Schlagwort-Archive: 2006

Fußballproduktion in Kinderhänden

Heißt „fair“ dann doch nur „Ablasshandel“?

Deutschland im Fußballfieber und die Mar­ketingmaschinerie läuft auf Hochtouren. Unübersehbar leuchtet das WM-Logo auf riesigen Werbetafeln, im Fernsehen und auf etlichen Produkten. Alles was Geld und Namen hat, ist auf den Sponsorzug aufgesprungen und versucht damit seinen Umsatz weiter zu steigern. Allein Adi­das hat für den Titel „offizieller FIFA-Spon­sor“ 45 Millionen gezahlt, bei einem Jahresumsatz von 6,6 Milliarden Eu­ro sicherlich eine Kleinigkeit. Was jedoch außerhalb der Öffentlichkeit steht, sind die Ar­beitsbedingungen derer, die die Sport­ar­tikel herstellen, auf dem dann der jew­eilige Markenname glänzt. Die Ar­beits­bedingungen in der Fußballpro­duk­tion in Pakistan sind dabei ein Beispiel der Aus­wirkungen kapitalistischer Verhältnisse.

Von Kindern für Kinder

Drei Viertel aller Fußbälle weltweit kommen aus Pakistan, genauer aus dem Distrikt Sialkot im Nordosten des Punjabs. Jährlich werden dort bis zu 35 Millionen Fußbälle gefertigt. Kaum eine/r weiß, dass abgesehen vom offiziellen WM-Ball, 80% aller Fußbälle von Hand genäht werden, mindestens die Hälfte davon durch Kinderhände. Ungefähr zehn Millionen Kinder arbeiten in der pakistanischen Wirtschaft – illegaler Weise – um zum Familieneinkommen beizutragen. Der Verdienst ist gering und liegt bei den Näher/innen zwischen 35-40 Euro monatlich, da sie für einen genähten Ball nur 50 Cent bekommen (2% des Fußballverkaufspreises). Das deckt weder die Grundbe­dürf­nisse, noch erreicht es den gesetzlichen Mindestlohn. Um eine Großfamilie ernähren zu können, müssen daher auch viele Kinder arbeiten. Die Sportartikelindustrie bietet sich an, zumal sie die pakistanische Industrie dominiert und Kinder ungesehen im Hause nähen können. Wenn man 3-4 Bälle täglich nähen muss, bleibt außer Essen und Schlafen keine Zeit für Schule oder um einfach Kind zu sein. Hätten sie andererseits Zeit für Bildung, wäre kein Geld da um diese zu finanzieren.

Ausgelagert

Weil Kinderarbeit offiziell verboten ist, arbeiten die meisten von ihnen versteckt in Häusern oder auf den Dächern als outgesourcte „kostengünstige“ Heimarbeiter/innen. Genau wie die Frauen und Mütter nähen sie zu Hause, während die Männer gemeinsam in der Werkshalle arbeiten*. Hinter den Mauern der Großbetriebe direkt arbeiten verhältnismäßig wenige, während in Kleinstbetrieben und Heimarbeit viele Menschen tätig sind. Die größeren Firmen haben aus Kostengründen zeitintensive Produktionsteile wie das Nähen ausgelagert, da in den 70er Jahren ein Gesetz verabschiedet wurde, welches Betriebe mit mehr als 20 Mitarbeiter/innen zwingt, einen Beitrag zur Rentenversicherung und eine Bildungsabgabe für die Arbeiter/innen zu zahlen. Das war ein entscheidender Grund für Großbetriebe die damaligen Vorarbeiter zu motivieren, sich selbstständig zu machen. Heute arbeiten 90% der Arbeiter/innen out­ge­sourct für diese Großbetriebe. In diesen 7000 Klein­- und­ Kleinst­­be­­trie­ben ar­bei­ten ins­ge­samt zwi­schen 38000 und 42000 Menschen, meist im Umland der Industriestadt Sialkot. Früher verdingten sich die meisten Pakistani in der Landwirtschaft, doch weil viele nicht genug Land besitzen, um ihre Waren auf dem Markt zu verkaufen, nehmen sie jetzt hauptsächlich die Auftragsarbeiten der Großunternehmen an. Die Arbeitsbedingungen und die Entlohnung in den kleinen Betrieben ist stark abhängig von der Auftragslage.

Markenmacht

Insgesamt gibt es von den 10 000 in Pakistan angesiedelten Sportartikel-Firmen nur zwischen 35 und 50 Großbetriebe, die mehr als 5000 Leute beschäftigen und hauptsächlich exportieren. Sie haben eine marktbeherrschende Position und einen jährlichen Umsatz von 2,5 – 3,5 Millionen Euro. Doch im Verhältnis dazu verdient Adidas, der größte Hersteller in Pakistan 200-mal pro Jahr. Im Grunde lassen neben vielen no-name-Marken auch alle global player wie Adidas, Nike, Reebok und Puma in Pakistan herstellen. Sie vergeben Verträge mit kurzer Laufzeit an mehrere große Hersteller/ Zulieferer und wechseln nach Belieben, um die innerpakistanische Konkurrenz für Kostenvorteile zu nutzen. Der Unterbietungs-Wettbewerb der Firmen wird dann am Ende der Produktionskette auf dem Rücken der Lohnarbeiter/-innen ausgetragen. Dass dies letztlich zu Kinderarbeit führt interessiert dann niemanden mehr. Bei einem reinen Jahresgewinn von 383 Millionen (Adidas) purer Hohn.

Image-Make-up

Im Zuge der Fußball WM 1998 wurde schon einmal Kinderarbeit in den Zulieferbetrieben öffentlichkeitswirksam kritisiert. Aus Angst ums Image entstand das so genannte „Atlanta-Abkommen“, welches von der FIFA und dem Weltartikelverband der Sports­­wearindustrie (WFSGI) initiiert wurde, um Kinderarbeit „abzuschaffen“. 65 Sialkoter Firmen erklärten sich zur Teilnahme bereit, fassten ihre Mitarbeiter in Nähzentren zusammen und feuerten diejenigen, die unter 14 Jahre waren. Etwa 7000 Kinder konnten zu dieser Zeit aus der Fußballproduktion „entfernt“ werden, doch ist es heuchlerisch von einer Beseitigung der Kinderarbeit zu sprechen. Solange die Löhne der „Erwachsenen“ keine Grundbedürfnisse decken, werden Kinder weiterhin versteckt zu Hause arbeiten müssen, weil nicht ansatzweise an Ursachen gerüttelt wurde.

Des Weiteren wurde ein Großteil der Kosten für diese Maßnahme auf das Her­stellerland abgewälzt, was die Pro­duktionskosten damit unweigerlich erhöhte. Die Konsequenz einiger Markenfirmen daraus war die Abwanderung auf den chinesischen Markt. Seit einigen Jahren sind die Betriebe in China nun auch zur großen Konkurrenz für die pakistanische Wirtschaft geworden und bekannte Marken nutzen bewusst die Standortlogik, um weiter Herstellungskosten der Zu­lieferer zu senken und Löhne zu drücken.

Handlungsansätze

Bestehende Handlungsansätze sind zum einen die Förderung unabhängiger Kontrollen in den Betrieben und der Versuch mit gezielten Aktionen am Image der Marken zu kratzen, so dass die Situation ihrer Zulieferbetriebe nicht länger vertuscht werden kann. Zum anderen gibt es den Fair-Trade-Ansatz mit dem Transfair-Siegel. Der beinhaltet einen Preisaufschlag der an die Näher/-innen (die damit fast das doppelte verdienen) und an die Herstellerfirma geht, die damit Maßnahmen wie Beleuchtung und Belüftung und andere Verbesserungen der Arbeitsbedingungen realisieren. Ein weiterer Teil des Fair-Trade-Aufschlages wird in Gesundheits- und Bildungsmaß­nahmen investiert und ein letzter Teil wird in Form von Kleinkrediten an Arbeiter/-innen vergeben, die sich eine andere ökonomische Existenz aufbauen wollen. Firmen mit dem Fair-Trade-Siegel müssen sich verpflichten, unabhängige Prüfer zu- zulassen, Kinderarbeit abzuschaffen, Arbeitsbedingungen zu verbessern und unabhängige Gewerkschaften anzuerkennen. Der Handel mit fairen Bällen läuft an, doch ist der Absatz bisher zu gering, um den Familien wirklich eine Perspektive bieten zu können.

Kann das alles sein?

Fair Trade als Lösung aller Probleme? Natürlich verbessert fairer Handel von Bällen real die Lebens- und Arbeitsbe­dingungen der Menschen, aber reproduziert er nicht andererseits auch die Form des kapitalistischen Wirtschaftens? Der Konsument soll Bewusstsein bekommen, und kann sich zeitgleich vom schlechten Gewissen freikaufen? Eine Art Ablasshandel für die Menschen in den Industrieländern, die es sich leisten können, faire Produkte zu kaufen? Was ist mit den Billigarbeiter/innen und Hartz-4-Empfänger/innen hier, deren Kinder sicher nicht mit fairen Bällen kicken – sind das dann Ausbeuter?

Natürlich sind „wir“ verglichen mit den Lebensumständen in Pakistan wohlhabend, denn dort zeigen sich die Auswirkungen einer kapitalistischen Weltordnung x-mal härter. Sicherlich gibt es hier auch eine ganze Reihe von Menschen, die sich die Bälle leisten können oder sie sich zumindest leisten wollen, wenn sie die Situation kennen. Als Industrieland sind wir global gesehen Ausbeuter, als Menschen darin stehen wir in der großen Mehrzahl jedoch ebenso auf der Seite der Ausgebeuteten. Gerade deshalb kann und darf ein Fair-Trade-Ansatz nicht dort stehen bleiben.

Die Marke mit dem Gewinn in Millionenhöhe zu zwingen, für bessere Arbeitsbedingungen und Löhne zu sorgen, wäre dabei ein Schritt, der weiter greift und zumindest an der Verteilungsgerechtigkeit ansetzt.

Doch bleiben wir bei der umgesetzten Transfair-Handlungsalternative, bei dem die Konsumierenden den Aufschlag zahlen, aber weiterhin für die gleichen Firmen hergestellt wird. Im Grunde fördert dieses Konzept auch die kapitalistische Wirtschaftslogik und etabliert lediglich eine Art von „sozialer Absicherung“ darin. Die Frage die sich daraus stellt ist, ob mit der „Befriedung“ revolutionäre Ansätze und Widerstandspotential der Arbeiter/innen geschwächt wer­den, oder ob sie Freiräume schafft, sich emanzipieren zu können.

Und warum versucht diese Organisation eigentlich nicht, mit der kapitalistischen Logik des Wirt­schaftens im Klei­nen zu brechen? Selbstverwaltete Betriebe, Genossenschaften oder politisch unterdrückte linke Bewegungen sind sicherlich unter­stützens­werter als Großbetriebe, die zeitgleich für andere Marken nähen lassen. Ansätze diesbezüglich gibt es bereits, meist von kleineren NGOs, die zum Beispiel eine faire Kaffeeproduktion in Chiapas fördern und somit gleichzeitig die zapatistische Bewegung unterstützen.

Ein anderes Problem im Zusammenhang mit dem Transfair-Siegel ist die Konkurrenz unter den produzierenden Arbeiter/innen. Denn solange der Absatz hier nicht so umfassend ist, ist er dort keine finanzielle Absicherung und der Streit bzw. die Konkurrenz um den zu produzierenden „fairen Ball“ bleibt groß.

Fair Trade bedeutet definitiv eine Verbesserung der Lebensbedingungen für die Menschen in Pakistan, und jede/r der/die es sich leisten kann, sollte das fördern. Vor allem aber Bewusstsein für die Situation bei den Menschen hier zu schaffen, ist ein wichtiger Schritt, um Druck ausüben zu können, damit sich die Lebensbedingungen weltweit verbessern. Solidarität ist gefragt im Kampf gegen die miesen Arbeitsbedingungen. Fair Trade ist dabei ein Schritt zur Lösung, jedoch kein Teil der Lösung, denn die Ursache wird nicht angegriffen. Solange sich Adidas einen Werbevertrag mit David Beckham 161 Millionen US-Dollar kosten lassen kann, während eine Fußballnäherin 50 Cent für 4 Stunden Arbeit bekommt, läuft in dieser Welt entschieden etwas falsch.

(momo)

* Frauen arbeiten nicht in den Betrieben wegen des religiösen Purdah-Systems der Geschlechtertrennung.

Panoptismus im Zentralstadion

Bei der zeitgenössischen Fußballstadienarchitektur hätte der von der Aufklärung beseelte Erfinder des Pano­pticons (Anm. d. Red.: gebräuchlicher ist Panoptikum) Jeremy Bentham wohl vor Begeisterung gejubelt. Sein Panopticon sollte als ringförmiges Gebäude, in dem die Wärter alles und alle sehen, das Modell für Zucht-, Arbeits- und Schulhäuser abgeben. Im Panopticon hatte jedes Subjekt seine Einzelzelle. Die Fußballfans von heute sind in vier Sektoren A, B, C und D gepfercht. Seit kurzem verschwinden die Stehplätze zugunsten der Sitzschalen. Dahinter steckt durchaus erzieherisches Kalkül. Die tobenden Fanmassen werden durch die Sitze vereinzelt und an Bewegungen gehindert. Wer aufspringt und grölt, wird sich über kurz oder lang den Hals brechen. Auch die Stadien sind ringförmige Gebäude in denen unsichtbare Wärter im Raum der Polizeiaufsicht an zwei Bedienplätzen auf acht Farbmoni­toren, im Raum des Stadion­sprechers und beim Brandschutzbeauf­trag­ten alles sehen. Honeywell Security Deutschland installierte im Leipziger Zentralstadion in „allen Stadien- und Vorfeldbereichen ins­gesamt 68 hochauflösende Farbkameras“. „Die ausgewählten Zoomobjektive mit langer Brennweite erlauben eine lückenlose Überwachung aller Tribünenplätze mit großformatigen Darstellungen der Personen.“ (1)

Elke Weiße, ehemalige Geschäftsstellenleiterin des FC Sachsen Leipzig, beschrieb die Technik griffiger in der Provinzpostille hallo Leipzig! zur Eröffnung 2004: „Die Videoüberwachung klappt bereits vorzüglich. Wenn jemand gähnt, kann man problemlos die Goldkrone sehen“, so die Geschäftstellenleiterin belustigt. „Das Sicherheitsaufgebot wird so groß sein, dass der Polizei schon derjenige auffällt, der den Arm hebt“, spitzt es der Vize-Manager Uwe Thomas zu. (2)

Dank Lichtwellenleiter können sogar Aufnahmen mobiler Polizeikamerateams und der Polizeikameras aus der Innenstadt in die Videozentrale übertragen werden. Das digitale System erlaubt „zeitnahe Ausdrucke von aktuellen Aufnahmen auf einem Drucker zu erstellen“ und die Sicherung der Aufnahmen auf CD-Rom-Datenträgern. (3) Wenn es sich dabei nur um das Bild der Goldkrone handelt, ist der Stadion­besuch glimpflich verlaufen. Denn nach Sachsen-Justizminister Geert Mac­ken­­­roths (CDU) Aussage soll hinter dem Poli­zisten gleich noch ein Staatsanwalt, „der Haftbefehle beantragt oder Durchsu­chungen durchführt“, und ein Richter sitzen. Das Fernziel sei, „dass bei leichteren Vergehen der Täter nach dem Schlusspfiff seine Strafe bekommen habe“, äußerte der Minister gegenüber der Presse. (4)

Digitale Bildaufzeichnung ist auch offen für immer neue programmierte Fähigkeiten. Der ehemalige SPD-Innenminister Otto Schily hat biometrische Erkennungssoftware zur WM bereits im Mai 2005 auf einer Pressekonferenz angekündigt. (5) Die Dresdner Firma Cognitec hat im holländischen Stadion des PSV Eindhoven ein biometrisches Gesichtserkennungsverfahren getestet. Diese Systeme melden dann automatisch Alarm, wenn sie ein Gesicht erkennen, das in einer entsprechenden Datei gespeichert ist. Dabei kann es sich um bekannte Ge­walt­­täterInnen handeln, doch sehr häufig geraten Personen hinein, gegen die nur vage oder unhaltbare Ver­dachts­momente bestehen. Gerichtlich geregelt ist dieser Bereich selten. Hinzu kommt noch, dass sensibler Software Fehler unterlaufen. Was hier gebaut und geplant wird, sind gedankliche Fehlgeburten von politischen Popu­list­Innen und technischen, juristischen und politischen Techno­kratInnen, die oft nicht sonderlich mit dem korrespondieren, was tatsächlich technisch oder juristisch machbar, geschweige denn sinnvoll ist. Für die, die immer noch glauben, dass Videoüber­wachung eine – wie auch immer verstandene – Sicherheit erhöhe, sei darauf hingewiesen, dass diese Technik bei weitem nicht die Ziele erreicht, die ihre Befür­worterInnen behaupten. Britische Studien sprechen aus, was vielen schon klar ist: „Videoüberwachung hat keine Auswirkung auf Gewaltverbrechen.“ Denn diese werden entweder im Rausch oder Affekt begangen oder geplant, und dann an unüberwachter Stelle oder maskiert.

Jeremy Benthams panoptisches Prinzip baute darauf, dass sich die Eingesperrten normgerecht verhielten, weil sie nicht wissen, ob sie gerade der kontrollierende Blick trifft oder nicht. Gesellschaftliche Machtverhältnisse werden dabei durch die Architektur und die eigene Normanpassung reproduziert. Ihr Ziel haben die Architekten und Technokraten schon erreicht. Das zentrale Sicherheitsproblem der Stadien ist beseitigt, denn die Masse der einkommensschwachen Fußballfans kommt durch die hohen Preise und die Modalitäten der Ticketvergabe nicht mehr ins Stadion. Die Lust würde ihnen dort auch vergehen, da sie auf den Schalensitzen festsitzen und sich nicht bewegen kön­nen. Bier ist auch verboten. Die Ränge sind frei für die Funk­tio­närInnen, Spon­­soren und Part­ner­In­nen der FIFA.

(leipziger kamera.)

initiative gegen überwachung

 

(1) www.pro-4-pro.com/de/Security/Company-4248149/4248149_2_gsm0404.html

(2) hallo! Leipzig, März 2004, S. 17

(3) www.pro-4-pro.com/de/Security/Company-4248149/4248149_2_gsm0404.html

(4) www.netzeitung.de/servlets/page?section=704&item=333232

(5) www.heise.de/newsticker/meldung/print/59911

DANCE THE MOVEMENT

Ein Parade-Aufruf zur Global Space Odyssey

Die “Global Space Odyssey” wird am 29. Juli zum nunmehr sechsten Mal stattfinden. Start ist um 12 (Mittags!) am Conne­witzer Kreuz, danach geht es über die Karl-Liebknecht-Strasse zur Zwischenkundgebung auf den Au­gustusplatz. Weiter über Haupt­­bahn­hof und Waldplatz in den Richard-Wagner-Hein, wo wieder bis zwölf ausgeruht bzw. weiter Spaß gehabt werden kann. Ab Mitternacht werden diverse Crews im Partydreieck Plagwitz (G16-Super­kronik-Handschuh­fabrik) bis Sonnenaufgang eure Tanzkraft ausreizen wollen.

2001 tanzten zum ersten Mal junge Leute durch Leipzigs Strassen, begleitet von bunten LKW, die die Parade mit unterschiedlichster Musik, von Hip Hop bis Techno, Livemusik, Psytrance, D&B usw. beschallten. Aus dem „reclaim the streets“-Gedanken heraus die Straßen zu besetzen und mehr daraus zu machen, als eine „buy and go area“, hielten wir es für eine gute Idee, uns mit anderen Städten aus aller Welt zu solidarisieren und gemeinsam an einem Tag auf die Straße zu gehen und zu feiern. Genau das war der Gedanke des „Million Marihuana March“, ein internationaler Aktionstag für die Legalisierung von Marihuana, in dessen Verlauf in über 140 Städten Menschen für ihr Recht zu kiffen auf die Straße gingen. Dabei war es uns von Anfang an wichtig, den Undergroundgedanken zu vermitteln, dessen gegenkulturellen Ansatz wir darin sehen, uns gegen die Rationalität des Marktes, Sexismus, Rassismus sowie autoritäre Strukturen zu wehren und zu versuchen, unsere Freiräume – z.B. unkommerzielle Parties – so zu gestalten, dass niemensch wegen Kohle, Drogen, Aussehen oder ähnlichem ausgegrenzt wird, wo aber nazistisches, sexistisches und gewaltchauvinistisches Gedankengut keinen Zugang finden dürfen. Zusätzlich wollen wir auf konkrete Probleme unserer unmittelbaren Alltagswelt aufmerksam machen. Aus diesen Gründen stellten wir Forderungen auf, die über die Legali­sierung von Marihuana hinausgehen. Abgesehen davon, dass wir den „Million Marihuana March“ für eine schöne Sache halten, ist uns der inhaltliche Bezugsrahmen einfach zu klein, als dass wir uns in diesem Zusammenhang organisieren wollten.

Nachhaltige Lösungsansätze für die mannigfaltigen und oftmals gravierenden Probleme unserer Gesellschaft scheitern immer wieder an den marktwirt­schaft­lichen Vorbedingungen. Men­sch­liches Miteinander ist geprägt von Konkurrenz- und Leistungsdenken, sowie von einer Marktrationalität, in der selbst das eigene Sein als Ware wahrgenommen wird.

Der Staat als autoritäre Machtstruktur kann und will innerhalb der waren­förmigen Ge­sellschaft gar nicht anders, als die Ver­wertungs­be­ding­­ung­en auf­rechtzuerhalten um sich zu finanzieren.

Was wollen wir nun eigentlich? Na klar – das komplett andere eben. Eine Gesellschaft, in der die Freiheit des Einzelnen die Grundbedingung für die Freiheit aller ist. Eben weil wir uns nicht auf eine Insel des Glücks zurückziehen können, ohne dass diese mehr wäre als eine Illusion, muss unser politischer Ansatz seine Entsprechung in der Realität finden und sich nicht in theoretischen Debatten verlieren. Dieses politische Selbstverständnis, welches auf Basisdemokratie, Selbstorganisation, Selbstbestimmung und freier Entfaltung des Individuums aufbaut, ist im kapitalistischen System nicht zu leben.

Daher halten wir es für sinnvoll, dass sich aus möglichst vielen gesellschaftlichen Teilbereichen (kulturell, politisch, sozial, wirtschaftlich) anhand konkreter Probleme und dem Bedürfnis diese nachhaltig zu überwinden, ein gesellschaftskritischer Ansatz entwickelt. Sobald wir die Frage nach der Überwindung des Kapitalismus und rassistischem, sexistischem sowie autoritärem Denken stellen, stellen wir die Frage ums Ganze. Diese Unterdrückungsmechanismen wirken in allen Teilbereichen unserer Gesellschaft, egal ob an den EU-Außengrenzen Menschen gejagt und erschossen, DrogenuserInnen kriminalisiert, Frauen diskriminiert oder Millionen von sogenannten Nutztieren entrechtet und getötet werden. Nur eine soziale Bewegung, die in breiten Schichten wirkt und die Verbesserung der Situation des einzelnen Individuums zum Ziel hat, kann dieses System als Ganzes begreifen und nur dann auch nachhaltig verändern.

Wir haben uns im Rahmen der GSO 2006 entschlossen Forderungen aufzustellen, die sich mit Themen wie Repression, Tierrechten, Drogenpolitik, Antifaschismus und Schulpolitik befassen, um ausführlicher auf diese eingehen und Kritik- und Handlungsperspektiven besser entwickeln zu können. Aus diesem Grund haben wir einen Reader gestaltet, welcher in diversen politischen und kulturellen Zentren, wie z.B. dem Linxxnet, der Libelle, aber auch auf einigen Parties ausgelegt wird – haltet Augen und Ohren offen und bewegt euch. In diesem Sinne: Smash the state – abolish capitalism – fight authority – dance the movement!

(Vorbereitungsgruppe GSO)

Muscha heißt Beschützer

– Porträt eines als Kind von den Deutschen verfolgten Sinto –

Ich war bereits zwölf Jahre alt und konnte mehr verstehen, als die Erwachsenen glaubten. Nur eines konnte ich nicht verstehen, warum die Menschen so dumm sind, um Kriege zu führen und sich selbst zu vernichten. Das hatte doch der liebe Gott bei der Erschaffung des Menschen bestimmt nicht gewollt. Die Tiere ermorden sich ja auch nicht massenweise. Solche Gedanken kommen einem, wenn man einsam in einem Zimmer ausharren muss.

Mein Zimmer wurde nun nicht mehr bewacht und verschlossen und angebunden war ich auch nicht mehr. Das war auch nicht nötig, denn für eine Flucht wäre ich viel zu langsam gewesen. Auch hatte ich immer noch ganz schöne Schmerzen im Bauch und in den Beinen. Natürlich bekam ich auch Besuch. Mutti und Vati kamen getrennt zu den Besuchszeiten.

Eines Tages, vielleicht war es auch in der Nacht, standen plötzlich Fremde in meinem Zimmer, um mich abzuholen. Einen Pfleger erkannte ich wieder. Es war der Mann, der mir vor der Operation die Bauchfusseln abrasiert hatte. Er sagte mir, ich solle ganz leise sein, nicht sprechen und nur das tun, was man mir sage. Neben der Tür stand noch ein Mann, den ich schon einmal bei meinen Eltern gesehen hatte. Es war Onkel Peter. In der Tat ging ich auch freiwillig mit ihnen mit. Es wurde nicht gesprochen. Nur durch Zeichen verständigten sie sich.

Später habe ich erfahren, dass der SS-Mann Bartelt meine Eltern davor gewarnt hatte, dass man mich nach der Operation in das KZ Bergen-Belsen bringen wollte. Dort hätte ich in meinem Alter niemals überlebt. Die sozialdemokratischen Widerstandskämpfer wussten das und setzten alles auf eine Karte, um mein Leben zu retten. Diese Menschen bezeichnete man mir gegenüber als Angehörige des Roten Kreuzes. Jedenfalls brachte man mich an den Goldberg in der Nähe von Halle, wo man mich in einem Gartenhäuschen versteckte. “

(aus dem Buch: „Und weinen darf ich auch nicht…Ausgrenzung, Sterilisation, Deportation – Eine Kindheit in Deutschland“, 2002)

Ein Kinder-Leben

Am 6. Januar 1932 wurde Josef Muscha Müller in Bitter­feld geboren und es sollte 54 Jahre dauern, bis er dort auf eine Spur seiner Herkunft stieß. Doch eins nach dem anderen: Er konnte noch nicht ganz alleine laufen, da holten Otto und Minna Hinz, die von Königsberg nach Halle gekommen waren, wo sie sich weiterhin im kommunistischen und sozialdemokratischen Spektrum bewegten, den Kleinen aus dem Kinderheim in Grölwitz bei Halle und nahmen ihn in Pflege. Obwohl Sinti-Kinder nicht adoptiert werden durften, arrangierte eine Frau vom Jugendamt diese Rettung. Später sollten noch andere Rettungen folgen, denn Muscha zählte als „Zigeuner“ in Nazi-Deutschland zum „unwerten Leben“. 1940 wurde er von der Berliner „rassenhygienischen und bevölkerungsbiologischen Forschungsstelle“ registriert. In der Schule wurde er vom Lehrer und den Mitschülern gedemütigt und misshandelt und noch Ende 1944 von einem Dr. Rothmaler sterilisiert. Bei einer späteren Konfrontation mit dem Arzt sollte dieser dazu bemerken: „Und das was ich getan habe, habe ich getan für das deutsche Volk!“

Vom Krankenhaus aus sollte das Kind in das KZ Bergen-Belsen verschleppt werden, der Widerstandskreis der Eltern konnte ihn jedoch davor bewahren, indem sie ihn bis Kriegsende versteckt hielten. Dabei kam es nach mehreren Gestapo-Verhören zum Suizid eines der widerständigen Aufpasser, „Onkel Peter“, der verhindern wollte, dass er selbst das Versteck preisgibt. Nach der Befreiung klärten die Eltern ihn über seine Herkunft auf und rieten ihm gleichzeitig, nicht über sie zu sprechen, da sie weiterhin eine Rassenverfolgung in Deutschland befürchteten.

Erst 1986 sollte der damals 54-jährige jedoch bei einem Besuch in Bitterfeld zufällig von seinem Taufnamen „Muscha“ erfahren, eine Nonne zeigte ihm die Kirchenbücher, in denen noch ein weiterer Name auftauchte: Vinzenz Rose Müller – wahrscheinlich ein Zwillingsbruder, ein Stück Hoffnung auf ein Stück Familie. Leider fand er ihn aber bis heute nicht. Ein in den 50ern gescheiterter Adoptionsversuch eines kleinen Jungen durch Muscha und seine Frau verstärkte zusätzlich sein lebenslang wiederkehrenden Gefühl der Einsamkeit.

Doch der inzwischen 74-jährige hat eine Berufung: Kinder. In einer Berliner Kinderpsychiatrie arbeitete er als Pädagoge, auch nach der Rente noch ehrenamtlich. Er geht aber auch in Kindergärten und Schulen, um aus seiner Kindheit zu erzählen. Dabei veranstaltet er immer eine Art Rollenspiel, bei dem er sich selbst und die anderen in bestimmte Situationen bringt und verschiedene Personen dargestellt werden, selbst in die Haut seiner Peiniger schlüpft Muscha.

Diesen Stil benutzte er auch kürzlich auf zwei Veranstaltungen der „Zeitzeugengespräche“ in Jena und Leipzig, für die er als „Ersatz“ für den erkrankten Hugo Höllenreiner eingesprungen war. Weniger glücklich verliefen leider die Mobilisierung und inhaltliche Vorbereitung zu dieser Reihe. Für die ca. 50 BesucherInnen war die sicher ungewohnte Art der Wissensvermittlung nichts desto trotz sehr aufschlussreich, da die Perspektive eines Kindes erfahrbar werden konnte. Vor der Leipziger Veranstaltung am 2. Juni bekam ich freundlicherweise die Gelegenheit, ein Gespräch bzw. Interview mit Muscha zu führen, das nun hier in Teilen zu lesen sein wird. Am Ende des Abends sagte Muscha, und das bedeutet „Beschützer“: „Ich bitte euch von ganzem Herzen, lasst so was nie wieder zu, wenn ihr davon erfahrt. Kämpft dagegen an, wenn man gegen wehrlose Kinder vorgeht.“

Interview

FA!: Bist du eigentlich inzwischen als Verfolgter anerkannt?

Ja, ich bin anerkannter „Verfolgter des Nazi-Regimes“, nach 30 Jahren Kampf. Ich war in der DDR seit 1947 anerkannt, als jüngstes verfolgtes Kind. Und dann wollte ich die Überschreibung im Westen haben, die habe ich nicht bekommen. Ich war als junger Mann in deinem Alter in einem Prozess, da sagte die Richterin zu mir: „Verschwinden sie sofort, sie sind kein Verfolgter!“ Und ich wollte etwas sagen. – „Halten sie ihren Mund und sie fliegen raus hier! Und wer ist eigentlich die Dame?“ – „Na ja, meine Begleitung.“ Sie war Journalistin, das habe ich der aber nicht gesagt. Aber in ihrem Artikel bei der taz ging es knallhart gegen das Gericht. Später bin ich mit Hans-Joachim Vogel und so zusammen gekommen, das waren also SPD-Leute. Die sagten: „Das kann doch nicht wahr sein!“ – „Es ist aber Tatsache, ich habe das auch schriftlich, dass ich nicht anerkannt wurde.“ Und da haben sie im Abgeordnetenhaus einen Beschluss gefasst und haben die Gesetzgebung zur Anerkennung geändert. Und als die Mauer wegging, wurde ich auf einmal anerkannt. Aber eine Entschädigung habe ich nie bekommen. Na ja, ich habe gut verdient. „Und eine Rentensache?“ – „Ja, das könnten wir eventuell machen. Aber nicht so, wie die jüdischen Verfolgten!“ Ich habe in Hamburg, aber auch in Amerika die Sinti und Roma vertreten, in Polen zum Weltkongress, um wenigstens etwas zu kriegen.

FA!: Konntest du nach dem Krieg mit deinen Pflegeeltern über die Geschehnisse sprechen?

Na ja, am Anfang habe ich natürlich gefragt, warum der – sag ich jetzt mal – Neger, wir kannten keinen anderen Ausdruck dafür, zu mir gesagt hat: „Jetzt bist du frei, du schwarzer Zigeuner.“ – „Was ist ein Zigeuner?“, fragte ich. Und da haben sie mich erst mal aufgeklärt und mir gesagt, dass sie nicht meine Eltern sind. Da habe ich natürlich einen vollen Schock gekriegt und wollte es nicht glauben und habe geschrien. Erst später habe ich das richtig begriffen, als sie es mir wieder gesagt haben: „Deine Eltern sind nicht mehr da.“ Sie konnten mir nicht sagen, ob sie tot sind. Aber sie waren auch noch nicht verfolgt worden, denn das war ja erst 1932, die Machtübernahme war ja später.

FA!: Habt ihr auch über den Widerstand gesprochen?

Ja, es kam öfter mal zu Gesprächen. Da hatte ich doch z.B. mal in einer Weinkammer gestöbert und Flugblätter gefunden. Und da habe ich dann gefragt: „Ich kann mich erinnern, wie ihr gemeckert habt, weil ich die Flugblätter gefunden habe. Warum waren die denn da drin?“ Das ist eine Frage von einem 12-jährigen Kind. Dann hat der Vater gesagt: „Pass mal auf: Wir haben dir doch immer erzählt, dass die Kollegen, die da immer kamen, Sportkameraden sind. Das waren aber keine Sportkameraden, das waren Kameraden des Widerstandes.“ Und dann hat man mir auch erklärt, was der Widerstand war, wer die Nazis waren. „Du hast doch gesehen, wenn sich die HJ mit dem Kommunistischen Jugendverband geprügelt haben. Und da war ein Widerstand auch zwischen den Erwachsenen gegen die Nazis.“

Die Sache mit der Sterilisation kam so: Ich bin total verknallt gewesen und bin zum Papa gegangen und habe gesagt: „Du, ich hab da ´ne dufte Mieze und wir wollen heiraten. Und da hat er gesagt: „Was willst du machen?“ – „Na heiraten, wie du, ganz einfach.“ – „Sag mal, weißt du, wieso du damals im Krankenhaus warst?“ – „Was hat denn das damit zu tun?“ – „Da bist du doch operiert worden.“ – „Ja, am Blinddarm.“ – „Schau doch mal nach, ob das stimmt.“ – „Wieso?“ – „Mein Junge, du sollst dir das mit dem Heiraten überlegen, du bist sterilisiert worden. Und die Ehe ging damals auseinander denn sie wollte dann zuletzt doch ein Kind haben. Das war eine schwierige Situation für Sterilisierte. Von den Frauen, die man sterilisierte, haben sehr viele Selbstmord begangen. Die haben auch teilweise heftigere Schmerzen gehabt als Männer und die psychische Belastung haben sie einfach nicht überwunden. Ich habe es eben durch mein Aufgabengebiet überwunden – nicht ganz, es kommt immer wieder zum Vorschein. „Da, guck mal, das ist eine Familie.“ Ich sehe in ihnen meine Familie, ob er das ist, oder du das bist. Ich sehe es nur so, aber es ist nicht meine Familie. Oder an Weihnachten, wenn andere feiern, dann sitzen wir beide alleine da, die Müllerin und ich, immer alleine. Wo werden wir denn eingeladen? Dadurch, dass ich ein bisschen bekannt geworden bin, habe ich natürlich einen Kreis, aber ich bin eben ein Sinto.

FA!: Ich habe noch eine grundsätzliche Frage: Was ist für dich Rassismus?

Die größte Schweinerei, die es überhaupt gibt. Wir sind nur ein Planet, ein Planet. Es gibt eine wunderbare Tierwelt, eine wunderbare Vegetation, aber einen unberechenbaren Menschen, der auf dem Planeten ist und es wird ihn auch immer wieder geben.

Also, ich würde mir wünschen, dass es dahin geht, dass alle Menschen gleich sind egal welcher Hautfarbe, egal, welcher politischen Einstellung, sie darf nur nicht kriegerisch sein. Wir müssen alle einfach gleich sein, so wie wir geschaffen wurden, so sollten wir bleiben.

FA!: Aber wie kommt man denn da hin? Wie kann man dem Rassismus begegnen?

Ich weiß es nicht. Wenn der Mensch selbst es nicht will, er würde es vielleicht schaffen, aber er will es nicht. Schon ist der Unterschied da, der Nachbar ist der Türke, „Das sind die Türken, die sind ja ein dreckiges Volk!“, so geht das wieder los bei uns in Berlin. Oder vorhin: da habe ich meinen Spaß gemacht mit denen, die nur schwarze Klamotten tragen. Aber ich habe nicht gesehen, dass die irgendwie feindlich sind oder dass ich eine Abneigung gegen sie habe. Warum soll ich auch eine Abneigung haben, wenn ich überhaupt nicht weiß, was das für Menschen sind, was die überhaupt machen. Wenn das überall so wäre, dann könnte man sagen, es ist gut so, das ist der Planet des Friedens. Aber er ist es nicht.

FA!: Es ist ja eigentlich auch eine antifaschistische Tätigkeit, wenn man in die Schulen geht, so wie du das machst, so anschaulich und intensiv – wie reagieren die Kinder auf dieses Thema?

Also, ich muss sagen, die Kinder haben sehr gut reagiert. Das liegt aber daran, dass die das spielen. Manchmal hat das auch mit Erwachsenen geklappt. Die Kinder haben mir Briefe geschrieben, ich sollte wiederkommen, alles in der BRD hauptsächlich. Ich bin Stamm-Zeitzeuge an vielen Schulen. Das läuft ganz gut, jedenfalls besser, als ich es erwartet hatte. Die Kinder empfinden das richtig, manchmal habe ich Szenen erlebt, da haben sie so geweint, dass ich aufgehört habe, zu erzählen. Das ist so: ich trete dann auch irgendwie weg, ich bin in dem Moment dann nicht mehr da. Ich erlebe das noch einmal. Deswegen kommen dann auch immer wieder einmal diese Gefühlsausbrüche zum Vorschein, dass ich auf einmal nicht mehr sprechen kann und gegen die Tränen ankämpfe, denn das tut weh.

FA!: Du machst aber immer noch weiter?

Na ja, pass mal auf, mit 35 Jahren ist man ja schon ein bisschen langsam… Dass ich hier bin, ich wurde ja angerufen und habe Ja gesagt. „Du musst doch ein Ding am Koppe haben, wie kannst du denn das so auf die Schnelle machen?“ Das wird langsam zuviel, das ist schon anstrengend. […]

Ich gehe auch zu den Baptisten und mache da Kinderstunden. Also, das, was ich noch kann. Meine Frau ist gehbehindert, daran muss ich auch denken. Ich habe auch gesagt: „Müllerin, ich glaube, es wird das letzte mal sein.“ Es ist praktisch wie ein Abschied.

Tipps zum Umgang mit Strafbefehlen

Wie verhalte ich mich, wenn ich einen Strafbefehl bekommen habe?

Normalerweise folgt nach der von Euch selbstverständlich nicht wahrgenommenen Beschuldigtenvernehmung und der Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft die Prozesseröffnung. Es gibt aber auch die Möglichkeit, einen Prozess zu umgehen und der/dem Beschuldigten einen Strafbefehl zuzustellen. Das ist quasi ein Urteil ohne eine vorhergehende Verhandlung, dss heißt, der Strafbefehl legt die Rechtsfolgen der Euch vorgeworfenen Tat fest, also beispielsweise, dass ihr 30 Tagessätze à 10 Euro zahlen sollt.

Dies wird in letzter Zeit häufiger praktiziert, da die Staatsanwaltschaft darauf hoffen kann, dass mensch sich nicht dagegen wehrt – entweder aus Unwissenheit oder aus Fristversäumnis.

Allerdings wird Euch auf diesem Wege die Möglichkeit eines „fairen“ Verfahrens genommen, Ihr könnt bestimmte Entlastungszeugen nicht präsentieren, seid der Möglichkeit beraubt, mit einem/einer Anwalt/ Anwältin Eurer Wahl eine Prozessstrategie zu besprechen und vergeigt im Zweifel einen eventuellen Freispruch oder eine geringere Strafe.

Aus diesem Grund solltet Ihr Euch immer (erst einmal) gegen einen Strafbefehl wehren!

In jedem Fall solltet Ihr innerhalb von zwei Wochen (nach Zugang des Strafbefehls) zunächst einen formlosen Einspruch gegen den Strafbefehl bei dem dort bezeichneten Amtsgericht unter Nennung des Aktenzeichens einlegen Das steht auch alles in der Belehrung, die Ihr mit einem Strafbefehl, quasi als Beipackzettel, erhaltet. Dabei müsst und solltet Ihr auch nicht begründen, warum Ihr euren Einspruch einlegt.

Der Einspruch kann auch nur auf den Strafausspruch, also die Höhe der Strafe, beschränkt werden. Eine solche Beschränkung des Einspruchs auf die Höhe des Strafmaßes solltet Ihr aber wirklich erst nach Absprache vornehmen beziehungsweise, wenn Ihr selber Ahnung davon habt. Da Ihr bis in die Hauptverhandlung hinein die Möglichkeit habt, von einem „Teil“-einspruch Gebrauch zu machen, solltet Ihr also grundsätzlich immer einen vollumfänglichen Einspruch einlegen. Nach Rücksprache mit einem/einer Anwalt/Anwältin, einer Rechtshilfeor­ga­ni­sation etc. könnt Ihr diesen dann ja immer noch in der Verhandlung begrenzen.

Ihr könnt bei­spiels­­weise schreiben: „Hier­mit lege ich Ein­spruch gegen den Straf­befehl des Amts­­­­gerichts … mit dem Aktenzeichen … ein.“

Wichtig ist aber wirklich, dass dies innerhalb der zwei Wochen passiert, ansonsten könnt Ihr nicht mehr gegen den Inhalt des Strafbefehls vorgehen, da dieser dann rechtskräftig wird! Entscheidend ist der Posteingang bei Gericht!!! Also: Wenn Ihr einen Strafbefehl am Mittwoch bekommt (entscheidend ist das Zustellungsdatum auf dem Umschlag!), dann endet die Frist zwei Wochen später am Mittwoch um 24.00 Uhr. Dabei sind die Postlauf­zei­ten von bis zu drei Tagen unbedingt zu beachten.

Am sichersten ist, den Einspruch in den (Nacht-)Briefkasten des jeweiligen Amtsgerichts einzuwerfen oder das Ganze gegen Empfangsbe­kenntnis beim Pförtner/bei der Pförtnerin oder in der Poststelle des Gerichts abzugeben.

Nachdem also ein Einspruch eingelegt ist, habt Ihr erst einmal Zeit gewonnen, die Ihr nun nutzen solltet, Euch im Hinblick auf die weitere Vorgehensweise zu beraten und zu informieren.

Ihr könnt dies bei Eurer örtlichen Ortsgruppe der Roten Hilfe, Eurem Ermitt­lungs­ausschuss oder als Anfrage bei der Adresse: info@rote-hilfe.de machen. Gemeinsam könnt Ihr dann überlegen, ob in Eurem Fall ein/eine Anwalt/Anwältin zu Rate gezogen werden sollte oder ob dies nicht nötig ist.

Was Ihr noch wissen solltet: Einen Einspruch kann mensch jederzeit, das heißt auch noch während der Verhandlung bis zur Urteils­ver­kün­dung, zurücknehmen. Dann entstehen auch keine weiteren Kosten. In dem Fall, wo er nicht zurückgenommen wird, kommt es zu einem ganz normalen Prozess, bei welchem der Strafbefehl die Anklageschrift ersetzen wird. Solltet ihr verurteilt werden, müsst Ihr dann auch die Gerichtskosten tragen.

Rote Hilfe Leipzig

Die Rote Hilfe ist eine Solidaritätsorganisation, die politisch Verfolgte aus dem linken Spektrum unterstützt, die z.B. wegen presserechtlicher Verantwortlichkeit für staatsverunglimpfende Schriften, wegen Teilnahme an spontanen Streiks oder wegen Widerstand gegen polizeiliche Übergriffe vor Gericht gestellt werden. Ebenso denen, die in einem anderen Staat verfolgt werden und denen hier politisches Asyl verweigert wird. Zusammen mit dem Angeklagten bereiten sie den Prozeß vor und machen besonders seinen/ihren politischen Hintergrund in der Öffentlichkeit bekannt. Die Rote Hilfe engagiert sich gegen die Verschärfung der Staatsschutzgesetze, gegen weiteren Abbau von Rechten der Verteidigung, gegen Isolationshaft, gegen weitere Beschränkungen der Meinungs- und Versammlungsfreiheit. Ihr gehören nur Einzelpersonen als Mitglieder an.

www.rote-hilfe.de