei bewacht werden, StudentInnen erheben sich gegen die Willkür der Landesregierung und fordern den Rücktritt von Wirtschaftsminister Rößler. Magnifizenz Bigl ist schon zurückgetreten und wird jetzt zur Ikone des Widerstands. Schade, dass es dabei nur um den (Nicht-)Wiederaufbau der 1968 von der Ulbricht-Regierung gesprengten Paulinerkirchenaula der Uni geht.

Die Sprengung der Kirche im Rahmen der „Sozialistischen Neugestaltung“ des Leipziger Stadtbildes, war eine stumpfe Machtdemonstration einer von Paranoia und Menschenverachtung besessenen Altmännerclique (1), bei der für Leipzig historisch einmalige Bausubstanz verloren ging. Ein Wiederaufbau würde dies, nach Meinung eines Großteils der an der Diskussion beteiligten, nicht ungeschehen machen und wäre nur ein Prestigeobjekt für gewisse Leute „da oben“. Wo aber sind diese jetzt so engagiert Protestierenden jedesmal, wenn ein (Um-)Bauvorhaben nach dem anderen mit mehr als fragwürdigem Sinn in, um und bald auch unter Leipzig beginnt? Prestigeobjekte, welche oft wirklich von ihren Steuergeldern und nicht durch Spenden finanziert werden und bei denen noch viel weniger nach deren Meinung gefragt wird.

Die einen wollen eine moderne, funktionale und für den härter werdenden „Bildungswettbewerb“ gerüstete Uni und die anderen einen teuren Original Wiederaufbau der Paulineraula. Beide Varianten schließen einander angeblich aus. Wer die Kirchenkopie ablehnt, ist noch lange keinE BefürworterIn der Sprengung. Aber sind, deshalb vielleicht auch nicht alle, die noch ein Fünkchen Empfinden für Ästhetik haben und das Aussehen der neuen Uni/des Augustusplatzes und ihren guten Geschmack nicht nur der Funktionalität und dem Leistungsprinzip unterordnen wollen, gleich CDU-WählerInnen, Ewiggestrige, religiöse Eiferer o.ä.?

Man könne keiften ersten Platz vergeben, druckste man im letzten Jahr herum, als es um die Bewertung der 27 in die Endauswahl gekommenen Entwürfe für die Neugestaltung der Uni ging, was eigentlich schon an sich Bände über die Qualität dieser „Vordiplomarbeiten überforderter Architekturstudenten“ (FAZ) sprechen sollte. Sehr viele Bürgerinnen äußerten sich da offener, man könne sich maximal ein paar interessante Elemente aus mehreren Entwürfen kombiniert vorstellen, sähe aber ansonsten keine großen Veränderungen zu Ulbrichts Kasten.

Betrachtet man nun den nach „Konzeptqualifizierung“ favorisierten modernen Entwurf von Behet & Bondzio in der Computersimulation, kommt einem dann wirklich das kalte Grausen, wenn man realisiert, dass dieser Neubau vollendet, was selbst Ulbrichts ideologisch gelenkte Stadtplaner nicht gewagt haben: Der Eingang der Grimmaischen Straße wird wieder auf seine mittelalterliche Enge reduziert, das Uni-Gebäude überragt das Kroch-Hochhaus und wird so in seiner dicht an dieses grenzenden Kastenform zum ästhetischen Overkill dieser Seite des Augustusplatzes.

Wer Ideen wie diese abliefert bzw. deren Umsetzung ernsthaft in Erwägung zieht, treibt zwangsläufig immer ins Lager der NostalgikerInnen. Lieber eine Kopie der Paulinerkirche und das Rad der Geschichte zurückdrehen, sagen sich da sicher manche, als einen noch größeren Schuhkarton, der auch noch die Freifläche in der Grimmaischen Straße verschlingt (2).

Liegt das Problem dann nicht eher beim Mangel an guten, auch unter ästhetischen Gesichtspunkten vertretbaren Ideen, die eventuell einfach nur i(n eine)m verwandten Baustil (3) an die Paulinerkirche erinnern? Im Vergleich zu Behet & Bondzio’s Entwurf kommt dem bis jetzt leider nur die Idee einer originalgetreu wiederaufgebauten Paulinerkirche nahe und bleibt bis dahin der einzige auch optisch ansprechende Vorschlag.

mirek

Weiteres zum Thema im Internet:
www.uni-leipzig.de/-unineu/journal/0205/ 0205campussieger.html
www.uni-leipzig.de/campus2009/index2.html
www.paulinerverein.de
www.paulinerkirche.de
(1) Sicher hat hierbei auch die Verarbeitung gewisser traumatisch nachwirkender Kindheitserlebnisse, des ja aus Leipzig stammenden W. Ulbricht, eine Rolle gespielt.
(2) Im Zusammenhang mit der geplanten engen Bebauung der Grimmaischen Straße, ist sicher auch die Frage nach dem Sinn eines neuen „Café Felsche“ zu stellen, welches sicher auch nur irgendwelche Vorkriegs-Sentimentalitäten bedienen soll und dessen Platz der Uni sicher besser zugute käme.
(3) Hierbei wäre sicher zu klären, welche der verschiedenen Formen die St. Pauli im Laufe seiner 700jährigen Geschichte hatte, hierfür in Frage kämen. Eine Frage, um die auch der Paulinerverein nicht herumkommen wird, sollten sich wirklich die „So-Original-Wie-Möglich“-BefürworterInnen durchsetzen.

Lokales

Effektiver Reisen: mit Ausreisezentren

Um eine „Flüchtlingsschwemme“ einzudämmen, hat sich die Regierung seit ein paar Jahren was einfallen lassen. Das Problem ist wohl ein kompliziertes, denn ich habe noch niemanden gesehen, der solch‘ einer Katastrophe zum Opfer fiel

… wenn`s um „humanitäre“ Fragen geht: gegen Kriege und Flüchtlingselend helfen nur Selbstbestimmung und Solidarität.

Abschiebelager, auch „Ausreisezentren“ genannt, sind Zwangsunterkünfte für Flüchtlinge ohne Pass, denen unterstellt wird, falsche Angaben über ihre Herkunft zu machen, oder sich nicht an der Beschaffung neuer Papiere zu beteiligen. Denn Papiere sind die Voraussetzung der Abschiebung; um die zu vermeiden, verweigern viele ihre Papiere. Unerhört? Nun, ist jemand aus einem Land geflüchtet, in dem er verfolgt wird, dies aber von der BRD nicht anerkannt wird, da z.B. derjenige „nur“ zu einer gesellschaftlich bedrohten Gruppe gehört, aber keine persönliche Verfolgung nachweisen kann, dann gibt es keine Aufenthaltserlaubnis, und schon lebt mensch illegal in der BRD und kann jederzeit aufgegriffen und abgeschoben werden.

In „Ausreisezentren“ sollen die meist schon traumatisierten Flüchtlinge zur Aufgabe der Suche nach einem menschlicheren Leben in der BRD gezwungen werden. Es wird alles getan, die Menschen spüren zu lassen: „Du bist kein Mensch, Du bist nur lästig.“ Als Abschiebelager sollen bestehende Unterkünfte für AyslbewerberInnen dienen, diese ersetzten keinen Abschiebeknast, sondern dienen den Behörden als Ergänzung. In Hamburg z.B. wird den Flüchtlingen von vornherein ein Alltag in der BRD verwehrt: „Einreisezentren“ sind gleichzeitig Abschiebelager. Von diesen geht es „freiwillig“ gleich (oder über den Umweg Abschiebeknast) zurück in´s Herkunftsland. So wird Perspektivlosigkeit erst geschaffen.

Diese Lager arbeiten mit einem ausgeklügelten, perfiden System. Die Insassen dürfen das Lager kurzzeitig verlassen, unterliegen aber einer täglichen Meldepflicht. Sie müssen sich beim Kommen und Gehen melden. Es ist verboten, das Stadtgebiet zu verlassen und sie dürfen über keine finanziellen Mittel verfügen. Ebenso wenig ist es erlaubt zu arbeiten (auch nicht ehrenamtlich). Sie erhalten das Taschengeld (40 Euro), dass ihnen nach dem Gesetz zusteht nicht, auch Deutschkurse sind streng verboten. So wird Eingewöhnen verhindert. Jederzeit können Durchsuchungen stattfinden, bei denen alles was auf die Identität hinweisen kann, beschlagnahmt wird. Hinzu kommen regelmäßige Verhöre der Polizei, die immer gleich verlaufen und einschüchternd wirken.

Äußerlich sind die Lager von Stacheldrahtzaun umgeben und videoüberwacht. Zum Schlafen gibt´s Baracken oder Container, pro Person 4 Quadratmeter. Die Versorgung erfolgt mit Lebensmittelpaketen oder durch eine Großküche, wobei auf Allergien o.ä. keine Rücksicht genommen wird.

Selbst die Sozialdienste – eine Farce: ein Betreuer für 200 Menschen – sind nur dazu da, mittels pvscho-sozialen Drucks den Insassen ihre „Perspektivlosigkeit“ in Deutschland zu verdeutlichen. Gleichzeitig dienen die Sozialarbeiterinnen dazu, die Persönlichkeit des Einzelnen zu erforschen, mit dem Ziel, das Herkunftsland zu erfahren, um Papiere besorgen und danach abschieben zu können – somit müssen die SozialarbeiterInnen von Amts wegen ihre Schweigepflicht verletzen.

Das erste Abschiebelager wurde Anfang 1998 nach niederländischem Vorbild in Niedersachsen eröffnet. Weitere Lager mit dem Namen „Projekt X“ befinden sich in Braunschweig und Oldenburg, sie fassen 250 Personen. Ein Abschiebelager in Nordrhein-Westfalen, wurde nach 18 Monaten geschlossen, da ein Insasse Selbstmord begangen hatte. Seit 1999 gibt es Abschiebelager in Rheinland-Pfalz mit 180 Pritschen und in Fürth (Bayern). Im niedersächischen Lager in Bramsche-Heppe, (200 Plätze) werden auch Personen aufgenommen, über deren Asylantrag noch nicht endgültig entschieden ist Sachsen-Anhalt verfügt über ein Ausreisezentrum in Halberstadt mit 100 Plätzen. Weitere werden folgen.

Wenn auch keiner mit den „Ausreisezentren“ reisen will, sind diese für die Behörden dennoch ein Erfolg: Von 248 eingewiesenen Personen im „Projekt X“ reiste nur eine Person aus, 29 wurden abgeschoben. Ähnlich in anderen Lagern: In Ingelheim reisten 5 von 174 Personen aus, 5 wurden abgeschoben. Die Hälfte der Insassen tauchen nach Erhalt des Einweisungsbescheids oder nach kurzer Zeit im Lager in die Illegalität unter – bei den Behörden heißt das „Erfolg“ und „unkontrollierte Ausreise“. So spart man die wenigen finanziellen Aufwendungen für Flüchtlinge und entrechtet sie völlig. Was letztendlich auch der deutschen Wirtschaft zugute kommt: ohne Pass (Recht), in höchster Not scheint jeder Hungerlohn annehmbar. Eingewiesene sind keineswegs nur Alleinstehende oder Nichtintegrierte: in Fürth wurde ein tschetschenisch-russischer Kriegsdienstverweigerer eingewiesen, der mit seiner deutschen Partnerin in einer Wohnung gemeldet ist und heiraten will.

Wer im Lager nicht abgeschoben werden kann; bleibt dort und zwar auf unbegrenzte Zeit! Abschiebelager kennen keine Zeit – legal raus kommt nur, wer ausreist, freiwillig oder nicht. „Ausreisezentren“ sind staatliche Beugemaßnahmen: ohne Ausweg vegetieren Menschen wie du und ich bei Wasser und Brot dahin. Weltweite Freizügigkeit gilt bisher eben nur für Güter und Waren – menschliches Leben ohne Pass hat hier und heute keinen Wert.

hannah

www.noborder.org
www.ausreisezentren.cjb.net

Migration

Editorial FA! #5

Es ist gar nicht so einfach in diesen „bewegten Zeiten“ mit einem 1-1/2-Monatsheft wirklich auf dem aktuellen Stand der Dinge herauszukommen. Wer weiß, wie die Welt schon wieder aussieht, wenn unsere gutgläubigen ZeitungsverteilerInnen dieses Heft in die Läden bringen: Der Kampf um die Entmachtung der Schnauzbärte ist endgültig losgebrochen, die „Ulbricht-Uni“ wurde von Fanatikerinnen über Nacht gesprengt, Feierabend!-RedakteurInnen werden massenweise zur Leiharbeit bei Leipziger Volkszeitung und Kreuzer verpflichtet…

Trotz unseres Titelbildes, was sich ehrlich gesagt einfach nur aufgrund des Blickfanges angeboten hat, ist der Paulinerkirchen-Zoff nicht unser Schwerpunkt. Dafür ist uns das Thema dann doch nicht wichtig genug und das Niveau der geführten Debatten zu peinlich. Ganz der Stimme enthalten werden wir uns allerdings trotzdem nicht.

Auch der sich, bei oberflächlicher Betrachtung, aufdrängende Zusammenhang der Begriffe NOlympia, B.A.F.F. und St. Pauli – der sich als diffuser roter Faden durch diese Ausgabe zieht – konnte uns nicht zur Konstruktion eines SPORT-Schwerpunktes bewegen. Um uns nicht auf Krampf ein Hauptaugenmerk aufzuhalsen, präsentieren wir deshalb lieber eine um so breitere Palette an Themen.

Die VS des (1-1/2-)Monats ist Heidruns APOTHEKE AM ZOO. Zwar ist sie erst mit dem letzten Heft hinzugekommen, durch den dramatischen Umfang der Chefin im fortgeschrittenen Vermehrungsstadium sahen wir uns hier jedoch zu schnellem Handeln veranlasst. Man bedenke: um so näher die Zeit für #6 dieses Heftes schon wieder heran sein wird, um so wahrscheinlicher ist, dass Heidrun nun erst recht keine Zeit mehr hat um müßig vor ihrer Apotheke herumzuposieren. Wir wünschen jedenfalls fröhliche Niederkunft.

Die Feierabend!-Redax

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Am 8. März erinnert man(n) sich wieder der zweiten Hälfte der Gesellschaft, um sie zu ehren. Es ist Frauentag. Und Frau darf stolz sein, wenn sie als kleine Anerkennung für ihre Arbeit in Firma, Geschäft oder Haushalt einen Blumenstrauß überreicht bekommt. Vor einigen Jahren verteilte ein Parteistand gar Mini-Kakteen an die Frauen mit dem Spruch: „Immer schön stachelig bleiben.“ Was heute zu einer seichten Zelebrierung scheinbarer Gleichberechtigung und gegenseitigem auf die Schulter klopfen für die Fortschritte im Namen der Frauenemanzipation verkommen ist, begann einst im politischen und sozialen Kampf.

Bereits im 19. Jahrhundert formierten sich im Zuge der Arbeiterbewegung Sozialistinnen zu einer Frauenbewegung. Ihr erstes Anliegen war die Beteiligung am politischen Geschehen per Wahlrecht und die Verbesserung von Arbeits- und Lebensbedingungen. Zunächst fanden in einzelnen Ländern nationale Frauentage statt, wie z.B. 1892 in Österreich. In den USA riefen seit 1909 Sozialistinnen zu einem „National Woman´s Day“ auf, um das Frauenwahlrecht zu propagieren.

Der Internationale Frauentag wurde bereits ein Jahr später auf der „2. Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz“ in Kopenhagen auf Initiative von Clara Zetkin beschlossen. Die Wahl des Datums fiel auf den 19. März 1911, um den Märzgefallenen der bürgerlichen Revolution von 1848 zu gedenken. Im Zentrum der großangelegten Demonstrationen in Dänemark, Deutschland, der Schweiz und Österreich stand die Forderung nach voller politischer Mündigkeit für Frauen, aber auch nach Arbeitsschutzgesetzen, dem Achtstundentag, Mutterschutz, der Festsetzung von Mindestlöhnen und dem Ende des imperialistischen Krieges. Gleichzeitig war dieser Tag ein Bekenntnis zum Sozialismus. Sein Ziel, nach Clara Zetkin, ist die Verwirklichung von „Frauenrecht als Menschenrecht“, als Recht der Persönlichkeit, losgelöst von jedem sozialen Besitztitel. Sie fordert: „Wir müssen Sorge tragen, dass der Frauentag nicht nur eine glänzende Demonstration für die politische Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts, sondern darüber hinaus der Ausdruck einer Rebellion gegen den Kapitalismus, eine leidenschaftliche Kampfansage all den reaktionären Maßnahmen der Besitzenden und ihrer willfährigen Dienerschaft, der Regierung, ist.“

In den folgenden Jahren wurde auch in anderen Ländern der Welt, wie z.B. Russland, China, Japan oder Rumänien, Türkei und Iran der Frauentag organisiert.

Das Elend des 1. Weltkrieges und die wirtschaftliche Depression verschlechterten die Lebensbedingungen der Menschen enorm. Die politischen Forderungen der Frauenbewegung nach Wahlrecht (1) wichen daher zunächst dem existentielleren Verlangen nach „Brot und Frieden“. In St. Petersburg demonstrierten Frauen am 23. Februar (nach altem russischem Kalender), am 3. März (nach neuer gregorianischer Zeitrechnung) 1917 gegen den Krieg. Diese Aktion verbreiterte sich zu ArbeiterInnenkämpfen und löste die Februar-/Märzrevolution aus. Als Erinnerung an dieses Ereignis wurde 1921 auf der „2. Internationalen Konferenz der Kommunistinnen“ wieder auf Initiative Clara Zetkins beschlossen, den Internationalen Frauentag in Zukunft am 8. März abzuhalten.

Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde der Frauentag verboten und durch den Muttertag ersetzt. Die Frauenbewegung sah ihre Anhänger in ein Rollenbild gedrängt, welches Selbstverwirklichung nur noch als Reproduktionsmaschine zuließ. Die „Emanzipation von der Emanzipation“, Schlagwort der Diskriminierer, beeinflusste das Frauen- und Familienbild bis in die 50er und 60er Jahre. Die Kleinfamilie als kleinste Einheit der Gesellschaft mit der Mutter am Herd und dem Vater am Malochen, entsprach dem propagierten Ideal öffentlicher Meinungsmache.

In der Nachkriegszeit wurde der Frauentag von den sozialistischen Staaten vor allem als Tag der Befreiung der Frau gefeiert. In den kapitalistischen Staaten erhielt er durch die neue Frauenbewegung der späten 60er Jahre wieder einen politischen Hintergrund mit alten und neuen Themen, wie der Kritik an geschlechtlicher Arbeitsteilung, dem Recht auf Abtreibung und der effektiven Kriminalisierung von Gewalt gegen Frauen, der Forderung nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit und gleichen Bildungschancen.

Frau sollte meinen, dass ein über 100jähriges Ringen diese Ziele durchsetzen kann. Aber die Realität sieht anders aus. Nach wie vor zählen Frauen im leistungsgesteuerten Berufsalltag meist zu einer niedrigeren Lohnklasse als ihre männlichen Kollegen (2). Der Abtreibungsparagraph 218 StGB kriminalisiert noch immer Frauen, die sich gegen eine Schwangerschaft entscheiden. Sie werden gezwungen einen erniedrigenden Hürdenlauf von Beratungsstellen zu Ärzten zu unternehmen, um über Körper und Leben auch vor dem Gesetz straffrei entscheiden zu dürfen. Auch ist es für gewöhnlich Frau, die sich entscheiden muss zwischen Kind und Beruf Gleichermaßen werden aber auch Männer benachteiligt, die typische, Frauentätigkeiten ausüben. So finden sich z.B. Babywickelräume vornehmlich in den Damenklos. Kondomautomaten aber bei den Herren. Eine der am tiefsten in der Gesellschaft verwurzelten Ebenen auf der geschlechtliche Diskriminierung existiert, ist die Sprache. Männlich ist hier v.a. stark und klug, weiblich hingegen schwach und untergeordnet. Die meisten Menschen gehen heute noch zu einem Arzt, auch wenn „er“ Heike oder Petra heißt. Bis zur Einführung des neutralen Begriffes „Reinigungskraft“ war es eine Putzfrau, die den Besen schwang, auch wenn „sie“ Vater von drei Kindern war. Gegen diese Rollenmuster, in die jeder Mensch per Geschlecht, Bildungsgrad oder Herkunft gedrängt wird und die daraus folgende Ungerechtigkeit, begehrte die damalige und heutige Frauenbewegung auf. Obwohl auf der Oberfläche der heutigen Zeit Gleichberechtigung zu herrschen scheint, hat sich doch an der grundsätzlichen Mann-isst/Frau-kocht-Denkweise nur in wenigen Gesellschaftsspektren etwas geändert. Die sowohl im privaten als auch im öffentlichen Bereich existierende Diskriminierung, die durch patriarchalische Wertmaßstäbe produziert wird, gilt es zu durchbrechen. Der Frauentag sollte daher nicht länger als Selbstbeweihräucherung verstanden werden, sondern als Kampftag aller Frauen für ein gleichberechtigtes Zusammenleben. Schluss mit den Blumensträußen, hoch die Faust.

wanst

(1) Frauenwahlrecht:
1918 Deutschland, Großbritannien
1919 USA
1944 Frankreich
1971 Schweiz (1990 Halbkanton Appenzell-Innenhoden)
(2) dazu: Statistisches Landesamt Baden-Württemberg

Mobile Wagentage in Leipzig vom 13.-16.03. 2003

Nachdem die Ex-Windscheid-Leute nun knapp ein Jahr Ruhe hatten, könnte es jetzt wieder stressig werden. Die Stadt will die Leute an die Raschwitzer Straße schicken – idyllisch unter Hochspannungsleitungen, zwischen S-Bahn, B2 & Umspannwerk. Ein paar Leute sind erst mal auf dem Gelände des Künstlerprojektes BIMBO TOWN untergekommen: Bisher hat sich das Ordnungsamt dort nur aufs Fotos sammeln beschränkt. Allerdings ist dies auch nur eine Übergangslösung.

Um auf diese für sie unerträgliche Situation aufmerksam zu machen, haben die Leipziger Wagenleute beschlossen vom 13.-16.03. die Wagentage in Leipzig auszurichten. Die Wagentage sind ein halbjährliches Treffen von Leuten, die in zu Wohnzwecken umgebauten Bauwägen, LKWs u.ä. wohnen und das jedes mal in anderen Stadt stattfindet. Für Futter, Barbetrieb, Unterhaltung etc. wird natürlich gesorgt. Treffpunkt ist das BIMBO TOWN in der Fockestr. 80 (B6 Abfahrt Connewitz, R.-Lehmann-Straße). Achtet bitte darauf nur mit polizeikontrollenresistenten Fahrzeugen anzureisen und lasst den Wuffi auch mal wieder zu Hause!

Einer der Hauptevents wird die am 15. 03. 03 stattfindende Demonstration sein. Weitere Infos folgen!

Lokales

Live vom Tatort Stadion!

Wanderausstellung über Rassismus im Fußball kommt nach Leipzig

 

Natürlich könnte man das „Bündnis aktiver Fußballfans“ (Baff) auch anders kennenlernen als durch eine Vorstellung im Feierabend!. So finden sich zum Beispiel im Fanzine des Roten Stern Leipzig (RSL), Prasses Erben Nr. 16, einige Informationen darüber, wer und was sich hinter Baff verbirgt. Da ich aber davon ausgehe, dass sich nicht die ganze Welt für den RSL interessiert, regelmäßig Prasses Erben liest, oder sich eventuell auch nichts aus Fußball macht, soll hier ein kleiner Einstieg geboten werden. Gerade rechtzeitig zum zehnjährigen Geburtstag sowie der Ankunft der Wanderausstellung „Tatort Stadion“ in Leipzig – dazu später noch mehr.

Zur Geschichte

Im August 1993 von interessierten Fans aus 15 verschiedenen Vereinen gegründet, stand vorerst ein Schwerpunkt im Zentrum der Arbeit und Diskussion der BAFF-Mitglieder: Die schleichende und doch manchmal schon massive Übernahme der Fußball-Fankultur durch Neonazis, welche in den 80ern deutlich war und nach der Wiedervereinigung noch zunahm. So wurden also begleitend zu faschistischen Morden auf den Straßen auch in den Stadien fremdenfeindliche Spruchbänder sichtbar und rassistische Chöre hörbar. Außerdem nutz(t)en rechtsradikale Fans immer wieder Spiele, um sich danach als Mob zu formieren. Das Fass zum überlaufen brachte 1993 ein A-Jugend-Länderspiel gegen England, das just zu Hitlers Geburtstag angesetzt war. Dagegen formierte sich breiter, teilweise militanter Widerstand, der schließlich von Erfolg gekrönt war, zwei Wochen vor dem Termin sagte der englische Fußballverband das Spiel ab. Nicht genug für viele, die begonnen hatten, sich zu engagieren: Im August des selben Jahres wurde beschlossen, dem Rassismus im Stadion fortan mit kontinuierlicher Arbeit zu begegnen. Das „Bündnis antifaschistischer Fanklubs und Faninitiativen“ wurde ins Leben gerufen, wobei das „antifaschistische“ 1995 dem „aktiven“ weichen sollte.

Nach einem Fankongress 1994, auf dem von 130 teilnehmenden Fans kontrovers über weitere Themen diskutiert wurde, etablierte sich Baff langsam. Es wurden Demonstrationen veranstaltet, das Amt eines Pressesprechers kam hinzu, und im Januar 1998 wurde Baff zum Verein. Nach der Fußballweltmeisterschaft 1998 in Frankreich arbeitete Baff verstärkt mit dem DFB zusammen, das Thema „Rassismus im Fußball“ wurde nämlich auch von den Funktionärscliquen als imageschädigend erkannt. Ende gut, alles gut?

Zur Situation

Das Thema „Rassismus“ sollte natürlich nicht das einzige bleiben. In Arbeitsgruppen wurden auf dem ersten Fankongress schon weitere mögliche Schwerpunkte der Arbeit von Baff sichtbar. In einer Grundsatzerklärung (Jahreswende 95/96) werden Ziele von Baff benannt: „Baff tritt Ausländerfeindlichkeit, Rassismus, Diskriminierung und Sexismus im Zusammenhang mit Fußballspielen aktiv entgegen.“ (1) Das zweite Thema ist »die zunehmende Kommerzialisierung des Profifußballs“, dazu gehören die Umwandlung von Stehplätzen in Sitzplätze und die mediengerechte Ansetzung von Ligaspielen zu ungünstigen Zeiten für die Fans, womit sich die ganze Fankultur immer mehr ändert. Die Einnahmequellen der Bundesligaclubs sind eben schon lange nicht mehr die zahlenden Fans, sondern Werbeeinnahmen und der Verkauf von Fernsehübertragungsrechten… Und noch durch einen dritten Punkt sieht sich die Fangemeinde stigmatisiert. In den Sicherheitskonzepten für die Stadien(Absperrungen, Videoüberwachung, hochgerüstete Polizeieinheiten im Stadion) kommen die klassischen Besucher von Fußballspielen nur noch als Bedrohung vor. Zur Zeit sind ca. 50 Gruppen und 200 Einzelpersonen im Baff organisiert. Also, es gibt viel zu tun!

Tatort Stadion

Der Anlass dieser Vorstellung von Baff im Feierabend! ist, wie schon oben angedeutet, die von diesem Bündnis erarbeitete Ausstellung „Tatort Stadion“. Auf das oftmals gespannte Verhältnis zum Roten Stern Leipzig möchte ich hier nicht eingehen, daran interessierten Lesern sei aber wärmstens das Heft Prasses Erben Nr. 16 empfohlen, dort wird diese Angelegenheit ausreichend beleuchtet. Die Ausstellung wird in Leipzig von verschiedenen Gruppen und auch Einzelpersonen, getragen. Worum geht es genau? „Tatort Stadion ist ein erster Versuch, Diskriminierung und. Rassismus im deutschen Fußball in seiner Kontinuität und Militanz nachzuzeichnen. Tatort Stadion ist ein Beginn sozialhistorischer Aufarbeitung, die eine ständige Fortschreibung erfordert. Wie in der Gesamtgesellschaft sind ausländerfeindliche oder rassistische Parolen und Transparente in den Stadien aktuell, genauso wie Antisemitismus oder Sexismus. Es wird aufgezeigt, dass aus den genannten Problemen immer wieder gewalttätige Übergriffe erwachsen. Rassismus und Diskriminierung sind europäische Probleme, die nicht auf einzelne Länder, Verbände und Vereine beschränkt werden können. Darüber hinaus gibt es einen Einblick in die Verbindungen von Hooligan-Szene und rechten Fangruppierungen zur neonazistischen Ideologie und politischen Gruppierungen. Tatort Stadion greift aber auch Gegenbewegungen in den Fanszenen, bei Vereinen und Verbänden auf. Faninitiativen und Fanzeitungen zeigen kreative Alternativen auf, wie antirassistisches Engagement in Stadien aussieht und gerade der Fußball unterschiedliche Menschen zusammenführen kann. Ziel von Tatort Stadion ist es, eine Grundlage dafür zu schaffen, dass für rassistische und neonazistische Strömungen in den Fankurven sensibilisiert wird, um sie effektiv bekämpfen zu können.“

„Tatort Stadion“ ist also ein Versuch, die rassistische Seite des Fußballs zu dokumentieren und eine Öffentlichkeit für dieses Thema zu sensibilisieren. Nach Einschätzung von Baff war dieses Anliegen bislang auch schon erfolgreich. Nach dem Besuch von 12 Städten und mehr als 25000 Gästen ist man mit der Resonanz zufrieden. Natürlich ist die Ausstellung im Verlaufe ihres einjährigen Bestehens mehrfach überarbeitet worden, da leider ständig neue Vorfälle zu dokumentieren sind.

Das Rahmenprogramm von Vorträgen und kulturellen Angeboten, welches die Ausstellung in Leipzig abrundet, kann sich sehen lassen. Am 20. 3. 2003 etwa referiert Dietrich Schulze-Marmeling über „Jüdische Fußballer und Antisemitismus in Deutschland und Österreich“, er beschäftigt sich sowohl mit der Geschichte jüdischer Vereine als auch den Biographien einiger Fußballer vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Entwicklung.

Zwei Beiträge beleuchten kritisch die „Männerdomäne“ Fußball. So ist am 23. 3. das Thema „Fußball und Homophobie – Schwule im Stadion“ sicher für eine breite Öffentlichkeit völlig neu. Am darauffolgenden Tag stehen die beim „Männerkult Fußball“ nicht ausbleibenden Diskriminierungen von Frauen, ob als Spielerinnen oder Fans, sowie die teilweise mit diesem „Kult“ einhergehenden Ideale und unappetitlichen Verhaltensweisen von Fans auf dem Programm.

Ein guter Anknüpfungspunkt für den Komplex Olympia, denn am 26. 3. fragt Dr. Petra Tzschoppe: „Olympische Spiele – Spielen Frauen gleichberechtigt mit?“ Wie wird der Anspruch der olympischen Charta bezüglich der Frauen in der Realität umgesetzt? Am 30. 3. heißt es „2012 – Spiele ohne uns“, das „Anti-Olympische Komitee“ lädt zur Diskussion über die Olympiabegeisterung Leipzigs und erklärt, warum und wie man etwas dagegen unternehmen könnte (2). Ein weiterer Themenkomplex behandelt, um es vorsichtig zu verlieren, übersteigertes Fanverhalten, bzw. deren Lebenseinstellung. Am 27. 3. findet eine Diskussion über die Kultur der „Ultras“ statt und am nächsten Tag lässt der Titel „Fußball und Gewalt – Hooligans, die Linke und staatliche Gewalt“ einen interessanten Vortrag über eine ganz andere Gesellschaftsrelevanz des Fußballs erwarten.

Man muss nicht unbedingt fußballvernarrt sein – ein Besuch lohnt sich bestimmt.

kao

(1) Ganz lustig ist es, dass im folgenden Satz nachgeschoben wird, Beleidigungen seien nicht per se verdammenswert. Ganz ohne scheinen Fans halt die 90 Minuten nicht zu überstehen.

(2) Mehr dazu auf den Seiten 6 und 7.