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„Vom Rand her schrumpfen“

Fritjof Mothes im Interview

Fritjof Mothes, geboren 1970, innerhalb des Vereins für Nutzerbetreuung und Eigentümerberatung zuständig, ist Stadt- und Regionalplaner, Mitherausgeber der „Leipziger Blätter“ und einer der Initiativgeber zur Gründung von HausHalten e.V. sowie Vorstandsmitglied.

FA!: Sie sind von Beruf Stadt- und Regionalplaner, wie kam es zur Idee, zum Verein HausHalten und wann?

Fritjof Mothes: Als Stadtplaner produziert man ja viel Papier, nur an der Umsetzung ha­­pert es meistens. Wir wollten 2003 mal pro­­bieren, ob man das Konzept der Stadt­teilplanung für den Leipziger Westen auch in die Tat umsetzen kann. Damals haben wir uns pro Haus nur eine Person vorgestellt, die dort lebt und arbeitet. Letzt­end­lich hat sich ein Team aus Beteiligten, welche sich aus diesen Zusammen­hängen kannte, zusammengefunden mit dem Ziel, ein praktisches Beispiel zu schaffen und zu sehen, ob das tragfähig ist.

FA!: In knapp 4 Jahren von einer lokalen Initiative zu einem staatlich gefördertem Kompetenzzentrum. Sind sie zufrieden mit den Fortschritten des Vereins? Werden ihnen Steine in den Weg gelegt?

FM: Wir sind von der Resonanz, vor allem von der Nachfrage, was Interessenten für die Nutzung der Gebäude betrifft, über­­rascht. Wir hatten schon Zweifel, ins­be­­­­­­­­son­­­dere als wir im letzten Jahr den Schritt in den Osten getan haben, wo wir mit der Ludwigstraße und der Eisenbahn­stra­­ße zwei Häuser haben, die sehr groß sind. Aber auch dort hatten wir nach we­nig­­­­­en Besichtigungen das Haus quasi voll. Nur manch­mal hatten wir Schwierigkeiten, die Eigentümer zu überzeugen, weil die sich unter dem Konzept nichts vor­stel­­l­­­­en konnten. Generell können wir uns über mangelnde Unterstützung nicht be­schwe­­r­­en. Problematisch ist eher, dass wir als kleiner Verein mit rund zehn Mitgliedern mit den Kapazitäten an die Grenzen stoßen.

FA!: Das Wächterhaus-Konzept ist eigentlich unabhängig vom Interesse der Stadt, be­vor­­zugt die Substanz an vorhandenen Grün­der­häusern zu erhalten. Warum also stehen ge­rade diese Häuser im Zentrum der Aktivi­tä­ten des Vereins und können Sie sich vorstellen, dass etwa auch Plattenbauten bspw. in Grünau als „Wächterhäuser“ fungieren?

FM: Grundsätzlich orientieren wir uns da­nach, dass wir bewusst nicht in Stadtteile wie Südvorstadt oder Connewitz gehen, die es auf dem Immobilienmarkt leich­ter ha­ben. Wir glauben, dass sich da auch nor­male Investoren zur Genüge finden. Wir ge­hen ganz bewusst in die Stadtteile, wo wir Probleme sehen, wie bei­spiels­­­weise im Leip­ziger Osten und Westen. Man kon­nte vor einigen Jahren nicht sagen, dass Lin­denau jetzt der hippeste Stadt­teil ist. Wir hatten Anfangs in einem Haus in der Dem­meringstraße auch durch­aus eine hohe Fluktuation, weil Bewohn­er wieder zu­­rück nach Connewitz ge­zogen sind, da ihnen der Stadtteil nicht kre­ativ und hip ge­­nug war, das hat sich mitt­ler­weile geän­dert. Wir glauben, dass das durchaus ein Bau­stein ist, dass Wächter­häuser sich in­zwi­schen dort auch konzentrieren. Mitt­ler­­weile gibt es dort meh­re­re, die sich gegen­­seitig befruchten und Ge­gen­den, die vor­her eben nicht so ange­sagt waren, mit in den Fokus rücken. Zur Aus­wahl der Ge­bäu­de kann ich nur sagen: Unser Hauptziel ist es, die his­torisch­en, das Stadtbild prä­­gen­den Gebäude zu hal­ten und für Leip­­zig über die Zeit zu ret­ten. Wir gehen ganz bewusst nicht nach Grün­au, weil wir der Überzeugung sind, dass wir es dort mit einem erheblichen Leer­stand zu tun ha­ben und natürlich auch sehen, dass es Ge­­biete und Wohnungs­­­­überhänge geben wird, die abgebaut wer­den müssen. Und da sagen wir: den his­torischen, urbanen Kern zu behalten ist wich­tig. Das heißt auch, dass wenn man schon schrumpft, man vom Rand her schrumpft.

FA!: Es ist aber vorstellbar, dass der Verein etwa in Reudnitz oder Neustadt/Schönefeld Häuser übernimmt?

FM: Wir sind da dran und wenn sich Partner finden, sowohl auf Eigentümerseite als auch bei den Nutzern, dann werden wir das auch angehen. Uns ist es allerdings wichtig, besonders die den Stadtteil prägenden Gebäude anzugehen und das sind vor allem die Eckgebäude an den Haupt­ver­kehrsstraßen. Ich glaube, das kann man ja an der allgemeinen Sanierungsent­wick­lung sehen, dass sich die ruhigen Seitenstraßen oft von ganz alleine entwickeln, aber sich an den Hauptverkehrsstraßen, die das Bild der Stadt ganz besonders prägen, die Probleme konzentrieren. Das ist unser Hauptbetätigungsfeld. Da befinden wir uns übrigens vollkommen im Einklang mit den Stadtentwicklungszielen der Stadt Leipzig. Da arbeiten wir eigentlich Hand in Hand und haben auch keine gegen­sätzlichen Auffassungen.

FA!: Der Verein bildet ja einen runden Tisch der Interessen. Neben denen des Eigentümers und der Stadt sollen auch die NutzerInnen-Interessen eine Rolle spielen. Wie deckt sich die Arbeit im Verein mit ihren Idealvorstel­lungen von Stadtentwicklung insbesondere in Bezug auf die soziale Entwicklung von Quartier und Milieu?

FM: Unser Ansatz verfolgt mehrere As­pek­­­te, das ist zum Ersten der bereits er­wähn­­­te Substanzerhalt. Der Zweite ist, dass dort Stadtteile belebt werden sollen. Aber wir wollen auch ganz bewusst jene un­­ter­stützen, die es auf dem klassischen Markt schwer haben. Das bedeutet ei­ner­seits, Räumlichkeiten zu bieten für Kreative, Künstler, für soziale Initiativen, die oft auch am Anfang stehen. Manche haben vor ihrem Einzug nur auf dem Papier ex­­istiert, weil sie sagten: „Wir können nicht arbeiten, wenn wir keine Räume haben.“ Wir bieten zu sehr günstigen Kon­­­ditionen die Räume, aber auch Zeit – aufgrund dessen weil es nicht so teuer ist – zu probieren und sich zu entwickeln. Das Andere, was uns auch sehr wichtig ist, ist für Existenzgründer Möglichkeiten zu bieten. Wir haben mehrere kleine Büros, zum Beispiel ein Grafikbüro, oder eine Sei­fen­siederei, die es sich überhaupt nicht hät­ten erlauben können, sich eine klassische Einheit irgendwo auf dem regulären Markt zu mieten, aber sich jetzt ausprobie­ren können und vielleicht irgendwann so­weit entwickeln, dass sie damit auch Geld verdienen können und sich in den normalen Wirtschaftskreislauf einbringen.

FA!: Wenn sich nun viele soziale Vereine für ein leerstehendes Ladenlokal bewerben würden, wie würden sie entscheiden, wem sie den Vorzug geben?

FM: Wir machen mehrere Besichtigungen und meistens fügt es sich dann, dass sich im Prinzip so ein oder zwei be­son­ders sinnvolle für den Laden zusamm­en­finden. Dann sehen wir, was uns auch im Zusammenspiel mit den anderen Nut­zern am sinnvollsten erscheint und dann ver­suchen wir auch relativ schnell, die Nut­­zer im Haus gemeinsam entscheiden zu lassen, was dort sinnvoll ist. Weil die Nut­­z­ungen sich ja auch vertragen müssen, also wenn auch mal wo länger Musik ge­spielt wird, passt das nicht, wenn da­run­­ter etwa ein Yogakurs gemacht wird. Das ist immer ein sehr diffiziler, spannender und einzelfallbezogener Prozess.

FA!: Inwieweit hilft und berät der Verein bei der Planung und Finanzierung der NutzerInnen-Interessen?

FM: Im Grundsatz sind die Leute für ihr Kon­zept selbst zuständig, wir hoffen – und das hat bisher auch immer geklappt – dass es innerhalb des Hauses eine Mischung gibt und die sich gegenseitig helfen können. Zum Beispiel funktioniert in­zwi­sch­en auch die Kommunikation zwischen den Wäch­terhäusern ganz gut. Das betrifft nicht nur Nutzerkonzepte, sondern auch bau­liche Sachen, weil am Anfang der Ausbau dominiert – die Häuser sind ja teil­weise in nicht gerade berauschendem Zustand. Wir sehen es aber nicht so sehr als unsere Aufgabe an, dort inhaltliche Unter­stützung zu geben, das ist in anderen Städten ganz anders. Wie jetzt in Halle oder auch in Chemnitz, wo ein Verein die Wäch­terhäuser etablieren will. Dort will der Verein die Kreativen auch in den in­halt­lichen Konzepten unterstützen, das ist hier in Leipzig nicht so sehr das Thema.

FA!: Welche Erfahrungen haben Sie mit der Inte­gration der Nutzungsinitiativen der „Wäch­ter“ mit ihrer nach­bar­schaft­lichen Um­gebung/ihrem Milieu?

FM: Unterschiedlich. Ich habe den Eindruck im Gespräch mit den Nutzern, dass die Akzeptanz steigt und man sich auch damit auseinandersetzt, was hier im Stadtteil passiert. Ich glaube, dass es wichtig ist, für eine gewisse Offenheit einzustehen, das ist der positive Aspekt. Auf der an­deren Seite ist es aber auch so – und da­für gibt es auch ein, zwei Beispiele – dass wenn Abends mal Party ist und das nicht unbedingt Konzept des Ladens war, dass sich Leute gestört fühlen, wenn da Leute auf der Straße stehen mit ’ner Bierflasche und drinnen Musik kommt. Da gibt’s dann auch mal Nachbar­schaftskon­flikte, wo wir dann wieder dran sind und gucken müssen, das im Zaum zu halten, zu vermitteln und die Nutzer aufzufordern, sich an die Regeln zu halten. Man kann eben nicht bis 24 Uhr Techno spielen, wenn ein anderes Konzept eigentlich vereinbart war.

FA!: Ziel des Vereins ist es ja, irgendwann aus der Betreuung der Wächterhäuser auszu­stei­gen, sie sozusagen in die „Selbstbestimmung“ zu entlassen. Bisher ist das nur mit dem Wäch­terhaus in der Kuhturmstraße gelung­en. Was waren hier die besonderen Umstände, die dies er­mög­lichten? Und werden bald weitere „Wächterhäuser“ diesem Beispiel folgen?

FM: Grundsätzlich ist es so, dass wir eine Art Durchlauferhitzer sind. Unser Ziel ist es, eben nicht unendlich viele Wächterhäu­ser zu haben, sondern es geht darum, die Nut­zergemeinschaften so zu bilden, dass sie irgendwann in die Selbständigkeit ent­lassen werden können. Dass das bei der Kuh­turm­straße gut funktioniert hat, liegt da­ran, dass es in diesem Haus nur wenige Nut­zer gibt, so drei oder vier an der Zahl, die sich unter­einander sehr gut kennen, und auf der anderen Seite haben wir eine Ei­gen­tümerin, die selbst Leipzigerin ist, mit der wir sehr gut zusammenarbeiten und eng verbunden sind, also eine Ver­trau­ensbasis da ist. Bei den anderen Häusern ist es grundsätzlich ein bisschen kompli­­­zierter, weil es einfach sehr viel mehr Nutzer gibt und das Verfah­ren ja so ist, dass wir als Verein mit dem Haus­ei­gen­­tümer eine ‚Gestattungsverein­ba­rung Haus’ auf der einen Seite treffen und auf der anderen mehrere ‚Ge­stat­tungs­­ver­ein­ba­r­ungen Raum’ mit den Nut­zern. Wenn nun die Nutzer eines Hauses sich zu einer Ge­mein­schaft zusammen­schlie­ßen und statt mehrerer nur noch einen Vertrag mit uns haben als Zwischenstufe und dann die­ser eine Vertrag mit dem Eigentümer di­rekt zusammengeführt wird, da können wir uns dann herausziehen. Und das ist na­tür­lich in einem Haus, wo es zehn verschie­dene Nutzer gibt, sehr viel kom­pli­zierter als in einem kleinen Haus wie in der Kuhturmstraße. Wir haben jetzt auch zwei Häuser, wo wir uns vor­stellen können, dass das sehr bald der Fall sein wird. Man darf aber auch nicht ver­gessen, dass die Eigentümer auch froh sind, einen seriösen „Puffer“ zwischen den Nutzern und sich selbst zu haben.

FA!: Hoffen sie denn, dass sich der Verein durch positive Entwicklung eines Tages selber überflüssig machen könnte?

FM: Ja, wir sehen das Projekt ‚Wächterhäuser’ bewusst als temporär. Wir glauben oder erhoffen, dass wenn man sich die Sanierungsentwicklung in Leipzig anschaut und auch die weniger wertvollen Häuser, die diese extremen Probleme haben, dass man uns in zehn Jahren nicht mehr braucht, weil dann dieses Problem der geflickten Häuser hoffentlich weitgehend befriedigt ist. Wir sind gerade dabei – das wird unser Schwerpunkt in nächster Zeit sein – dieses Modell in andere Städte zu exportieren; der andere Schwerpunkt ist es, das Modell weiter zu entwickeln, uns zu überlegen, ob es nicht auch andere Varianten des Hauserhaltes gibt. Da werden wir schauen, ob es gerade für Kleinstädte, wo die Probleme ja noch viel, viel größer sind als in Leipzig, noch weitere Modelle gibt und uns dann darauf konzentrieren in Zukunft.

FA!: Vielen Dank für das Interview.

bonz

EinmalEins für „moderne“ Staatsbürger

Einige schlaue Köpfe haben einmal behauptet, das herausragendste Merkmal der Mo­der­­ne wäre das einer um sich greifenden Berechenbarkeit. Leider haben sie da­­bei über­sehen, dass zu einer richtigen Berechnung auch die jeweils passenden Rechen­mit­tel ge­hö­ren. So kommt es, dass eine anwachsende Menge von Interessenskalkülen in der mo­dernen Welt nicht zu Transparenz sondern zu „Unübersichtlichkeit“ und „Über­kom­plexität“ führt. Der Einfachheit halber könnte mensch auch von einer aus­ufern­den Orien­tierungs­lo­sigkeit sprechen. Das passende Umfeld also, um Eier als Hüh­ner zu verkaufen. Zugespitzt for­mu­liert: Die Moderne unterscheidet sich von allen bis­he­ri­gen Epochen gerade darin, dass sie es ermöglicht, nicht nur Einige oder Viele son­dern Al­le in Dummheit einzulullen.

So wundert es kaum, dass die „modernen“ Volksparteien aktuell versuchen, den gemei­nen Bür­ger für dumm zu verkaufen, indem sie so tun, als gäbe es plötzlich eine völlig neu­­­­ar­tige po­li­tische Debatte um Mindestlöhne und eine Verschärfung des Strafrechts für Mi­­gran­tIn­nen. Dabei reichen schon vier Finger, um das angebliche Neue als Wieder­kehr des ewig Glei­chen darzustellen. Das dritte Jahr der derzeitigen Bundesregierung ist an­ge­bro­chen und damit auch der Vorwahlkampf. Dementsprechend rechnen die gro­­­ßen Wahl­stra­tegen die dumpfesten Vorurteile ihrer Anhängerschaft fürs erste einfach hoch. Mo­bi­li­sie­rung der Stammwählerschaft heißt das dann. Da haben wir einerseits die Rechts­kon­ser­va­tiven, denen der Staat sowieso nie genug Gewalt anwenden kann und die, historisch gesehen, von der CDU bedient werden. Andererseits die Links­so­zia­listen, für die die staatliche Vorsorge selbst dann nicht weit genug geht, wenn der Stadt to­tal be­­stimmen würde, was überhaupt ‚da sein‘ kann bzw. Existenzrechte wie Vollstreckungs-Ti­tel zuspräche. Klassischerweise das Klientel der SPD.

Und ganz logischerweise würde in dieser Gemengelage jeder konkret politische Inhalt die ideologische Integrität der jeweiligen Lager nur ge­­fähr­den. Da darf dann auch ein gewisser Roland Koch (CDU), seit seiner Korruptions-Affäre bekannt als „Schweinchen Babe“, härtere Stra­­fen für „Ausländer“ fordern und dabei auf Schmusekurs zur NPD gehen. Denn wem die wohltätig verteilten Lebensmittelkarten nicht aus­­rei­chen, der wird sowieso nie begreifen, was man hierzulande unter ‚deutscher Leitkultur‘ versteht. Dass in einem „modernen“ Rechtsstaat ein­­zig die Richter am konkreten Fall über die Angemessenheit der Strafe entscheiden, solche Details interessieren im Kampf ums stumpfeste Res­­sen­timent von Rechts so wenig, wie die unliebsame Frage nach den Ursachen, welche eine Kriminalisierung bestimmter Be­völ­ke­rungs­schich­­ten notwendig bedingen. Bleibt nur zu hoffen, dass sich der eiserne Roland nicht verrechnet hat und die Sicherheitsverwahrung von Mi­­grantInnen in Gefängnissen statt in Auffanglagern den Bürger nicht am Ende noch teurer kommt.

Ver­lässlicher ist da schon die SPD. Besser spät als nie hat man sich ausgerechnet, dass die eigenen Arbeitsmarktreformen der letzten Jah­re zu ei­nem massiven Lohndumping und zur Prekarisierung ganzer Bevölkerungsschichten geführt und eine Unmenge von Ne­ben­wi­der­sprü­chen in der roten Ecke produziert haben. Peter Hartz, besser bekannt als „Mister VW“, ist ja mittlerweile auch anderweitig straf­rechtlich ver­urteilt. Nach diesen ganzen Pleiten versucht man deshalb jetzt, der völligen Desintegration des eigenen Lagers ent­ge­gen­zu­wirken, indem man der Wäh­lerschaft die Einführung flächendeckender Mindestlöhne suggeriert. Und wer will schon nicht mehr Lohn für Arbeit im Ka­pitalismus. Lei­der scheint man bei der SPD zu vergessen, dass diese Rückkehr zu „ursozialistischen“ Positionen nur dann wirklich wirk­sam wäre, wür­de man auch gleichzeitig zur staatlichen Preiskontrolle zurückkehren. Mal ganz abgesehen vom büro­kra­tischen Aufwand durch­greifender Kon­trollen und der faktischen Aushebelung der Tarifautonomie. Denn letztlich würde dieser Mindestlohn gleich­zeitig in vie­len Fällen der ma­ximale sein und gewerkschaftliche Kämpfe erheblich erschweren. Immerhin: Den Staatsfetisch des links­sozialistischen Klien­tels hat man da­mit punktgenau bedient und welcher ernsthaft engagierte Gewerkschafter wählt heutzutage schon noch SPD.

Was am Ende bleibt, ist die einfache Formel: Aktuelle Debatte minus heiße Luft istgleich Nichts-Neues bzw. zusammengekürzt: Die große Koa­li­tion entspricht dem nationalen Konsens. Dass dieser wiederum die beiden Lager fest umspannt und den Bürger in seinem heißen Traum vom starken Staat bestätigt, das sehen unsere Berufspolitiker zwar sehr genau, aber irgendwie muss man ja zu Wahlkampfzeiten Pro­fil entwickeln. Da­rum die beiden Debatten, fein säuberlich getrennt. Und das Ausweichen auf Anachronismen fällt ja angesichts der Bil­dungsregression gar nicht weiter auf. Gegen solchen Dummfang von CDU bis SPD hilft nur eines: politisches Bewusstsein und mehr Selbst­bestimmung, Widerstand und die Verwaltung der Bedürfnisse aus eig’ner Hand. Das sind die Rechenmittel, um die Manipulation von oben auszuhebeln. Die Volksparteien kön­nen sich derweil ruhig erneut zum Zentrum zusammenschließen, denn solange dieses nie­mand wählt, haben MigrantInnen auch hierzulande Zu­kunftschancen und die Arbeiterschaft die begründete Aussicht, an der eigenen Pro­duktion fair und gerecht beteiligt zu werden.

Lasst Euch also nicht bequatschen und gebt Euch die Mittel selber an die Hand! Post­moderne, you are welcome!

(clov)

Hoch die…! Nieder mit…!

Bei Nazis sind sich Alle einig: Raus! Raus! Raus! Doch ruhiges Hinterland gibt es auch bei der Antifa nicht, wie es sich während der Mobilisierung gegen den Demo-Versuch der freien Kräfte am 15.März zeigte.

All cops are bastards, zitterte es noch in den Knochen einiger sonst so alerter Antifascistas, die aus Angst vor prognostizierter Polizeigewalt lieber ausschlafen wollten.

Die Karli musste letztlich eh nicht Stein für Stein zurückgegeben werden, da die angekündigte Demo von NPD und freien Kräfte kurz vor knapp verboten wurde. „Na watt denn“, dachte sich das Ladenschlußbündnis und demonstrierte trotz fehlenden Nazis einfach unter dem Motto „gegen Rassismus von LVZ bis deutsche Stimme“, mit immerhin 150 Bewegten.

Selbst dem armen Häuflein Festent­schlossener wollte es nicht so richtig gelingen ein furioses Auftreten durch markige Parolen zu demonstrieren. Dabei bleibt bei fehlender Masse nicht viel Übrig außer guten Absichten verpackt in gute Sprüche.

Nicht dass aufgrund des schwindenden Mobilisierungspotenzials bald Deutschland brüllt: „nie, nie, nie wieder soziale Bewegung“. Da gilt es, nach Außen die Stärke wenigstens zu simulieren. Oft ist die Parole nicht nur Stütze, sondern gar der letzte Anker um wenigstens nicht ganz und gar belächelt zu werden. Gerade wenn die Demogrüppchen nicht mehr die Straße erschüttern, sondern eher wie mobile Phrasendreschmaschinen daherkommen. Es gruselt sich halt niemand mehr vor „Ho-Ho-Ho-Chi-Minh“,

So eine gute Demoparole ist aber auch schwer. Muss sie doch konsensfähig sein, provokativ und humorvoll zu gleich, so sind das gleich drei Sachen auf einmal. Soll der glotzende Bürger sich obendrein noch einreihen, erschöpft sich wohl die Kraft jeder Parole.

Die Guten lassen sich dann nur vermuten, muss DemonstantIn resignativ zu Kenntnis nehmen. Politische Kritik ist eben kein Fußballjubelverein, der Erfolg einer direkten Aktion nicht nach 90 Minuten im Videotext nachzulesen. Der Slogan als Mittel zur Meinungsäußerung unterscheidet sich nur von der gebrüllten Parteinahme zu seinem Fussballverein, solange er Inhalte auch diskursiv entfaltet. Dies ist spätestens dann unmöglich, wenn von Seiten der Beamten – frei nach dem Motto „dumm brutal und national“ – das Verteilen von Flyern oder Infomaterial verboten wird, wie es sich die Polizei für den 15.März in Leipzig ausdachte. Je mehr das Demoerlebnis – ob Ost, ob West – vordergründig in Blessuren und Haftstrafen statt Erfolg endet, desto mehr gerinnen Forderungen wie „no nation, no border – fight law and order“ zu puren Phrasen. So in die Ecke gedrängt muss mensch Slogans schon wie Gedichte vortragen, um ihnen wenigstens ein Stück Gehalt zuzuführen. Wem dann einfällt, dass sich Agitprop nur schwer in ein Goethedrama verpacken lässt, der sollte sich komplett vom Sinn verabschieden und einfach Agitpop machen. Dieser ließe dann Sloganeering zu, die auf Adressaten und Meinung von vornherein verzichten und einfach nur noch die Bewegung inszenieren: Freiheit für Grönland, nieder mit dem Packeis. Gebrüllt wird einfach was mensch will und die bierernste Parole kann getrost der Bild-Zeitung überlassen werden. Die erreicht den gemeine Bürger sowieso viel eher, als jede durchdachte Parole der anspruchsvollsten Antifa.

bonz & karotte

Editorial FA! #28

Beim heiligen Gustav, diese digitale Revolution! Vor 4-5 Jahren reich­te uns ein PC und in maximal 24h stand das ganze Heft. Da­mals bot uns sogar noch der Infoladen des Conne Island oder das Linxxnet Asyl. Alles kam fertig rein, Deckel drauf und raus da­­mit. Heute dagegen, kaum 28 Hefte später, meint mensch ge­ra­dezu, der Kommunismus wäre ausgebrochen. Und der kann ganz schön anstrengend sein. Da drängt sich ein Redak­tions­kol­lek­tiv in 12qm um einen stationären Layout-Rechner mit an­ge­schlos­se­nem Drucker und Scanner, die Laptops klappen auf, USB-Sticks wech­seln die Ports wie Heuschrecken die Pflanzen, Fla­schen klir­ren, der Kühlschrank platzt, ebenso der digitale Post­ka­sten. Und wer nicht den legendären 7-Tage-plus-Dauer-Lay­out-Kritik-Frie­mel-Marathon übersteht, muss vor der nächsten Aus­gabe dringend zu­sätzliche Trainingsschichten einschieben. Viel­leicht liegt es auch da­ran, dass wir es seit längerem nicht mehr schaffen, dem selbst­ge­steckten Anspruch, alle 1-1/2 Monate zu erscheinen, gerecht zu wer­den, sondern eher ein 2-1/2 Monats­heft sind. wir driften also eher Richtung Magazin als Richtung Ta­ges­zeitung ab. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass wir trotz der vielen eingereichten Bei­­träge – Dank an all die lieben Supporter – trotz alle dem ein­fach zu wenig Anstöße von Außen be­kom­men. Deshalb hier noch­mal der Aufruf an Euch: Schreibt uns! Nicht nur Leserbriefe, son­dern was auch immer Ihr meint, dass es ver­öf­fent­licht wer­­den sollte.

Um unseren Praxiswert steigern, findet Ihr in der aktuellen Aus­ga­be neben vielen Linxz zu Gruppen, Veranstaltungen und Pro­jek­­ten auch einen beigelegten Aushang der Roten Hilfe für die Haus­­tür, falls der Schutzmann wieder klingelt. Außerdem auf S. 29 einen lustigen Kreuzchentest, der am Ende gar nicht so lustig ist. Aber das könnt Ihr ja selber rausfinden. Auch eine neue Rubrik soll uns von nun an begleiten. Die Nebenwidersprüche lauern halt überall dort, wo Handlungsbedarf besteht. Bei uns auf S. 14/15. Die Frage nach der Privatisierung der Leipziger Stadtwerke ( S.1/3/4) ist aber auch ein heißes Thema in Bezug auf den er­zwun­genen Bürgerentscheid am 27.01.. Da könnte mensch glatt ver­gessen, welcher militaristische Alltag auf dem Flughafen vor der Stadt eingezogen ist ( S.8/9). Ganz froh sind wir auch darüber, dass es uns doch noch gelungen ist, die Anarchisten aus Israel zu in­ter­viewen, die im Dezember einen Vortrag in Leipzig über ihre po­li­tische Arbeit hielten. Denn bei aller konkreten Widersprüch­lich­keit: Mauerbau war noch nie eine progressive Lösung ( S.27/28). Ähnlich verbohrte Ansichten finden sich höchstens bei den Na­tional-Revolutionären ( S.16ff). Soviel Zement in der Birne muss ja Kopfschmerzen bereiten. Da hilft letztlich nur kräftig RÜCKEN­WIND. Apropos: Unsere neue Verkaufsstelle. Fahr­rad­schrauben und Lesen sind also keine unüberwindlichen Wider­sprüche. In diesem Sinne: Der Frühling kommt, also raus an die Luft!

Eure Feierabend!-Redax

DreiFarbenGold – SchnippSchnapp, Fahne ab

Wie schon 2006 zur Fußball-WM startete auch dieses Jahr pünkt­lich zum Auftaktspiel der EM 2008 die Aktion DreiFarbenGold. Gegen den Natio­nalismus und die politische Ver­­ein­nahmung des Sportes soll­ten mög­lichst viele der geflaggten Deut­sch­land­­fahnen ihres golde­nen Strei­fens be­raubt werden. Und die Viertel sich der­art ver­wandeln, dass sie anstelle deut­­schen Schimmer­schum­­­mel­scheins in den schwarzroten Farben des Anar­chis­mus leuch­ten. Dabei lieferten sich die ein­zel­nen Aktivisten einen heißen Wett­kampf um die be­gehr­ten Platz­ie­run­gen. Am Ende setzte sich der amtie­ren­de Titelverteidiger erneut gegen alle Ver­­folger durch und gewann knapp in der Kategorie „Meiste Schnipsel“ mit 137 sachgemäß ent­fern­ten Gold­strei­fen. Alle Rekorde in der Kategorie „Groß­­schnipsel“ wurden da­gegen von ei­­nem Neuling ge­brochen. Der Ge­win­­nerschnipsel maß sage und schrei­be 1x5m. Trotz der geringer ausgefalle­nen Gesamt-Aus­beute, die dem Um­stand geschuldet war, dass für die mei­sten deutsch­tümelnden Bürger­In­nen of­fensichtlich doch ein Un­ter­schied da­rin bestand, dass das große Fuß­ballturnier diesmal nicht in Deutsch­land sondern in Österreich/Schweiz statt­fand, waren hinterher alle zu­frie­den: Die Aktion hatte wieder sehr viel Spasz gemacht und dem Frust über die wehenden Fah­nenmeere gut ent­gegen­gewirkt.

Der Kritik, dass die ganze Aktion kei­ner­lei politische Wirkung entfalte, hielt der Titelverteidiger der „Meisten Schnip­sel“ entgegen: „Viel weniger als um politische Auswirkung, geht es bei der Aktion doch um eine selbst­be­wuss­te Gegenkultur, die einer­seits Spasz ma­chen soll und anderer­seits pro­vo­ziert. Wer sich über den ganzen Deutsch­­landtaumel ärgert und dabei die Hände in den Schoss legt, dem kann ich nur dringend em­pfehlen, es mit der Aktion mal als Therapie-An­satz zu versuchen.“ Bleibt schließlich zu hoffen, dass zum einen die Fuß­ball-EM 2012 in Polen/Ukraine stattfinden kann und nicht doch interims­weise in Deutschland veranstaltet werden muss; und zum anderen dass die Aktion DreiFarbenGold auch in Zukunft an­lässlich der großen inter/nationalen Fußball-Turniere initiiert wird. Haltet die Augen auf und die Scheren bereit!

Kein Krieg, kein Gott, kein Vaterland! Gegen einen „ganz normalen“ Natio­nalismus in Deutschland!

(clov)

Die Campusmaut – Schrecken der Pisa-Generation

Wohin mit den Studiengebühren?

Aus die Maut?

Studienge­büh­ren – das Un­wort der studentischen Gegen­warts­ge­schich­te geht in eine neue Phase. Die tönernen Füße, auf denen das Modell der Campusmaut steht, bröckeln langsam und in Hamburg und Hessen sieht es ganz danach aus, als stünden die Gebühren vor dem Aus.

In Hamburg soll es ab dem Wintersemester 2008/09 keine Studiengebühren geben, das ließ die schwarz-grüne Regierung der Hansestadt während ihrer Koalitionsverhandlungen Anfang April verlauten, nachdem bereits an der Hochschule für Bildende Kunst in Hamburg (HfBK) rund die Hälfte der Studierenden offiziell exmatrikuliert wurde, nachdem sie sich weigerten, die Gebühren zu zahlen. Doch das Entgegenkommen der Hamburger Koalition ist mehr ein Kompromiss, als eine tatsächliche Abschaffung der Campusmaut, denn die Gebühren werden nicht während, sondern nach dem Studium bezahlt. Das heißt, die Absolventen müssen später ab einem Einkommen von 30 000 Euro pro Jahr für jedes studierte Semester, eine Gebühr, oder vielmehr eine Bildungssteuer von 375 Euro zahlen. Damit würden nicht nur die Gebühren sinken, sondern auch Bürokratie abgebaut werden, so die Koalitionspartner. Wie dieses Modell jedoch konkret aussehen soll, wurde noch nicht erläutert. Fragwürdig an dem Kompromiss ist zunächst einmal, weshalb ausschließlich Aka­demi­kerInnen von diesen Rückzahlungen betroffen sein sollen. Handwerksmeister mit demselben Einkommen müssen schließ­lich auch nicht Teile ihres Einkommens an die staatliche Ausbildungsunterstützung zurückzahlen.

Auch in Hessen bilden seit den letzten Landtagswahlen die Gebührengegner bei SPD, Grünen und Linkspartei die Mehrheit im Parlament. Erst unlängst fassten sie dort einen überraschenden Beschluss: sie wollen ihr Wahlversprechen einlösen und die Campusmaut abschaffen. Das verärgert vor allem den aus dem Amt scheidenden, aber noch geschäftsführenden hessischen Ministerpräsidenten Ro­land Koch, der in der Abschaffung der Campusmaut einen Schaden für Studierende und Universitäten prophezeit. Mit dieser Auffassung steht er in Hessen ziemlich alleine da. Dem hessischen Staatsgerichtshof liegen zwei Klagen gegen die Campusmaut vor. Die eine Klage hatten SPD und Grüne eingereicht, die zweite stammt von insgesamt 71.510 hessischen Bürger­Innen. Die KlägerInnen verweisen auf die hessische Verfassung, die eine Erhebung von Gebühren an staatlichen Hochschulen untersagt.

Die Situation in Sachsen

In Sachsen wird es ein gebührenfreies Erststudium zwar bis zur nächsten Landtagswahl im Jahr 2009 noch geben, für ein Zweitstudium fallen aber bereits, im Sinne des angloamerikanischen Bil­dungs­­modells, Zahlungen zwischen 300 Euro bis 450 Euro pro Semester an. Während auch für Prüfungen in diesem Rahmen Gebühren erhoben werden, ist das Nutzen der Bibliothek und des Rechenzentrums bislang noch kostenlos möglich. Die Frage ist nur wie lange noch, wobei die Antwort vor allen Dingen von einer Sache abhängt: der Partizipation und dem Engagement der Studierenden. Hier gilt es, seinen Unmut gegenüber einem fragwürdigen Regierungskurs zu äußern, der in erster Linie durch den sächsischen Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) vertreten wird und einzugreifen, bevor mensch davon betroffen ist.

Milbradt ist für Studiengebühren und brachte unter anderem rückzahlbare Darlehen ins Gespräch. Seiner Ansicht nach verschärfen Studiengebühren die soziale Selektion nicht, da, mensch lese jetzt sehr aufmerksam: Entscheidungen über spätere Bildungschancen bereits im Vorschulalter fallen würden und nicht erst an der Hochschule. Das ist harter Tobak, doch ist dieser Einwand tatsächlich berechtigt oder fallen heutzutage Entscheidungen, die die Bildungschancen betreffen zumindest teilweise nicht bereits bei der Geburt? Mit Sicherheit kann mensch jedenfalls davon ausgehen, dass Entscheidungen über Bildungschancen in Länderparlamenten fallen, die, wie im Fall von Sachsen von Teilen dieser Länderparlamente bewusst blockiert werden.

Während sich die CDU hartnäckig gegen soziale Gerechtigkeit an Hochschulen ausspricht, ist die sächsische SPD weiterhin auf Anti-Gebühren-Kurs. Momentan können sich die Sozialdemokraten damit noch behaupten, nicht zuletzt gibt es in Ostdeutschland gute Argumente, in Form von Wettbewerbsvorteilen, Abiturienten aus dem Westen auch in den nächsten Jahren mit offenen Armen aufzunehmen, anstatt sie abzuschrecken. Das größte Abschreckungspotenzial besteht dabei vor allem für die StudentInnen, die auf Studienkredite oder BaföG angewiesen sind. Robert Benjamin Biskop, Sprecher der Konferenz Sächsischer Studierenden­schaften (KSS), wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass schon jetzt 40% der Hochschüler BaföG-EmpfängerInnen seien. Stu­dien­gebühren stellten für sie eine erhebliche Zusatzbelastung dar.

Wie sehen es denn die Studierenden selbst? Die Forscher um das Hannoveraner Hochschulinformationssystem (HIS) haben die Nutzung von Studienkrediten untersucht und sind zu einem recht widersprüchlichen Ergebnis gekommen: Über die Hälfte der Studierenden ist demnach der Meinung, dass sie selbst dafür verantwortlich sind, sich an der Finanzierung des Studiums zu beteiligen und auch später dafür Geld zu bezahlen. Gleichzeitig finden fast zwei Drittel, dass Bildung eine öffentliche Aufgabe ist und Papa Staat sie vor finanziellen Einbußen zu bewahren habe. Hm naja, Bildung macht auch nicht immer schlauer.

Privilegierte Bildungshaie?

Acht von zehn Studierenden kommen aus der Schicht der Schönen und Reichen, zwei von zehn sind Arbeiterkinder. Eine aussterbende Spezies? Es ist zumindest zu erwarten, dass sich diese Zahl in den nächsten Jahren verringern wird. Denn, wer nicht genug Geld in der Tasche hat, kann sich tendenziell eine höhere Bildung schenken, oder aber sollte in Kürze das Grundeinkommen nicht eingeführt werden: malochen gehen, um zu studieren.

Eine unmittelbare Existenzsicherung würde über kurz oder lang die Studienverlaufsplanung der Studierenden ersetzen. Damit würde sich das Studium nicht verkürzen, sondern eher verlängern, denn die modularisierten Studiengänge setzen den Besuch bestimmter Veranstaltungen voraus. Wer keine Zeit hat, hat Pech gehabt und muss im nächsten oder übernächsten Semester wiederkommen. Das vor­her­seh­bare Ergebnis: Studienabbruch.

Aber es gibt auch eine positive Prognose: Die Zeit zum Arbeiten wird fehlen. Denn wer heute einen Bachelor-Abschluss anstrebt, kann ein Lied davon singen, wie viele Job-Möglichkeiten sich in dem durchgestylten Stundenplan überhaupt noch offenbaren. Der Leistungsdruck, der sich durch Anwesenheitslisten aufbaut und bis zu dem Ziel führt, zum besten Drittel der Fachschaft zu gehören, um einen aufbauenden Master-Studiengang überhaupt in Erwägung zu ziehen, ist für viele nicht mehr zu schultern.

Das zeigt beispielsweise eine aktuelle Studie der FU Berlin. Die Einführung des Bachelorstudiengangs, durch den Studienabbrüche und Langzeitstudierende eigentlich der Vergangenheit angehören sollten, kommt zu einem ernüchternden Ergebnis: „Studierende geben in einem größeren Umfang als bisher ihr Studium auf“, heißt es da. Zudem habe sich die Zahl der BewerberInnen für ein höheres Fachsemester verringert. Als Gründe werden Desinteresse und das Unvermögen genannt, entsprechende Leis­tungs­nachweise zu erbringen.

Vielleicht aber sind manche auch nur mit der Gesamtsituation überfordert. Das könnte sowohl auf das universitäre Personal, dass sich mit den neuen Reformen und dem erhöhten Verwaltungsaufwand auseinander setzen muss, als auch auf die Studierendenschaft zutreffen, die sich den Leistungsvorgaben nicht mehr gewachsen fühlt. Kein Wunder: die Studierenden sollen mehr leisten ohne mehr dafür zu bekommen, ein klares Verlustgeschäft für die Studis.

Von einer Verkürzung der Langzeitstudiendauer kann laut Untersuchung ebenfalls keine Rede sein: Nur von 30% der Studierenden wird demnach ein Abschluss innerhalb der vorgegeben Regelstudienzeit erwartet. In Baden-Würt­tem­berg, dem Vorreiter der Studiengebühren, könnte das die Bildungshungrigen teuer zu stehen kommen, denn pro Halbjahr werden hier bereits 510 Euro verlangt. Aber denken wir konstruktiv und schauen wir nicht nur voller Argwohn in die Zukunft: Der demographische Wandel ist unaufhaltsam. Wenn im Jahr 2050 jeder zweite über 50 und jeder dritte über 70 ist, könnten die Langzeitstudierenden zu den Auserwählten gehören, die dann die reifen Früchte einer herbstlichen Republik ernten können, indem sie keine überfüllten Seminare mehr erleben müssen, eine Eins-zu-Eins Betreuung bekommen, die Bibliotheken als Ruhe-Oasen besucht werden und die Absolventen nach dem Abschluss auf­grund ihres reichen Er­fahrungs­schatzes gleich übernommen werden. Wozu also Eliteunis schaffen? Der demografische Wandel schafft sie von selbst.

Die Mär vom besseren Studium

BefürworterInnen von Studiengebühren halten die Studis grundsätzlich für finanziell belastbarer, da sie einer privilegierten Elite angehören und tatsächlich ist es nicht von der Hand zu weisen, dass lediglich 37% eines Jahrgangs ein Studium beginnen. Doch der Begriff der Elite kann hier eigentlich nur relativ und nicht absolut gesehen werden, denn von großen Reichtümern sind die meisten Studierenden weit entfernt. Wie die neueste Erhebung des deutschen Studentenwerks zeigt, haben Studenten im Durchschnitt über 770 Euro monatlich zur Verfügung. Ein Drittel allerdings hat weniger als 640 Euro zum Leben.

Die soziale Lage der Studierenden ist den Maut-Verfechtern nicht unbekannt. Sie argumentieren dann in der Regel damit, dass AkademikerInnen im Anschluss an ihr Studium mit fühlbar höheren Gehältern rechnen können. Entsprechende Rendite-Tabellen einzelner Studiengänge sind bereits im Umlauf. Danach sollte mensch keinesfalls Sozialarbeit studieren, denn hier seien die Gehälter so niedrig, dass die Studienkosten ein Leben lang nicht wieder erwirtschaftet werden können. Ebenfalls wenig ertragreich seien Kunst, Agrar- und Geisteswissenschaften. Nur Jura, BWL und Medizin seien demnach, wer hätte es vermutet, lukrativ. Studis werden so angehalten, ihre unternehmerischen Fähigkeiten unter Beweis zu stellen und ihre Bildung als rentable Investition zu betrachten, indem sie Studienkredite aufnehmen. Würde diese Logik konsequent weiter gedacht werden, würde sie zwangsläufig dazu führen, die Maut zu staffeln und so StudentInnen der Wirtschaft mehr zahlen zu lassen als KunststudentInnen – als eine Art vorgezogene Vermögenssteuer. Doch schließlich gibt es auch arbeitslose Betriebswirtschaftler und im Grunde genommen macht es vor allem dann Sinn AkademikerInnen an den Studienkosten zu beteiligen, sobald sie durch ihr Studium gegenwärtig materiell profitieren. Dafür gibt es bereits ein einfaches Regelwerk: die Einkommenssteuer, die für die Bevorteilten um 1-3 % heraufgesetzt werden könnte. In diesem Sinn kann der Schritt, den die Hamburger gegangen sind, zumindest als ein Schritt in die richtige Richtung gesehen werden.

Studiengebühren, so ein weiteres gängiges Argument, das von seinen Befür­wor­ter­­Innen eingesetzt wird, führen zu nachhal­tigen Qualitätsverbesserungen. Dass es sich bei diesen Verbesserungen leider um keine handelt, die die Studierenden selbst betreffen, wie etwa ein verstärktes Mitspracherecht der Studis, zeigt sich an der aktuellen Hochschulreform. Das Mit­sprache­recht der Studis wird auf ein Minimum zusammengeschrumpft und Professoren, Politiker und Vertreter aus der Wirt­schaft, die in Zukunft verstärkt in den obersten und entscheidenden Gremien der Hochschulen das Zepter schwingen werden, entscheiden, welche internen Haushaltslöcher mit den Gebühren gestopft werden. Denn durch die Gebühren werden die Studis nicht, wie mensch zu­nächst etwa annehmen könnte Anteilseigner, sondern vielmehr Bildungssteuerzahler, die das System sanieren sollen.

Dass sich angebliche Qualitätsver­bes­serungen vermutlich auch nicht in einer verbesserten Lehre niederschlagen werden, belegt ein interner Verwendungsbericht, den jüngst die Kölner Uni erstellt hat. Dort wurden in diesem Jahr lediglich 25% der Studiengebühren (500 Euro pro Semester) gezielt zur Verbesserung der Lehre verwendet. Im Jahr 2006 wurden so 17 Mio. Euro in die Kassen der Hochschule gespült. Allein drei Millionen Euro flossen in den obligatorischen Ausfallsicherungsfonds, der die Studenten-Darlehen absichert. Von dem verbliebenen Geld ging eine Million Euro für die Verwaltung der Beiträge drauf. Bleiben summa summarum 4,1 Mio. Euro, die laut Bericht für zusätzliches Personal oder Material ausgegeben wurden und damit also den Studierenden zugute kommen. Der Rest sind Rückstellungen oder Überträge ins nächste Jahr. Und Studiengebühren finanzieren auch den Kampf gegen sie: Die Uni legte einen Teil des Geldes aus dem Studiengebühren-Topf für die erwarteten gerichtlichen Auseinandersetzungen mit Studierenden wegen der Beiträge zurück.

Hier könnte mensch sich dazu veranlasst sehen, von einer „Zweckentfremdung“ der Gebühren zu sprechen. Erhärtet wird diese Annahme durch den geplanten Verbleib der Gebühren an anderen Hochschulen. Malte Dürr beispielsweise, seines Zeichens stellvertretender AStA-Vorsitzender an der Uni Bochum, erzählt von Plänen der Uni für ein 250.000 Euro teures elektronisches Leitsystem. Auf Monitoren könnten die Studierenden jederzeit erkennen, wo welche Vorlesung stattfindet. Wenn das mal keine qualitative Errungenschaft ist! Für manch einen äußert sich ja Qualität durchaus nicht im Inhalt, sondern in der Form.

Eine andere Problematik, die die angepriesene qualitative Verbesserung an Hochschulen mit sich bringen kann, kennt die AStA-Vorsitzende der Uni Bielefeld, Mira Schneider: „Vor allem die geisteswissenschaftlichen Fakultäten wissen oft mit den Gebühren nichts anzufangen“. Als Mitglied der Studienbeitragskommission ist ihr bekannt, dass sich die Fakultäten Geschichte, Philosophie und Theologie schwer getan haben, Verwendung für das Geld zu finden. Am Ende werde zwar Tutorium über Tutorium angeboten, eine echte Verbesserung der Lehre gebe es aber nicht.

Anhand der wenigen bereits veröffentlichten Studien zur Campusmaut wird deutlich, wie relevant es ist die Berechtigung von Studiengebühren und deren Auswirkungen auf Lehre, Forschung und Studier­verhalten zu überprüfen und zu hinterfragen. Bildung ist ein Menschenrecht, wie der Schutz vor Folter oder Meinungsfreiheit und darf keine Handelsware sein. Durch eine Campusmaut werden potentielle AkademikerInnen, vor allem aus den unteren Schichten, von einem Studium ausgeschlossen. Bereits die Einführung von Langzeitstudiengebühren hat gezeigt, dass Gebühren dazu führen, dass das soziale Ungleichgewicht und die Selektion an den Hochschulen eher zu-, als abnehmen. Bildung ist ein Gut, dass mit gesamtgesellschaftlichen Interessen verbundenen ist und den marktwirt­schaftlichen nicht weichen darf. Bildung ist ein öffentliches Gut und muss dementsprechend für alle zugänglich sein. So weit so unzureichend.

Apropos für alle zugänglich: Bei der ganzen Gebühren-Kakophonie sollte aber eine Sache nicht außer Acht gelassen werden, nämlich, dass es in unserem Land auch Menschen gibt, die praktisch kein formelles Recht auf Bildung haben. Einige Bundesländer beispielsweise hindern Flüchtlinge von den Menschen ohne irgendeinen Aufenthaltsstatus ganz zu schweigen daran, Schulen zu besuchen. Insgesamt benachteiligt sind Kinder von Zuwanderern, die nur in wenigen Fällen das Abitur schaffen und dafür in Haupt- und Sonderschulen überproportional vertreten sind. Die Soziologin Heike Diefen­bach spricht in diesem Kontext gar schon von „ethnischer Segmentierung“ an Schulen in Deutschland. Doch es sind nicht nur Zuwander-Kinder, die in Sonderschulen ihr Dasein fristen. Insgesamt sind knapp eine halbe Million so genannter Lernbehinderter auf Förderschulen untergebracht, die ihrem Namen leider nicht immer gerecht werden. Manche Forscher nennen sie deshalb auch Orte der „kognitiven Friedhofsruhe“.

Protestiert wird, wenn mensch sich existentiell bedroht fühlt, wenn es an seine eigenen Reserven, sein ethisches und finanzielles Vermögen geht und selbst dann nicht immer. Generation Pisa findet sich gerne auch mit den gegebenen Zuständen eines internationalen Mittelmaßes ab. Bildung wird als Gottesgeschenk oder zumindest als eine obligatorische Bereitstellung von Seiten des Staates wahrgenommen. Bildung ist aber nicht zuletzt auch ein Instrument, das sobald es einmal erworben wurde, dazu eingesetzt werden kann, den eigenen Verstand auch auf praktischer Ebene einzusetzen: Alternativen finden, Ideen spinnen, das Bildungssystem hinterfragen, sich seiner eigenen Verantwortung bewusst werden, denn sich auf den Staat zu verlassen, war noch nie der sicherste Weg. Wer will, muss anfangen zu handeln. Was die Campusmaut betrifft, scheint dafür gerade jetzt ein optimaler Zeitpunkt zu sein.

(clara fall)

tatort fussball

Um es gleich vorweg zu sagen: Nicht jeder Lokfan ist ein Neonazi. Und nicht jeder akzeptiert die rechte Gesinnung von so manchem An­hän­ger. Es gibt, gerade in den Diskursen innerhalb der Ultraszene bei Lok, Entwicklungen, die durchaus Anlass zu Hoffnung geben. Was nicht heißen soll, dass alles gut ist.

Der 1. FC Lokomotive hat ein ernsthaftes Problem. Weit schwer­wie­gender als die finanzielle und sportliche Misere der letzten Jahre ist die enge Verknüpfung von Leipzigs Neonaziszene und der Hooli­gan­szene beim Traditionsverein aus Probstheida. Dies zeigt ein alarmierendes Beispiel aus dem letzten Jahr.

Anfang Dezember, genauer gesagt am 8.12. 2007, fand im Clubhaus des FC Sachsen die Weihnachtsfeier der in Fankreisen als links an­ge­sehenen Ultragruppierung „Diablos“ ein jähes Ende, als etwa 70 Ver­mummte die Räume stürmten. Da diese mit Baseballschlägern, Mes­sern, Rauchgranaten und einer Gaspistole bewaffnet waren, kann die­ser Vorfall nicht als „normale“ Schlägerei unter Fußballfans ange­se­hen werden. Nachforschungen in Kreisen von Lok haben außerdem er­geben, dass viele ältere Schläger nicht dabei waren und diese Aktion auch nicht gut heißen. Einige waren sofort zu Spenden für den „Wie­deraufbau“ bereit. Woher kommt also diese Masse an Leuten?

Fakt ist, dass am Abend des Überfalls etwa 15 Leute der berüchtigten rech­ten Hallen­ser Fangruppe „Saalefront“ ihre eigene Weihnachtsfeier mit unbestimmtem Ziel verließen. Fakt ist auch, dass die Polizei mitt­ler­weile recht genau weiß, wer an je­nem Abend mit von der Par­tie war, da einige der Angreifer schwere Verletzungen von den Stüh­len und Tischen, die auf ihnen zerschlagen wurden, davon­ge­tra­gen haben. So was lässt sich dann doch nicht so leicht verbergen.

Und auch aus dem Umfeld von Lok kamen Hinweise zu mög­lichen Tätern. Gerüchteweise ist zu hören, dass Ricardo Sturm, einer der führenden Köpfe der Leipziger Neonaziszene, an der Or­ga­ni­sa­tion des Angriffs beteiligt gewesen sein soll. Außerdem ist immer wie­der von den „Blue Caps“ die Rede, einer Gruppierung von Lokfans, die im Februar 2006 ein menschliches Ha­ken­kreuz im Stadion for­mierte.

Ein Gutes hat dieser Vor­fall den­noch: In Leipzig rutschte Lok ins Kreuz­feuer der Kritik und die Dis­kussio­nen in der Fanszene dürf­ten für die rech­te Szene un­gün­stig sein. Die Zu­kunft wird zei­gen, ob es hier­durch zu Selbst­­rei­ni­gungs­­prozessen kommt.

(tim)

Global Space Odyssee 2008

Am Samstag, 26. Juli, schallten dumpfe Bässe und gebrochene Beats durch Leipzigs Straßen. Bei schwüler Sonne folg­ten hunderte tanzende Menschen einigen dröh­nenden LKW’s vom Conne­witzer Kreuz über die Karl-Liebknecht-Straße zum Augustplatz und weiter zum Völker­schlacht­denkmal.

Nach einem Jahr Pause fand wieder eine Global Space Odyssee (GSO) anlässlich des weltweiten Aktionstages für die Legali­sie­rung von Cannabis statt. Diese Straßen­parade oder musikalische De­mons­tration, hinter der verschiedene subkulturelle und po­li­tische Initiativen sowie Einzelne ste­hen, zog erstmals 2001 durch Leipzig.

Dieses Jahr stand die Kulturpolitik der Stadt Leip­zig im Mit­­telpunkt der Kritik, die 98% der Kul­tur­förderung in so ge­nann­te Hochkultur wie Oper und Theater in­vestiert. Außen vor bliebe die freie Kultur, die durch bürokratische Auflagen und eine Vermarktungslogik in ihrer freien Ent­fal­tung behindert wird, so die Veranstal­terIn­nen der GSO. Dass diese Politik dann auch noch vom Estab­lishment als „Leip­zi­ger Freiheit“ gefeiert wird und im kultu­rel­len Leitfaden Leipzig als Musikstadt für junge Leute beworben wird, war Anlass ge­­nug, auf der Straße für eine selbstbe­stimm­te Welt zu tanzen.

Die diesjährige Route, die erstmals durch Reudnitz führte, ist als antifaschistische Aus­sage zu verstehen, gegen die ver­mehr­ten Naziaktivitäten im Leipziger Osten. Die GSO steht außerdem für die Akzeptanz al­terna­ti­ver Wohn­konzepte, wie etwa Wagenplätze; for­­dert Drogen­aufklärungspolitik, anstatt einer Krimi­nalisierung von Drogen­nutze­rIn­nen; stellt sich kritisch zur kapita­li­stischen Glo­ba­li­sie­rung und plädiert für freie Meinungs­bildung durch freie Me­dien.

(wanst)

Machtbeweis

Die EU reformiert sich und keinen interessierts – alte Inhalte aus der 2005 gescheiterten EU-Verfassung sollen nahezu unverändert nun ab 1. Januar 2009 doch wirksam werden.

Was geht mich die EU an, mag mensch sich fragen. Wie funktioniert die über­haupt? Auf der Suche nach Ant­worten würde er/sie entsetzt feststellen, dass diese poli­tische Ge­­meinschaft sich stark durch zen­trale Ent­schei­­dungsgewalt, wirt­schaftlich­e Profitinter­es­sen, immensen Bürokratieaufwand, militärische Aufrüstung, Juristensprache und Uni­for­­mierung von Standards, Werten und Normen auszeich­net. Ganz im Sinne „was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß“, verschließt mensch gerne mal Augen und Ohren und ver­kennt den Größenwahn europäischer Politik. Dieser reicht von der Fest­le­gung von Mindestpreisen für Lebensmittel zum Schutz europäischer Landwirte, die welt­weit ohnehin schon zu den Bestverdie­nen­­den zählen; von der Normierung von Schlaf­säcken, Briefkästen etc. bis zur Gurken­krüm­m­ung zu­gunsten von Wett­be­werbs­vor­tei­­len der eigenen Massen­produktion; über das Verbot sozialer Mindest­standards (1); bis hin zur Selbster­mäch­tigung zwischen 27 na­tio­­nal­staatlichen Interessen zu vermitteln. Und so wusste B. Brecht damals schon: „Un­sicht­­bar wird der Wahnsinn, wenn er ge­nü­gend große Ausmaße angenommen hat.“

Hintergründe

Es geht um die Funktions­fähig­keit und somit Zu­kunft der EU, wenn die Chefs der 27 Mit­glieds­staaten meinen, die EU-Grund­ordnung ändern zu müssen. Diese ist bisher wesentlich in zwei Grund­lagen­ver­trägen (EG-Verträge von Rom 1957, EU­-Ver­trag von Maastricht 1992) geregelt. Spezifischer wird es durch zusätzlichen Protokolle, Erklärungen und Sonderregeln sowie den Beschlüssen, die als Richtlinien oder Ver­ordnungen umgesetzt wurden. Zu­sammengenommen umfasst so das Recht der EU 80.000 Seiten.

Die durch die Lissabon-Reform geänderten Grund­lagenverträge sind dagegen „nur“ ein paar hundert Seiten lang. Hier sind grund­sätzliche Vereinbarungen zwischen den 27 Regierungen festgeschrieben, Aufgaben und Aufbau europäischer Institutionen fest­gelegt und gemeinsame politische Be­stimmungen formuliert. Aus dieser Zusammen­arbeit re­sultiert ein rechtlicher Rahmen, der national­staatliches Recht/Gesetz brechen kann. Dieses sog. gemeinsame Europa­recht steht über der nationalen Rechts­prechung und betrifft bspw. in Deutsch­land 2/3 aller staatlichen Politik­bereiche, so dass jede/r mal mehr, mal weniger von Entscheidungen, die auf euro­päischer Ebene getroffen werden, betroffen ist. In den anderen 26 Staaten sieht es nicht viel anders aus, so dass die aktuelle Reform der EU-Grundlagenver­träge für nahezu 500 Millionen Menschen relevant wird.

Was zukünftig gelten soll, wurde bereits vor sechs Jahren erarbeitet und war als EU-Verfassung geplant. Nachdem diese 2005 scheiterte, wurden im Juni 2007 unter deutscher Ratspräsidentschaft die alten Ver­fassungsinhalte im neuen Reformvertrag innerhalb nur eines Tages wieder „auf den Weg ge­bracht“, um letztendlich ab dem 1. Januar 2009 in Kraft treten zu können. War 2005 das Nein der franzö­sischen und niederländischen Wähler noch ohrenbetäubend, hat das Ja einiger Parlamentarier zu den alten Inhalten in neuer Form Anfang 2008 kaum jemand gehört. In Frankreich, Slowenien, Malta, Ungarn, Rumänien, Bulgarien und Polen wurde die Reform bereits, und jeweils mit großer Mehrheit, in den nationalen Parlamenten ratifiziert. Es scheint, dass die sicherheitsfixierten Staaten die gesamte Bevölkerung unter Generalverdacht der Unmündigkeit gestellt haben, da nur in Irland ein Referendum über die neue Reform entscheiden wird. Und selbst dieses wird nicht mehr als Hindernis an­ge­sehen, da spätestens das zweite Referendum das er­wünschte Ja bringen wird, wie es schon bei der letzten Reform (Nizza-Vertrag seit 2003 gültig) funktionierte. Auf dem EU-Gipfel in Lissabon im Oktober 2007 haben sich die Staatschefs auf die neue alte Fassung geeinigt, im Dezember 2007 unter­schrieben und seitdem für den Ratifizierungsprozess freigegeben. Es ist gegen­wärtig sehr wahrscheinlich, dass auch in allen anderen Parlamenten „Ja“ zur Lissabon-­Reform gesagt wird, da diese auch mehr Mitspracherecht für die nationalen Parlamente vorsieht, so dass sich die Parlament­arier selbst um ein Vetorecht brächten, wenn sie die Reform ablehnen würden. Denn diese gibt ihnen die Möglichkeit, vor dem Europäischen Gerichtshof eine Klage einzureichen, wenn 2/3 von ihnen meinen, dass ein europäisches Vor­haben die nationale Souveränität un­ter­gräbt. Große Um­­brüche bringt eine Re­­form be­kannt­lich nicht – europäische und so­mit nationale Politik setzt natürlich weiter auf die Stabi­lität des bestehenden Systems.

Denn sie machen was sie wollen

Die neue Lissabon-Reform wird nicht, wie mit der damaligen Verfassung vorgesehen, beide Grund­lagenverträge im Ganzen ersetzen, sondern wird diese „nur“ ergänzen – in Form einer Auf­wertung der Außen-, Sicherheits- und Ver­teidi­gungspolitik der EU, der Pflicht zur militärischen Aufrüstung und einer weiteren Zentra­lisierung von Entscheidungs­kompe­tenzen.

Welch ein Graus, dachten sich auch die 200.000 DemonstrantInnen im Oktober 2007 in Lissabon, die gegen den be­sagten EU-Gipfel protestierten und einem Aufruf der portugiesischen Gewerkschaft CGTP-IN gegen eine „EU-Verfassung durch die Hintertür“ folgten, während die 27 Staatschefs sich selbst und das Ende der Krise feierten. Proteste werden ignoriert und auch die Reforminhalte werden nicht öffentlich zur Debatte gestellt. Proteste, Diskussionen, Öffent­lichkeit dürfen eben nicht aufkommen, wenn es um die Zukunft der Europäischen Union geht.

Wenn es Probleme mit dem Grundgesetz gibt, muss dieses halt geändert werden. So leicht ist es auch, doch leider nur für deutsche Regierungsvertreter. Damit die neuen EU-Grundlagenver­träge verfassungskonform sind, muss das deutsche Grundgesetz, speziell der Artikel 23, geändert werden. Dieser „Europa­artikel“ trat mit dem Vertrag von Maast­richt 1992 in Kraft und erweiterte damals die EG zur EU, die seitdem über wirt­schaft­liche Beziehungen hinaus auch in Außen- und Sicherheitspolitik, Justiz, Polizei und Militär zusammenarbeitet. Mit Artikel 23 wurde die Weiterent­wick­lung der EU zum obersten Staats­ziel erhoben und erst­malig na­tionalstaat­liche Sou­verä­n­­ität auf einen Staa­t­­en­bund über­tra­gen. „Nur weiter so!“ mag mensch zu diesem Schritt der staatlichen Selbstauflösung meinen, wenn sich nicht deutsche Politik einflussreich in der EU wiederfinden würde. (2)

Konsequenzen

Der Reformdruck der Union der 27 liegt darin begründet, dass der bestehende konsti­tutionelle und institutionelle Rahmen nicht ausreicht, um in staatlicher Organ­isierung „handlungsfähig“ zu sein. Immer mehr „Kompetenzen“ werden von nationaler auf europäische Ebene übertragen, so dass mehr Gesetze erlassen werden, um die hinzu kommenden EU-Zuständigkeiten zu ordnen. Die letzte Reform ist acht Jahre her und seitdem ist viel passiert (EU-Osterweiter­ung, 9-11), was eine Um­struk­tu­rie­rung der Zusammenarbeit innerhalb der EU-­Institutionen (Gipfel­rat, Kommission, Mi­nisterrat, Parlament) not­wendig macht. So ver­schwin­det mit der Lissa­bon-Reform in noch mehr Bereichen das Vetorecht, in­dem die ursprünglich benötigte Einstimmigkeit bei wichtigen Entscheidungen zu Mehr­heitsabstimmungen verkommt. Übri­gens gilt ein Beschluss auch als einstim­mig, wenn sich einzelne Mitglieder ent­halten. Immer weniger dürfen mitreden, doch immer mehr kommt hinzu, was disku­tiert werden müsste. Immer mehr Kompetenzen schreibt sich die EU auf ihre Fahne, wie im Bereich Justiz, Mili­tär, Energie­sicherung und Umwelt und gibt ihrem Gerichtshof unbewältigbare Berge von Anträgen, Streits zu schlichten. Warum dies nicht in lokale und selbstbe­stimmte Hände gelegt wird, bleibt die Frage an Unternehmer des Standorts EU, Staats­getreue und Machtgierige. Bereits mit der Nizza-­Reform vor acht Jahren wurde die Möglichkeit der „Anpassung des Recht­sprechungssystems“ eingeräumt, jedoch nur für den Rat der 27 und die EU-Kommissare, die einstimmig oder auf An­trag die gesetzlichen Grundlagen der EU ändern können – ganz nach dem Mot­to: was nicht passt, wird passend gemacht. Die Lissabon-Reform nimmt grundlegende Änder­ungen an der bisherigen Struktur der vertraglichen Grundlagen des EU-Kon­struktes vor und hinterlässt ihre „dunklen Seiten der Macht“. (3) Die Spitzen­jobs wie Ratspräsident und Außenminister werden zur Vollzeitarbeit, die dop­pelte Mehrheit wird eingeführt und so Kerneuropa noch mehr Macht über die anderen, kleineren Staaten zugestanden. Zeit ist be­kanntlich Geld und so können Entscheidungen bald noch schneller gefällt werden.

Mit dem Blick auf die vertragliche EU-Grund­ordnung wird einiges klar und vieles bleibt unklar. Die Intention dieses Artikels ist von Anfang an begrenzt auf die Auf­klärung über die wichtigsten Punkte der aktuellen Lissabon-Reform. Der Autor versuchte, trotz mangelndem juristischen Werkzeug, Licht in den europäischen Paragraphensumpf zu schlagen. Das Ziel ist erreicht, wenn der/die Leser/in gegen Ent­mündigung und Bevormundung der Staatsoberen und der EU jetzt aufbegehrt!

Entscheidungsgewalt

Die Erleichterung von Ent­scheidungs­findungs­prozessen auf EU-Ebene ist Hauptbestandteil der Lissabon-Reform. Euro­päische Richtlinien und Verordnungen, die nur formell nicht als Gesetze bezeichnet werden, nehmen haupt­säch­lich im Europäischen Rat ihren Anfang. Dieser wurde 1974 als eine informelle Ge­sprächs­runde gegründet und ist mittler­weile zur einflussreichsten Institution euro­päischer Politik aufgestiegen. Dieser Rat der 27 Staatsoberen ist nicht zu verwechseln mit dem Ministerrat der EU und seinen 345 Fachministern. Die ersten be­griff­­lichen Verwirrungen sind also schon hier vorprogrammiert.

Der Rat der 27 trifft sich auf den jährlich stattfindenden, nicht-öffent­lichen EU-Gipfeln, um dort die gemein­sa­men Ziele und die allgemeine Richtung der EU-Politik festzulegen. Was danach in den EU-Institutionen – Kommission, Mi­nisterrat und Parlament – passiert, ist vor allem die Umsetzung der Be­schlüsse dieses Gipfelrates. Da es der Rat der 27 selbst war, in dessen Rahmen der Kompro­miss – alte Verfassung als neuer Vertrag – ver­handelt wurde, ist dessen Macht auch in Zukunft kaum beschränkt. Ganz im Ge­genteil: durch die Lissabon-Reform wird der bisherige sechs­monatige Vorsitz auf zweieinhalb Jahre erweitert. Davon verspricht sich der Gipfel­rat „mehr Kontinuität“ seiner Politik und der jeweilige Ratspräsident entsprechend mehr Einfluss seiner zu vertretenden nationalen Interessen in der EU-Politik und von da ausgehend auch auf internationaler Ebene. (2)

Neben diesem EU-Vorsitz als Ratspräsident soll zukünftig ein neuer EU-Außen­minister, der als „Hoher Repräsentant für Außen- und Sicher­heits­politik“ bezeichnet wird, der EU „ein außenpolitisches Gesicht“ geben. So muss wohl von einer Doppelspitze gesprochen wer­den, wenn dieser die EU zusätzlich nach Außen vertreten soll und mit nicht­-­EU-Staaten Verhandlungen im Bereich Handel, Diplomatie, Sicherheit und Verteidigung führen kann.

Was die 27 Staatschefs auf den Gipfeln be­schließen, wird daraufhin von der Europäischen Kommission als Gesetz erarbeitet. 27 sog. Kommissare machen dieses Gremium aus und wer­den vom Kommissionspräsidenten ernannt, der, wie könnte es anders sein, wieder­um vom Gipfelrat eingesetzt wird. Durch die Lissabon-Reform soll es ab 2014 nur noch 18 Kommissare geben, die dann ent­scheiden, wie die Rechte/Gesetze für die vom Gipfelrat erwünschten Inhalte zu formulieren sind.

Dass weniger mehr ist, soll auch für das EU-­Parlament gelten, wenn zur Europa­wahl im Juni 2009 nicht mehr 785, sondern 750 Parlamentarier direkt gewählt werden sollen. Was als das Demokratieelement in der EU gilt, versinkt bereits seit der ersten Direktwahl 1979 in der Bedeutungs­losigkeit. Für die kommende Europa­wahl wird die Wahlbeteiligung er­wartungs­gemäß weiter und sogar unter 40% fallen, so dass die Verbindung von Demo­kratie und EU mehr und mehr zur Heuche­lei verkommt. Es scheint symptomatisch, dass europäische WählerInnen kein Interesse zeigen, wer sie auf europäischer Ebene vertritt – werden sie doch sonst auch nicht gefragt. So verbleibt die Entscheidungsgewalt in der EU weiterhin hauptsächlich im Rat der 27 und somit bei nationalen Regierungsvertretern, Ministern und Staatsoberen.

Neben den Volksvertretern im Parlament müssen auch noch die 345 Fachminister im bereits erwähnten Ministerrat die Beschlüsse des Gipfelrates umsetzen. Was die Lissabon-Reform dabei neu regelt, ist nicht die Anzahl der Minister, sondern deren Stimm­verteilung. Wie wird eine Mehr­heit definiert? Eigentlich eine einfache Frage, nicht jedoch, wenn es um das Ab­­stimmungs­verfahren der EU-Fach­minis­ter geht. Schon mit dem Inkraft­treten der letzten Reform, des Nizza-Vertrages im Jahr 2003, wurde das nun noch bis 2014 geltende Abstimmungsprinzip der qualifizierten Mehrheit zur Norm. Danach kann eine Entscheidung durch­gesetzt werden, wenn mehr als die Hälfte aller 27 Mitgliedsstaaten, die mindes­tens 62% der gesamten EU-Bevölker­ung repräsentieren müssen, und 255 von den 345 Stimmen im Ministerrat haben, dafür stimmen. So könnte praktisch auch von einer dreifachen Mehrheit gesprochen werden. Ab 2014 soll ein neues Ab­stimmungs­system eingeführt werden, dass die Bevölkerungsstärke der einzelnen EU-­Staaten noch stärker berücksichtigt als bis­lang. Für einen Beschluss wird dann die Zu­stimmung von 55% der Mit­glieds­staaten nötig sein, die gleich­zeitig mindestens 65% der Ge­samtbe­völkerung der EU vertreten müssen, was als doppelte Mehrheit bezeichnet wird. Wie viel Stimmen ein Mitgliedsstaat hat, wird aus seiner Bevölkerungszahl berechnet. (5) So wird die Rolle des ohnehin schon einflussreichen „Kern­europa“ weiter ge­stärkt. Daran wird auch die neue Möglich­keit eines europaweiten Bürger­begehrens mit mind. einer Million Unter­schriften nichts ändern, da dieses, wenn es jemals zustande kommt, nur eine Recht­fertigung einfordert, anstatt einen Be­schluss gänzlich zu kippen.

Eine weitere Möglichkeit für „die Großen“, europäische Politik zu machen, liegt in der sog. ver­stärkten Zusammenarbeit. Einige Mit­glieds­staaten können den Ent­scheidungs­prozess, angefangen vom Gipfelrats bis zum Parlament, verkürzen, indem diese sich nur unter sich einigen und auf be­stimmte Vorgehensweisen verständigen. Diese Art der Zusammenarbeit muss von der Kommission vorgeschrieben und vom Parlament gebilligt werden und mindestens neun Mitgliedsstaaten umfassen. Bereits mit der Nizza-Reform 2003 wurden zehn Voraussetzungen für eine verstärkte Zusammen­arbeit auf eine einzige Bestimmung zu­sammen­ge­fasst, die zudem besonders im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik ausgeweitet. So kennt die EU nicht nur Gren­zen, sondern auch ihre Vorbilder aus den eigenen Reihen, die die gesamte EU-Politik nach ihren Vorstellungen voranbringen wollen.

Reformierte Militarisierung

Politisch weit vorgeprescht wird speziell im Bereich der „Verteidigung und Sicherheit“ der Union der 27. Hier liegt auch die Flinte im Korn. Den „Angriffen“ von außen sei durch Bewaffnung und Aufrüstung zu begegnen, um den eigenen Wohlstand vor Intriganten und Futterneidern zu schützen. Die Welt soll zwar offen für die EU sein, doch die EU nicht offen für die Welt. So werden Interventionen weltweit mit (h)ausgemachten Ängsten und Be­drohungen legitimiert, die in der Euro­päischen Sicherheitsstrategie (ESS) als Terror, Waffen, Aufstände, organisierte Krimi­nalität und „Scheitern von Staaten“ be­zeichnet werden. Zum Schutz der Inneren Sicherheit wird mehr und mehr nach außen gerichtete Kriegsmaschinerie ent­wickelt und durch die EU-Grund­lagenverträge sogar gefordert. Speziell mit Blick auf den Artikel 28 der Lissabon-Reform lässt sich erahnen, wo das noch hin­­führen wird. Dort geregelt ist ein neuer mili­­tärischer „Anschubfonds“, engere Zu­sammen­arbeit mit der NATO, eine Aufrüstungs­verpflichtung und die Rechtmäßigkeit einer europäischen Ver­teidi­gungs­agentur (EDA). Letzteres wurde be­reits 2004 eingerichtet und soll die Aufrüstung, Waffenbeschaffung und weitere EU-Militärprojekte voranbringen. Wie auch nationalstaatliche Politik setzt die EU auf Angstszenarien, die sie sucht und findet, diese dann als Handlungsgrund anführt, um sich so das Zepter zur An­wen­dung von Gewalt selbst zu reichen.Was schön positiv als Anschubfonds be­zeich­net wird, ist eine neu eingeführte EU-Finanzkasse, die sich aus Beiträgen der Mit­gliedsstaaten füllt. Und natürlich: wer mehr gibt, hat mehr zu sagen. Hier werden finanzielle Mittel gesammelt, um für militärische Einsätze Geld an­zuhäu­fen und gleichzeitig auf Mehrwert zu spekulieren. War bisher ein solcher perma­nenter EU-Militärhaushalt noch verboten, erlaubt dies nun die Lissabon-Reform. Auch wenn der Gründungs­mythos der EU, niemals wieder Krieg in Europa zuzulassen, seine Be­­rechtigung hat, ist die Beteiligung der EU an kriegerischen Konflikten mit eigenen Truppen eine Frage der Zeit. Der Kriegs­fall wurde auch in den Protokollen der aktuellen Re­form bedacht: heißt es hier, dass „niemand zur Todesstrafe verurteilt oder hinge­richtet werden“ darf, liest sich weiter unten dazu, dass dies selbstverständlich nicht im Kriegs­fall gilt und zusätzlich auch Erschießungen im Fall von Aufständen oder bei Flucht von Gefangenen möglich sind. Die kriegs­unterstützende Einstellung der EU wird auch aus der geplanten engeren Zu­sammen­arbeit mit der NATO offen­sicht­lich, wenn es im aktuellen Reformvertrag heißt, dass „europäische Vertei­­digungs- und Sicherheitspolitik […] zur Vitalität eines erneuerten Atlantischen Bünd­nisses“ beitragen soll. Hinzu kommt die Verpflichtung aller Mit­glieds­staaten „ihre militärischen Fähigkeiten schritt­weise zu verbessern“. Kaum erwar­ten können dies besonders Rüs­tungs­konzerne wie EADS (European Aeronautic Defense and Space Company) und British Aerospace, die sich bereits immense Profite durch den Bedarf an zusätzlichen Kampfhub­schrau­bern, gepanzerten Mili­tär­trans­portern, Luftab­wehr­raketensysteme und Kriegsschiffen ausrechnen.

Die Militarisierung geht mit großen Schritten voran und zeigt sich verstärkt in der Migrations- und Grenzpolitik der EU (6). Krieg und Aufrüstung im Namen von Sicherheit und Frieden – wie modernisiert muss es denn noch werden.

(droff)

 

(1) Mit der Bolkesteinrichtlinie ist das Her­kunfts­land­prinzip für EU-weite Dienst­leistung­en gültig. Dies bedeutet, dass Arbeiter­Innen in derselben Branche, Projekt oder Unternehmen z.B. nicht denselben Lohn für dieselbe Arbeit bekommen. Die Zahlung von ortsüblichen Löhnen z.B. in Deutschland gilt nur für deutsche und nicht z.B. für polnische Unternehmen, die ihren ArbeiterInnen die in Polen gültigen und wesentlich niedrigen Löhne zahlen, auch wenn diese gar nicht in Polen arbeiten. Gegen eine „Zersplitterung des Binnenmarktes“ und für den „ungehinderten Wettbewerb“ wird so der Wohlstand reicherer Länder auf den Rücken der ArbeiterInnen aus europäischen Billiglohnländern weiter ausgebaut. Die Bolkesteinrichtlinie gilt seit Dezember 2006 und muss noch bis Dezember 2009 in allen Mitgliedsstaaten in nationales Recht umgesetzt sein.

(2) s. FA! #11 „Deutschland in Europa“

(3) s. FA! #10 „EURO.PA – die dunklen Seiten der Macht“

(4) U.a. gehört es zu den Aufgaben des Ratspräsidenten, die Mitgliedsstaaten in den anderen EU-Institutionen wie auch in internationalen Organisationen wie UNO und WTO zu vertreten.

(5) Stimmverteilung im Ministerrat: Italien, Frankreich, Großbritannien, Deutschland: jeweils 29 Stimmen; Spanien und Polen: 27 Stimmen; Rumänien: 14; Niederlande: 13; Portugal, Ungarn, Belgien, Tschechien, Griechenland: 12; Österreich, Schweden, Bulgarien: 10; Litauen, Irland, Finnland, Dänemark, Slowakei: 7; Luxemburg, Zypern, Estland, Slowenien, Lettland: 4; Malta: 3.

(6) s. FA! #1 „The European Nightmare. Schengen Information System, repressive Asylpolitik und Kontrollstaat“; FA! #21 “Krieg um Welt. Welcome all Refugees from capitalist War“; FA! #25 „Marokko: Menschenrechtsverletzungen im Namen des EU-Grenzregimes“

Leipzig und der Stadtwerke-Verkauf

– schon zwei Mal gescheitert – Bürgerentscheid am 27.1.2008 –

Wer ist noch nicht über sie gestolpert, die Plakate der Bürgerinitiative APRIL (Anti­PRivatisierungsInitiative-Leipzig), die zum JA-Sagen am 27. Januar beim Bürger­entscheid auffor­dern? Opti­mistische Aller­welt­s­­gesichter grinsen da auf einen herunter und ver­kün­den: „Wir sagen Ja! – Stim­me abgeben und Ein­fluss be­­hal­ten“.

Wozu eigentlich? Ja dazu, dass die Stadt­verwaltung sieben kom­munale Betriebe in den nächsten drei Jahren nicht verkaufen darf, weder ganz noch anteilig.

Machen am 27. Januar 103000 von den rund 400 000 Stimmberechtigten (ent­spricht 25 Prozent) ihr Kreuz bei Ja (kein Ver­kauf), dürfen die betroffe­nen Unter­nehmen bis 2011 keine neuen Eigentümer bekommen.

Worum geht’s? Ende letzten Jahres kamen Ober­bür­ger­meister Burk­hard Jung und eine knappe Mehrheit im Stadtrat – be­stehend aus Ver­tretern der CDU, SPD, FDP – auf den Gedanken, den Schul­den­berg der Stadt Leip­­zig von knapp 900 Mio. Euro ab­zu­bauen, in­dem 49,9 Pro­zent der Stadt­wer­ke Leipzig (SWL) an einen Pri­vat­­investor ver­kauft wer­den. Der fran­zö­sische Kon­zern Gaz de France S.A. (1) ist bereit 520 Millionen Eu­­ro da­für hinzu­blät­tern und hat damit das Rennen ge­macht. Mit die­sem Geld hat die Stadt viel vor. So sollen die Schulden abgebaut werden, Schu­len, Kinder­gärten und Straßen saniert und durch Aufträge an mittelständische Unter­nehmen Arbeits­plätze geschaffen wer­den. Soweit die Wunschträume der Befürworter des Ver­kaufs.

Die Anti­PRivatisierungs­Initiative­Leipzig, die ein Spektrum von Attac, über zahl­reiche Bürgervereine, Stadträte, der IG Metall, den Grünen, der Linken bis zu Pfarrer Führer umfasst, sieht dies natürlich völlig anders: Um diesen Anteilsverkauf und vorsorglich auch den der anderen städtischen Unternehmen zu verhindern, startete sie im September 2007 ein Bürger­begehren, um einen Bürger­entscheid zu erzwingen.

Innerhalb von zwei Monaten sammelte die Ini­tiative – vorrangig bestehend aus den Grup­pen und Vereinen, die auch die Mon­tags­­demon­strationen getragen haben – Un­ter­schriften von 10 Prozent der Leipziger Wahl­­berechtigten. (2)

Da man befürchtet, dass es letztlich nicht nur um die SWL geht, sondern prinzipiell al­le großen kom­munalen Unter­nehmen un­ter dem Dach der Hol­ding Leip­ziger Ver­sor­gungs- und Ver­kehrsbetriebe (LVV) (3) „pri­va­tisierungs­gefährdet“ sind, ist die Fra­ge­stellung entsprechend weit gefasst:

Sind Sie dafür, dass die kommunalen Un­ter­nehmen und Betriebe der Stadt Leipzig, die der Daseinsvorsorge dienen, weiterhin zu 100% in kommunalem Eigentum ver­bleiben?“

Der Grund für diese Befürchtung liegt da­rin, dass die zahlreichen städtischen Unter­neh­men sich gegenseitig quer sub­ven­tio­nie­ren und so die Daseinsvorsorge (4) für die Stadt kostenneutral gewährleisten. Die jähr­lichen Gewinne der Wasser-, sowie der Stadt­werke (5) werden zum Ausgleich der De­fi­zite bei den Verkehrsbetrieben heran­ge­zo­gen und ermöglichen sowohl das ge­gen­wärtige Preisniveau als auch den Be­trieb und Erhalt des Verkehrsnetzes.

Hier setzt das Hauptargument der Gegner des Verkaufs an: Indem ein Mit-Eigner ins Boot geholt wird, werden die Handlungs­spiel­räume der Stadt und ihr Einfluss auf die Preisgestaltung, Auf­trags­vergabe, Ent­schei­dungen auf Investitions- und Förder­tä­tig­keiten langfristig entspre­chend ver­rin­gert. Kurz: Man verkauft das Huhn und wun­dert sich dann, keine Eier mehr zum Früh­­stück zu haben.

Die SWL spielen nicht nur als Strom­ver­sor­­ger, sondern auch als Sponsor des kultu­rel­­len und sportlichen Lebens der Stadt ei­ne bedeutsame Rolle und ermöglichen so Vie­­len die Teilnahme an Veranstaltungen, die sie sich sonst nicht leisten könnten. Eben­­so fördern die Stadtwerke durch ihre Auf­­tragspolitik bereits regionale mittel­stän­di­ge Unternehmen, da anfallende Aufträge von der LVV zu 67 Prozent an eben solche Be­­triebe vergeben werden und es fraglich er­scheint, ob ein privater Investor ein ähnlich star­kes regionales Engagement entwickeln wür­­de.

Dass die Sorge um weitere (Teil)­Privatisie­run­­gen nicht völlig aus der Luft gegriffen ist, ver­­deutlicht die Episode des „Opernballkom­pro­­misses“. So soll Ober­bürgermeister Jung im November 2006 am Rande des alljähr­lichen Opernballs – einer High-Society-Ver­an­­staltung bei dem sich alles trifft, was Rang, dicke Konten und Namen hat – mit der CDU-Fraktion im Stadtrat einen politischen Kom­­promiss ausgehandelt haben.

Der Deal: Die CDU-Fraktion stimmt dem an­teiligen Verkauf der Stadtwerke zu. Im Ge­gen­zug versprach der OB die spätere Priva­ti­sierung weiterer Unternehmen unter dem Dach der LVV. Entsprechend brachte die CDU im November letzten Jahres den Vor­schlag ein, auch die LVB teilweise zu privati­sieren. Dieses Hick-Hack ist derzeit zwar von geringerer Bedeutung, wird aber in dem Mo­ment interessant, in dem der Bürger­ent­scheid nicht genügend Ja-Stim­men erhält und diese Entscheidung an den Stadtrat zu­rück delegiert wird.

Zurück zum aktuellen Verkaufs­vor­haben, den Stadtwerken Leipzig. Hier springen vor allem zwei Ungereimtheiten ins Auge: Er­stens sind die SWL weit davon entfernt, ein marodes Unternehmen zu sein und zweitens wurde das Unternehmen schon zwei Mal in Tei­len verkauft und wieder zurück gekauft.

Nicht nur, dass die Stadtwerke zu einem nicht unerheblichen Teil den Nahverkehr, sportliche und kulturelle Ereignisse sub­ven­tionieren, sie sind außerdem klar auf Ex­pan­sionskurs. Die Bilanz für 2006 wies ei­nen Gewinn von 54 Mio. Euro auf, für 2007 wird mit einem ähnlichen Ergebnis gerech­net, was 2008 noch übertroffen werden soll. Abgesehen davon halten die Stadtwerke seit 2003 75 Prozent der Anteile des Danziger Fern­­wärmeunternehmens Gdanskie Prze­dsie­biorstwo Energetiky Cieplnej (GPEC), sowie An­teile von Fern­wärme­versorgern in Tczew und Staro­gard Gdanski. Sie sind ebenfalls an Unter­nehmen in Bulgarien (KES AG So­fia), Litauen (Klaipedos Energija) und Tsche­chien (Teplarny Jablonec a. s.) beteiligt.

Und: In Leipzig sammelte man bereits zwei­mal Erfahrungen mit Privatisierungen und deren Rückgängigmachung. Sowohl 1992 als auch 1998 wurden je 40 Prozent der Stadt­werke verkauft und die Verträge wenige Jah­re später rückgängig gemacht. Im Jahr 1992, als die Stadtwerke gegründet wurden, hielt RWE (Rheinisch-West­fälisches Elektrizitätswerk AG) einen Anteil von 40 Prozent. Drei Jahre später stellte man fest, dass die Partnerschaft nicht die gewünschten Er­folge brachte und die Stadt kaufte die An­teile zurück. Der zweite Versuch erfolgte 1998 – erneut wurden 40 Prozent veräußert und zwar an die MEAG (Mitteldeutsche Energie­Ver­sorgung AG). Diese Aktiengesell­schaft wurde später von RWE aufgekauft, die ihren Anteil an ihre Tochter EnviaM über­gab. Damit hielt einmal mehr der RWE-Kon­zern 40 Prozent der Leipziger Stadt­werke und über­raschen­der­weise hatten Stadt und Konzern sich 2003 über die Strategie der SWL so sehr zerstritten, dass man ver­kün­dete: „dass die strategische Ausrich­tung von EnviaM und den Stadt­werken Leipzig in spezifischen Markt­segmenten nicht kom­patibel sind“(6) und trennte sich erneut. Das heißt, die Stadt nahm Kredite auf und kaufte erneut die Anteile zurück und zwar mit einem Verlust von 16 Millio­nen Euro. Un­ter anderem dieser finanzielle Ver­lust soll nun durch einen dritten An­teils­verkauf wie­der aus­geglichen wer­den… manche lernen eben nie aus…

Bleibt die Frage, ob unsere Stadtober­häup­ter schlicht äußerst vergesslich und dilet­tan­­tisch sind, oder ob doch mehr dahinter steckt? Denn nicht nur die Stadt Leipzig pri­va­­tisiert kom­munale Un­te­rnehmen. Schon im let­zten Jahr­hun­dert, Ende der 90er Jahre, ver­kauften mehrere deut­sche Kom­munen und Ge­meinden die jewei­li­gen Ei­gen­be­trie­be und er­hielten so eine re­la­tiv große Sum­me auf einen Streich. (7) Damit ist späte­stens jetzt die EU-Privati­sie­rungspolitik, die sich in Abkommen wie dem GATS (Gene­ral Agreement on Trades and Services) nie­der­­schlägt, auch hier vor Ort an­gekommen. Zum Wohle des freien Marktes und dessen un­sichtbarer Hand, die es letztlich richten soll, werden Städte und Gemeinden dazu an­ge­halten, sich durch Privatisierungen mög­lichst komplett zu entschulden.

Wer dabei auf der Strecke bleibt, sind die Kon­­sumenten, die finanziell nicht in der La­ge sind, Preiserhöhungen für Wasser, Strom und andere grundlegende Ressour­cen mit zu tragen. Diese politische Ent­wick­lung ist also nicht neu, nun kommt der Neo­li­be­ralismus langsam aber sicher auch in der so­genannten Ersten Welt auf der kom­mu­nalen Ebene und damit bei je­dem Einzelnen und seinem Portemonnaie an.

Was hier geschieht, kann mensch seit Jahr­zehn­ten in politikwissenschaftlichen Lehr­bü­chern nachschlagen: weg vom Sozialstaat, der seine Bürger mit dem Nötigen versorgt, (wie eben Infrastruktur, Grundversorgung zu erschwinglichen Preisen, Kranken-und Ren­ten­­ver­sicherungs­systemen) hin zu ei­nem Nacht­wächterstaat, der nur noch in nach­gewiesenen Not­situationen einspringt. Mensch könnte sich für den Fall der Stadt­werke das Szenario vorstellen, dass diejeni­gen, die den Markt­preis für Strom nicht zah­len können und dies bei der Stadt­ver­wal­tung nachgewiesen haben, von der Stadt ge­kaufte Strom­kontingente zugewiesen be­kom­men kön­nten. Oder um in der Realität zu bleiben: Arbeitslose, die eine 120-pro­zen­tige Kürzung erhalten haben, dann eben Le­bens­mittelgutscheine (8) erhalten.

So gesehen schrumpft das auf den ersten Blick ritterliche Ansinnen der Bürger­ini­tia­tive zum konservativen Ruf nach Papa So­zial­staat. Mensch wehrt sich mit Händen und Füßen gegen die entsprechenden Ent­wick­lungen, aber leider erst dann, wenn die Angst um das ganz persönliche Porte­mon­naie um sich greift. So löblich es auch ist, dass mindestens 10 Prozent der Leipziger Be­völkerung dafür sind, über diese Frage di­rekt zu entscheiden – es kostet ja auch nur eine Unterschrift und die hat mensch oft genug geübt – umso bedauerlicher ist es, dass selbst dieses bürgerschaftliche En­ga­gement nur auf drei Jahre hin seine Wir­kung entfalten soll und letztlich mit 25 Pro­zent Ja-Stimmen noch immer eine ziemlich gro­ße Hürde zu nehmen ist. Kann mensch tat­sächlich von demokratischer Mitgestal­tung sprechen, wenn die Ent­scheidung bei ei­ner hoch komplexen Frage wie dieser, stumpf auf ein Kreuz bei „Ja“ oder „Nein“ re­du­ziert wird? Das eine Auge lacht, ob der sich scheinbar bietenden Partizipations­mög­lichkeit, das andere weint, ob des Gefühls, in­nerhalb des Politiktheaters einmal mehr ver­höhnt zu werden.

(hannah)

 

(1) Gaz de France ist mit ca. 50.000 Mit­arbei­tern, 13,8 Mio. Kunden und einer Börsenkapi­ta­lisierung von ca. 34 Milliarden Euro einer der größ­ten Energieversorger Europas. Die Ge­schäfts­aktivitäten umfassen die Erzeugung, Ver­tei­lung und den Verkauf von Energie (insbe­son­de­re Erdgas, aber auch Strom sowie Energie­dienst­leistung in mehr als 30 Ländern). Seit 1976 ist Gaz de France über die Gaz de France Deutsch­land GmbH mit inzwischen 700 Mit­ar­bei­terInnen auf dem deutschen Markt vertreten und u. a. an der GASAG in Berlin beteiligt.

 

(2) Nach der Gesetzeslage wären auch 5 Prozent aus­reichend gewesen, um einen Bürgerentscheid her­bei zu führen. Damit wurde die Entschei­dung über den Anteilsverkauf aus den Händen des Stadtrates genommen und den Wahlberech­tig­ten in Leipzig als Sachentscheidung vorgelegt.

 

(3) Die Holding LVV umfasst: die Stadtwerke Leipzig GmbH, die Leipziger Wohnungs- und Bau­gesellschaft mbH, das Klinikum St. Georg GmbH, die Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) GmbH, die Kommunale Wasserwerke Leipzig GmbH und den Eigenbetrieb Stadtreinigung Leipzig.

 

(4) Daseinsvorsorge: Nach dem Zweite Welt­krieg in Westeuropa vom Staat übernommene Auf­­gabe zur Bereitstellung der notwendigen Grund­versorgung, die letztlich das Funk­tio­nie­ren der Menschen im kapitalistischen System ge­­währ­leistet. Dazu zählt die Bereitstellung von öf­­fent­lichen Einrichtungen für die All­ge­mein­heit, also Verkehrs- und Beförderungswesen, Gas-, Wasser-, und Elek­trizitätsversorgung, Müll­abfuhr, Abwasserbeseitigung, Bildungs- und Kultureinrichtungen, Krankenhäuser, Fried­höfe usw. Dabei handelt es sich größtenteils um Betätigungen, die heute von kom­munal­wirt­schaftlichen Betrieben wahrgenommen werden.

 

(5) Nach Angaben der APRIL erwirtschaften die Wasserwerke jährlich ca. 22 Mio. Euro und die Stadtwerke ca. 50 Mio. Euro.

 

(6) www.rwe.com/generator.aspx/presse/language=de/id=178406?pmid=4000344.

 

(7) 1998 verkaufte Potsdam seine Wasserwerke zu 49 Prozent an Eurowasser und kaufte diese nach 1,5 Jahren zurück – Hamburg veräußerte 1999 die kommunalen Elektrizitätswerke an den Vatten­fallkonzern – die Stadt Dresden sämtliche 48000 kommunale Wohnungen für 1,7 Milliar­den Euro an die US-Investorengruppe Fortress.

 

(8) Gutscheine erhalten neben erwähnten Lang­zeitarbeitslosen vor allem AsylbewerberInnen, siehe Seite 5ff.