Schlagwort-Archive: 2003

Mieze sucht Mietshaus

oder: Wir basteln uns ein libertäres Zentrum…

…und wer kann so was brauchen? Eigentlich alle, die diese Zeitung lesen. Wer hat nicht schon mal dran gedacht, dass es toll wäre, ab und zu mal den Freunden und anderen einen guten Film zu zeigen, den man neulich gesehen hat? Und wieso sind die wirklich guten Bücher der Freunde und Nachbarn immer so schwer zugänglich…? Man bräuchte fast eine Bibliothek.

Ansonsten wollen wir ein Treffpunkt sein, für linke, herrschaftskritische und libertäre Menschen. Zum Diskutieren, Informieren, Austauschen, Entspannen, Träumen. Gleichzeitig soll im libertären Zentrum Raum sein, diese Ideen in die Tat umzusetzen, und auch mit Alltagsproblemen umzugehen. Praktisch heißt das, Infrastruktur selbstorganisiert bereitzustellen, Öffentlichkeit zu schaffen und herrschaftskritische Positionen zu stärken … sich gegenseitig unter die Arme greifen. Das Zentrum – es muss ja nicht gleich ein Haus sein – als Versuch „unsereiner“ Filz aus dem Fell zu bekommen.

Wer aus diesen Zeilen noch nicht recht schlau geworden ist, kann gerne nachfragen, oder (wenn´s hoffentlich bald soweit ist) mal vorbeikommen. Wer sich an der Realisierung der Idee beteiligen will, kann über die Redaktion mit uns Kontakt aufnehmen (siehe S. 27). Für alle Leute, die das Zentrum auch finanziell unterstützen wollen, haben wir an einen „Freundeskreis“ gedacht. Auf viele Schultern verteilt, ist die Last kaum zu spüren!

Lokales

D.I.Y.-Revolutionscamp

Theorie, Direct Action und Anders Leben auf der Burg Lutter vom 14.04.-21.04.2003

Beim D.I.Y. -Revolutionscamp handelt es sich einfach gesagt um eine ,,Fortbildung“ für Linksradikale. Es geht darum Wissen zu vermitteln und Erfahrungen weiterzugeben, um Spezialisierung aufzubrechen und mehr Menschen eine breitere Handlungsfähigkeit zu ermöglichen. Darüber hinaus ist das Treffen eine Chance, sich zu vernetzen und die Isolation von Aktionsgruppen und Einzelpersonen zu überwinden. Ein wesentliches Konzept des Camps ist es, die Zersplitterung unseres Alltags zu überwinden und Theorie, politischer Praxis und Leben als eine Einheit zu begreifen.

Wir möchten ein Grundgerüst mit vorbereiteten Themen, Kulturprogramm und Infrastruktur stellen, das genügend Freiraum für selbstorganisierte Workshops, AK’s und Diskussionen bietet. Der generelle Charakter des Camps basiert auf Selbstorganisation, d.h. bring Dich ein, statt einfach nur zu konsumieren. Folgende Themen sind angedacht:

Theorie: Vision & Utopie, Wertkritik, Arbeitskritik, Queertheorie, bolo’bolo & Subcoma, Subsistenzperspektive, Motivationsfrage…

Direct Action: Lock-ons bauen, Tripods bauen und aufstellen, Baumklettern, Pressearbeit, Anti-Repressionsarbeit, Organisationsstrukturen und Kollektive, Bezugsgruppensysteme, Entscheidungsfindung, Hacktivism, PGP, Pink and Silver, radical cheerleadering, Theater der Unterdrückten, verstecktes Theater, Scanner und eigene Kommunikation, eigene Medien, Internet, Zeitung- und Radio machen, Layout, Aktionsvideos drehen, Subvertising, Kommunikationsguerilla, Spaßguerilla, Verwendung und Bau von Puppen für Demos und Aktionen, movement action plan (map),

Anders Leben: Bildungssyndikat, Food-coop, Tips und Tricks sich der Lohnarbeit zu entziehen, Umsonstläden, Tauschringe, Selbstverteidigung, Körperarbeit, Capoeira, Einfälle statt Abfälle, Wie senke ich meine Lebenshaltungskosten, aber nicht meine Lebensqualität, alternative Wohnformen, Bauwagenplatz, Kommunen, Subsistenzproduktion, Woher nehme ich meine Motivation und Energie?

Wenn Du zu den genannten oder nicht genannten Themen Referentln sein kannst und Lust hast, das Camp zu bereichern, dann melde Dich doch einfach bei uns. Der derzeitige Vorbereitungsstand kann über folgende Adresse abgerufen werden: www.da-camp.de.vu

Die Kontaktadresse des Camps ist: D.I.Y-Revolutionscamp
FAU
c/o Alte Münze 12
49074 Osnabrück

Aktion

Das Kaninchen und die Schlange

Die klare Gliederung des Hartz-Papiers in dreizehn „ Module“ erleichtert Einzelbetrachtungen erheblich – dafür gebührt der Kommission unser Dank als ZeitungsmacherInnen. Im folgenden nehmen wir das „Modul 3“ unter die Lupe…

Leistung für Leistung, so soll nach den Entwürfen der Hartz-Kommission und dem Willen der de facto SPD/Grüne/CDU/FDP-Regierung der neue Sozialstaat aussehen. Nicht, dass der alte so toll gewesen wär´, aber der „neue“ ist eine größere Zumutung – nicht nur für jene, die (Lohn-) Arbeit suchen und keine finden. Die neoliberale Ideologie vom Konkurrenzkampf in der besten aller Welten dient nun auch dazu, das allgemeine Risiko (in einer kapitalistischen Gesellschaft zu leben) dem Individuum aufzubürden. Die Idee der „gesunden Konkurrenz“ flankiert nicht mehr nur zur Produkionssteigerung in Betrieb und Büro, sondern auch Lohnsenkung und Entrechtung. Das „Modul 3“ der Kommission befasst sich mit den Regelungen der Zumutbarkeit bei der Vermittlung in neue Abhängigkeitsverhältnisse. Es geht dabei in erster Linie darum, persönliche Widerstände der Erwerbslosen zu überwinden. Dies soll durch die Verschärfung des unmittelbaren wirtschaftlichen und administrativen Drucks bewerkstelligt werden. So wird zum einen die Beweislast umgekehrt: Erwerbslose müssen nun dem Amt darlegen, dass ein Angebot unzumutbar ist. Zum zweiten wird dies durch eine Reihe von Änderungen allerdings schier unmöglich gemacht!

Eine Pflicht zur Mobilität – umschrieben als „Eigenleistung“ – wird allen Erwerbslosen auferlegt: Pendeln oder gar ein Umzug im Gebiet der BRD oder EU wird nach drei Monaten Arbeitslosigkeit von jungen und ledigen, nach sechs Monaten auch von familiär gebundenen Erwerbslosen gefordert. Es gilt: für einen (auch befristeten) Vollzeitarbeitsplatz ist eine Trennung des Haushalts generell zumutbar. Selbst für Teilzeitarbeit soll diese Regelung gelten, solange der erwartete Gesamtlohn die Umzugskosten übersteigt. So wird der Umzug einer alleinerziehenden Frau von Gera nach Leipzig bald keine Ausnahmeerscheinung, sondern staatlich erzwungene Normalität sein.

Unter „Mitwirkung“ verstehen wir in Zukunft die unverzügliche Meldung beim Amt, sobald eine Kündigung ausgesprochen ist … andernfalls drohen Abzüge beim Arbeitslosengeld. Und wer „Glück“ hat, wird von dort gleich weitervermittelt in eine Zeitarbeitsfirma (PSA): als zumutbar gilt vom ersten Tag an ein um 20 Prozent verminderter Lohn. Das verschärfte Vorgehen gegen Langzeitarbeitslosigkeit will es, dass nach zwölf Wochen schon ein Lohnabschlag von 30 Prozent, und nach einem halben Jahr eine Entlohnung in Höhe des Arbeitslosengeldes hingenommen werden sollen. Wer sich im Sinne der „Mitwirkung“ oder „Eigenleistung“ nicht kooperativ zeigt, wird mit Sperrzeiten und dauerhaften (!) Kürzungen bedroht, die schnell an die Existenz gehen.

Als generell zumutbar gilt dementsprechend auch die Vermittlung in Personal-Service-Agenturen und Zeitarbeitsfirmen (siehe Kasten), Unterqualifizierung und Neuerschließung von Berufsfeldern sind nicht ausgeschlossen. Affront sondergleichen aber – und hier zeigt sich deutlich, wo der Sozialstaat steht – ist eine kleine Klausel: führen „verhaltens- oder personenbedingte Gründe“ in der PSA zur Kündigung, folgt dem eine Kürzung oder gar Sperre des Arbeitslosengeldes! Viel Phantasie ist nicht nötig, um sich auszumalen, wie Arbeit„geber“ auf Lohnforderungen, Auffälligkeiten oder auch gewerkschaftliches Engagement reagieren werden. Überhaupt zielt das gesamte Konzept nicht nur auf eine allgemeine Senkung des Lohnniveaus, sondern auch auf das Brechen des Individuums – klar, ohne Willen. gibt es auch keine Forderungen und keine Widerstände mehr.

Insgesamt zeigt sich eine nicht geringe Widersprüchlichkeit: einerseits werden „Eigenleistungen“ und Engagement bei der Arbeitssuche verlangt, als handele es sich dabei um ein besonders rares Gut und allgemeines Ideal; andererseits werden harsche Sanktionen angedroht für den Fall, dass jemand nicht nach Lohnarbeit strebe. Von einer Freiheit der Berufswahl ist kein Wörtchen mehr zu lesen …

Nun ist der gefängnisartige Charakter des Lohnsystems keine Neuerung eines VW-Managers. Der Hartz-Kommission verdanken wir nur, dass Zwänge uns weniger geschminkt vor Augen treten. Die Regierung und ihre „Experten“ glauben wohl, dass wir uns dies bieten – und uns einschüchtern lassen. Nur wenn wir verängstigt sind, uns nicht zu rühren wagen, kann das vorgeschlagene Konzept „Erfolg“ haben. Wollen wir dem etwas entgegen setzen, müssen wir unsere Isolierung untereinander durchbrechen und über unsere Ängste sprechen … ohne wie das Kaninchen vor der Schlange zu erstarren. Denn gemeinsam können wir auch konkrete Zwangsmaßnahmen abwehren … Solidarity forever!

A.E.

Denkbar wäre zum Beispiel auch folgendes Szenario:

Anja Schmidt , 25 Jahre, Fleischverkäuferin, 1000 Euro Nettolohn, wird zum 31. Januar 2004 von ihrem Kaufhaus entlassen. Sie muss sich am Tag, an dem sie ihre Kündigung bekommen hat beim Arbeitsamt melden, meldet sie sich erst später muss sie nach den neuen Hartz-Gesetzen mit einer Kürzung ihres Geldes rechnen.

Anja Schmidt erhält ein Arbeitslosengeld von 610 Euro. Das JobCenter (vormals Arbeitsamt) steckt sie nach einem Monat in eine Leiharbeitsfirma, umgetauft in „PSA“. Die wird von der bekannten und beliebten Firma Randstadt betrieben.

Die PSA verleiht sie sofort zurück an ihr Kaufhaus. Das ist jetzt erlaubt. Sechs Wochen muss sie zur Probe für ihr Arbeitslosengeld arbeiten. Danach macht sie ihren alten Job für 800 Euro, also 20% weniger. Diesen Tarif hat ver.di mit Randstadt gemacht. Da ihre Warmmiete 400 Euro beträgt bleiben ihr zum süßen Leben noch 400 Euro übrig.

Anja Schmidt ist empört. Doch das JobCenter droht ihr mit 12 Wochen Sperrzeit, wenn sie die Leiharbeit nicht annimmt.

Hänschen-klein, Jägerlein, lass das Schießen endlich sein!

Schon mal gefragt, warum der Militarismus wie ein Schatten durch unsere sozialen Netzwerke wandelt? Sind die Artefakte des Schrotthändlers wirklich so unwiderstehlich oder ist die Jugend einfach unfähig, vom Alter zu lernen? Stichwort: Traditionspflege. Frage: Wenn sich jährlich zu Pfingsten Reservisten aus Reichswehr, Wehrmacht und Bundeswehr im bayrischen Mittenwald versammeln, um über die guten alten Zeiten zu plaudern, ist …? Ist das das Treffen des „Kameradenkreises der Gebirgstruppe“ (KdG), zu dem immerhin mehrere tausend junge und alte Militaris pilgern. Um bei Tee und Kuchen gemeinsame Tradition zu pflegen. Kultobjekt: Im Allgemeinen die Gebirgsarmee und im Besonderen die 49. Gebirgsarmee der Wehrmacht. Die hat zwar ’ne Menge Dreck am Stecken, aber wen interessiert´s? Hauptsache die Waffen glänzen, das Hemd sitzt gerade und die Orden blinken. Ausflüge gibt´s auch: Zum Beispiel mit dem Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Dann pilgert mann über die alten Kriegspfade, sammelt hier und da ein paar Knochen toter Kameraden und summt die ewig gleichen Lieder … Ich hör ja schon auf. Wehret dem Schatten!

Was tut der Staat? Ermitteln.

Der Arbeitskreis „angreifbare Traditionspflege“? Zum diesjährigen Treffen am 7. u. 8. Juni Aktionen, Demonstration und Hearings veranstalten, wobei auch Vertreter des griechischen Nationalrats der Opferverbände und Militärhistoriker mitwirken sollen.

Und Du?

Noch ein Tipp: über angreifbare.tradition@freenet.de findest Du Genaueres zu Terminen, Treffpunkten. Ideen und Aktionen. Siehe auch: www.linkeseite.de/Texte/antifatexte/1444.htm

Aktion

Berlinale Friedensdemo

„500.000 Teilnehmerinnen“ – eine runde Sache, die Medien waren sich einig. Wer am 15.02. unter den Linden war, weiß wie unvorstellbar diese Zahl ist und dennoch keine Rolle spielte, im vierfachen Sinne:

1. Weil eine eintägig-eindimensionale Massendemonstration ohne soziale Breitenwirkung schlimmstenfalls überhaupt keine Wirkung auf politische Entscheidungen ausübt, tendenziell immer zu klein ist …

2. Weil jeder Einzelne in einer Massendemonstration oft nur dabei ist. an ihrem Gehalt als Ganzem nicht notwendig teilhat. weder Anfang, Ende noch Dynamik und Verlauf der Demo im Gesamten kennt. Die Wahrnehmung des Einzelnen ist hier immer partiell und lokal …

3. Weil viele Demonstranten diese lokale Position und partielle Teilhabemöglichkeit nicht produktiv nutzen, durch kreative Aktionen eben jenen Gehalt durch den konkret eigenen zu bereichern und dadurch soziale Wirkung zu entfalten …

4. Und weil die Berliner Friedensdemonstration als Einmal-Spektakel, die Idee des friedlichen Miteinanders zu feiern, eher an einen Trauermarsch zu Ehren eines totgeglaubten Idealismus erinnerte …

Ich frage mich also, warum an diesem weltweiten Aktionstag Zahlen eine so große Rolle spielten, obwohl sie keinerlei Relevanz hatten und haben, warum massenhafte Versammlung immer gleich massenhaft Druck bedeuten soll, und warum der/die demokratische Demonstrant/in scheinbar nicht begreift, dass es nicht nur gilt, seinen Idealismus plakativ zu demonstrieren, sondern vor allen Dingen, ihn auch zu leben!

clov

Vom Krieg, der Raumfahrt und den Bildern

oder: Zum Schluss wird abgerechnet!

Gerade bevor das Bier zur Neige ging, 1:0 in der neunzigsten Minute. St. Pauli hat´s nochmal geschafft. Schlecht gespielt, aber egal, Hauptsache die drei Punkte. Da gehen die 20.00 Uhr Nachrichten doch gleich viel leichter runter. Paramilitärische Auseinandersetzungen in Columbien, Massenpanik in Chicago, Kinderpornoringskandal in ‚Hinterwaldungen‘, Bürgerkriege in Afrika, Hubschraubereinsatz in Tschetschenien, blutige Demonstrationen in China, und zu allem Überfluss noch Erdbeben im dicht besiedelten Japan, Flut und Hunger in Bangladesch, schließlich nicht zu vergessen, Mordattentate auf Zivilisten in Israel, Räumkommandos im Westjordanland und die tägliche Truppenverlegung an den Golf. Gut das St. Pauli doch noch gewonnen hat. Und die Nicht-St.-Pauli-Fans? Die können ja anschließend den neuen Superstar der Unterhaltungsindustrie in d-Mohl beäugen. Spätestens danach ist St.-Pauli-Fan oder nicht wieder aufnahmefähig, um noch einmal beim Scheitern des letzten Raumfahrtprojektes hautnah dabei zu sein, den Tod der sieben Gardeoffiziere zu betrauern und sich gemeinsam mit den Experten zu fragen, wie das passieren konnte. Nach Siegesgefühl, Ohnmacht, empfundenen Glücksversprechen und der Trauer um einen vom Scheitern bedrohten Traum ist dann auch jeder Nicht-Fußballfan reif für die Koje und ein wenig froh, der medialen Dauerbeschallung zumindest im Schlaf entronnen zu sein. Der jedoch verläuft sehr unruhig. Die Bilder wirken nach. Kann Pauli die Klasse halten? Sind die Amerikaner Schuld an allem, oder transnationale Unternehmen? Ach gegen das Walten von Mutter Natur ist eh kein Kraut gewachsen! Und die Glückschance im Fernsehen ist auch nicht wirklich echt, wer will sich schon vom Bohlen beleidigen oder anbaggern lassen? Aber das mit dem Spaceshuttle ist wirklich schade, denn wer wollte nicht die Erde einmal als Ganzes erblicken! Wie hieß der eine doch gleich? Auch egal, werd eh nicht in die Gelegenheit geraten, steht ja auch alles erst am Anfang! Während sich die Träumer durch die Nacht wälzen, müssen sie feststellen, dass für sie kein Platz ist in der Startelf von St. Pauli, ihnen kein Weg in den Sinn kommt, die Konflikte in der Welt zu beheben, sie niemanden retten können, nie „groß rauskommen“ und der Traum von der Eroberung des Weltalls doch nicht der ihre ist. Oh welch segenreiche Unterhaltung in der Abendglut der Freizeit, global, virtuell und universal. Wieviel leichter fällt da das alltägliche Aufstehen, zur Arbeit gehen, produktiv sein, einen Platz haben. Hier ist alles so lokal, real und partiell, dass mensch schon fast wieder an die Möglichkeiten seiner Selbstverwirklichung zu glauben beginnt. Was ist es doch für ein Glück, dass ich Arbeit habe, so anstrengend ist sie ja auch nicht. Was für ein Glück, dass mich mein Boss mag und die Familie ja auch. Was für ein Glück, auf befriedetem Territorium zu leben, ein paar Freunde zu haben und den Supermarkt um die Ecke. Nachher hol´ ich mir noch ein, zwei Bier, dann in die Wanne und heute Abend spielt St. Pauli ja auch noch im Pokal, live im Fernsehen.

Und dann: 0:1 verloren. Ausgeschieden. Gut gespielt. Tja, das Glück ist eben doch schicksalsbehaftet. Kommt und geht, wie beim Fußball, Kriegen, Stars und der Forschung. Man hat´s eben nicht in der Hand. Is´ ja auf Arbeit und im Alltag genauso. Man hat Glück oder keins. Zufall, sonst nichts. Da kann man nichts machen.

Oh Elend, gegen soviel Pessimismus in Alltag und Freizeit wage einer, den Wahlspruch der Aufklärung im Munde zu führen: Sapere aude! Habe Mut, Dich Deines eigenen Verstandes zu bedienen! Aber was kann mensch schon machen? … angesichts der schicksalshaften Bewegung der Welt? … die doch das Glück nur dem Zufall gemäß verstreut? Ich meine, anfangen sie nach eigenem Bilde zu verändern!

clov

FAU gegen BZA & DGB

Auf einen Überraschungseffekt konnte das „Rhein-Main-Bündnis“-Aktionsbündnis gegen die „Arbeitsmarktreform“, an dem sich auch die lokalen Gruppen der Freien ArbeiterInnen Union (FAU) beteiligen sicher bauen als sie sich am 6. Februar in Frankfurt versammelten.

Seit dem 30. Januar befinden sich der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und der Bundesverband Zeitarbeit (BZA) in Tarifverhandlungen. Warum der ganze Terz? Die ,,Gewerkschaften [verhandeln], obwohl sie gar nicht müssten. Denn das Gesetz garantiert bereits, dass Zeitarbeiter in den Entleihbetrieben so wie ihre fest angestellten Kollegen bezahlt werden.“ (SZ, 15.2.03) Aber die ungesicherten Verhältnisse der Zeitarbeit machen sich erst recht bezahlt, wenn der Lohn für Zeitarbeiterinnen deutlich unter denen der fest Angestellten liegen. Dies sicherte „Super-Minister“ Clement, wohl wissend um den guten Draht zwischen SPD und DGB, bereits im November zu: 20 Prozent Lohnschere! Die zwangsverpflichteteten Erwerbslosen werden so zu LohndrückerInnen wider Willen. Eine weitere Variante entdeckte jüngst die Telekom: die Stammbelegschaft in Bonn wird entlassen und in die firmeneigene Agentur vermittelt, von dort werden sie direkt an ihre alten Arbeitsplätze entliehen – freilich zu geringerem Lohn.

Gegen diese massiven Verschlechterungen richten sich die Aktionen der verschiedenen Hartz-Bündnisse und der FAU. Durch gemeinsame Aktionen soll der DGB-Apparat unter Druck gesetzt werden. Seit Ende Januar kommt es immer wieder zu Protesten, unter anderem in Berlin, Hamburg, Hannover und … Frankfurt.

Dort wurden am 6.2. kurzzeitig die Räume der „jobs in time“-AG besetzt. Deren Geschäftsführer nämlich führt für die BZA die Tarifverhandlungen – diese wurden dann aufgrund der unerwarteten Probleme für Stunden unterbrochen. Eine direkte Aktion wirkt besser als tausend Worte.

A.E.

Hartz-Gesetze

Kurz & bündig

Streik im Kriegsfall!

Der Personalrat im Uniklinikum Tübingen hat beschlossen, im Falle eines Angriffs der USA auf den Irak, zu einer halbstündigen Arbeitsniederlegung aufzurufen. Es wurde kritisiert, die Bundesregierung beteilige sich de facto z.B. durch die Gewährung von Überflugrechten am Irak-Krieg. Es sei nicht unproblematisch, Verletzte des Militärs zu versorgen, während sich die Zivilbevölkerung im Irak nicht in gleichem Maße auf humanitäre Hilfe der Bundesregierung verlassen kann. Der Personalratsvorsitzende: „Wenn so ein Krieg vom Zaun gebrochen wird, muss man sich auch mal über geltendes Recht hinwegsetzen.“ Das sieht er ganz richtig, allerdings sollte auch weniger als ein Krieg ausreichen, um sich über von oben Gesetztes hinwegzusetzen. Schade nur, dass die Pause so kurz ist und dass diese Entscheidung „nur“ von einem Führungsgremium getroffen wurde und nicht von allen Angestellten und Patienten.

www.linkeseite.de

Keine Wahl!

Zwischen den Wahlen, reden die Parteien gerne über „die Mehrheit der Bevölkerung“. Was aber, wenn keine Partei bei der Wahl die Mehrheit erhält? Dann wären doch eigentlich alle abgewählt, oder? In Hessen erreichte die Wahlbeteiligung mit 64,6 Prozent ein Rekordtief. 35,4% enthielten sich jeder Parteinahme – und das ist, zwar nicht die Mehrheit, doch der größte Teil – würden die Nichtwählerstimmen ernst genommen und im Parlament die entsprechenden Sitze leer bleiben, bildeten sie die stärkste ‚Fraktion‘. Und das ist hoffentlich erst der Anfang.

wahlmagazin.hr-online.de/

Nachsitzen im Gefängnis?

Mindestens sechs Studenten aus dem Nahen Osten wurden zehn Tage in Colorado festgehalten, weil sie an zu wenigen Unikursen teilgenommen hatten. Die Studenten wurden verhaftet, als sie die Immigrationsbehörde aufsuchten, um sich den verschärften Regelungen zufolge registrieren zu lassen. Sie wurden erst freigelassen, als sie eine Kaution von 5000 Dollar hinterlegen konnten. Die Anklage: Sie hatten sich für Kurse eingeschrieben, die weniger als die geforderten 12 Wochenstunden belegten. Nach Auskunft der Einwanderungsbehörde stellt die Unterbelegung eine Verletzung der Rechte im Zusammenhang mit der Erteilung von Studentenvisa dar. Andere Delikte wurden den Studenten nicht vorgeworfen. Ein Student wurde ins Gefängnis gesperrt, weil er eine Stunde weniger als gefordert belegte, obwohl er von der Universität dazu die Erlaubnis bekam. Endlich eine wirksame Methode gegen LangzeitstudentInnen? In Knast soll es ja auch ganz gute Bibliotheken geben…

www.telepolis.de/deutsch/inhalt/co/13871/1.html

Weniger kranke Arbeiterinnen?

Laut dem Bundesgesundheitsministerium, ist die Zahl der Krankmeldungen 2002 auf den niedrigsten Stand seit mehr als 30 Jahren gefallen. Die Arbeitnehmerinnen, fehlten durchschnittlich 4,01 Prozent der Arbeitszeit wegen Krankheit. Das entspreche neun Arbeitstagen. Der Krankenstand hatte bis Mitte der 90er bei ca. 5 Prozent gelegen. 2001 lag die krankheitsbedingte Fehlzeit noch bei 4,19 Prozent. Ein Betroffener kommentierte die Meldung so: „Das ist ja bitter. Ich hatte in meinem letzten Job 72,5 Krankheitstage im Jahr. Das war ein gutes Drittel, trotzdem hat der Job genervt und war kaum auszuhalten.“ Bleiben Sie gesund und halten Sie sich von zu viel Arbeit fern!

Hamburger Sozialbehörden in USA vor Gericht?

Nach Ansicht der Gruppe Class Action bietet die Gesetzgebung der USA eine Rechtsgrundlage, um die Sozialbehörden der Stadt Hamburg mit einer Sammelklage vor Gericht zu bringen. Denn die Misshandlung der Leistungsempfänger komme der Folter nahe. Der Antrag des krebskranken Jörg W. auf einen neuen Kühlschrank (u.a. benötigt zur Kühlung seiner Medikamente) sei so beantwortet worden: „Stellen Sie sich mal nicht so an, Sie Weichei! Dann legen Sie die Medikamente eben auf den Balkon.“ Nicht die Ausnahme, sondern die Regel sei es, dass Anträge jahrelang verschleppt würden und Rechtsschutz für Sozialhilfeempfänger sei hierzulande nahezu inexistent. Sozialhilfe sei längst nicht mehr Existenzsicherung per Rechtsanspruch, sondern Instrument staatlicher Verfolgung. Na dann, viel Glück, aber erfahrungsgemäß hackt eine Krähe der anderen kein Auge aus, wirksamer und schneller würden wahrscheinlich gemeinschaftliche Aktionen wirken…

www4.1aw.cornell.edu/uscode/28/1350.html

Ich-AG Berlin

Die dpa meldet Mitte Februar, dass die Ich-AG erstmals breitere Umsetzung finden soll: bei der Berliner Verkehrsgesellschaft. Der erste Vorstoß eines kommunalen Unternehmens in diese Richtung die bisher angestellten BusfahrerInnen sollen die Busse kaufen und dann im Auftrag der BVG die Linien eigenverantwortlich betreiben.

Auch wenn ob dieses Vorschlags von Vorstandschef Andres von Arnim ein allgemeines Kopfschütteln – es reichte von ver.di bis FDP – einsetzt, genau darauf zielt die neue Gewerbeform „Ich-AG“ (Modul 9, Hartz-Papier). Eine einfache Ausgliederung in Tochtergesellschaften (wie bei der LVB) reicht wohl nicht mehr. Demgegenüber bietet das Modell nach Modul 9 zahlreiche Vorteile: alle Sozialleistungen bezahlt die Ich-AG selbst, das wirtschaftliche Risiko trägt ebenfalls die Ich-AG, es gibt staatliche Subventionen und „eigenständige Unternehmen“ finden schwer zu kollektiven Kämpfen.

A.E.

Hartz-Gesetze

Umkämpfte Räume

Beim Durchforsten meines heimischen Bücherbestandes nach Titeln, denen eine Rezension im Feierabend! angemessen wäre, fand ich vor einigen Tagen das 1998 erschienene Buch ,,Umkämpfte Räume, Städte & Linke“, herausgegeben von der Gruppe Stadtrat.

Mehr als 15 Beiträge und 2 Interviews versuchen, das Thema des Buches zu umreißen. Die Stadt als spezieller Ort, an dem Menschen leben und arbeiten, ist nicht erst seit heute ein umkämpfter Raum. Hier stellen sich die Widersprüche des kapitalistischen Systems manchmal nackter und härter da als irgendwo sonst, als Beispiel wäre der Kampf gegen Obdachlosigkeit und Armut zu nennen. Der zweite Teil des Untertitels, „die Linken“ verweist auf einen roten Faden zwischen doch sehr unterschiedlichen Beiträgen. Spielen Linke überhaupt noch eine Rolle in der Umwandlung des Lebensraumes Stadt, wird noch gekämpft und wenn ja, welche Ansätze gibt es? Eine fürwahr unerquickliche Frage für marginalisierte, (selbst-)isolierte Linke, die beim täglichen Theoretisieren schon fast das Intervenieren in sozialen Konfliktpunkten verlernt oder aufgegeben haben. Ein Kritikpunkt an den Beiträgen des Sammelbandes, den selbst die Herausgeberinnen ausmachen, ist die nahezu ausschließliche Fixierung auf deutsche Großstädte, obwohl nicht hier die größten Städte zu finden sind und obwohl auch nicht hier die „härtesten“ Kämpfe geführt werden. Man kann es sogar noch eingrenzen, meistens, vom Thema abgesehen, dreht es sich um Berlin und Hamburg. Die HerausgeberInnen helfen sich damit, indem sie anmerken, dass man jeden Beitrag auch überregional lesen kann und man vorherrschende Probleme und Diskussionen wiederfindet.

Bevor ich kurz die einzelnen Beiträge des Buches darstelle, möchte ich schon einmal meine Kritik an dem Buch deutlich machen. „Umkämpfte Räume“ ist ein sehr ambitioniertes und interessantes Buch, die Themenvielfalt ist erstaunlich groß. Neben der im Jahre 1998 noch unvermeidlichen Auseinandersetzung mit der nahenden EXPO 2000, die einen großen Teil des Buches ausmacht, findet man Beiträge zu feministischen Diskursen über die Stadt, zu Drogenpolitik, Migranten, Behinderten. Es geht um Sicherheits- und Ordnungspolitik, Partyszene und Umstrukturierung, sowie den Kampf der Hausbesetzer und Autonomen in der Stadt. Am Schluss des Buches sind zwei internationale Beiträge zu lesen. Zum einen macht uns Dario Azzellini mit der Gestalt des Superbarrio in Mexiko bekannt. einer Art Held für die Armen und Benachteiligten, zum anderen beschreibt Nadine Gevret die französischen Banlieus (Vororte), die in Deutschland meist nur unter dem Stichwort Jugendgewalt und Ausschreitungen gesehen werden. So gelungen und interessant aber auch einige Beiträge sind, kann dies nicht darüber hinwegtäuschen. dass sich das Buch vornehmlich auf einer theoretischen, akademischen Ebene, auf der das Geschehen in der Stadt versucht wird, in ein Konzept zu bringen, oder in der Beschäftigung mit vergangenen Kämpfen verharrt. Das ist natürlich eine etwas unredliche Kritik von meiner Seite, da ein theoretischer Ansatz unerlässlich ist und man von einem fünf Jahre alten Buch nicht erwarten sollte, dass es sich mit der Zeit danach beschäftigen kann. Nichtsdestotrotz ist „Umkämpfte Räume“ ein guter Überblick oder auch spannender Einstieg in ein wichtiges linksradikales Politikfeld.

Nun noch im Einzelnen zu einigen Beiträgen, damit ihr nicht die Katze im Sack kauft… Am Anfang des Buches sind zwei feministische Artikel zu finden, in denen der Raum Stadt kritisiert wird, diese Kritik geht aber über die angeblich „unsicheren“ Städte hinaus und hinterfragt die gesellschaftlichen Hintergründe, anstatt für mehr Polizei oder Videoüberwachung zu plädieren. Auf die darauffolgende Thematik EXPO 2000, die als „Zurichtung der Stadt auf Sicherheits- und Kapitalinteressen“ gesehen wird, gehe ich nicht weiter ein. Es liegt schon etwas zurück. Vielleicht der beste Beitrag des Buches stammt von Detlef Hartmann, der in „Metropolitane Stadt und sozialer Krieg“ einen Zusammenhang zwischen Ausgrenzung und Kapitalismus erkennt und dabei vor „linkem Reformismus“ warnt. In einem anderen Artikel wird die Rolle der radikalen Linken kritisiert, welche sich nicht für wirkliche Bedürfnisse der Mieter während der Umstrukturierung des Prenzlauer Bergs (Berlin) interessierte. Im Artikel von Udo Sierck, der die Ausgrenzung von Behinderten deutlich macht, bekommen auch Linke ihr Fett weg, eigentlich traurig, aber leider begründbar. Als letztes Beispiel sei noch das Interview mit einigen Leuten von den NachtTanzDemos in Frankfurt/Main genannt, in dem das Verhältnis von illegaler Party und Widerstand kritisch angegangen wird.

Nun, natürlich steht in „Umkämpfte Räume“ noch viel mehr, vielleicht findet ihr ja mal Zeit hineinzuschauen. Es lohnt sich nämlich.

kao

Stadtrat (Hg.), „Umkämpfte Räume, Städte & Linke“, Verlag Libertäre Assoziation/Verlag der Buchläden Schwarze Risse – Rote Straße, Hamburg, Berlin, Göttingen 1998

Rezension