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Das Private ist das Politische

AnarchaFeminismus gestern und heute

Ich glaube, Männer müssen zumeist erst lernen, Anarchisten zu sein. Frauen brauchen das nicht zu lernen.“ (Ursula K. LeGuin, feministische Science-Fiction-Autorin, 1981.)

Im deutschsprachigen Raum wurde der Be­­­griff AnarchaFeminismus Ende der 70er Jahre durch Übersetzungen der ra­di­­kal­femi­nis­ti­schen US- Amerikaner­innen Peggy Korneg­ger und Carol Ehrlich be­kannt (1). Für Ra­di­kal­feministinnen liegt im Patriarchat die Wur­zel aller Zwangs­ver­hältnisse. Kornegger und Ehrlich um­rahmten ihren Ansatz mit der Theorie des kommunistischen Anarchis­mus im Sinne Alexan­der Kropotkins. Diese liefert eine um­fassende Kritik der gesell­schaft­lichen Herr­schaftsverhältnisse und ein klares Ver­ständ­nis von Hierarchie und Au­to­rität. Der radikale Feminismus seiner­seits hat den Zusammenhang aller Arten von Un­ter­­drückung erkannt und zwingt die männ­lichen Teile der Bewegung zu einer kri­tischen Reflektion ihres Rollen­ver­­ständ­­nisses. Der von Emma Goldman ge­präg­te Grund­satz „das Private ist das Po­li­­tische“ (2), sowie die Bevorzugung von nicht hierar­chischen Beziehungen und dem Arbeiten in Kleinstgruppen, sind bei­de Ansätze ver­pflich­tet. Stellenweise ent­sprechen bzw. ergänzen sich also Anar­chis­mus und radikaler Femi­nis­mus. Für viele Fe­mi­nistinnen galt aber aus­schließlich der Sexismus als Wurzel der Unter­drückung und so sind und waren die Hand­lungs­kon­sequenzen alles andere als anar­chis­tisch, wie mensch zum Beispiel an der weit ver­breiteten Matriarchatstheorie inner­halb der feministischen Bewegung sehen kann. Für den AnarchaFeminismus kann die Beendigung des Patriarchats nur ein Ziel im Kampf um Herrschaftsfreiheit sein.

Frühe Wurzeln

Mit der Entstehung der anarchistischen Be­wegung in den 60er und 70er Jahren des 19. Jahr­hunderts wendeten sich auch viele Frauen den neuen Ideen und Idealen zu. Die Mehr­zahl der anarchistischen Männer waren Antifeministen und standen der tradi­tio­nellen Rollenver­teilung völlig unkritisch gegen­über. Die anar­chistischen Frauen machten da­her auf die Bedeutung des Feminismus inner­halb der anarchistischen Theorie auf­merk­sam. Be­sonders hervor­zu­heben ist dabei Louise Michel, die führende Femi­nistin und Sozial-Revolutionärin zur Zeit der Pariser Kommune (3) und die damals wohl po­pu­lärste Wortführerin des anar­chis­­tischen So­zialismus. Im bewaffneten Kampf um die Kommune zeigte sich ihr deut­lich, dass die Frauen in Sachen Mut, Ent­­schlossen­heit und Fähigkeiten ihren männ­lichen Mit­streitern in nichts nach­stan­den. Dies be­stätigte sie in ihrer An­sicht, dass die Frau nicht von Natur aus dem Manne unter­wor­fen ist, sondern bereits in der Kindheit zur Unter­würfig­keit erzogen wird. Des­halb gründete sie auch mehrere auto­nome selbst­verwaltete Schulen. Trotz­dem blieb der Kampf der Frauen innerhalb der anar­chistischen Be­wegung von unter­ge­ord­ne­ter Priorität, da er sich mit der Ablösung des bürgerlich-ka­pitalistischen Systems, nach ihrer Über­zeugung, von selbst erledigen würde.

Emma Goldman

Emma Goldman (1869-1940) versuchte in ihrem Leben ihren Grundsatz „Das Pri­vate ist das Politische“ konsequent um­zu­setzen. So verzichtete sie aus Protest gegen die herrschenden Rollenvorstellungen auf die Mög­lichkeit Kinder zu bekommen, in­dem sie eine notwendige medizinische Be­hand­­lung unterließ. Diese Konsequenz, die ihre politischen Positionen begleitete, stieß bei fast allen männlichen Mit­streitern und sogar in der feministischen Bewegung auf Be­frem­dung. In ihrem Werk entwickelte sie revo­lu­tionäre Vorstellungen zur Ge­schlechts­rollen­zu­weisung und freier Liebe. Leider war es ihr unmöglich, die alternativen Rollen­muster zu leben, die sie in ihrer Utopie ent­wickelte, da diese sogar von den anarchis­tischen Männern in ihrem direk­ten Umfeld abgelehnt wurden. In ihrer Schrift „Das Tragische an der Emanzi­pa­tion der Frau“ (1911) kritisiert Goldman die damalige Emanzipationsbewegung. Für diese Be­wegung war der Kampf um Gleich­­be­rech­tigung, ein Kampf um eine Gleich­machung von Frau und Mann. Dessen Ziel war es, die Frau dem Mann po­litisch und ökonomisch anzugleichen; der Mann wurde dabei vor allem als ein Konkurrent gesehen. (4)

Doch am Wesen der Politik und dem Kampf um Macht änderte sich schon da­mals auch mit Beteiligung der Frauen nichts. Im ökonomischen Bereich waren die Frauen ihren männlichen Kollegen oft kör­per­lich unterlegen und mussten sich phy­sisch verausgaben, um gleiche Leis­tungen zu erreichen. Auch das Vertrauen in die Fähigkeiten der Frauen und ihre Be­zahlung lagen weit unter denen der Männer. Außerdem musste sich die Frau oft auch zusätzlich mit den Pflichten im Haus­halt und der Kindererziehung aus­ein­andersetzen. So war es für viele ar­bei­tende Mädchen sogar angenehm, in die Ehe zu flüchten und sich ausschließlich der Heimarbeit zu widmen. Die Frauen, die sich ausschließlich auf einen Beruf kon­zentrierten und sogar eine hohe Stellung erreicht hatten, opferten dafür ihr Ge­fühls- und Liebesleben. Die Medien ihrer Zeit entwarfen von der emanzi­pier­ten Frau ein moralisch anrüchiges Bild: „…Eman­zi­pa­tion war ein Synonym für leicht­sinniges Leben voller Lust und Sünde, ohne Rücksicht auf Gesellschaft, Religion und Moral.“(5) Die Frauenrechtlerinnen taten da­rum alles, um diesem Bild nicht zu ent­sprechen und legten sich selbst neue Fesseln an. Der Mann wurde generell ab­ge­lehnt und nur not­wendiger­weise als Vater ihrer Kinder akzeptiert.

Nach Goldman unterdrückten sie damit ihr Innerstes, das sich nach Liebe sehne, an­statt gegen diese spießbürgerlichen Moral­­vorstellungen zu kämpfen. Der Kampf für eine freie Gesellschaft könne nur zusammen mit den Männern geführt werden und sei ohne das Ziel der Be­frei­ung beider Ge­schlech­ter nicht möglich.

Neuere Theorien

Auf der Suche nach einer anarchistischen Theorie, die den Rahmen für eine Analyse der gesellschaftlichen Be­ding­ungen und deren Ver­änderung dar­stellt, stieß die anfangs erwähnte Carol Ehrlich auf den Si­tua­tionis­mus. Für die Si­tua­tio­nis­ten leben wir alle in ei­nem „Welt­theater“, in dem wir als passive Zu­schauer teil­neh­men.(6) Hier­bei in­ter­essierte sie sich vor allem für die auch auf zwischen­mensch­liche Beziehungen aus­ge­dehnten Begriffe Ware und Schauspiel, die sich be­sonders treffend auf das Leben der Frauen beziehen ließen: In der Waren­­wirtschaft treten Frauen sowohl in der Rolle der Konsumen­tinnen als auch in der Rolle der Kon­sumier­ten auf. Sie wer­den zu sexuellen Objekten, die von Männern konsumiert werden können oder zu „Super­müttern“, die sich selbstlos und auf­opferungsvoll von ihren Kindern kon­­sumieren lassen. Ehrlich meint, dass wir in ein Leben hineingeboren werden, in dem wir nur passive Zuschauer sind. Re­bellisches Verhalten gegen das Schau­spiel der Ge­sellschaft könne als eine Art Sicher­ungs­ventil angesehen werden und stelle meistens nur das Gegenteil des er­war­teten Verhaltens dar. Eine Frau, die viele Affären hat und sich so der vor­herr­schen­den Moral widersetzt, kann sicher­lich bei den Konservativen für Aufruhr sor­gen, wird aber nicht eine Veränderung der Gesellschaft ermög­lichen. Das Schaus­piel ist nur zu zerstören, indem mensch es durchschaut und greifbar macht.

Der soziale Ökofeminismus von Janet Biehl (1991) stellt wohl den umfassendsten An­satz des AnarchaFeminismus dar und be­zieht sich u.a. auf Ynestra King. Diese ging davon aus, dass die Frauen aufgrund ihrer weiblichen Werte und feinfühligen Moral be­sonders geeignet sind, das bedrohte Le­ben auf der Erde zu retten. Für Biehl lenkt je­doch die Gleichsetzung von Natur und Frau davon ab, dass die „typischen“ Eigen­schaften der Geschlechter kulturell produziert sind, und somit auf einem pa­triarchalen Konstrukt basieren. Sie pro­pagiert eine „Ethik des Sorgens“ als Ver­ant­wortung gegenüber der Natur und die “Ethik des Rechts“, also eine Besinnung auf Gerechtigkeit und Menschen­rechte. Auch sie fordert die Aufhebung der Trennung vom Privaten und Poli­tischen, so­dass beide Geschlechter die Möglichkeit zur freien Entfaltung haben. (7) Dies solle mit Hilfe des libertären Kommunalismus Murray Bookchins ge­schehen: „Der soziale Öko­feminismus strebt nichts anderes an, als die Ab­schaffung von Kapit­alismus und Na­tio­nal­staat und die Re­struk­tur­ier­ung der Ge­sell­schaft auf eine de­zen­trali­sierte, ge­mein­schaf­tliche Wei­­se, so dass für alle ein aus­ge­füll­tes öffentliches und pri­vates Le­ben möglich wird.“(8) Bookchin führt aus, dass die urbanen Gebiete an die spezifischen Öko­systeme angepasst werden müssen um die Voraussetzung für Öko­ge­mein­schaften zu bieten. Moderne Tech­nik, sogenannte Ökotechnologie, muss eingesetzt werden, um in einem gehaltvollen Maß mit und von der natürlichen Umwelt zu leben. Damit bereichert der soziale Öko­femi­nis­mus den Anarcha­Feminismus um eine ökologische Komponente und bietet durch den ökologischen Anarchismus Bookchins eine konkrete Alter­native.

Gender-trouble

Sex meint das biologische Ge­schlecht, gender das soziale oder kulturelle Geschlecht, also die in einer Kultur mit dem biologischen Geschlecht verknüpften Er­wartungen und Hand­lungs­mög­lichkeiten.“ (9) Hierbei soll deutlich werden, dass Ge­schlechterrollen nicht auf biologischen Ursachen basieren, sondern das sie soziale Konstrukte sind. Wenn dies erkannt ist, kann mensch diese Konstrukte auch de­kons­truieren und sich und sein/ihr Leben je nach Bedürfnissen und Fähigkeiten individuell gestalten.

Für Jürgen Mümken kommt dabei die De­batte um die Dekonstruktion von Geschlecht und die Zwei­ge­schlecht­lich­keit der Gesellschaft zu kurz. Er versteht seinen Text „Gender trouble im Anar­chis­mus und Anarchafeminismus?“ (10) als Er­gänzung zum allgemeinen anar­chis­tischen gender- Diskurs. Für Mümken sind dabei die Gleichheits- und die Differenztheorie zentral: Gleich­heits­theoretikerInnen be­halten die binäre Ord­nung Mann und Frau bei, jedoch keines­wegs die unterschiedlichen Rollen­er­war­tungen. Die Differenz­theore­tiker­Innen gehen hingegen davon aus, dass auch das so­ziale Geschlecht biologischen Ursprungs ist. Für sie gibt es ein typisches Frau-Sein, dass vom Patriarchat unterdrückt wird. Für Mümken wird in beiden Theorien der Dua­lismus Kultur-Natur und das Konzept einer natürlichen sexuellen Dif­ferenz über­nommen, wodurch „die naturali­sierende, biologische Konzeption von der Kate­gorie Geschlecht nicht aufgehoben son­dern lediglich in sex verlagert wird.“ (11) His­to­rische Forschungen haben aber be­wiesen, dass die gegenwärtigen Ge­schlechts­körper und die binäre Ordnung der Geschlechter das Ergebnis historischer Pro­­zesse sind. So wurde der bürger­liche Mann erst durch die Entwicklung einer weib­lichen Sonder­anthropologie im 18. Jh. konstruiert.

Für Judith Butler ist der Körper eine „kulturelle Situa­tion“ und als „Ort kul­tureller Interpretation ist der Körper eine materielle Realität.“ Der Mensch kann aus bestimmten Geschlechts­normen und Kör­perstilen wählen, auf welche Art er/sie seinen/ihren Körper annimmt und “trägt“. Die Normenspielräume werden dabei von regulativen Diskursen festgelegt, die gegebene Macht­ver­hältnisse innerhalb der Gesellschaft widerspiegeln. Jede „Rede von Natur dient vor allem dazu, jene Zwänge, Dis­zi­plinierungs­techniken und Dis­­kurs­strategien unkenntlich zu machen, die die alternativlose Unterwerfung unter das Zwei­geschlechtermodell in jeder kon­kreten Subjekt­werdung neu erzwingt.“ (12)

Schön und gut…

Durch die Dekonstruktion von sex als natürlich gegebener Tatsache würde auch die Einteilung in homo- oder hetero­sexuell ihre Basis verlieren und somit Raum für weitere Formen von zwischen­menschlichem Sich-aufeinander-beziehen geschaffen werden.

Anhand der oben beschriebenen Ansätze und Ausführungen wird klar, dass – im Gegensatz zu den älteren anarcha­femi­nis­tischen Theorien – mit dem Festhalten an einem natürlich gegebenen Geschlecht gebrochen werden muss. Es kann jedoch nicht reichen, nur die patriarchal fest­ge­leg­ten Zuschreibungen zu kritisieren, um Patriar­chat und Zwangsheterosexualität zu über­winden. Carol Ehrlich plädiert z.B. für eine Praxis der direkten Aktion; in subversiven Aktionen soll der Alltag neu erfunden, für Aufsehen gesorgt und provoziert werden: „Die AkteurInnen müssen sich der ent­fremdenden Wirkung des kapitalistischen Medienmarktes bewusst sein, der sie zu ZuschauerInnen ihrer selbst werden lässt.“ (13) Frauen könnten dies am Besten, in dem sie entgegen ihrer Rollenerwar­tungen und Geschlechterzuweisungen handeln und so die gängigen Klischees brechen. Wichtige Ziele, wie die Zer­störung von Macht­verhältnissen und Unterdrückungs­mecha­nis­men, die Kon­trolle über den eigenen Körper, die Entwicklung von Alternativen zur Klein­familie und Heterosexualität, eine gleich­berechtigte Kinderbetreuung, öko­no­mische Unabhängigkeit, die Abschaffung re­­­pressiver Ge­setze, ge­schlechts­­­­­ab­hängige Rollen­­­zuweisungen in der Familie, den Me­dien und am Ar­beits­platz und die Über­windung von Beziehungen mit emo­tio­naler Zwangs­abhängigkeit werden nur erreicht, wenn Menschen bereit sind, sich ihr anerzogenes bzw. ansozialisiertes Ver­halten bewusst zu machen und die Mög­lichkeit und Not­wendigkeit dieser Hand­lungs­mög­lich­keiten erkennen. Dies ist ein, wie ich denke, langwieriger, überwiegend indivi­dueller und oft schwieriger Weg, der häufig an seine praktischen Grenzen stößt und innere und äußere Konflikte provo­ziert, da Rollen­vorstellungen und Macht­ver­­hält­nisse tief verwurzelte gesamt­ge­sell­schaft­liche Kon­strukte darstellen. Die Hinter­fragung und Auflösung eigener und ge­sellschaftlicher Kategorien kann sehr be­freiend aber auch sehr verunsichernd auf den/die EinzelneN wirken, da Ge­schlecht und Sexualität stark auf die Identitäts­bil­dung einwirken . Deshalb sehe ich es für den/die EinzelneN als hilfreich, sich inner­halb des vertrauten privaten Um­feldes auszutauschen und über die inneren Kon­flikte und Widersprüche bezüglich Rollenerwartungen, Rollen­vor­stellungen, eigenen Rollenbildern, sexuellen Inter­essen, Machtverhältnissen oder Domi­nanzen zu diskutieren und zu reflektieren. Dies könnte zumindest ein praktischer Weg sein, um sich des täglichen Schaus­piels bewusst zu werden und so vom/von der passiven ZuschauerIn seiner/ihrer fest­ge­legten Rollen, zur aktiven Selbst­be­stimmung und Ausgestaltung ebendieser zu gelangen. Meiner Meinung nach wird die komplette Auflösung von Geschlecht und den dazu­ge­hörenden Zuweisungen und Rollen­er­wartungen erst in einer, gegenwärtig als Utopie zu bezeichnenden, befreiten Gesell­schaft möglich sein. Nichtsdestotrotz halte ich es für sinnvoll, durch zum Beispiel Carol Ehrlichs Vorschlag der subversiven Aktion, am vorherrschenden Bewusstsein zu rütteln und es so öffentlich kritisch zu hinter­fragen und gleichzeitig noch ein bisschen Spaß zu haben…!

Qkuck

(1) Kornegger, Peggy; Ehrlich, Carol: „Anarcha-Feminismus“. Berlin 1979
(2) Goldman, Emma: „Gelebtes Leben“. Karin Kramer Verlag, Berlin 1978-1980
(3) Anm.: Als Pariser Kommune wird der Pariser Stadtrat von 18. März 1871 bis 28. Mai 1871 bezeichnet, der gegen den Willen der Regierung versuchte, Paris nach sozia­lis­tischen Vorstellungen zu verwalten. Die Pariser Kommune gilt als Vorbild für die Rätedemokratie.
(4) Goldman, Emma: „Frauen in der Revolution“. Bd. 2, Berlin 1977
(5) Emma Goldman: „Das tragische an der Emanzipation der Frau“, 1911, Seite 19
(6) Guy Debord: „Die Gesellschaft des Spektakels“, Edition Tiamat, Berlin 1996
(7) Biehl, Janet: „Der Soziale Ökofeminismus und andere Aufsätze“. Grafenau 1991
(8) Bookchin, Murray: „Natur und Bewusstsein“. Winddruck Verlag 1982
(9) Lohschelder, Silke u.a.: „AnarchaFeminismus“. Unrast Verlag, Münster 2000, S. 151
(10) Mümken, Jürgen: „Gender trouble in Anarchismus und Anarchafeminismus?“
www.postanarchismus.net/texte/gender_trouble.htm
(11) Mümken, Seite 2
(12) Hauskeller, Christine: „Das paradoxe Geschlecht. Unterwerfung und Widerstand bei Judith Butler und Michel Foucault“. Tübingen 2000, Seite 59
(13) Kornegger/Ehrlich (Berlin 1979), Seite 98

Theorie & Praxis

Soldaten und Pakete…

…über Leipzig in die ganze Welt

2002 beschlossen die NATO-Staaten bei ihrem Gipfel in Prag den Aufbau einer „NATO Response Force“ (NRF). Die Bundesregierung erklärte sich bereit, die strategische Lufttransportfähigkeit für die westlichen Interventionstruppen zu orga­nisieren – über den neuen NATO-Flughafen Halle/Leipzig. Weitere 13 EU-Einsatzgruppen mit je 1.500 Soldaten sollen ab 2007 über den sächsischen Airport in Krisenregionen weltweit gebracht werden. Konkret sind seit Oktober 2006 21.000 NATO-Soldaten vollständig einsatz­bereit und können binnen fünf Tagen samt ihrer Waffen an jeden Punkt der Erde verlegt werden.

Offiziell begründet wurde der Ausbau mit dem An­siedlungs­interesse des weltweit größten Transport- und Logistik-Unter­nehmens DHL (Tochter der Deut­schen Post, siehe FA!#16). Durch die kost­spielige Erweiterung (über 300 Mill. Euro Steuer­zuschüsse) der Start- und Lande­bahnen samt Frachtanlagen sollten mehrere tausend Arbeitsplätze entstehen. DHL ist auch in die Mil­itarisierung eingebunden, frei nach dem Motto: Die eine Hand schickt Waffen und die andere die Care-Pakete.

Der Flughafen an der Autobahn A 9 boomt, zivile und militärische Linien- und Charter­flüge nehmen zu. Die im Januar in Betrieb genommene Militärbasis dient der ständigen Bereithaltung mehrerer gemieteter Maschinen des russischen Typs Antonow 124-100. Sie können bis zu 120 Tonnen Gerät über große Entfernungen transportieren. Hauptsächliches Zielgebiet ist Kabul (Afghanistan), wohin immer mehr deutsche Panzer und andere Groß­waffen verlegt werden. Dabei ist strittig, ob der Truppentransfer gegen den „2-plus-4-Vertrag“ verstößt. Danach ist es ver­boten, ausländische Truppen auf dem Ex-DDR-Territorium zu stationieren oder dorthin zu verlegen. Doch die Militärs sind ja offiziell »nur im Transit«.

Nicht nur der zunehmende Fluglärm bringt immer mehr Bürger gegen den Ausbau des Flughafens Leipzig auf. Auch die mit der geplanten militärischen Nutzung verbundenen Sicher­heits­ge­fahren – etwa durch Unfälle mit Kampf­mitteln oder durch gegnerische Angriffe­– sorgen für wachsenden Widerstand. So will die Aktions­ge­mein­­schaft Natofrei! (www.flughafen-natofrei.de) Leipzig den Flughafenausbau juristisch, sowie mit Unter­schriftenaktionen, Protesten und Petitionen verhindern. Am Ostersonntag ist z.B. ein großer Protestmarsch geplant.

Antimilitarismus

Marokko: Menschenrechtsverletzungen im Namen des EU-Grenzregimes

Wenig mehr als ein Jahr nach dem Sturm von TransitmigrantInnen auf die spa­nischen Enklaven Ceuta und Melilla im Oktober 2005, als mindestens 11 Men­schen zu Tode kamen und Massen­ab­schiebungen in die Wüste stattfanden, sowie sechs Monate nach der Euro-afrikanischen Regierungskonferenz „Mi­gra­tion und Entwicklung“ in Rabat bewies die marokkanische Regierung erneut, wie sie ihre Rolle als Grenzwächter Europas wahrnimmt und dabei selbst die von ihr unterzeichneten Menschenrechts- und Flüchtlingskonventionen sowie marok­kanische Gesetze mit Füßen tritt. Über 500 Menschen schwarzer Hautfarbe wurden seit dem 23.12.06 bei Razzien festgenommen und an der algerischen Grenze ausgesetzt. Die marokkanische Regierung erhofft sich von der EU Visaerleichterungen für einige ihrer BürgerInnen, wenn sie sich als Hilfs­polizist der EU betätigt und die Transit­migrantInnen abschiebt, statt sie in die EU einreisen zu lassen. Aber es gibt auch Widerstand gegen diese Politik, der unsere Unterstützung braucht.

Hintergründe der Versuche erneuter Massenabschiebungen aus Marokko

Auch nach den Massenabschiebungen im Herbst 2005 befinden sich noch mindes­tens 10.000 Flüchtlinge und Migrant­Innen aus Subsahara-Afrika in Marokko, die meisten von ihnen ohne einen recht­lich anerkannten Status. Einige, vor allem Flücht­linge aus der De­mo­kra­tischen Republik Kongo und der Elfen­bein­küste, ha­­ben beim UNHCR Asyl be­an­tragt und z.T. auch eine Anerkennung durch ihn be­kommen, nicht jedoch Auf­ent­halts­papiere von den marok­kanischen Behörden. Sie leben ohne juristische Ab­sicherung, politische Rechte und soziale Versorgung vor allem in den Ar­beiter­vierteln der großen Städte und in den Wäldern rund um Ceuta und Melilla. Die provisorischen Lager dort wurden allerdings von den Sicherheits­kräf­ten weitgehend zerstört. Nach inter­na­tionalen Protesten gegen die Aus­setzungen in der Wüste und aufgrund der Schwierig­kei­ten, Her­kunfts­länder zur Rück­über­nahme zu bewegen, fanden eine Zeitlang keine Massen­ab­schiebungen aus Marokko mehr statt.

Dies änderte sich im Dezember 2006, und über die (Hinter-)Gründe kann nur spe­ku­liert werden: Ein Grund ist wahr­schein­lich der Druck, von der EU bis zum Jahresende für Abschiebungen zur Ver­fügung gestelltes Geld noch auszugeben. Die Wahl des Zeitpunkts um das christ­liche Weihnachts­fest herum hatte sicher da­mit zu tun, dass dann die meisten Büros so­­wohl des UNHCR als auch inter­na­tio­naler Menschenrechts­organisationen und Me­­dien geschlossen haben und so Proteste aus­­bleiben würden. Evtl. ging es aber auch um eine gezielte Beleidigung und Schi­kane der überwiegend christlichen Flücht­linge aus Subsahara-Afrika, als Ausdruck einer re­aktionären islamistisch-rassis­tischen Kam­pagne, die in Marokko gegen be­stimmte MigrantInnen geführt wird. An­dererseits fielen die Tage um Silvester in diesem Jahr mit einem mos­lemischen Fest zu­sammen, so dass auch Mitglieder marokkanischer Organisationen in Urlaub wa­ren. Ein weiterer Grund für die Re­gierung, noch vor Jahresbeginn 2007 mit spektakulären Aktionen gegen so­ge­nannte „illegale Migration“ ihre Kooperations­bereitschaft zu zeigen, waren anstehende Verhandlungen mit der EU über Ein­wanderungskontingente für Marok­kaner­Innen als benötigte Billigarbeitskräfte, z.B. in Spanien.

Die Ereignisse seit Weihnachten 2008

Seit dem 23. Dezember 2006 wurden in Marokko über 500 Personen, die aus Ländern südlich der Sahara stammen, bei Razzien durch Sicherheitskräfte fest­genommen, zunächst in Rabat, dann in Nador (bei Melilla), Lâayoune (West­sahara) und Ende Januar in Casablanca. Dabei wurde nicht beachtet, ob sie eine Auf­ent­halts­erlaubnis oder Flücht­lings­papiere vom UNHCR besitzen, ob sie schwanger, krank oder behindert sind. Ihr einziges „Vergehen“: ihre schwarze Hautfarbe. Alle wurden am frühen Morgen aus den Betten gerissen, in Busse gesetzt und nach kurzem Aufenthalt im Polizeikommissariat in Oujda in ein Wüstengebiet an der algerischen Grenze (die offiziell geschlossen ist) gefahren, mitten in der Nacht bei Tempera­turen um die 0 Grad dort ausgesetzt und mit Schüssen ge­zwungen, Marokko zu ver­lassen. Algerien vertrieb die MigrantInnen seinerseits mit Schüssen.

Vierzehn Tage nach Beginn dieser Ver­haftungen war es ca. 200 Personen gelungen, nach Oujda zurückzukehren, wo Menschen­rechts- und Flüchtlings­organisationen ein provisorisches Camp errichtet haben, das inzwischen aber mehrfach von der Polizei zerstört wurde. Nach Zeugenaussagen der an der Grenze abgesetzten MigrantInnen wurden den meisten von ihnen ihre Wertsachen abgenommen (Handys, Geld) und vielen ebenso ihre Pässe (Personal­aus­weise und Bescheinigungen des UNHCR). Einige von ihnen wurden gewaltsam angegriffen und Frauen Opfer von Ver­gewaltigungen. Viele sind körperlich sehr schwach, eine Frau aus der Republik Kongo, im fünften Monat schwanger, verlor ihr Baby. Busunternehmen und Taxifahrer weiger­ten sich, Schwarze mitzunehmen, so dass sie sich nur zu Fuß fortbewegen konnten.

Die zwiespältige Rolle des UNHCR

Erst durch (späte) Intervention des UNHCR schafften es einige als Flücht­linge oder AsylbewerberInnen re­gis­trierten Personen, wieder in ihre Wohn­orte zurück zu gelangen. Mehrere von ihnen sind jedoch erneut von Razzien betroffen. Die Regierung behauptet, es seien keine AsylbewerberInnen und anerkannten Flüchtlinge unter den Ver­hafteten. Die von der Polizei eingezogenen bzw. zerrissenen UNHCR-Papiere seien gefälscht. Der UNHCR ist nicht in der Lage, die bei ihm registrierten Flüchtlinge zu schützen. Er wird von der EU unter Druck gesetzt, die Politik der Auslagerung des Flüchtlingsschutzes mitzutragen und dient mehr und mehr als Alibi für diese Politik. Von der marokkanischen Re­gierung, die seinen Status nicht voll anerkannt hat, wurde dem UNHCR-Repräsentanten vorgeworfen, im Herbst 2005 eine Presseerklärung herausgegeben zu haben, dass er keinen Zugang habe zu den am Zaun von Ceuta und Melilla festgenommenen registrierten Flücht­lingen (die es nach Behauptungen der Regierung auch dort nicht gab), und auf Druck aus der UNHCR-Zentrale in Genf musste er sich dafür entschuldigen. Anfang Januar gab es Gespräche des UNHCR-Vertreters mit der marok­kanischen Re­gierung, in denen vom UNHCR u.a. zugesichert wurde, fäl­schungs­sichere Flüchtlingsausweise her­aus­zugeben, Ab­kommen mit der Re­gierung über die Registrierung der Flüchtlinge zu treffen und Proteste nicht mehr öffentlich zu äußern.

Regierungspositionen und Rechtlosigkeit der Migranten

Die marokkanischen Behörden stellten die Razzien als Maßnahmen auf Grundlage der Beschlüsse der Regierungskonferenz zum Thema Migration dar, die am 10. und 11. Juli 2006 in Rabat stattfand. Da sie keinerlei Interesse haben, trotz Un­ter­zeichnung der Genfer Flüchtlings­konven­tion und der Konvention über den Schutz der Wander­arbeiter und ihrer Familien durch die marokkanische Re­gierung sowie Ve­r­abschiedung eines entsprechenden na­tio­nalen Gesetzes (02/03), menschen­würdige Aufnahme- und Lebensbe­ding­ungen für Flüchtlinge und MigrantInnen zu schaffen, wird einfach geleugnet, dass es schutz­bedürftige Personen gibt. Men­schen­rechts- und Flüchtlings­organisa­tionen sollten bei der Sortierung in „gute“ und „schlechte“ MigrantInnen mitwirken, weigerten sich aber, dies zu tun und forderten stattdessen eine menschen­wür­dige Behandlung aller MigrantInnen, was z.B. das Recht auf Wohnung, Arbeitssuche und gesundheit­liche Versorgung ein­schließt. All diese Rechte werden Migrant­Innen aus dem sub­saha­rischen Afrika in Marokko ver­weigert. Sie sind gezwungen, in Ab­bruch­häusern oder auf der Straße zu schlafen, zu betteln, im Müll nach Nahrungsmitteln zu suchen und/oder sich zu prostituieren, um zu überleben.

Widerstand

Auf der euro-afrikanischen NGO-Kon­ferenz „Mi­grationen, Grundrechte und Be­­­we­gungs­­freiheit“, zu der sich am 30.6./1.7.06 mehr als 150 VertreterInnen von Flüchtlings- und Menschen­rechts­or­ga­ni­sa­tionen aus Europa, Subsahara- und Nord­afrika bei Rabat trafen, stellten Flüchtlinge und MigrantInnen ihre Si­tua­tion dar, es wurde über die EU-Mi­gra­tionspolitik diskutiert und ein Manifest mit gemeinsamen For­­derungen ver­ab­schie­det (siehe Bericht auf www.fluecht­lingsrat-hamburg.de unter dem Kon­ferenzdatum). Be­wegungs­­frei­heit wurde als Grundrecht und Vor­aussetzung zur Wahr­neh­mung anderer Grund­rech­te de­fi­niert. Eine Kund­ge­bung vor dem Par­la­ments­ge­bäude, in dem eine Woche spä­ter die Re­gierungs­kon­ferenz statt­fand, wurde or­ga­ni­siert. Ein „Nachfolge-Ko­mi­tee“ (co­mi­té de suivi) und eine E-Mail­liste wurden ein­ge­richtet, über die seitdem ein Infor­ma­tions­aus­tausch und die Ko­ordi­nierung von Aktivitäten, u.a. zum trans­nationalen Aktionstag am 7.10.06 und zum Weltsozialforum Ende Januar 2007 in Nairobi, laufen. Auch die Unter­stützung der von den Razzien und Abschiebungen be­troffenen Migrant­Innen und die Herstellung internationaler Öffentlichkeit darüber wurden erst durch diese Vernetzung möglich.

Am 22.1.07 fand im Unterausschuss für Menschenrechte des EU-Parlaments ein Hearing zu den Vorgängen in Marokko statt. Der ausführliche Bericht dafür ist auf terra.rezo.net/IMG/doc/VALLUY060107.doc nachzulesen (leider nur auf Französisch). Weitere Berichte und Dokumente, auch auf Deutsch, sind auf der oben angegebenen Website des Flücht­lingsrats Hamburg (unter dem Datum 23.12.06) zu finden.

Die aktiven Menschenrechts- und Flücht­lingsorganisationen in Marokko, die durch die dortige Regierung ständig über­wacht und von Festnahmen und Ent­führungen bedroht sind und kaum über finanzielle Mittel verfügen, benötigen dringend unsere Unterstützung und haben dafür auf einer Versammlung am 4.1.07 in Rabat einen Offenen Brief ver­ab­schiedet, der ebenfalls auf unserer Home­page steht und verbreitet werden sollte.

Conni Gunßer

Flüchtlingsrat Hamburg

(Der Artikel basiert auf Berichten von AktivistInnen aus Marokko)

Migration

BUKO30: macht#netze?

Fragen zum Internationalismus-Kongress

Der 30. „Bundeskongress Inter­natio­nalismus“ (der BUKO) findet in diesem Jahr vom 6. bis 9. April in Leipzig statt. Um die 130 entwicklungspolitische Organisationen, Solidaritätsgruppen, internationalistische Initiativen, 1-Welt-Gruppen und -Läden, Kampagnen und Zeitschriftenprojekte vernetzen sich im unabhängigen Dach­verband und bilden die „Bundeskoordi­nation Internatio­nalismus“ (die BUKO) – als einen „Ort linker, herrschaftskritischer Debatten“. Diese Leute finden sich mit vielen Anderen jährlich zusammen, um zu reden, zu hören, zu streiten und vieles mehr. Eine Mitorganisatorin aus der Leipziger Vorberei­tungs­­gruppe gibt Einblick in den Entwick­lungs­prozess und in bereits gesetzte Schwer­punkte.

FA!: Wer bereitet den Kongress vor und wie habt ihr euch gefunden?

Das ist jetzt natürlich bloß meine Sicht der Dinge: Im Herbst letzten Jahres gab es mehrere Treffen im linxxnet und irgendwann hat die handvoll Interessierter – im Beisein der beiden Leute von der in Hamburg eingerichteten Geschäftsstelle – sich für einen BUKO in Leipzig ent­schieden. Wegen der mangelhaften „Rückbindung in die linken Gruppen“ war unsere Unsicherheit groß. Zusammen sitzen nun u.a. Leute von StuRa, attac, der Kamera-Initiative, aber auch „Ungebun­dene“ – viele von den „üblichen Verdäch­tigen“ haben aber entweder keine Lust auf Orga-Kram oder politische Vorbehalte. Die auch politisch heterogene Vorberei­tungs­gruppe versteht sich wie auch der und die BUKO insgesamt als undog­matisch und versucht, einen emanzi­patorischen Anspruch zu verwirklichen. Die meisten haben noch nie beim BUKO oder einem vergleichbaren Großprojekt mitgemacht und profitieren von den sammelbaren Erfahrungen.

FA!: Kannst du mir ein Bild vom aktuellen Stand geben?

Bis jetzt gab es ca. fünf bundesweite Vorbereitungstreffen in Leipzig, bei denen die inhaltliche Ausrichtung entwickelt und die Arbeitsgruppen gefunden bzw. vorgestellt wurden. Auch dazwischen gab es über eine Mailingliste viele Diskussions­prozesse z.B. zum Selbstverständnis und zur Kongresszeitung, die nun überall ausliegt. Dabei gab es auch Konflikte bezüg­lich Hierarchiebildung und Um­gangs­weisen untereinander, die leider auch Einzelne zum Ausstieg bewegt hat.

Wöchentlich trifft sich im linxxnet die lokale Gruppe, um infrastrukturelle und Leipzig-bezogene Organisationsfragen zu klären bzw. zu koordinieren. Seit kurzem gibt es außerdem ein Büro, indem jetzt die konkreten Anfragen, der zeitliche Ablauf, die Raumvergabe usw. bearbeitet werden. Der Ort steht übrigens noch nicht fest, wird aber wahrscheinlich Räumlichkeiten der Uni betreffen.

FA!: Was habt ihr inhaltlich vor?

Von den Teilnehmenden an der Vorberei­tungsgruppe werden unter fol­genden Knotenpunkten Ver­an­stal­tungen vorbe­reitet: Mi­gration, An­ti­mi­li­ta­ris­mus, Ge­schlecht, Ener­gie, Pri­va­ti­­sierung, Wi­der­­stand, Or­ga­ni­sierung und „un­­ge­woll­te An­schlüsse“.

Zu Migration ar­bei­ten Leu­te in Berlin bzw. Bran­­denburg (felS und FIB) und LeipzigerInnen (u.a. von der Umtausch­ini­tiative). Die Ini­tia­ti­ve Flughafen natofrei bereitet Ver­an­staltungen zum Thema Krieg und eine Großaktion am Ostersonntag vor. Leute aus Frankfurt planen zahlreiche Work­shops zu „Macht-Geschlecht-Po­li­tik“; die AG Energie arbeitet diesmal zur Energie­politik der G8-Staaten. Aus Bremen und Hamburg wird Privatisierung am Beispiel Bertels­mann intensiv beleuchtet. Wider­ständige Praxis und Organisierungsfragen sind ein weiteres Arbeitsfeld. Verschiedene Einzel­personen und Gruppen, bisher z.B. der Frankfurter Macht-Geschlecht-Politik-AG und der engagierten Wissen­schaft der Uni Leipzig wollen Anti­semitismus, Rassismus und andere Ver­schwörungs­theorien thematisieren.

Wer interessiert ist, kann sich in der Kongresszeitung und bald auch auf der Homepage genauere Informationen holen, das endgültige Programmheft wird er­fahrungsgemäß erst kurz vor Beginn fertig sein.

FA!: Wie und warum seid ihr auf das Motto gekommen und wo findet es sich wieder?

Sowohl Herrschaftsverhältnisse wie Ka­pitalismus, Rassismus und Sexismus, als auch die anderen genannten Themen­felder können nicht losgelöst von­einander betrachtet werden. Die Cross-Over-Konferenz 2002 stand Pate für das doppel­sinnige ‚macht#netze´. Für Wider­stand und Emanzipation ist dann sowohl ei­ne we­ni­ger pla­ka­tive An­a­ly­se nötig, als auch kollektive Er­mäch­tigung, z.B. in Form von verbindlicher Zusammenarbeit verschiedener „Ein-Punkt-Be­we­gungen“ und über Heiligendamm hinaus.

Nicht zuletzt wegen der Agenda-Setzung G8-kritischer Bewegungen gab es den Wunsch nach einem Zusammendenken der politischen Felder. Ebenso wie danach, dass das Streben nach einer freien Gesell­schaft methodisch umgesetzt wird: mehr Austausch von Erfahrungswissen, weniger Frontalsituationen, Abbau von Domi­nanz­­verhalten, Theorien für Bewegung …

Die Verknüpfung der Themen soll durch spezielle Veranstaltungen geschehen, die aber trotzdem von thematisch festgelegten Arbeitszusammenhängen vorbereitet werden. Zeit zum untereinander Ver­netzen wird es außerdem geben. In der Eröff­nungs-, Abend- und auch in der Abschluss­veranstaltung soll das Netz-Prinzip ebenso verwirklicht werden, wahrscheinlich durch Rückblicke auf 30 Jahre Widerstand und über Gespräche anhand des Kongress­mottos und der gelaufenen Workshops.

FA!: Wie wird das dann konkret ablaufen?

Das werden die Teilnehmenden zum Glück zum größeren Teil selbst in der Hand bzw. im Kopf haben, auch und ge­rade, wenn sich ein sehr umfangreiches An­gebot an Veranstaltungen abzeichnet. Es wird auch immer Raum für selbst­or­ga­nisierte Work­shops geben. Freitag gibt es inhaltliche Einführungsangebote und den großen Auftakt; Samstag laufen Workshops und eine öffentliche Abend­ver­an­staltung (noch offen). Am Oster-(marsch-)sonntag ist nach der „Phase des Zu­sammendenkens“ Zeit, aktiv zu werden (z.B. am Flughafen) und Netze zu machen, abends dann die Abschlussparty und Montag die inhaltliche Ab­schluss­veranstaltung.

Ansonsten sind wir für jede Hilfe vor und während des Kongresses sehr dankbar: Schlafplätze, Gemüse, Notfallhilfe und so weiter für 500-1500 zu Erwartende wollen auch gestemmt werden. Das Büro und das montägliche Treffen halb Acht im linxxnet freuen sich auf Besuch und Mithilfe.

Soziale Bewegung

Mein Körper gehört MIR, bis zum letzten Nukleotid!

DNA-Analyse

Europas Innenminister können jubeln, denn das genetische Material des Menschen liefert eindeutige, gerichtlich anerkannte Daten. Seit 2000 verweisen PolitkerInnen verstärkt auf akt­uelle Ereignisse der internationalen Politik, um die innere Sicherheit zu erhöhen und die Macht der herrschenden Klasse zu sichern. 2004 nannten die JustizministerInnen der EU die internationale Vernetzung der na­tionalen DNA-Dateien als eines der wichtigsten Ziele.

Law & Order – Entnahme & Verweigerung

Unterschieden werden muss zwischen der Entnahme einer DNA-Pro­be, die staatsanwaltlich angeordnet werden kann und dem eigentlichen Ana­lyseverfahren, für das ein richterlicher Beschluss notwendig ist! Bei „anonymen Spuren am Tatort“ und „Gefahr im Verzug“ gilt der Richtervorbehalt nicht mehr und eine Staats­anwältIn oder die Po­li­zei darf die Entnahme anordnen. Der richterliche Beschluss kann umgangen werden, wenn die betroffene Person von der Staats­anwaltschaft oder den Bullen angeschrieben wird und freiwillig ihre DNA abgibt, mensch kann aber auch zur DNA-Entnahme ge­zwungen werden! Zwar kann mensch die Entnahme aus einer Körperöffnung ver­weigern, in diesem Falle wird jedoch Blut abgenommen.

Schon vor der WM 2006 gab es Bestrebungen, die DNA von Personen, die zu gewissen Gruppen-Dateien zählen (z.B. Gewalttäter-Sport/ linksmotivierte Gewalttäter-Datei, LiMo) zwangsweise zu ent­nehmen und „vorsorglich“ zu analysieren. Ebenso gibt es schon seit einigen Jahren Vorstöße von PolitikerInnen, den richterlichen Be­schluss komplett aufzuheben und die DNA-Entnahme als Standard in die ED-Behandlung der Polizei zu integrieren. Bei DNA-Massentests, wie etwa im letzten Jahr in Coswig (1), ist die Freiwilligkeit bei der Teilnahme garantiert. Jedoch folgt der freiwilligen Ver­weigerung die unfreiwillige Belästigung durch PolizeibeamtInnen…

Speicherung

Bei laufenden Ermittlungsverfahren können Spuren und DNA-Material von StraftäterInnen vom Bundeskriminalamt (BKA) gespeichert werden. Laut Wikipedia kom­men täglich ca. 200-300 Datensätze hinzu. Aktuell (01‘07) um­fasst die Datei des BKA ca. eine halbe Million Einträge.

Bei Massentests sieht das Gesetz(!) vor, die für laufende Verfahren nicht mehr relevanten DNA-Informationen unverzüglich zu vernichten. Wer dem (Rechts- )Staat traut, braucht sich keine Sorgen zu machen… Die DNA-Entnahme und Speicherung in einer BKA-Analysedatei ist „verfassungsgemäß“, wenn der/die TäterIn wegen Straf­taten erheblicher Schwere verurteilt wurde, also z.B. Mord und schwere Kör­perverletzung. Zudem muss begründeter Verdacht auf Wieder­holungsgefahr bestehen.

Datenaustausch

Das Schengener Informations-System II (2) wandelt sich vom Infor­ma­tions- zum Ermittlungssystem mit derzeit ca. 14 Millionen Da­tensätzen : u.a. Informationen über AsylbewerberInnen, gesuchte Personen und gestohlene Dinge. Geplant ist die Aufnahme von biometrischen Merkmalen, Finger­abdrücken, Lichtbildern und auch ein DNA-Abgleich. Die „Superdatenbank“ wird mit anderen Datenbanken (wie INPOL-Neu (3)) vernetzt und ist für Geheimdienste, EUROPOL (4), EURO­JUST (5). Grenzpolizei und KFZ-Registrierungsstellen zugänglich. Für ei­nen Datenaustausch innerhalb der EU genügt es bereits, verdächtigt zu werden, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu ge­fährden. Ein Richterbeschluss ist nicht erforderlich.

Präventive DNA-Analyse

Eine weitere Möglichkeit der DNA-Entnahme und Analyse ist die prä­ventive DNA-Entnahme. Dabei kann im Rahmen eines Er­mittlungsverfahrens DNA ohne Richterentscheid analysiert werden, wenn dem/der Betroffenen Straftaten erheblicher Schwere vorgeworfen wer­den und „begründete Wiederholungsgefahr“ besteht. Dabei ist letztere meist nur eine willkürliche Be­schuldigung der Polizei.

Mit der Neuregelung der DNA-Analyse im November 2005 wurde die präventive DNA-Analyse und -Speicherung auf die prognostizierte Wiederholung „nicht erheblicher Straf­taten“ ausgeweitet, was im polizeilichen Alltag auch schon Praxis war. Das Bundesjustizministerium führt für solche „nicht er­heb­lichen Straftaten“ mit Wiederholungsgefahr Hausfriedensbrüche und Sachbeschädigungen an. Letztendlich, und das sollte uns bewusst sein, geht es um die Sammlung der DNA-Daten von möglichst vielen Menschen…

Wie verhalte ich mich bei DNA-Entnahme?

* Keine Aussagen, keine Unterschriften!

* Keine Einwilligung zur DNA-Entnahme unterschreiben! Damit bleibt der Richtervorbehalt bestehen und die Entnahme kann später besser angefechtet werden.

* Wahrscheinlich droht die Polizei mit einer zwangsweisen Blutabnahme. Diese muss aktuell NOCH von einer/einem RichterIn angeordnet werden. Besteht darauf, dass dies rechtlich nicht möglich ist. Verlangt nach eurem Anwalt/eurer Anwältin. Immer gilt: Die Blutabnahme muss von einem Arzt/einer Ärztin durchgeführt werden!

* Legt explizit Widerspruch gegen die DNA-Entnahme ein und lasst ihn schriftlich festhalten! Es kann wichtig sein, die Löschung der Daten zu beantragen.

* Es hat sich gezeigt, dass ein/e anwesende/r Rechts­anwältIn fragwürdige Maßnahmen zumindest zu diesem Zeitpunkt verhindern kann. Informiert ein/e AnwältIn eures Vertrauens, eure Rote Hilfe Ortsgruppe oder den EA. Euch steht bei jeder Festnahme ein Anruf bei einer Person eures Vertrauens zu! es kann wichtig sein, die Löschung der Daten zu beantragen und gegen die Entnahme Einspruch einzulegen. Häufig läuft dies auf eine Feststellungsklage beim Verwaltungsgericht hinaus. Wendet euch an die Rote Hilfe oder den EA.

* Lasst Euch nicht einschüchtern!

KEEP COOL. Bedenkt die Konsequenzen!

(1) Aufgrund von Sexualverbrechen wurden dort Massentests an Männern zwischen 25-45 durchgeführt. Vorgesehen waren 80.000 Freiwillige.
(2) Schengener Informationssystem (SIS) – nichtöffentliche Datenbank, mit Personen und Dingen, nach denen im Schengen-Raum gefahndet wird.
(3) Bundesweit einheitliches polizeiliches Informationssystem.
(4) Europol oder Europäisches Polizeiamt ist die europäische Polizeibehörde in Den Haag.
(5) Eurojust oder Europäische Einheit für justizielle Zusammenarbeit ist die europäische Justizbehörde (Den Haag).

Rote Hilfe

WSF: Protestieren, vernetzen, agieren*

Vom 20.-25. Januar 2007 trafen sich in Nairobi, Kenia, circa 50.000 (1) GlobalisierungskritikerInnen und Gras­wurzel­aktivist­Innen, Nichtregierungsorganisationen (NGOs), Hilfs­werke, kirchliche Vereinigungen und Stiftungen aus allen Kontinenten unter dem Motto: „Eine gerechtere Welt ist möglich“ zum siebten Weltsozialforum (WSF). Der Gipfel sollte vor allem den sozialen Bewegungen Afrikas die Gelegenheit bieten, auf ihre Kämpfe aufmerksam zu machen. Auf über 1.200 Workshops, Seminaren und Kundgebungen wurden Themen wie Hunger, Aids, die Schul­d­en­­problematik der Entwicklungsländer und gewaltsame Konflikte behandelt.

Eröffnet wurde das Forum von mehreren bunten Demonstrationen, die zur Auftakt­veranstaltung zogen. Eine startete am Rande des Mega-Slums Kibera, ein weiterer ökumenischer Zug vereinte verschiedene kirchliche Organisationen und Hilfswerke. Es sprachen Aktivist­Innen sozialer Be­wegungen aus dem Nahen Osten, aus Afrika, Lateinamerika, Asien und Europa sowie der ehemalige Präsident von Sambia, Kenneth Kaunda, die mehrmals an die Unabhängig­keitskämpferInnen gegen 500 Jahre (Neu)-­Kolonialismus erinnerten.

Viel Raum nahmen Themen wie EPAs („bilaterale wirtschaftliche Partner­schafts­abkommen“), Landverteilung, der Kampf gegen die Obdachlosigkeit und Migration ein.

Das Weltsozialforum entstand 2001 als Gegengipfel zum Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos, welches den Triumph des neoliberalen Kapitalismus fest­schreiben will. Das WSF steht in der Nachfolge der Proteste in Seattle 1999 gegen das Treffen der Welt­handels­organisation (WTO), das daraufhin abgebrochen werden musste. Die Kon­zeption des WSF als „Anti-Davos“ sollte dafür sorgen, den KritikerInnen der Zu­mutungen der ökonomischen Welt­ordnung eine deutlich vernehmbare Stimme zu verleihen. Der Umfang des Treffens hat seit 2001 beständig zu­genommen. Anders als reine Protest­veranstaltungen sind diese Treffen auf konstruktiven Protest, Selbst­er­mächt­igung und die solidarische Ver­netzung der Kämpfe der Armen ausgerichtet.

Doch solche Erwartungen wurden dieses Jahr im Kasarani Moi International Sports Centre, einem großen Fußball­stadion, das für das WSF gemietet worden war, ent­täuscht: Die größten Schlagzeilen machte der Protest der Armen aus dem nahe gelegenen (Mega-Slum) Kibera, die die Umzäunung des Stadions durch­brachen und niedrigere Eintritts- und Verpflegungspreise forderten.

Aus Protest gegen die Kom­merz­iali­sierung (die Handy-Firma Celtel trat überall sichtbar als Hauptsponsor auf und über­nahm die Registrierung der Teil­nehmer­Innen) und die hohen Kosten, die den TeilnehmerInnen entstanden und für viele unbezahlbar waren, bildete sich in einem Park in der Nähe des Stadtzentrums ein Peoples’ Parliament. Hier diskutierten SlumbewohnerInnen, Stu­dierende, Er­werbs­­lose, und Beschäftigte ver­schieden­ster Herkunft miteinander. Auf einer der Versammlungen wurde eine Delegation gewählt, die mit der Orga­nisations­leitung des WSF die strittigen Punkte verhandeln sollte. Da jene sich aber uneinsichtig zeigte, wurden am nächsten Morgen die Einlässe kurzzeitig gestürmt, wodurch etwa 200 Personen kostenlos Zutritt erhielten. Ein erneutes Treffen mit dem Organisationsleiter, Profes­sor Oyugi endete ergebnislos und am anderen Tag wurde die nochmalige Besetzung der Einlässe durch Polizei- und Armee­einheiten vereitelt. In Reaktion darauf blockierten Einige die Haupt­zu­fahrts­straße, bis die Tore nach rund 30 Minuten wieder geöffnet wurden. Ein Protestzug begab sich anschließend zum Or­gani­sations­­komitee, um eine dauer­hafte Lösung, kostenloses Wasser und gün­stigeres Essen durchzusetzen. Dies gelang teilweise, nachdem eine Presse­konferenz gestürmt worden war und die Kenianer­Innen freien Zugang zu den Diskussionen und Work­shops erhielten. Als dann eine bekannte Tageszeitung meldete, dass dem unbeliebten kenianischen Minister für innere Sicherheit das teuerste Restaurant der Stadt gehört (noch dazu das einzig zentral gelegene auf dem WSF), wurde erneut eine Demon­stration organisiert. Die Protestierenden besetzten an­schlie­ßend das Hotel und verteilten reihen­weise kostenloses Essen an Kinder.

Bemängelt wurden neben der Kom­merz­ialisierung auch die mangelnde Thema­tisierung des Klima­wandels und des rasanten Wirtschafts­wachstums von Staaten wie China, Indien und der Türkei.

An der Frage, ob Frauen ausreichend Raum auf dem Treffen in Nairobi ein­geräumt wurde, schieden sich die Geister: So sprechen (z.B. Organisationen wie WEED und attac) von einem sehr erfolgreichen Treffen und sind der Ansicht, dass die Frauen­initiativen be­sonders erfolgreich dabei gewesen seien „Gen­der-Themen mit den übrigen Schwer­­­­­­­punkten des Treffens in Nairobi zu verbinden und hierfür Gehör zu finden.“ (2) Andere sahen eine massive Unter­repräsentanz von Frauen, sowohl unter den TeilnehmerInnen als auch unter den Vorbereitenden. Der Prozess der Kon­ferenz wird als männlich dominiert und zentralisiert beschrieben, was die Be­völkerungs­struktur in Kenia wider­spiegele. Insgesamt seien Frauenbelange inner­halb der Tagung, wie auch in Ostafrika allgemein am Rande geblieben.

Hoffnung in der „Frauen­frage“ weckt das zunehmende Bewußtsein der Teil­nehmer­Innen der Veranstaltung be­züglich dieser Problematik. In den vergangenen Jahren bildeten sich vor allem dank emanzipierter Frauen Sozial­foren in Uganda, Tansania, Kenia, Äthiopien und Somalia. Auch innerhalb des diesjährigen Treffens musste mann sich hin und wieder Fragen gefallen lassen, wobei es durchaus Männer gibt, die die Notwendigkeit des ge­mein­samen gleich­berechtigten Kampfes erkennen. (3)

Positiv hervorgehoben wurde von mehr­eren TeilnehmerInnen trotz aller Kritik vor allem die Funktion des WSF als „Markt­platz“ für Erfahrungsaustausch und Vernetzung. Wer wollte, konnte seine Kontakte international erweitern und ausbauen. Dies gelang insbesondere den Netzwerken gegen Wasser­privat­isierung, Krieg und Militärbasen.

Die künftige Herausforderung für das Weltsozialforum wird es sein, seinen Platz in der Realität zu finden, sich klar zur Klasse der Armen und Arbeitenden zu positionieren und dabei die chaotische Verschiedenheit der Debatten zu bündeln und zu ko­ordinieren.

In kompakter Form liest sich dies in der Charta des WSF so: „Das Welt­sozial­forum ist ein Prozess, der seine Teil­nehmer­organisationen und -bewegungen anregt, ihre Tätigkeiten in die Zu­sammenhänge von lokalen bis nationalen Ebenen hinein zu stellen, und aktive Teilnahme im inter­nationalen Kontext zu suchen, als An­liegen einer planetarischen Staats­bürger­schaft, und in die globale Agenda ihre Veränderung her­vorbringenden Prak­tiken, mit denen sie experimentieren, eine neue Welt in Soli­darität auf­zubauen, einzubringen.“ (4)

hana

* „The World Social Forum is about three things (…) about protesting, networking and ptroposing“. www.weltsozialforum.org/2007/2007.wsf.1/2007.wsf.meldungen/news.wsf.2007.163/
(1) Die Quellen nennen Teilnehmerzahlen zwischen 20 -50.000.
(2) Frank Kürschner-Pelkmann, WEED, www.weltsozialforum.org/2007/2007.wsf.1/2007.wsf.meldungen/news.wsf.2007.197/
(3) www.germany.indymedia.org/2007/01/166550.shtml
(4) www.weltsozialforum.org/prinzipien/index.html
Quellen:
www.taz.de/pt/2007/01/20/a0191.1/text, www.germany.indymedia.org/2007/01/166550.shtml
www.weltsozialforum.org/2007/2007.wsf.1/2007.wsf.meldungen/index.html?Partition=1

Soziale Bewegung

Rechte und Recht

Wer will, kann es im Grundgesetz nachlesen: die BRD ist ein Rechtsstaat, mit Gewalten­tei­lung, unabhängiger Justiz und Gleichheit vor dem Gesetz. Soweit die Theorie. In der Pra­xis aber scheinen manche gleicher als an­dere zu sein: Seit Wochen geistern Meldungen durch die Presse, es hätte in den 90er Jahren in Sachsen Vorfälle von ver­suchtem Mord, Be­stechung und „Prosti­tutions­service“ für Po­li­tiker gegeben. Dies hätte nie an die Öffent­lich­keit gelangen sollen, denn die Ermitt­lun­gen wurden vom Verfassungsschutz betrie­ben, der dazu nicht befugt ist. Rasch folgten Kon­se­quenzen: der zuständige Chef bei der Ver­fassungsaufsicht wurde entlassen. Die ge­sam­melten Akten­berge wurden ein Jahr lang von einem parlamentarischen Ausschuss ge­sich­tet und danach ver­nichtet… In die Vorfäl­le sollen viele verstrickt sein: Politik, Justiz und Ver­waltung; damit etwas zu tun gehabt ha­ben will keiner und so genau wollen es die Meisten wohl auch nicht wissen.

Um­so genauer wussten Medien und Polizei da­für schon im Vorfeld des G8-Gipfels, dass sie es mit Schwer­verbrechern zu tun haben, ge­gen die auch ohne Beweise vorgegangen wer­den kann und wurde. Aus Seifen­blasen­schaum wurde Säure, aus Anti-Kriegs-Reden Ge­walt­aufrufe. Wochen vorher wurden Woh­n­ungen und linke Projekte durchsucht, Briefe ab­gefangen und geöffnet – auf Verdacht… Wäh­rend des G8-Gipfels selbst wurde die Rei­se- und Versammlungs­freiheit ein­ge­schränkt, die Bundeswehr im Inneren einge­setzt, Men­schen wegen ihrer Anwesenheit an­ge­griffen, festgenommen und misshandelt. Die Ver­hafteten erhielten einen Vorge­schmack auf Zustände in anderen Ländern: sie verbrachten die Zeit einge­pfercht in Kä­fige, ohne medizinische und andere Versor­gung, dafür mit Dauer­be­leuchtung und-Über­wachung. Für sie galt die Gewalten­tei­lung nicht: von der Polizei gestellte Richter ent­schieden ohne Anwälte. Der geschaffene re­­pressive Raum wird von den staatlichen Be­hör­den fleißig genutzt: in der Woche nach dem Gipfel wurden erneut Wohnungen und Pro­jekte durchsucht. Man vermutet dort ter­rori­stische Vereinigungen, finden wird man wohl anderes…Ein Schelm, wer da an poli­tisch motivierte Rechts­auslegung denkt…

(hannah)

Demographische Bewegungen

Es geht wieder was in Leipzig. Nicht un­bedingt in dieselbe Richtung oder zur glei­chen Zeit. Dafür aber mit Ausdauer und ei­ner gewissen Trotzigkeit. Seit Anfang Ap­ril häu­fen sich für wachsame Beo­bachter­In­nen die Gelegenheiten in der Innenstadt oder ent­lang der Karli Demon­strationen von mehre­ren hundert Men­schen an sich vor­überziehen zu lassen.

Die Ersten, denen es nach dem Winter zu eng in den Häusern wurde, waren die sog. „Links­autonomen“, Antifas und Leute aus dem libertären Spektrum. Zur Verteidigung des inzwischen ger­äum­ten Ungdomshuset (Ju­gend­haus) in Kopen­hagen, zogen einige Hundert Men­schen von Connewitz Rich­tung In­nenstadt. Das Ungdomshuset war ein Ge­bäu­de im Ko­pen­hagener Stadtteil Nørrebro. Ur­sprüng­lich Zentrum der Ar­bei­ter­bewe­gung, stellte es die Stadt 1982 nach einer Be­setzung als Jugendzentrum zur Ver­­fügung. Es fun­gierte seitdem als Treff­punkt verschiede­ner linker Gruppen, sowie als Veranstaltungs­ort von Konzerten und Festivals.

Kaum war dieser Anlass verschwunden, tauch­te der nächste auf: Nazis sollen einige Pun­­­ker vorm Hauptbahnhof überfallen, ei­nen Welpen getötet und einen Punker kran­ken­­hausreif geprügelt haben. Die Spon­tan­­de­mo aufgrund dieses Überfalls mit etwa 300 Menschen ließ nicht lange auf sich warten.

Nächster Anlass für spontane Wut waren die Durchsuchungen der Polizei am 9. Mai von auto­nomen Projekten, wie der „roten Flora“ (Ham­burg) im Vorfeld des G8-Gip­fels, die nicht einfach so hin­genommen wer­den konn­ten. Insgesamt sechs Mal liefen mehrere hun­dert Leute von Conne­witz Richtung Innen­stadt, um die Legi­timität von Anti-G8-Protesten zu unter­streichen.

Para­llel dazu machten sms-Ketten die Run­de, die zu Spontandemos gegen Na­zis aufriefen, bei der so mancher Nach­mit­tag und Abend drauf ging. Insgesamt fünf Mal hieß es: „raus auf die Straße und Ge­sicht gegen Faschismus zeigen“. Der har­te Kern traf sich am 18. Mai zur vor­erst letzten Antifa-Spontan-Demo am Haus Leip­zig, welche auf dem Nach­hau­se­­weg am Szeneladen „Unter­grund“ vor­bei­­­skan­dierte: „Unter­grund wir sind da, Au­tonome Antifa!“. Wat mut, dat mut.

So manche/R der/die glaubte, die näch­sten Abende könne mensch sich ruhigen Ge­­wissens in die Kneipe oder zum Tisch­­ten­nis ins Zoro begeben, hatte sich geirrt. Am 24. Mai hieß es erneut raus auf den As­phalt und zwar für eine Stadt für alle! Also eine, die nicht Wach­dien­sten, La­den­besitzern, Einkaufs­meilen und Über­wa­chungs­kameras gehört. 700 Leu­te fan­den sich ein, darunter einige Rebel-Ar­my-Clowns und trafen auf leicht reizbare Cops. Da reichte es schon mit Kreide ein Dienst­fahrzeug anzuma­len, um film­reif ver­­haftet zu werden. Da nun aber die Leip­ziger­Innen eine gewis­se Rou­tine ha­ben, blieb die Demo ein­fach so lange vor Kar­stadt stehen, bis der Clown wieder ge­hen konnte.

Die „Faszination Protest“ hat – nach­dem die Telekom-Chefs mit miesen neu­en Ar­beitsverträgen den Anlass dazu ge­­liefert hat­ten – auch auf einige ihrer Arbeiter­Innen übergegriffen. Am 23. und 30. Mai liefen die Gewerk­schaftler­Innen für ihre Ar­beitsplätze durchs Zentrum. Und wol­len dies bei Fort­bestehen des An­lasses auch weiter tun.

Wer trotz dieses vielfältigen An­ge­botes noch nicht die Demo(s) seiner Wahl ge­fun­den hat, könnte auch bei den wieder­belebten Mon­tags­pro­testen mit­gehen. Der Grund für diesen Protest existiert schließ­lich auch immer noch.

(hannah)

P.S: Man ahnte es zwar kaum, aber natürlich waren auch am 6. Juni spontan und parallel zu Heiligen­damm Leipziger auf der Straße. Wofür: unklar, wogegen? Gegen Polizei­repres­sion zu G8.

Es war einmal …

Der Leipziger Ermittlungsausschuss zum Umgang mit Gerüchten, Klatsch und Informationen aus zweiter Hand

„Hast Du schon gehört? Heute Abend haben sich 40 Nazihools für´s Conne­witzer Kreuz angemeldet…“ Wer kennt solche oder ähnliche Erzählungen nicht?

Mitte März wurde berichtet, dass Pun­ker_innen auf dem Vorplatz des Leipziger Hauptbahnhofs überfallen und brutal zu­sam­men geschlagen wurden. Es gab die un­ter­schied­lichsten Aussagen zu diesem Vorfall. Sie reich­ten vom Tod eines Hun­des, Men­schen die mehrere Tage im Koma lagen, bis zum Mes­ser im Rücken. Wegen der enormen Bru­talität des Ereignisses ver­sammelten sich viele Men­schen und de­mon­strierten spontan von Conne­witz in die Leipziger Innenstadt. Was an diesem Tag genau passierte, ist allerdings wei­ter­hin unklar. Bis heute sind eine Menge Gerüch­te und widersprüchlicher Infor­ma­tio­nen im Umlauf. Ein Großteil der „Berichter­stat­­tung“ kann auf indymedia nachgelesen werden. Jedoch konnte bislang keine der In­for­ma­tionen bestätigt werden, Augen­zeu­g_innen oder gar Betroffene haben sich, trotz der ganzen Aufregung, bislang nicht zu Wort ge­meldet. Genau dies wäre aber notwendig, um die Betroffenen unter­stützen zu können und eine dem Thema angemessene Öffent­lichkeitsarbeit zu leisten. Dieses Beispiel macht einmal mehr deut­lich, wie wichtig es ist, bei der Verbrei­tung von Informationen ei­ni­ge Standards zu be­achten. Denn eine miss­lun­gene bzw. un­be­­dach­te Veröffentlichung von Ereig­nis­sen kann erhebliche Folgen haben.

Warum?

Gerüchten schüren Ängste. Dies kann zur Erlahmung ganzer Strukturen führen. Solange un­klar ist, was geschehen ist, so­lange ist auch un­klar, wie am besten zu reagieren ist, um sich selbst nicht zu gefährden und um die Inte­ressen der Opfer von Übergriffen zu schüt­zen. Auch die übertriebene Darstel­lung von Gescheh­nis­sen ist problematisch. Wenn kras­se Vor­fäl­le als unbestätigte Ge­schichten in der Stadt oder im Internet kur­sieren, oder sich im Nachhinein als unwahr oder über­spitzt herausstellen, führt das zum Einen dazu, dass die Betroffenen für unglaubwürdig ge­hal­ten werden. Zum Zweiten kann sich mit der Zeit ein gewisser Gewöh­nungs­­­effekt ein­stel­len, Vorfälle werden weniger ernst genom­men und im Ernstfall bleibt der ein oder die an­dere dann eben lieber zu Hause.

Viele von Euch nutzen das Internet, um In­for­ma­tionen weiterzuleiten, z.B. indy­media, blogs oder communities wie z.B. myspace. Dann solltet ihr euch immer im Klaren sein: je­des Posting ist nachvoll­zieh­bar. Denn je­dem Posting wird eine eigene IP­­-Adresse zu­ge­­ordnet und über diese seid ihr dann auf­­find­bar! (1) Wenn ihr im Inter­net über Nazi­­überfälle oder Übergriffe von Bul­len etc. berichtet, sollte euch also bewusst sein, dass virtuelle Diskussionen und Berichte über Vorkommnisse reale Konsequenzen ha­­ben. Die Folgen einer un­überlegten Ver­öf­fent­lichung im Inter­net sind meist nicht vor­hersehbar. So können sich zum Beispiel Leu­­te überlegen, eine Spontandemo durch­­zu­­führen. Po­stings können aber durch­aus auch ein juri­stisches Nachspiel für euch (oder an­dere!) haben, wenn ihr dort z.B. zu Ge­walt­taten oder Sach­­beschä­digung auf­ruft. Falls ihr über eine Aktion be­richtet, könnt ihr auch Ge­fahr laufen, als Zeug_in oder als Be­schul­digte_r vorge­laden zu wer­den. Übertriebe­ne Darstellun­gen im Netz wer­­den von Poli­zei und Presse nur zu gern ver­­wendet, um gegen linke Ak­tivitäten zu hetzen oder z.B. zukünftige Demonstra­tio­nen zu verbieten.

Deshalb!

Verbreitet Gerüchte und Informationen nicht weiter, ohne dass diese bestätigt wur­den. Fragt bei der Person, die euch die Neuig­­­­keit überbringt nach, woher er oder sie diese die Informationen hat. Dann über­­legt erst mal, kennt ihr diese Person, hal­tet ihr sie für vertrauenswürdig oder ist sie euch eher aus anderem Zusammen­hang als Tratsch­tante oder Tratschonkel be­kannt?

In­for­mationen oder Berichte auf indy­me­dia oder in Weblogs sollten von Be­trof­fe­nen oder Augenzeug_innen selbst ge­schrie­ben werden. Diese Regel gilt vor allem für die erste Veröffentlichung einer In­for­ma­tion. Die Infos aus solchen Be­rich­ten soll­ten dann sobald wie möglich durch Fakten kon­­kre­tisiert oder demen­tiert werden. Zu eu­­rem eigenen Schutz und zum Schutz von Be­­­troffenen bzw. Be­teiligten: überlegt euch ge­nau, was ihr wie im Internet veröffent­lichen wollt und wa­rum. Fragt euch vor­her: Welche Informa­tio­nen sind wirklich wich­tig und auf wel­che Details kommt es gerade nicht an? Das gilt erst recht bei Ak­tions­­be­richten. Über­legt also, ob es für Drit­­te relevant ist, dass ihr in der letzten Nacht in der Nähe euer Schule „ein super gei­­les Graf­fiti“ gesprüht habt oder welche il­lega­li­sierten Substanzen ihr bei der letzten Par­­ty „ge­schmis­sen“ habt. Seid euch bei Pos­­tings im Internet im­mer bewusst, dass die­se nicht nur von ei­nem kleinen Freun­des- oder Szene­kreis, son­dern auch von Na­zis oder Bullen gelesen wer­den können und auch gelesen werden. In diesem Zusam­men­­hang sei auch noch mal erinnert: NIE aber auch NIE euren rich­tigen Namen im Internet ver­­wenden!!! (2) Das be­deu­tet auch, dass ihr Postings, in de­nen Dritte über ein Ereignis berichten, nicht vor­­schnell Glauben schenken solltet. Und un­ab­hängig davon: glaubt nicht alles, was auf indymedia, myspace und Co. zu le­sen ist. Dort kann jede und jeder posten, al­so auch Nazis, Bul­len und Selbstdar­stelle­r_innen, die auch ger­ne mal Opfer sein wol­len und deshalb sinn­los über­trei­ben. Damit meinen wir nicht, dass ihr Be­richten von Über­fällen im Internet oder von Dritten gar nicht mehr glauben sollt. Wir raten euch ein­fach, an solche Veröf­fent­lichun­gen und Er­zäh­lungen mit ei­nem gesunden Miss­­trauen und Men­schen­ver­stand heranzuge­hen und die­sen auch nicht auszuschalten, wenn die Mel­­dung sonst wie krass oder unvorstellbar er­­scheint.

Wenn ihr euch über die Richtigkeit der In­for­­ma­tionen nicht im Klaren seid, oder nicht wisst, wie ihr am besten mit Informa­tionen um­gehen sollt, könnt ihr z.B. bei zuver­lässi­gen Antifa­strukturen nachfragen, bevor ihr sie wei­tererzählt, z.B. bei Gamma. An diese Struk­turen könnt ihr euch auch wen­den, wenn ihr selbst etwas wisst. Falls ihr unbe­stä­tigte Infor­mationen wei­ter­er­zählt, macht aus­drücklich und sehr deutlich, dass es sich hier­bei nur um ein Gerücht handelt!

Wenn ihr selbst Opfer oder Zeug_innen ei­nes Überfalls geworden seid, wendet euch an ver­trauenswürdige Leute oder an Grup­pen wie den EA. Diese Strukturen sind in der Lage euch zu beraten und zu unterstüt­zen. Sie über­legen gemeinsam mit euch, wel­che Mög­lich­keiten zum Handeln beste­hen, können mit euch zusammen eine wirk­same Öffentlich­keits­arbeit machen und euch gege­benen­falls recht­liche Hilfe ver­mitteln.

Euer EA

 

(1) Es gibt auch Möglichkeiten, anonym zu posten, z.B. über TOR oder JAP. Mehr Informationen dazu findet ihr z.B. unter tor.eff.org/

(2) Überlegt euch stattdessen lustige Nicknames, z.B. Micky Mouse ;-).

Ansichten eines Clowns

oder „von Einem der auszog, das Ärgern zu lernen“

Eigentlich gilt auf Demonstrationen in Deutsch­land striktes Vermummungsver­bot. Trotz­dem verstoßen vor allem radikale Grup­­pen immer wieder dagegen. Eine schein­bar be­sonders perfide Form sich zu vermummen, ist sich als Clown zu ver­klei­den. Zu den G8-Pro­testen in Rostock mar­schierte gleich eine gan­ze Hundert­schaft ver­mummter Clowns­ak­ti­visten ein. Die Poli­zei war überfordert, die Demon­stran­tInnen amüsiert. So richtig Angst und Schrec­ken flößt diese Clowns-Ar­my eben nicht ein. Zu grotesk ist ihr Outfit, zu dreist, zu schnell, zu verspielt über­schrei­ten sie Gren­­zen, für deren Übertre­tung jeder “schwarz gekleidete Demon­strant Schläge oder Gewahrsam ris­kieren wür­de.“ Auf ei­nem der G8-Protestcamps traf ich David, alias Bombie. Den Philo­sophie­stu­den­ten aus Bochum habe ich gefragt, was der Ein­marsch der Clowns-Army bedeutet.

Ist das alles nur Spaß oder steckt ein Konzept hinter der Clowns Army?“

„Es ist nicht so, dass man einfach Akti­visten hat, die sich als Clowns ver­kleiden. Son­dern das ist sehr professionell organi­siert. Wir sind Clowns, vor Ort, wir tun nicht nur so, wir sind es. Und als solches ist es dann auch von einem reinen Akti­vi­stenkonzept zu trennen. Es ist auf eine ganz eigene Weise politisch. “Viele, vor al­lem Polizisten, denken, dass wir ganz be­sonders fiese Autonome sind, die sich nur als Clowns anschminken, um dann fies zuzu­schlagen. Aber das Radikale ist nicht, dass sie aggressiv sind, sondern dass sie völ­lig das Konzept sprengen. Sie fangen auf ein­mal an, eine Rolle einzunehmen, die dieser Gesell­schaft bekannt ist, nämlich die des Clowns. Der passt aber in diesen Rah­men von Repres­sion und Unter­drückung gar nicht rein. “Mit Clowns kann man (Anm. d. Autors: von Poli­zei­seite) gar nicht so richtig umgehen: Sie kom­­men an und ma­chen sich über einen lus­tig und wenn man sie ignoriert, machen sie immer weiter und man steht lächerlich da.“

Wie wird man Clown-Aktivist?“

“Es gibt Workshops, die professio­nell orga­ni­siert sind. Ich selbst hat­te einen dreitägi­gen Work­shop, der Vollzeit war und sehr an Im­pro­visations­theater erin­nerte. Man lernt Übun­gen und Spiele, einfach das Denken ab­zuschalten. Du ver­suchst gar nichts Lustiges zu ma­chen, son­dern du versuchst es einfach lau­fen zu lassen… Jeder hat einen Clown in sich. Es geht darum ihn zu befreien.“

Wie funktioniert die Clowns-Armee?“

“Die Clowns Army bewegt sich bei vielen Sa­chen auf einer Gratwanderung… Also es ist tatsächlich eine Form der Armee. Es macht sich darüber lustig, aber es nimmt ei­nige Formen effektiv auf und nutzt sie auch wirk­lich in dieser Form. Die Clowns sind or­ga­ni­siert in Gruppen und nennen sich „gaggles“… Es gibt „code-plenas“, eine be­stimmte Form in der ganz schnell Ent­schei­dungen getroffen werden. Das ist sehr ernst, das ist dann wirklich in so einer Aktivisten­rolle. Man entscheidet eine gro­be Fahrtrich­tung, geht wieder in seinen Clown rein und dann geht es weiter.“

Man kann also aus seinem Clown rein und raus gehen. Wie funktioniert das?“

“… Wenn man ernsthaft diskutieren will, nimmt man immer die Nase ab. “

Ist das Rein-Raus aus dem Clown nicht schizophren?“

“Nein. Naja, ein bisschen vielleicht schon. Es ist ein Problem dazwischen zu wechseln, weil ich als David bin ganz klar politischer Aktivist und „Bombie“ ist „Bombie“. Er geht ganz anders an die Dinge heran. „Bom­­bie“ findet auch viele Dinge schlimm, aber Bombie macht keine Pläne. Und wenn er Pläne macht, dann ver­­­­­gisst er sie sehr schnell wie­der. So ist es natürlich ein Prob­lem mit Bom­bie etwas Be­stimm­tes zu ma­chen. Es gibt die Si­tua­tion, wo man zwi­schen­­drin auch mal wieder einen küh­len Kopf krie­gen muss und als David etwas pla­nen muss, mit den ande­ren be­spre­chen muss und auf einmal mer­ke ich, wie sich Bombie wieder in den Vordergrund drängelt, ich wie­­der mit einer Pieps-Stimme spreche und mei­nem Nebenmann an die Nase grei­fe, ohne dass ich das wollte, weil sich Bom­bie wieder durchsetzt.“

Wie behältst Du die gute Laune über Stun­den, bei 30 Grad, emotionalem Stress..?“

“Es geht nicht darum zwanghaft Leute zu be­lustigen. Aber natürlich kann es über län­gere Zeit hart werden. Ich selber bin ein Clown, der sehr viel Energie reinsteckt, sehr abgeht, durch die Gegend springt, sich to­tal veraus­gabt und ich hab festgestellt ich bin niemand, der einen halben Tag Clown ma­chen kann. Nach drei vier Stunden Power merke ich, ich muss aufhören. Dann geht man an die Seite, schminkt ab und dann ist es auch vorbei. “

Kann Bombie über das was er hier erlebt hat, sprechen?“

“Oh, ich weiß nicht. Ich glaube Bombie hat sich gerade noch ein wenig versteckt. Er ist noch sehr geschafft von den Tagen. Er hat viel zu verarbeiten. Bombie inter­es­siert sich mehr für Details und den Spaß, den er damit haben kann. Eigentlich wollte Bombie bloß baden ge­hen, aber leider kam da ein Zaun dazwi­schen.“

(dr.no)