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Pro & Contra: Brauchen wir hierzulande Volksentscheide?

Am 27.01.2008  dürfen in Leipzig alle allgemein Wahlberechtigten über eine Bürgerinitiative abstimmen und damit möglicherweise den erneuten Verkaufsversuch der Leipziger Stadtwerke durch die Stadtverwaltung Leipzig verhindern. Doch selbst wenn am Wahltag genug Stimmen gesammelt werden können, um die vom Stadtrat geplante Privatisierung der Stadtwerke zu stoppen, was wurde damit wirklich erreicht? Sind Bürgerbegehren und erzwungene Volksentscheide ein Schritt vorwärts und hinaus über die parlamentarisch verfasste Parteienherrschaft? Bedeuten solche „plebiszitären Elemente“ einen Fortschritt an politischer Kultur und ein Mehr an politischer Mitbestimmung? Zwei kontroverse Meinungen seien kurz skizziert.

PRO:

Bürgerentscheide sind ein Schritt in die richtige Richtung, da sie sich weg von der Repräsentantenwahl und hin zur Basisde­mo­kra­tie be­wegen.

Hierzulande entscheiden Wenige über die In­teressen der Mehrheit und sind durch un­ser scheinbar demokratisches System noch dazu legi­timiert. Parteien verteilen vor der Wahl Hochglanzbroschüren an die Haus­halte; die glänzenden Positionen sollen Wählerstimmen brin­gen und ver­schwinden danach, bis zur näch­sten Wahl im Ak­ten­schrank. Die Stimme gilt fortan dem Parteirepräsentanten, der da­mit frei vom Wählergedanken agieren und anderen Interessen frö­nen kann. In­haltliche Entscheidungen werden weniger auf­grund ei­ner Auseinander­setzung mit der Sachlage im Interesse der Wähler/in­nen getroffen, sondern vielmehr von an­deren Faktoren abhängig ge­macht: Partei­druck, Lobbyismus, finanzielle Verstric­kun­gen oder inter­ne Verspre­chungen, wie dem „Opernballkom­pro­miss“ (siehe S.1/3f) sind hierbei Gang und Gäbe. Wer Macht hat, hat eben auch Ein­fluss. Enttäuschte Wäh­ler/innen können dies zwar monie­ren, än­dern können sie es hingegen nicht. So ver­wun­dert es kaum, dass viele nicht wäh­len, die Positionen als heiße Luft enttar­nen, über Politiker und ihre Entscheidun­gen am Stammtisch schimpfen oder sich generell von politischen Themen abwen­den.

Bei Bürgerentscheiden sieht das jedoch an­ders aus: Hier werden alle Betroffenen be­fragt und eine breite Basis kann ihre inhalt­li­che Po­si­tion (sofern sie sich in Frage und Ant­wort wiederfindet), geltend ma­chen. Nicht die Partei oder der Politi­ker, sondern ein konkretes in­halt­liches Problem ist Ge­gen­stand der Entschei­dung, an deren Er­­geb­­nis die Politik auch gebunden ist. Hier wird nicht mehr über heiße Luft verhan­delt, die dann zu­gun­sten anderer In­te­ressen ge­trost ver­gessen werden kann – nein, die Ein­zel­nen treffen ihre Ent­­­­­­­scheidung im In­­te­r­esse des eige­nen Wohles. Dies mag an man­­­cher Stel­le zu kurz ge­dacht sein, wird aber im Ganzen zu einer wünschenswerte­ren Politik, da die Menschen unabhängig ihres Status´ oder Geldbeutels selbst Ent­­schei­dungen über ihr Zusammenleben tref­fen können. Für ein ver­nunftgeleitetes Er­geb­nis ist es allerdings auch notwendig, dass mit dem Entscheid Aufklärungs- und In­­for­mations­po­li­tik einhergeht. Doch auch da hebt sich ein Bürgerentscheid po­si­tiv von der Stell­ver­treterwahl ab: Denn die konkrete Sachfrage animiert mehr Men­schen sich mit politischen Fragen in­halt­­­lich auseinan­der­zu­set­zen, In­formatio­nen zum Thema einzuholen und mit Freun­den, Bekann­ten oder der Familie da­rü­ber zu diskutieren. Die­se verstärkt prak­ti­zier­te aktive Mei­nungs­­bil­dung fördert das Po­li­tikbewusst­sein weitaus mehr, als die De­batten der Politikrepräsen­tan­ten, die aus gutem Grun­de von den sog. „Politik­ver­dros­se­nen“ angezweifelt und abge­lehnt wer­den. Zudem wird politisches Engage­ment gefördert – im Fal­le der Stadtwerke ist es dem Engagement und der Zusam­men­ar­­beit verschiedener lokaler Gruppen zu verdanken, dass die Leipziger über­haupt die Möglichkeit bekommen, über das Pri­va­tisierungs­vor­haben abstim­men zu kön­nen.

Parti­zipation bedeutet na­tür­lich mehr als ein Kreuz zu machen. Ein Bürgerentscheid widerspricht auch nicht dem deut­schen Parlamentarismus mit sei­ner scheinbaren Demokratie und er trägt aus anarchistischer Perspektive auch sicher nicht zur Über­win­dung der ge­sell­schaftlichen Verhältnisse bei. Trotz­dem ist diese Mög­lichkeit ein Fortschritt und ein Schritt in die richtige Richtung hin zu mehr basisorientierter Teilhabe an politi­schen Entscheidun­gen. Er bringt die Men­schen wieder mehr dazu sich mit Inhalten statt Partei-Theater auseinander zu setzen und in diesem Fall auf lo­ka­ler Eb­ene als un­ter­einander Glei­che bin­dend mitzustim­men. Ein Schritt in eine zu fördern­de Rich­tung ist es auch des­halb, weil ei­ne wün­schens­wer­te Gesellschaft auch jeden in Ent­­­scheidungen ein­be­ziehen wür­de und Po­li­tik nicht in die Hän­de anderer verlegt wä­re, über die man sich dann am Stamm­­tisch beschwert.

(momo)

CONTRA:

Nimmt mensch die Frage nach dem Für und Wi­der plebiszitärer Ele­mente innerhalb der par­lamentarischen Demokratie nur ab­­strakt, scheint die Antwort völlig klar: Dem na­tio­na­len Volk als Sou­verän steht jedes Moment di­rekter Wahlentscheidungen gut an, da so der ohnehin aufklaffende Spalt zwi­schen Sou­verän und re­­präsen­ta­ti­ver Ver­treterschaft durch die parteigebundenen Wahl­män­ner und -frauen zumindest ein stück­weit abge­mil­dert wird. Es macht den Ein­­druck, als hät­te der Bürger per Volksent­scheid ein zu­­­sätz­liches Kon­trollmoment ge­gen­über den ge­wähl­ten Parla­men­ta­riern in der Hand. Was soll also so falsch daran sein? Ganz einfach: Die­­se Kon­trol­­le ist eine Illu­sion, die jene nur weiter fortschreibt, dass der Bür­ger mit sei­nen alljährlichen Wahl­entscheidungen Rich­tung und Inhalt der Politik mitbestim­men könnte. Das dem nicht so ist, kann mensch schon an dem Ge­ze­ter abmessen, wel­ches immer dann über die Republik her­ein­bricht, wenn aus Wahl­versprechen und -pa­rolen regelmäßig kon­krete Regierungspo­li­tik gemacht wird. Mo­der­­ne Staatsführung hat eben wenig gemein mit der griechischen Stadt­­staatverwaltung in der Antike. Unter den Voraussetzungen der Par­teienherrschaft kön­nen Volksent­schei­de gar nicht viel mehr be­wir­ken, als die Bürger zu berauschen am Funk­tionieren des Systems und damit die Ver­häl­tnisse fort­schreiben. Sie sind Opium fürs Volk, Poli­tik im Zeitalter einer Gesell­schaft des Events. Mit echter Partizi­pa­tion hat das alles sehr we­nig zu tun. Bestes Bei­spiel hierfür gibt das aktuelle Bürgerent­scheids-Verfahren in Leip­­zig (siehe S.1/3f). Denn die feder­füh­ren­de Bürgerinitiative wirbt ja nicht FÜR eine kon­krete Alterna­tive sondern lediglich GEGEN die Pläne der Stadt. Da kann die Links­partei noch so­viel ideologische Ima­ge­pflege betrei­ben: Das JA! am 27.01. ist fak­tisch nur ein NEIN! Die politische Aus­ge­stal­tung einer Alterna­ti­ve ist wiederum nur an die regierende Frak­­tion delegiert. Und dementsprechend kurz­atmig ist auch die poli­tische Kultur, die durch das ganze Ver­fahren ins Leben geru­fen wird. Inhalt­lich wirklich aufgeklärt sind, wenn über­haupt, dann nur die wenigen Pro­ta­gonisten der Initiative, das Engagement der meis­ten JA!- und Amensager dagegen ist auf ein­ge­übtes Unter­schriften-Ab­geben und das ob­li­gatorische Kreuzchen am Wahl­tag be­schränkt. Letzt­lich funktioniert die Mo­bi­li­­sation der notwendigen Massen wie üb­­lich über das Bedienen der ohnehin vor­han­­­denen Ressenti­ments. Privatisierung ist ja auch Scheiße! Alles klar?

Letzt­­lich täuschen Volksentscheide nur da­rü­­­ber hinweg, dass im der­zeitigen poli­tischen System eine Teilhabe der Betroffe­nen weder reali­siert noch gewünscht ist. Und diese Teilhabe bekäme auch nur dann eman­zi­pa­to­­rischen Gehalt, wäre sie die Folge einer po­li­tischen Kul­tur, die tatsächlich die Bedürfnisse der In­­vol­vierten zum Gegen­stand hät­­­te. Dem ist aber mitnichten so. Einzig be­­frie­digt werden da­bei doch die Geltungs­be­dürf­nis­se einer außer/parlamentarischen Bür­ger­frak­tion, die den nationalen Kon­sens der Par­teien ja gerade teilt, sonst wür­­de sie nicht zur system-bejahenden An­alpha­­beten­wahl auf­rufen, son­dern bspw. den Widerstand in den Betrieben konkret organi­sie­ren. Fak­tisch wird es aber nieman­dem besser oder schlech­ter ge­hen, egal wie sol­che Entscheide aus­gehen. Entweder-Oder-Wahlen sind eben kein Gestaltungs­mit­tel. Lediglich die Rechts­­ab­teilungen der Par­teien bekommen so mehr Ar­beit. An den grund­sätzlichen Plä­nen und In­te­ressen än­dert sich dabei nichts, sie müs­sen einzig „um­­pro­grammiert“ werden. Der Bür­ger geht der­weil stolz ge­schwell­ter Brust nach Haus und versöhnt sich durch den Schein rich­ti­gen Handelns mit den falschen Ver­hält­nis­sen.

Al­ler­dings ist Ignoranz dem gegenüber auch keine politische Hal­tung. Und eine sol­che sollte mensch schon aufbieten, unabhängig da­von wie sich Herr­­­schaft akut formiert. Dazu gehört zu­min­­dest die kritische Aus­einander­set­zung mit dem, was sich politisch gerade be­wegt. Wenn nö­tig heißt das auch: Gegenbewe­gung. Be­trachtet mensch den kon­ser­vativen und teil­weise reaktionären Kern der mei­sten Volks­ent­scheid-Initiativen, so bräuch­te es derzeit und hierzu­lan­de gerade ver­­nünftige Kam­pagnen GEGEN die Illu­sion der Mit­be­­stimmung, die jene suggerie­ren. Dem auf­ge­klärten, politischen Be­wusstsein bleibt des­halb nach wie vor nur eine Wahl: Den eige­nen Stimm­zettel un­gültig zu machen und ei­ne an­dere po­li­tische Kul­tur ech­ter Parti­zi­pa­tion vor­an­zu­trei­ben. Und das heißt schluss­­­end­lich: Den Hemm­­­schuh ‚Volks­­­ent­scheid’ schnell­stens ab­zu­streifen.

(clov)

Editorial FA! #29

Das neue Heft ist da! Oder besser Magazin? Der Inhalt bestimmt die Form und eini­ge Themen brauchten eben mehr Platz. Und da es tagespolitisch ja nicht so heiß her geht in Leipzig, können wir uns auch be­ruhigt in den „Magazin-Sessel“ zurück­leh­nen und müs­sen nicht wöchentlich be­rich­ten, sondern können schmökern, diskutieren oder Thea­terstücke planen. In diesem Sinne haben wir uns von einem neuen Au­ßen­dienst­mit­­ar­beiter die Pantoffeln (das Ti­tel­bild) an den Ses­sel tragen lassen und in den Latschen zu­­dem ein Foto von Alexander Schielke entdeckt.

Es ließ sich da gerade noch genug Elan in den eigenen Redax-Reihen finden, um dem hochgelobten Stadtplanungsphäno­men der „Wächterhäuser“ auf den Grund zu gehen (S. 4-9). Aber kein Grund zur Hektik, das Thema soll uns auch in den weiteren Heften noch begleiten.

In einer Reihe marschieren… Ja, das war ein­mal, zumindest im Ostblock, der 01. Mai. Wie es heutzutage mit der Bewegung aussieht und ob es sich noch lohnt, am einstigen Arbeiterkampftag auf die Straße zu gehen, wird unter unserer Rubrik Neben­wider­sprüche (S. 14/15) diskutiert. Tja, und wer am internationalen Feiertag tatsächlich noch Zeit zum Nach­denken findet, der/die sollte überlegen, ob er/sie nicht dem Mot­to „Join the Union!“ folgt (S. 16-20) und sich stärker bei der Gewerkschaftsarbeit engagiert.

Wer schließlich die Augen ganz weit offen hält zwischen all den Blendgranaten der PR-Schlacht ‚Erster Mai‘, wird feststellen, wie wichtig es ist, über den nationalen Tellerrand zu schauen, um zu sehen, wo sich die Dinge entscheiden, die die Welt bewegen. Sei es die Technokratie aus Brüssel (S. 21-23) oder die Politik von Weltbank und Konsorten (S. 24-27).

Zur Verkaufsstelle des … *ähm* Monats haben wir „Onkel Toms Hütte“ gekürt, wo der Feierabend! dank selbstloser Verkäufer reißenden Absatz fand. Um letztlich nicht von der Straße des Erfolgs abzukommen, suchen wir ab sofort am anderen Ende der Autobahn, in Downtown Halle, Kontakt zu Schreibfreudigen, die dem Feierabend! regelmäßig zuarbeiten wollen. Meldet Euch bei Interesse!

Viel Spaß beim Lesen,

Eure Feierabend!-Redaktion

Verquere Fronten

Zur Kritik der nationalrevolutionären Ideologie

Dass Neonazis sich immer öfter einer „linken“ Symbolik bedienen, ist längst nichts Neues. „Autonome Nationa­listen“ bilden auf Demonstrationen „Schwarze Blöcke“, Palitücher und Che-Guevara-T-Shirts gehören fast schon zum guten Ton. Und auch bei Freien Kamerad­schaften und NPD wird eifrig „Kapita­lismuskri­tik“ betrieben und der „nationale Sozialis­mus“ gefordert.

Das müsste kein Grund zur Beun­ruhigung sein – trotz aller scheinbaren Neuerungen hat sich das Weltbild der Neonazis nicht geändert. Dennoch haben Linke oft Probleme, auf diese äußer­liche Annähe­rung angemessen zu rea­gieren, auch weil sich die eigenen Forderungen von denen der Neonazis mitunter nur schwer unter­schei­­den lassen – schließlich ist auch nicht alles, was irgendwie „links“ ist, gleich beson­ders menschenfreundlich oder emanzipa­torisch.

Um zu einer Klärung der Fronten beizutra­gen, sollen hier deswegen die zentralen Punkte der faschistischen – oder besser: „nationalrevolutionären“ – Ideo­logie und deren Herkunft näher beleuch­tet werden. Der Begriff „national­revolutionär“ scheint mir hier ange­messener, da er weiter gefasst und gleichzeitig präziser ist als das im politisch-diskursiven Handgemenge recht inflationär gebrauchte Wörtchen „fa­schistisch“. So hat die­ser Begriff den Vorteil, dass er auch gewöhn­lich als „links“ defi­nierte Denkweisen und Bewegungen ein­schließt und zugleich Inhalt und Form des Faschismus näher bestimmt. Denn dieser war immer eine auf den National­staat hin ausge­richtete Bewegung, dabei aber nicht nur konser­vativ auf eine Rückkehr zu einem früheren Zustand aus. Der Faschismus war inso­fern „revolutio­när“, als er auf eine weitgehende (auch gewaltsame) Neu­ordnung der Gesellschaft abzielte.

„Multikultur von rechts“

Die liebste fixe Idee aller National­revo­lutionäre ist das „Volk“, das nicht als vom Menschen geschaffene, staatlich umhegte, son­dern quasi naturwüchsige Einheit gedacht wird. Der letzte Aufguss dieser Idee ist der sog. „Ethnopluralismus“.

Der Begriff entstammt dem Umfeld der En­de der 60er Jahre entstandenen „Neuen Rech­ten“ (1), die damit den Rassismus der „al­ten“ Rechten ansprechender ver­packen woll­te. Der Kern des Konzepts ist die Be­hauptung eines „Rechts auf Diffe­renz“ zwi­schen den als natürliche Einhei­ten gedach­ten „Volksgemeinschaften“ (Eth­nien). Wer­de dieses Recht durch Ver­mischung der einzelnen „Ethnien“ verletzt, drohe also die Einwanderung von Angehö­rigen einer fremden „Ethnie“ die Kultur der Alt­eingesessenen zu zerstören, führe das auto­matisch zu Rassismus. Wenn Rassisten also Mi­gran­tInnen zusammen­schlagen oder tö­ten, ist das in dieser Sichtweise nur eine na­türliche Abwehr­reaktion des „Volks­kör­pers“ gegen Über­frem­dung – also müsse man sich für eine säuber­liche Trennung der Volks­gruppen ein­setzen.

Die biologistische Argumentation des herkömmlichen Rassismus´ wird durch die stärkere Betonung des Kulturellen bei der Unterscheidung „naturwüchsiger“ Volks­gruppen freilich nur übertüncht. Der Hauptunterschied ist, dass nicht mehr die Überlegenheit einer bestimmten (natürlich der eigenen) „Ethnie“ oder „Rasse“ behauptet wird, sondern diese als prin­zipiell gleichwertig, wenn auch grund­verschieden, gelten. Der intellek­tuelle Kopf der „neuen Rechten“, Alain de Benoist, formuliert es so: „Der wahre Reichtum der Welt liegt vor allem in der Vielfalt ihrer Kulturen und ihrer Völker.“ (2) Die Völker seien „nämlich keine bloße Addition individueller Atome, sondern Wesenheiten mit eigener Persönlichkeit (…)“. (3) Es ließe sich fragen, ob es ohne diesen Zwang zur Unter- und Einordnung in homogene „Volksgemeinschaften“ nicht noch weit mehr Vielfalt gäbe.

Ohnehin sind diese „naturwüchsigen“ Gemeinschaften reine Fiktion. Denn nicht die Völker schaffen sich ihren Natio­nalstaat, sondern die Nationalstaaten (bzw. die gesellschaftlichen Eliten) produzieren „ihre“ Völker. „Volkszu­gehörigkeit“ ist nur die Folge willkürlicher staatlicher Einsor­tierung von Menschen. (4) Zuerst ist der Staat da, der ein bestimmtes Gebiet kontrolliert, die gemeinsame „Kultur“ der in diesem Gebiet lebenden Menschen ist nur eine Folge davon. Die Entstehung einer gemeinsamen Landes­sprache z.B. wäre ohne die staatlichen Institutionen von Armee und Schulwesen oft kaum denkbar gewesen. So wurde die italienische Sprache zum Zeitpunkt der Entstehung des italienischen National­staats (1860) nur von einer verschwin­dend kleinen Minder­heit im Alltag benutzt – ganze 2,5% der Bevölkerung. (5)

Während die Sprache zumindest noch praktische Bedeutung hat, sind „rassische“ Merkmale, die als vermeintlich „objektiv“, weil „natürlich“ gelten, komplett willkür­lich gewählt. Denn warum soll gerade eine andere Hautfarbe oder die Form der Nase der wesentliche Unterschied sein? Wenn es um biologische Merkmale geht, könnte man Menschen mindestens genau­so gut nach ihrer Blutgruppe oder ihrer Schuh­größe sortieren.

Die organische Nation

Die „ethnopluralistische“ Idee ist keines­wegs neu, sondern nur eine Neuauflage des völkischen Nationalismus´. Dieser ent­stand nicht ohne Grund zur gleichen Zeit wie der moderne bürgerliche Natio­nal­staat, Anfang des 19. Jahrhunderts. Die bürgerliche Klasse hatte sich damals dank ihrer ökonomischen Macht zu einem wichtigen Faktor im gesell­schaft­lichen Gefüge entwickelt. Dem ge­gen­über verlor der Adel, dessen Machtbasis Agrarwirt­schaft und Leibeigenschaft waren, an Bedeutung. Die politischen Verhältnisse entsprachen der neuen Realität aber nicht. Die Leibeigenschaft, die die Bauern an die adeligen Groß­grund­besitzer band, wider­sprach z.B. dem Bedürfnis des Bürgertums nach Arbeits­kräften, die absolutistische Monarchie dem Bedürfnis nach Mitbe­stimmung. Theoretisch schlug sich dieser Konflikt in der Philosophie der Aufklärung nieder. Die Legitimation der Feudalherr­schaft – die Idee des Gottesgnadentums – wurde angezweifelt, der Religion Rationa­lismus und Naturwissenschaft entgegen­gestellt. Die Monarchie sollte durch ein „vernünf­tiges“ Staatsmodell ersetzt wer­den, die königliche Willkür durch eine Verfassung und eine parlamentarische „Volksver­tretung“ beschränkt oder gleich ganz dadurch ersetzt werden. Der Staat wurde als großes, nach rationalen Maßstä­ben konstruiertes Uhrwerk gedacht.

Diese Ideen wurden vom deutschen Bürgertum nur zum Teil übernommen. Das Erklärungsmodell, dass man zur Begründung des Strebens nach einem eigenen Nationalstaat wählte, unterschied sich deutlich von dem der englischen und französischen Aufklärung. Statt als von Menschenhand konstruierte Maschine wurde der Staat als natürlicher Organis­mus betrachtet, als institutioneller Körper der ewigen „Volksseele“. Zwei Gründe gab es dafür: Einerseits war der Kampf gegen die napoleonische Fremdherrschaft zwi­schen 1806 und 1813 der Startpunkt der Entstehung der deutschen National­bewegung. Ein Rückgriff auf die Ideen der französischen Aufklärung war darum nur schwer möglich. Zudem war das Gebiet des künftigen deutschen Nationalstaats in viele Fürstentümer zersplittert – im Gegensatz z.B. zu Frankreich musste ein einheitliches Staatsgebiet erst hergestellt werden. Um diese erstrebte Einheit zu begründen, berief man sich auf ein ewiges, unwandelbares Wesen der Deutschen.

Während die Burschenschaften, die aus den im Kampf gegen die Franzosen gebildeten Freikorps entstanden waren, eher die aktivistische Seite des Strebens nach nationaler Einheit repräsentierten, wandten sich die Romantiker auf der Suche nach dem „deutschen Wesen“ der Vergangenheit zu – die Märchensamm­lungen der Brüder Grimm gehören z.B. in diesen Kontext. Die „deutsche Volks­seele“ wurde so freilich nicht gefunden, sondern eher erfunden.

Die völkische Idee wurde im Laufe des 19. Jahrhunderts von vielen Nationalisten übernommen und ist bis heute nicht ausgestorben. In Deutschland prägt sie z.B. immer noch die Einwan­de­rungs­politik – während sich z.B. in Frank­reich die Staatsbürgerschaft am Geburts­recht orientiert (wer in Frankreich geboren ist, gilt als Franzose), gilt in Deutschland noch immer das Abstam­mungs­recht: „Deutsch ist nur, wer deutsche Eltern hat.“ Darauf können sich Nazis und CDU-Politiker wie Wolfgang Schäuble problemlos einigen – die Zugehörigkeit zum deutschen Staats­­­­volk leitet sich aus einer my­ste­riösen Qua­lität des „deut­schen Blu­­tes“ ab.

Aus der weiten Verbreitung völ­kischer Ideen er­klärt sich auch, warum auch man­che Linke Pro­bleme haben, der ethno­pluralistischen „Multikultur von rechts“ inhaltlich etwas entgegenzusetzen oder sogar Positionen vertreten, die dieser auf´s Haar gleichen. Die bloße Forderung nach Toleranz „Fremden“ gegenüber greift zu kurz, wenn diese dabei in ihrem „Fremd­sein“ festgeschrieben werden, also z.B. MigrantInnen unveränderlich nur als Repäsentanten ihres jeweiligen „Kultur­kreises“ gesehen werden. Ein wirksamer Antirassismus kann nicht ohne die Kritik am Nationalstaat auskommen. Die nationalstaatliche Logik ist immer struk­tur­ell rassistisch (unabhängig davon, wie sie begründet wird), da sie stets zwischen „uns“ und dem Rest der Welt trennt.

Der nationale Sozialismus

Der Fiktion der „Volks­­­­­­­ge­­­mein­schaft“ stand in der bürgerlichen Gesell­schaft frei­lich stets die Re­a­­lität des Klas­­­­sen­­­­kampfs ent­ge­gen. Dies sa­hen auch viele Nationa­lis­ten, die sich der Not­wendigkeit be­­wusst waren, auch die Ar­beiter­klasse in ihre Pläne ein­zu­­bezie­hen. Ande­rer­seits war auch ein Groß­teil der sozia­lis­­ti­schen und kom­­­mu­­nis­ti­schen Theo­retiker und Funk­­tionäre fest in na­tio­nalis­tischen Denk­weisen verfan­gen. Aus der Verbin­dung beider Seiten entstand das Kon­zept des „natio­nalen So­zialis­mus“. Der I. Weltkrieg mar­kierte dabei den ent­schei­­denden Punkt. Die wich­tigste Neuerung des Krie­ges war, dass sich nicht mehr nur Armeen gegen­über­standen, sondern das Ausmaß des Konfliktes eine weitgehende Mobilisierung der Gesamt­bevölkerung nötig machte. Die Notwen­digkeiten der Kriegsführung zwan­gen die beteiligten Regierungen auch zu einer verstärkten Kontrolle der Wirtschaft, um die ökono­mischen Ressourcen best­möglich nutzen zu können. Das war vor allem eine pragmatische Antwort auf die Sach­zwänge des modernen Krieges mit seinen riesigen Materialschlachten und den damit verbun­de­nen logistischen Anfor­derungen. Doch sahen das nicht alle so – die deutschen Sozialdemokraten z.B. be­trachteten diesen „Kriegssozialismus“ als Vor­zeichen einer künftigen Überwin­dung des „anarchi­schen“ Konkurrenz­kapitalis­mus. Hatten sie noch 1914 nur widerwillig den Kriegskrediten zuge­stimmt, so fanden sie sich bald nicht nur mit dem Krieg ab. Manche von ihnen überhöhten den Konflikt gar zum „Welt­re­vo­lutionskrieg“, bei dem Deutschland die Seite des Fort­schritts, die Entente (6) mit Großbri­tan­nien an der Spitze die „Weltreaktion“ verkörperte.

Der preußische Obrigkeitsstaat erschien in den Augen dieser Sozialdemokraten nicht mehr nur als Relikt der Vergan­gen­heit, sondern als Vorform einer höheren Stufe der Organisation der Produktivkräfte, d.h. des Fortschritts der Geschichte auf ihr vorbestimmtes Ziel zu. Diese Ein­schät­zung wurzelte in einem seit den Tagen des Gründervater Ferdinand Lassalles (7) in der SPD vorherrschenden Staatsfetischismus „Sozialismus“ wurde gleichgesetzt mit staatlicher Organi­sation der Wirtschaft und der Gesamt­gesellschaft. Der Krieg ebnete diesem Fortschritt den Weg. Er erzwang nicht nur eine verstärkte staatliche Kontrolle der Wirtschaft (freilich unter Bewahrung des Privateigentums an den Produktions­mitteln), er machte auch eine zeitweilige Befriedung der Klassenkonflikte und die stärkere Einbindung der Arbeiter­schaft in die „Volksgemeinschaft“ mittels sozial­staat­licher Maßnahmen nötig – und lieferte so das Modell für den „nationalen Sozia­lismus“.

Nach dem I. Weltkrieg war diese Idee weit verbreitet und wurde mit gewissen Varia­tionen von Vertretern fast des gesamten politischen Spektrums geteilt. Walther Rathenau (der gemeinhin als Liberaler galt) wäre hier ebenso zu nennen wie etwa die „Nationalbolschewisten“ innerhalb KAPD (8). In der Rechten nahm die NSDAP die Idee in ihr Programm, den Begriff in ihren Namen auf.

Von einer ganz anderen Seite näherten sich auch die italienischen Syndikalisten einer ähnlichen Position. Während die deutsche Sozialdemokraten auf Reformen und den gesetzmäßigen Gang der Geschichte setzten, war für sie nur der Wille zum Umsturz entscheidend. Prägend waren dabei vor allem die Ideen George Sorels (1847-1922).

Sorel hatte es als Theoretiker (vor allem mit der Schrift Über die Gewalt (9)) zu einigem Einfluss in der französischen Abeiterbewegung gebracht. Anfangs dem orthodoxen Marxismus verpflichtet, unterzog er diesen bald einer weitgehenden Neuinterpretation, die außer der Idee des Klassenkampfs kaum etwas übrigließ. Dabei ging es Sorel nicht um eine Über­win­dung des Kapitalismus. Was er kriti­sierte, war die „Dekadenz“ der bürger­lichen Gesellschaft, Rationalismus und Demokratie. Das Proletariat sollte gegen das Bürgertum in Stellung gebracht werden und so die moralische Erneuerung, die Rückkehr des „Heroischen“ einläuten. Das Mittel, um die Arbeiter zu mobili­sieren, sollte dabei nicht die Vernunft, son­dern der „Mythos“ sein. Diesen Mythos, der die Kampf­­be­reitschaft des Prole­tariats ent­fachen sollte, glau­bte So­rel im Ge­neral­streik ge­fun­den zu haben.

Die Hoff­nun­gen, die er in das Pro­leta­riat setzte, er­füllten sich frei­­lich nicht. Ent­täuscht wand­­­­­­­ten Sorel und seine Anhän­ger sich 1912 der natio­nalistischen Ac­tion Francaise zu. Ein Teil der italie­ni­schen Syn­di­­kalisten bewegte sich derweil in eine ähnliche Rich­tung. Nachdem die ver­schie­denen Anläufe zum Umsturz miss­lungen waren, kamen die­se Syndika­listen zu dem Schluss, dass Proletariat sei nicht der geeignete Träger einer Revolution und er­setz­ten es durch die Nation.

Diese Haltung ging nahtlos in den Fa­schismus über. Am 1. Oktober 1914 wurde in Mailand der Fascio rivoluzionario d´azio­ne internazionalista (Revolutionäres Bünd­nis internationaler Aktion) gegrün­det. Im Gründungsmanifest hieß es: „Wir (…) sind überzeugt, dass es unmöglich ist, nationale Revolutionen ins Ausland zu tragen, ohne zuvor das Stadium der eigenen nationalen Revolution durchlau­fen zu haben. (…) Wo ein Volk nicht im Rahmen seiner natürlichen Grenzen lebt, die durch Sprache und Rasse gezogen werden, wo die nationale Frage nicht gelöst ist, kann es das zur normalen Entwicklung der Klassenbewegung notwendige Klima nicht geben.“ (10) Vor der „sozialen“ galt es also die „nationale Frage“ zu lösen – dazu musste nach Ansicht der National­syndikalisten der Krieg gewonnen und so Italien ein angemessener Platz unter den europäischen Nationen gesichert werden.

Benito Mussolini, der bis dahin in der Sozialistischen Partei Italiens (SPI) Karriere gemacht hatte, schloss sich bald dem Bündnis an und übernahm schließ­lich die Führung. Die Revolution, die Mussolini nun forderte, war nationa­listisch, antiliberal und anti­marxistisch. 1917 schrieb er: „Aber das Vaterland darf nicht verleugnet werden (…), besonders wenn es in einen Überlebens­kampf verwickelt ist. Wer Vater­land sagt, sagt Dis­ziplin; wer Disziplin sagt, an­er­­kennt eine Hierar­chie der Autori­tät, der Funk­tionen, der In­tel­ligenzen. Und wo die­se Disziplin nicht frei­willig akzeptiert wird, (…) muss sie aufge­zwungen wer­den (…).“

Und an anderer Stelle: „Die Wörter Republik, Demokratie, Radikalis­mus, Liberalismus haben genau­so wenig Sinn wie das Wort Sozialismus. Morgen wird es einen haben, aber das wird jener sein, den ihm die Millionen Front­heim­kehrer geben. Dieser Sinn kann ein ganz anderer sein, zum Beispiel ein anti­marxistischer, nationaler Sozialismus. Die Millionen Arbeiter, die zu den Furchen der Äcker zurückkehren, nachdem sie in den Furchen der Schützengräben gelebt haben, werden die Synthese der Antithese Klasse und Nation bewerkstelligen.“ (11)

Der unverstandene Kapitalismus

Der Kapitalismus war für die National­syndikalisten ein rein moralisch-psycho­logisches Problem. Der materielle Kern der kapitalistischen Produktionsweise, das Privateigentum an den Produktionsmitteln und die darauf basierende Wertschöpfung durch Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft, wurde so verkannt. Diese Wendung hin zur Psychologie lässt sich z.B. bei Arturo Labriola (12) erkennen, wenn er schreibt: „Das Organisations­prinzip des Kapitalismus lässt ihn [den Kapitalisten] als Chef erscheinen (…). Dies ist der Hauptgrund, der die Arbeiter gegen die Kapitalisten aufbringt.“ (13)

Der Teufel steckt hier im Detail: Das Problem ist für Labriola nicht, dass der Fabrikbesitzer wirklich der Chef ist, der über die Arbeitskraft der Proletarier verfügt und diese gewinnbringend nutzen will –das Problem ist nur, dass der Kapitalist den Arbeitern als Chef erscheint.

Aus solcher Kapitalismuskritik folgt logisch ein Verständnis von Sozialismus, dass es gar nicht mehr für nötig hält, das Privateigentum an den Produktionsmitteln und die Lohnarbeit anzutasten. Nur die geistige Kluft zwischen Besitzenden und Besitzlosen musste geschlossen werden. Die Trennlinie zwischen Proletariat und Bourgeoisie wurde durch die zwischen „Produktiven“ und „Parasiten“ ersetzt. So forderten die italienischen Faschisten am Ende des I. Weltkrieges eine „partielle Enteignung“ des „parasitären“ Finanz­kapitals. Die „produktiven“ Teile der Gesellschaft (was Fabrikbesitzer, Ge­schäfts­leute usw. einschloss) sollten in nach Wirtschaftszweigen getrennten Korpora­tiven zusammengefasst werden, die in Zusammenarbeit mit dem Staat das organische Ganze der Nation bilden sollten – ein Programm, das nach der Macht­übernahme auch umgesetzt wurde.

In der Ideologie der NSDAP verband sich die Unterscheidung von „schaffendem“ und „raffendem“ Kapital mit der antisemi­tischen Rassenlehre, die das mittelalter­liche Stereotyp vom wuchernden „Geld­juden“ aufgriff. Die abstrakte Qualität kapitalistischer Herrschaft – die nicht mehr an Personen gebunden ist, sondern an den Besitz – wurde so völlig verkannt, der unsichtbare Zwang des Marktes im „Juden“ personifiziert. Im Rückgriff auf antisemitische Verschwörungstheorien, wie sie u.a. in den „Protokollen der Weisen von Zion“ (14) formuliert worden waren, halluzinierte man sich diesen als teuflische Macht hinter den Kulissen. Der „Jude“ war zum einen Inbegriff des raffgierigen Spekulanten, er trat aber auch in Gestalt des Bolschewismus auf. Zudem bedrohte er die „arische Art“, indem er als parasitäres Anhängsel des „Volkskörpers“ dessen „rassische Reinheit“ untergrub. Die Folgen dieser paranoiden Ideen sind bekannt – sie führten zur Ermordung unzähliger Men­schen in den KZs. (15)

Selbst ohne gleich die Antisemitismus-Keule auszupacken, kann man feststellen, dass auch bei vielen linken „Kapitalismus­kritikern“ dieser Mechanismus der Perso­ni­fizierung wirkt. Dass der Kapitalismus als System, als besondere Form der Organisation, das Problem ist und nicht das moralische Ungenügen einiger Unter­nehmer, geht vielen nicht in den Kopf. Kapitalist ist man nicht dadurch, dass man besonders gierig ist, sondern dadurch, dass man Kapital besitzt und so Produk­tionsmittel und Arbeitskräfte kaufen kann – und auch dann ist man den Zwängen des Marktes unterworfen.

Auch der Arbeitsfetisch, der die „produk­tive“ Seite der kapitalistischen Wirtschaft von jeder Kritik ausnimmt, ist in der heutigen Linken weit verbreitet, sei es bei Attac, der Linken oder der SPD, die, wenn sie überhaupt Kritik am Kapitalismus üben, meist nur das Finanzkapital meinen. Erinnert sei hier an die „Heuschrecken“-Rede von Franz Müntefering, in der er sagte: „Manche Finanzinvestoren ver­schwen­den keinen Gedanken an die Menschen, deren Arbeitsplätze sie vernich­ten. (…) Sie bleiben anonym, haben kein Gesicht, fallen wie Heuschrecken­schwär­me über Unternehmen her, grasen sie ab und ziehen weiter.“ Indem das Problem einer bestimmten Personengruppe (Juden, Amerikaner, Spekulanten) zugeschrieben wird, wird die eigene Mitverantwortung verdrängt. Für Müntefering dürfte daraus nur business as usual folgen – noch schlimmer ist es, wenn man meint, zur Lösung des Problems diese Leute ausrotten zu müssen. Emanzipation kann auf dieser Grundlage nicht funktionieren.

Fazit

Diese ideologischen Überschneidungen zwischen „links“ und „rechts“ bedeuten freilich nicht, dass beide letztlich dasselbe seien, wie gängige Extremismus­theorien behaupten. Diese Gemeinsam­keiten kommen nur dadurch zustande, dass die Linke den gesellschaftlichen Normal­zustand von Kapitalismus, Lohn­ar­beit, Nationalstaat usw. als natur­gegeben akzeptiert, wie es die Nazis ohnehin die ganze Zeit tun. Der Kern des Problems liegt in der „poli­titischen Mitte“, in dem Be­streben, die bürgerliche Herrschaft in all ihren Erscheinungsformen als natürli­che Ordnung der Dinge zu le­gi­ti­mieren.

Was es bräuchte, wäre also eine Radi­kalisierung linker Kritik. Volk, Nation, Kapitalismus usw. sind nichts Ewiges, sondern von Menschen geschaffen, lassen sich also auch verändern und gegebe­nenfalls abschaffen. Die Forderung nach einer Gesellschaft­s­ordnung, die es allen Menschen ermög­licht, ihr Leben gemäß ihren Bedürfnissen zu organisieren, ist bis heute nicht erfüllt. Genau das wäre ein Ziel für eine Revolu­tion, die diesen Namen wirklich verdient – eine Umwälzung, die die Ausbeutung der menschlichen Arbeits­kraft ebenso wie die nationalstaatliche Einsortierung von Menschen beendet.

(justus)

 

(1) Deren wichtigstes Publikationsorgan in Deutschland die Zeitschrift Junge Freiheit ist

(2) Zitat aus de Benoist, „Aufstand der Kulturen“, 1999, S. 36

(3) Ebenda, S. 41

(4) Siehe auch FA! #24, „Ihre Papiere bitte!“

(5) Angabe nach Eric J. Hobsbawm, „Nationen und Nationalismus“, 1991, S. 75

(6) Das gegnerische Bündnis von Frankreich, England, Italien, Russland und später den USA

(7) Ferdinand Lasalle war 1863 Mit­be­gründer des Allgemeinen Deut­schen Arbeitervereins (ADAV), aus dem 1869 die Sozialdemo­kratische Abeiterpartei Deutschlands her­vor­ging, deren Führung Lasalle übernahm. Zu Lasalles Staatsbegriff siehe Willy Huhn, „Der Etatismus der Sozialdemokratie“, 2003.

(8) Kommunistische Arbeiterpartei Deutsch­lands, eine rätekommunistisch orien­tierte Abspaltung der KPD

(9) Erschienen erstmals 1906

(10) Zitat nach Zeev Sternhell, „Die Ent­stehung der faschistischen Ideologie“, 1999, S. 259

(11) Ebenda, S. 277

(12) Italienischer Sozialist, 1843-1904, gründete 1902 die Zeitschrift Avanguardia Socialista,an der ab 1903 auch Mussolini mitarbeitete.

(13) Zitat nach Sternhell, 1999, S. 133

(14) Eine Ende des 19. Jahrhunderts vom russischen Geheimdienst fabrizierte Fälschung

(15) Rassistische Ideen spielten aber in allen faschistischen Bewegungen eine wichtige Rolle. So errichteten die italienischen Faschisten z.B. Internierungslager für „Zigeuner“.

Der Muff von 40 Jahren

Und täglich grüßen die 68er. Zum 40. Jahrestag wird im Feuille­ton eifrig um die richtige Deutung der damaligen Geschehnis­se ge­­strit­ten. Für den Alt-68er und Historiker Götz Aly ist die Sache klar wie Kloßbrühe, wenn er aus ganzer analytischer Kraft heraus po­stuliert: 68er = Nazis. Logisch, Goebbels hat schließ­lich auch stu­diert. Gut, dass es da noch die taz gibt, den Dutschke-Fan­club Num­mer 1. „Brauchen wir einen neuen Dutschke?“, fragt mensch sich da z.B. ganz unbefangen, um dann in scholastischer Ma­nier meh­rere Sei­ten mit Pros und Kontras zu aufzufüllen. Vor sol­chen Fans würde mensch den Dutschke doch gern in Schutz neh­men. Im Gegensatz zu Götz Aly findet die taz Dutschke und die 68er zwar im Prinzip rich­tig knorke, nur mit ihrer Staatskritik hät­ten sie halt etwas übertrie­ben. Der Na­tionalstaat sei schließlich mitt­lerweile selbst eine „bedroh­te Spe­zies“. Ein echter Geistesblitz – mensch sieht, beim langen Marsch in den Arsch der Berliner Republik haben die GenossIn­nen von der taz einiges dazugelernt. Weil unser armer Nationalstaat so arg bedroht ist, hat er auch gar keine andere Wahl, als z.B. überflüssige Ausländer abzu­schie­ben. Die Lage ist ernst, da müs­sen auch parlamentarische Ent­schei­dungs­gremien zu­rücktre­ten. Das mussten die hessischen Grü­nen, die SPD und die Lin­ke feststellen, nachdem sie sich im hes­sischen Landtag für einen Ab­schiebestopp für afghanische Flücht­linge aus­ge­sprochen hatten. Trotz Landtagsmehrheit sah es der Innenmini­ster überhaupt nicht ein, den Stopp auch umzuset­zen. Wieder ei­ne Lektion in Sa­­chen Parlamentarismus gelernt! Viel­leicht sollte mensch sich die Sa­che mit der außerparlamentarischen Opposi­tion doch noch ein­mal durch den Kopf gehen lassen. Daraus könnten sich zur Ab­wechs­lung mal Fragestellungen er­geben, die wirkliche Er­kennt­nis­se fördern. Die ehemals ach so re­bellischen Zeitge­nos­sen könnte mensch derweil ihrem unaufhalt­samen Verkal­kungs­prozess über­las­sen. Viel Vernünftiges wird dabei wohl nicht mehr her­auskom­men. Höchstens noch Fragen wie die­se: Würde Rudi Dutschke Chi­na boykottieren? Oder ist vielleicht gar der Dalai Lama der Ru­di Dutschke von heute? Wir wissen es nicht. Und wir brauchen es auch nicht wissen!

justus & karotte

Nix Neues im Leipziger Osten

Naziaktivitäten und Antifa in Reudnitz

Dass es naiv war zu glauben, mit dem Ende der Worch-Aufmärsche gäbe es in Leipzig kein Problem mehr mit Neonazis, konnte man schon am 22. Juni 2007 sehen. Einen Tag nachdem Christian Worch mit einem kleinen Fußvolk von ge­rade mal 34 Personen durch Leipzig mar­schiert war, führten die „Freien Kräfte Leipzig“ eine Spontandemo in Reudnitz durch, an der sich etwa 100 Kamer­adIn­nen beteiligten. Ein Wink mit dem Zaunpfahl, dass mit der hiesigen Neonazi-Szene noch zu rechnen sei.

Vor allem in Reudnitz konnten sich die „Frei­en Kräfte“ im letzten Jahr etablieren. Nach dem Modell der „Autonomen Nationalisten“ legen sie auf Abgrenzung gegenüber der als zu wenig radikal empfun­de­nen NPD Wert, äußerlich orientiert man sich bei Kleidung und Gestaltung von Transparenten und Aufklebern an links­radikalen Gruppen. Hinzu kommt, dass man sich nicht auf Propaganda-Ak­tio­nen beschränkt, sondern auch vor ge­walt­tätigen Übergriffen auf reale oder vermeintliche politische Gegner nicht zu­rück­geschreckt wird. Dies demonstrierten die „Freien Kräfte“ u.a. am 27. September 2007, als sie im Verbund mit rechten Lok-Hools [gewaltverliebte Fußballfans] ver­suchten, eine im Rahmen der Proteste gegen den „Tønsberg“-Laden in der Leip­zi­ger Innenstadt stattfindende Kundgebung der Jusos zu attackieren – ein Vorhaben, dass an den zahlreich anwesenden An­tifas und dem Eingreifen der Polizei schei­terte. Vor al­lem wurde aber ein in der Reud­nitzer Hol­steinstraße gelegenes, zum Teil von Stu­den­tInnen bewohntes Haus in den letzten Mo­naten zum Ziel von An­grif­fen. So attac­kier­ten am 22.11.2007 rund 40 Personen das Haus, u.a. mit Leuchtraketen. Schon vor­her waren an der Hauswand neonazi­stische Schmierereien angebracht worden.

Dass es mittlerweile auch gute Kon­takte zu auswärtigen Neonazi-Gruppen gibt, zeig­ten die „Freien Kräfte“ mit einem Auf­marsch am 12. Januar 2008, an dem sich etwa 350 Nasen beteiligten (siehe auch FA! #28). Die Zwischenkundgebung fand da­bei – mit Genehmigung des Ordnungsamtes – direkt vor dem erwähnten Haus statt. Als die Bewohner ver­suchten, die Kund­­­gebung mit lauter Musik zu stören, stürmte die Polizei das Haus, schal­te­te den Strom ab (wobei der Sicherungs­kasten stark beschädigt wurde) und be­droh­te die Bewohner. Wegen der Genehmigung der Demonstration und insbesondere des Ortes für die Zwi­schenkundgebung geriet auch Ord­nungs­bür­ger­meister Heiko Rosenthal (Die Linke) in die Kritik – zuvor hatte sich dieser den Umstand, dass die Nazidemo rei­bungs­los über die Bühne gehen konnte, noch als Erfolg angerechnet. Wie berechtigt diese Kritik war, konnte man schon eine Woche später sehen: Am 19. Januar wur­de das Haus erneut attackiert, die An­grei­fer dran­gen dabei in das Innere des Hau­ses ein. Sie versuchten, sich Zugang zu einer Wohnung zu verschaffen, woran sie von den Be­woh­nerInnen nur mit großer Anstrengung ge­hindert werden konnten. Die Angreifer war­fen Feuerwerkskörper, eine Fenster­schei­be wurde eingeschlagen.

Diese Vorgänge rufen mittlerweile vermehrten Widerstand hervor. So fand Ende Februar eine Aktionswoche statt, bei der mit In­for­mationsveranstaltungen und Vorträgen versucht wurde, für das Problem zu sen­si­bilisieren. Den Schlusspunkt bildete am 1. März eine antifaschistische Demonstration durch Reudnitz. Der Tag begann mit Sturmböen, Hagel und Gewitter. Obwohl das Wetter weiterhin ungemütlich windig und nasskalt blieb, fanden sich am frühen Nachmittag an die 800 AntifaschistInnen, Vertreter der Linken und der Grünen ebenso wie Reudnitzer BürgerInnen am S-Bahnhof Stötteritz ein. Schon am Vortag hatte es eine Antifa-Spontandemo in Groß­zscho­cher gegeben, einem Stadtteil, wo ebenfalls ver­mehrt Nazi-Aktivitäten zu verzeichnen sind. Diese Demonstration wurde jedoch von der Polizei gewaltsam beendet, dabei gab es mehrere (zum Teil schwer) Verletzte.

Bei der Demo in Reudnitz hielten sich die Beamten dankenswerterweise zurück. Zwar waren auch hier mehrere Hundertschaften im Einsatz, im Vorfeld wurden – wie es bei Antifa-Demos mittlerweile zur Gewohnheit wird – die Personalien der Teil­neh­me­rInnen aufgenommen, um mut­maßliche „Gefährder“ ausfindig zu machen. Die De­monstration selbst verlief weitgehend ohne Zwischenfälle, wenn man davon ab­sieht, dass 6 De­mon­strantInnen verhaftet wurden.

In der Holsteinstraße wurde eine Zwi­schen­­kundgebung abgehalten, einer der Bewohner des angegriffenen Hauses schilderte in seiner Rede die Vorgänge der letzten Monate. Ein weiterer Grund für die Wahl dieses Platzes war der Fakt, dass Istvan Repaczki – der bei den „Freien Kräf­ten“ eine zentrale Rolle spielt und u.a. als Anmelder des Neonazi-Aufmarsches vom 12. Januar fungierte – gleich um die Ecke (in der Oststraße) wohnt. Auch diesem wurde ein Redebeitrag gewidmet und nahegelegt, sich doch einen anderen Ort zum Wohnen zu suchen. Von dieser Art Kraft­meierei, wie man sie von vielen An­tifa-Demos kennt, mag man halten, was man will. Es ist auch zweifelhaft, ob es sinn­voll ist, sich als AntifaschistIn darüber lustig zu machen, dass Herr Repaczki ja selbst kein „richtiger Deutscher“ sei.

Überhaupt entsprachen viele Ansagen und Redebeiträge nur zu sehr den Erwartungen. Man ist eben gegen Nazis, tieferge­hen­de Kritik kommt da oft zu kurz. „Das Problem heißt Deutsch­land“ war fast schon die tiefgründigste Aussage, zu der der Sprecher der Leipziger Antifa (LeA), der die meiste Zeit das Mikrofon in der Hand hatte, sich hinreißen ließ. Nervig war auch der arrogante Tonfall, der immer wieder aufkommt, wenn die lokale Antifa sich mal aus dem heimischen Kiez herauswagt – als würden in anderen Teilen Leipzigs sonstwas für hinterwäldlerische Zustände herrschen. Es fragt sich, ob Leute, die zufällig nicht in Connewitz wohnen und gerade darum in ihrem Alltag weit stärker mit Neonazis konfrontiert sind, von solchem elitären Gehabe nicht eher abgestoßen werden. Lobenswert immerhin, dass während der Demo zweimal ein vorproduziertes Statement gegen homophobe und sexistische Sprüchen und Verhaltensweisen bei Antifa-Demos abgespielt wurde. Ein wenig Selbstkritik hat noch keinem geschadet…

(justus)

Wächterhäuser – Ist Lindenau denn noch zu retten?

Stadtentwicklung im Leipziger Westen zwischen Abriss und Hauserhalt, zwischen Erbwerbslosigkeit und Armut

Ausflug gen Westen

Fernab des städteplanerischen Größenwahns der Stadtoberen; weit weg vom Knirschen und Schieben jenes Ungetüms namens „Leonie“ (1), dass sich da mitten durch das Leipziger Herz frisst und nicht mehr als vergoldete Immobilien und feiste Investoren hinterlässt; gleich hinter der Elster, wo vom Auenwald her zum Leutzscher Holz hin ein frischer Atem die Stadt auf­stöh­­nen lässt, dicht gekauert in den Leip­ziger We­sten, liegt Lindenau; abgekoppelt von der Stadt­entwicklung und amtlicher Hafen & Hei­mat für viele aus dem Er­werbs­lo­sen­heer der ARGE zu Leipzig.

Die Rittersippe von und zu Lindenau würde sicher stau­nen, hätte sie vor Augen, welche Spuren die Industrialisierung an ihrem einst so be­schaulichen Bauern­dorf hinterlassen hat. Ja … ja hätte nicht ein gewisser Karl Hei­ne Mit­­te des 19. Jahrhunderts all sein Bemühen daran gesetzt, aus dem kleinen Dörfchen eine Fabrikhölle des aufstrebenden deut­­schen Junkerregimes zu machen, viel­leicht gäbe es dann ja gar kein architektonisches Substanzproblem in den gäh­nend kah­len Schluchten der Arbeiterviertel, kein darbendes Gewerbe, keine soziale Notlage, keinen so hohen Drogen-&-Al­ko­hol-Konsum … sondern eine Perspektive, beschaulich zwar, aber immerhin.

Denn mit der gescheiterten Leip­ziger Olympia-Bewerbung sind auch unter den Optimisten die letzten Hoff­nungs­laternen ausgegangen, dass der fette Speck von selbst zum armen Mäuschen kriecht und der Stadtteil sich wie von „un­sicht­barer Hand“ aus seinen Struktur­prob­le­men pellt. Die Industrie ist lange weg und wo keine Brachen und Ruinen gammeln, da strahlen frisch geweißte Häuser­wän­de vom schie­fen Schein notdürftiger Sanierung und ver­höhnen die „Moder­ni­sie­rung“. Die meisten Quartiere sind auf die Normen der Be­darfs­gemeinschaften zugeschnitten, „an­ge­­harzt“ sozusagen. Es fehlt überall an rege­ne­ra­tiven Flächen, Nutzräu­men und tagtäglich rollt die Blechlawine über den Westen Richtung Schkeuditz/Autobahn oder Halle. Die meisten Leute haben kein Geld in der Tasche und dement­spre­chend schlecht geht‘s dem Gewerbe. „Blau nach Linde­nau“, wie die Leipziger Ver­kehrs­be­triebe wer­ben, d.h. fern der sozialen Stigma­ti­sie­rung vor allen Dingen eines: Perspektiv­lo­sigkeit. Über­­all in Lindenau ist sie spürbar, diese re­­signierte Unruhe eines desillusio­nier­ten Klein­bürgertums, das den Dienst­­lei­stungs­zug des dritten Marktes verpasst hat und nun in der deindustria­li­sier­ten Sack­gasse fest­sitzt. Weder Arbeit noch ein schönes Le­ben und schon gar nicht bei­des zusammen, wie es sich der korpo­rier­te Freimaurer und Groß­grundbesitzer Heine mit seiner Westend-Baugesellschaft wohl erträumt hatte; nichts von dem, was vor 150 Jahren einem phantasiereichen bürgerlichem Bewusstsein noch möglich schien: rauchende Schlote, mit Maschinendampf und Heizöl vermischten Schweiß und den Dreck der Gossen als „blü­hende Landschaft“ vorzuschwärmen; nichts davon ist heute wirklich. Wie es der obe­ren Einkommensklasse an Visionen fehlt, so der unteren an Hoffnung und Mut. Und wo beides abhanden kömmt, da mangelt es der bürgerlichen Re­vo­lution eben an dem Zunder, der sie der­einst noch vorwärts trieb.

Häuser halten!?

Nun könnte man fragen, warum bauen wir Lindenau nicht zum Dorf zurück? Offensichtlich war dies ja auch ein Hintergedanke der Olympia-Planer, als sie im Rah­men der Leipziger Bewerbung weite Tei­le Lindenaus für das olympische Dorf vorsahen und tausende von modernen Apartment-Wohnungen entstehen lassen wollten. Die Antwort darauf ist ganz einfach: Es fehlt sowohl am Geld als auch am Bedarf und der Stadtteil schmachtet nun schon länger in der sogenannten „Ertragslücke“. Der nach ­wie vor hohe Leerstand in Leipzig drückt auf die Mietpreise und hält Immobilien-Spekulanten davon ab, hier in Wohn­­raum zu investieren. Andersherum sind die meisten Miet­parteien vordergründig nicht an einer qua­li­tativen Aufwertung ihrer Wohn­ver­hält­nis­se, sondern an möglichst nie­drigen Preisen interessiert, da die astronomisch gestie­ge­­nen Öl- und Gaspreise mittlerweile fast die Hälfte der fixen monatlichen Kosten bean­spru­chen. Von den schmalen Lohntüten, so­fern überhaupt vorhanden, der starken In­fla­tion und den gestiegenen Mobilitätskosten mal ganz abgesehen. Um quasi so­ vie­le Lücken in die Lin­de­nauer Ar­bei­tervier­tel zu reißen und diese zu renaturieren, dass man wieder von einem „Dorf“ reden könnte, steht weder genügend Geld noch Interesse interner wie externer Investoren zur Verfü­gung. Einzig blieben die hoch­verschuldeten staat­lichen Instanzen von Stadt, Land und Bund. Und die leisten sich wegen der akuten Schuldenlage eben nur prestigeträchtige Groß­projekte wie Autobahnen oder Flughäfen und den City-Tunnel bspw., bzw. finan­zieren ansonsten nur den lokalen und be­schränk­ten Abriss. Baugrundstücke sind ja auch was wert, wenn da nur die entspre­chen­de Nachfrage da wä­re. Es bleibt dabei: Auch unter staatlicher Ob­hut würde unser vor­ge­stell­tes Re-Design Lindenaus minde­stens auf hal­ber Strecke stagnieren und von dörflicher Be­schaulich­keit könnte man im Bild riesiger Betonflä­chen, dröger Werbeta­feln und ver­waister Ge­­wer­­be­viertel, kaum re­den.

Wenn also der sozialverträgliche Rückbau Lin­denaus ausfällt und eine Re-Industrialisierung sowieso unrealistisch ist, dann steht schließlich am Ende nur eine Pa­ro­le: Die Häuser halten! Für eine emanzipatorische Perspektive in Lindenau hieße das frei­lich vor allen Dingen: Häuser besetzen! Und sie der Spekulation entziehen, um Frei­räu­me aufzubauen, innerhalb derer sich der ‚ge­meine‘ Lindenauer in Solidarität und Zu­­sam­menarbeit, in antikapi­ta­listischen Prak­ti­­ken übt, die ihn letztlich be­fähigen, sich der na­tio­nalistischen Regression des Be­wusst­­seins und dem Stumpfsinn von Staat und Partei ent­gegen zu stellen. Und Freiräu­me sollen eben das ja sein: Orte, an denen das freie Denken von Alternativen und pro­gres­­sive soziale Experimente ihren Platz finden. Auf den Erfolg gibt es da­bei nie eine Ga­rantie, aber solche Entfaltungsräume sind schließ­lich die Bedingung der Möglich­keit emanzipatorischer Entwicklungen. Und das ganz im Sinne Rosa Luxemburgs etwa, die im Streik und der Gewerkschaft eben auch nur ein Mittel zur Sozialisation der Mas­sen sah, also die Freisetzung von der Arbeit und von der Isolation am Arbeitsplatz als Bedingung der Möglichkeit dafür annahm, eine emanzipatorische Entwicklung kollektiv voranzutreiben. Hier wie da geht es erstmal darum, gegenüber der kapi­ta­­li­stischen Konkurrenz und deren Lei­stungs­zwang einen Freiraum behaupten zu können, um über­haupt handlungsfähig zu werden.

Nun, zumindest der erste Teil dieser Bedingung ist ja in Lindenau erfüllt, die meisten EinwohnerInnen sind von der Arbeit „freigesetzt“. Doch leider fehlt es sowohl am nötigen Bewusstsein, bspw. über die gemeinsa­me soziale Lage, als auch an wirksamen Organisationen, um die freie Zeit durch die Eroberung von Freiräumen besser, und das heißt hier schon progressiv, zu nutzen. Die gesamte Leipziger Linke, über den palavernden Staats­sozialisten oder nationaltümelnden Gewerkschafter bis hin zum linksradika­len Krypto-Kom­munisten, alle sind da­bei, dieselben Fehler zu wiederholen, wie in Reud­­nitz und Schönefeld/Neu-Schönefeld, wo mittlerweile die Freien Kräfte und andere faschistische Kol­lek­tive die politische Rhyth­­mik der Viertel dominieren. Auch der Feierabend! selbst kann sich von dieser Kritik nicht ausnehmen, ist es doch in den letzten Jahren weder in Reud­nitz, noch in Neu-/Schönefeld, noch in Lindenau gelungen, wei­tere Verkaufsstel­len aufzubauen.

Nochmals muss also der Zoom der Lupe erhöht werden, um auf noch konkreterer Ebe­ne zu sehen, wo sich in Lindenau über­haupt ema­n­zipatorische Impulse und Freiräume bil­den. Und hier erst, wo nun schon wirklich kleine Brezeln gebacken und von ei­ner er­bau­lichen Perspektive wahrlich kaum noch ge­sprochen werden kann, rückt die Arbeit des HausHalten e.V. ins Zentrum der Be­trach­tung. Denn wer aufmerksam durch Lin­­de­nau und Plagwitz wandert, wird hier und da feststellen, dass an unsa­nierten Häusern ein großes gelbes Banner mit der Aufschrift prangt: Wächterhaus. Ganz der Paro­le vom „Häuser halten!“ verpflichtet, bemüht sich ein Verein von Architekten und Stadt­planern schon seit 2003/04 darum, vor al­len Dingen einige der stark gefährdeten Linde­nauer „Gründerhäuser“ vor dem Verfall zu retten.

Das Wächterhaus – zwischen bloßem Substanzschutz und wirklicher Stadtentwicklung

Propagierte dieser gemäßigte und bürgerlich-liberale Verein einzig den Substanzschutz im Viertel und hätte neben völlig ab­strusen musealen Vorstellungen keinen Blick für die soziale Lage, es wäre müßig, sich mit sei­ner Arbeit näher auseinander zu setzen. Da das „Wächterhaus-Konzept“ des Haus­Halten e.V. aber vor allen Dingen auf ei­gen­lei­stende NutzerInnen, die sogenannten „Wäch­ter“ setzt, tritt der Verein gegenteilig sehr offensiv mit dem Anspruch auf, Stadt­­entwicklung nicht nur im rein archi­tek­­­tonisch substanziellen Sinne, sondern vor allem im sozialen Sinne zu betreiben. Gün­sti­ger Nutzraum soll die Attraktivität der an­gren­zenden Quartiere erhöhen, Kün­stle­rInnen, Gruppen und Projekte ins Viertel zie­­hen, ihnen Entfaltungsraum geben und so das soziale Leben bereichern, nicht weniger haben sich die Mitglieder des Vereins auf die Fahnen geschrieben. Der/Die politisch versierte Leser/in wird sich sofort fra­gen: „Lebensbereicherung“, steckt hinter dieser Phrase wirklich eine konkrete so­zial­­po­li­tische Qualität? Wird hier nicht der blo­­ße Substanzschutz blumenreich ausgeschmückt? Und wie soll das gehen, Stadt­ent­­­wicklung im sozialen Sinne, ohne eine po­­li­­tis­che Perspektive, die den engen Zwing­­­­kreis von Arbeit und Geld letztlich sprengt? Der Ver­ein stellt ja Boden- und Im­mo­bilien-Spe­ku­lationen keineswegs in Frage. Im Gegenteil: Sein Programm zielt gera­de darauf ab, zu­rück­gebliebene Immobi­­lien wieder in den Markt einzugliedern. Die Skep­sis gegenüber dem Anspruch des Haus­Halten e.V. wirk­liche Stadtentwicklung mit dem „Wäch­terhaus-Konzept“ zu betreiben, hat al­so genügend Anlass laut ausgesprochen zu wer­den. Um allerdings vom Zweifel zur ernst­­haften Kritik fortzuschreiten, müssen wir den Gegenstand auch auf seine Sach­hal­­tig­keit hin prüfen. Denn es kann ja sein, dass sich trotz der mangelhaften Ausrichtung des Vereins, hinter der hohlen Phrase von der Bereicherung des sozialen Lebens, auf der in­­­direkten Ebene, über die Potentiale des Wäch­terhaus-Konzeptes selbst, Freiräume bil­den, die emanzipative Prozesse fördern. Das ist die Spur, der wir im weiteren folgen wol­len, wenn wir das Konzept der Wächterhäuser hier näher untersuchen, Fragen an die Mitglieder des HausHalten e.V. stellen (siehe hier) und in den folgenden Heften Exkursionen in die Le­bens­realitäten der „Wäch­ter“ starten.

Im ersten Schritt ist deshalb zu prüfen, ob die Nutzung der Häuser ausgerichtet auf eine soziale Entwicklung der angrenzenden Quar­tiere überhaupt genügend Berücksichtigung im Gesamtkonzept des Vereines findet. Denn schließlich sollen die nutzenden Wächter ja die Träger und Protagonisten sol­cher positiven Prozesse sein. Welche Par­ti­zipations­mög­lichkeiten haben sie? Welche Geltung wird ihren Interessen zugestanden?

Des weiteren gilt es zu untersuchen, inwieweit der Verein seine Nutzungs­vorstel­lun­gen, von denen er sich ja eben jene se­gens­reiche Wir­kung auf die Entwicklung der Viertel ver­spricht, überhaupt absichert. Gibt es Nu­t­zungs­kriterien und ihre Kon­trol­­le? Oder regiert am Ende die Beliebig­keit? Und wie will man verhindern, dass der entstehende Raum der­art genutzt wird, dass gegenteilig sozial missgünstige Entwicklungen befördert werden?

Abschließend muss dann die wirkliche Praxis, die Realitäten der Nutzung im Zentrum der Analyse stehen. Wie gehen die „Wächter“ mit den an sie herangetragenen Nut­zungs­­vorstellungen um? Welche eigenen ha­ben sie? Gibt es da Widersprüche? Einen kommunikativen Raum der Klärung? Wie schätzen die NutzerInnen das Engagement des Vereins dahingehend ein?

Danach, so ist zu hoffen, hat sich ein facet­ten­reiches Bild für eine nüchterne Einschätzung der konkreten Möglichkeiten emanzi­pa­­tiver Prozesse innerhalb und um die Wäch­­­­ter­häuser verdichtet. Und der eine oder die andere Leser/in hat genug Hinweis und Aufklärung gefunden, um sich richtig ent­­­scheiden zu können, ob nun für oder ge­gen die Nutzungsangebote des HausHal­ten e.V..

HausHalten – Die Idee vom runden Tisch der Interessen

Die Grundidee zur Rettung substanzgefähr­deter Häuser, die der Verein Haus­Halten e.V. entwickelt hat, ist oft gelobt wor­den. Mi­ni­ster haben sich die Klinke in die Hand gegeben. Sie beruht wesentlich darauf, dass sie zwei Königskinder zueinander bringt, die sonst teils aus Mangel an Interesse, teils aus Un­fähigkeit einfach nicht zusammenfinden. Das eine scheue Kindchen heißt da eigentümlich Eigenthymia, das andre schüch­­tern und bieder Stadtverwalterine. Die Problemlage hat ihre Wurzel in der Eigentumspolitik der BRD während der An­nexion der Gebiete der Ex-DDR. Die staatssozialistischen Reformen hatten dort das private Eigentum am Wohn­raum größ­tenteils abgeschafft und zentrale Mietkar­telle unter staatlicher Kontrolle dominierten den Markt. Neben den Besitz­in­te­ressen enteigneter Eigentümer ging es bei der „Wen­de“ also vor allen Dingen um eine Öff­nung dieses Marktes, um das Freisetzen der kapi­ta­listischen Konkurrenz. Es war deshalb nicht vorrangig aus moralischen Beweggründen erforderlich, die Rechtsgeschichte der DDR zu negieren, sondern in erster Li­nie aus ökonomischen Kalkülen. Die juristische Grund­lage hierfür lieferte die Restitu­tionsgesetzgebung, die allgemein gesprochen Rück­forderungsansprüche bei widerrechtlichen Aneignungen regelt. Nachdem also der Bund per treuhänderischer Verwaltung die bestehenden Kartelle übernommen und sich die besten Rosinen zum Wei­terver­scher­beln angeeignet hatte, legte er die Ver­wal­tung in die Hände der Kommunen & Stadt­verwaltungen und stellte es seinen Bür­gern ansonsten frei, in den alten Papieren zu blät­tern und wenn entspre­chen­de Rechts­titel noch vorhanden, die Immobilien zurück in private Hand zu fordern. Es gibt sicher heute noch hier und da vergreisten Spätadel, der ohne es zu wissen, Grund und Boden im Osten besitzen (könn­te). Frei­­lich machte auch nicht jeder von seinen Ansprüchen Gebrauch und Fälle von un­­geklärten Rechtsfolgen, verschollenen Er­­bengemeinschaften und verschwundenen Pa­pieren gab es genug. Hier half das Konzept der kommunalen Woh­nungsbau­gesell­schaften aus, das sich in der BRD schon beim Ausstieg der Zentralge­werk­schaf­ten aus dem sozialen Wohnungsbau und der Über­­nahme vieler gewerkschaftlicher Wohn­-Immobilien bewährt hatte (2). In die­­sen lokalen Kartellen, oftmals hundert­pro­zentige Tochterunternehmen der kom­munalen Stadtverwaltungen, sammelte sich der Restbestand der unveräußerlichen Immobilien. Teils als reine Kredit-Ab­siche­­rung, teils als Instrument sozialpolitischer Pro­gramme oder auch über bloße Ver­kaufs­ge­­­win­ne waren diese Wohnungsbauge­sell­­schaf­­ten in den 90ern die Spina dorsalis, das Rückgrat der lokalen Stadtent­wicklun­gen unter kommunaler Verwaltung. Aller­dings befanden sich in diesem ausgesiebten „Rest“ auch kaum noch viele verwertbare Rosinen, so­ dass der Kostendruck durch abrissge­fähr­dete Häu­ser und Investi­tions­­ruinen von An­fang an ziemlich hoch war und immer noch wächst.

In diese Lage, von jedem Interesse entkop­pel­ter Immobilien, stößt nun die „Einzelfall-Tak­tik“ des Vereins Haushalten (3). Ein­zelne, aus dem Markt herausgefallene Im­mobilien sollen „aufgefangen“ und auf­ge­wertet werden. Schlech­terdings wird die Sub­­stanz des Hauses erhalten und die Unterhaltskosten in pri­vate Hand verlegt, be­sten­falls gewinnt die Im­mobilie wieder an Wert und lässt sich an den Kreis der üblichen Marktspekulation rück­koppeln. Der Ver­ein tritt dabei wesentlich als Dienstleister auf, der die Opportuni­tätskosten beider Parteien, also den Aufwand der Stadtverwaltung und den Widerstand des eigentlichen Besitzers, senkt, um beide Seiten und ihre un­terschiedlichen Inte­­ressen, die beiden Kö­nigskinder, an einen Tisch zu bekommen. Ei­nerseits bedient er die Interessen der kom­munalen Stadtver­wal­tung, die Erhal­tungs­kosten unrentabler Wohn­­immobilien loszu­wer­den bei gleichzeitiger Aussicht auf Stadt­er­neue­rung und einen permanenten An­­sprech­part­ner in Sachen Besitzpflichten, an­de­rerseits ködert er den investitionsscheuen Eigentümer mit hausei­genen Bau­gut­achten, Schät­zung & Planung und Fremd­­leistun­gen, um dessen Interesse auf hö­here Rendite am Objekt zu fördern.

Den Schlüsselfaktor der Strategie bildet da­bei die eigentliche Nutzung. Denn ohne „Wäch­­ter“, die ein verfallsbedrohtes Haus re­­­vitalisieren, heizen, lüften etc. pp., ist ein sol­­­ches Objekt kaum ohne weitere Groß-In­­­ve­stition im Wert zu steigern. Und gerade die hohen Investitionskosten halten ja vie­­le Besitzer davon ab, ihre Immobilien auf­zu­­werten bzw. zu „halten“. Der Verein re­kru­tiert deshalb NutzerInnen, Künstler­grup­­­pen, Vereine etc., die bereit sind, un­kom­for­tab­le Ver­hältnisse und hohe Eigen­lei­stun­gen in Kauf zu nehmen, um kurzfri­stig (in der Regel fünf Jahre) günstigen bis miet­freien Nutz­­raum (i.d.R. kein Wohnraum) in den quasi vor­übergehend vom Ver­ein verwalteten Häu­sern zu erhalten. Der HausHal­ten e.V. schließt hierzu Nutzungs­ver­träge ab, so­ge­­­­­nann­te Gestattungsver­ein­ba­rungen „Raum“, die den Nutzraum, die Zeit und die Art und Weise der Nutzung fest­stellen, den Nutzern grundversorgende In­standhal­tungs­­maßnah­men wie Elektro- und Wasser­an­schlüsse, Dach­sicherung und sa­nitäre Anlagen zusichern und gewisse Ent­schädigungen für Eigenleistungen bei vor­fristigen Ver­­­trags­kün­digungen regeln. Die Nut­zungs­ver­träge sind alle binnen drei Mo­naten kündbar, was einem herkömmlichen Miet­verhältnis entspricht. Der Haus­Halten e.V. kann des­halb als quasi besitzender Vermieter auftreten, da er gleichzeitig mit dem derzeitigen Verwalter bzw. rechtmä­ßi­gen Eigentümer des entsprechenden Objektes ei­ne sogenannte Ge­stattungsverein­ba­rung „Haus“ abschließt, in welcher dem Ver­ein Ver­wal­tungs­rechte übertragen werden und die Be­reiterklärung erfolgt, grund­ver­­sor­gen­de In­standsetzun­gen und erste Be­sitzpflichten hin­sichtlich der Verkehrs­si­cher­heit und Haf­tung der Immo­bi­lie zu über­nehmen. Durch diese doppelte Ver­trags­­struk­tur zwischen NutzerIn und Verein und zwi­schen Ver­ein und Eigentümer/Ver­walter, al­so ei­nerseits durch die Zusicherung über die Nut­ze­rInnen, monatliche Be­triebs­­kosten­ab­schlä­ge zu zahlen und ande­re­rseits durch die Versicherung des Besitzers, eine dies­­­be­zügliche Abrechnung auch in Gang zu setzen, etabliert der Verein so et­was wie ei­ne Vor­­form eines gewöhnlichen Miet­ver­hält­­nisses. Und von daher versteht sich auch das Ziel des Vereins, die Wächterhäuser wie­der zu „entlassen“. Gemeint ist da­mit näm­lich in erster Linie der Rückzug der vermittelnden Vertragsstruktur bei gleich­­zeitiger Etab­lie­rung eines direkten Miet­­vertra­ges zwischen den Parteien. Was na­­türlich im weiteren bedeutet, dass der Ei­gen­tümer be­­ginnt, seine wertgesteigerte Im­­mobilie bes­­ser zu pflegen und weiter zu in­vestieren (Hurra, hurra, der Markt ist wie­­der da!) und die Stadt­verwaltung bzw. Kom­mune sich da­rüber freuen kann, ein miss­liebiges Objekt aus dem Bestand losgeworden zu sein und gleichzeitig nun ein Ansprechpartner für Besitzpflich­ten und Kostenumlagen existiert.

Brosamen von der Herren Tische

Also rundherum ein Tisch, an dem alle Interessen gleichberechtigt zur Geltung gelangen? Ein Ideal-Modell um verfallsbedrohte Häu­ser zu halten und die maroden Arbei­ter­vier­tel wieder zu vitalisieren, mit emanzi­pa­to­rischen Impulsen gar zu beleben? Nein, denn insbesondere die direkten Interessen der Nut­zerInnen werden in dieser Interes­sens­run­de vorrangig vom Verein repräsentiert. Und hier liegt auch der Hase im Pfeffer. Genau be­se­hen wird nämlich die runde Interessenstafel hauptsächlich durch die substanzerhaltenden Kal­küle gestiftet. Der Ei­­gentümer hofft auf mehr Rendite, die Ver­waltung auf sinkende Ko­sten und ein gutes Stadtbild und der Ver­ein auf die Rettung architektonisch wert­voller Ge­bäude. Die Nutzung scheint letztlich nur Mit­tel zum Zweck, zweitrangig und be­liebig zu sein. Von einem umfassenden sozialpolitischen Plan, einer langfristigen Perspektive so­zia­ler Stadtentwicklung finden sich also wenig Spuren. Der Verein be­hält sich zwar vor, am konkreten Nutzungskonzept zu entscheiden, ob die jeweilige Nut­zung sinnvoll und pas­send zu seinen aktuellen Stadtent­wick­lungs-Vorstellungen ist. Letztlich aber ist da­von auszugehen, dass jede x-beliebige Nutzung in Kauf genommen wird, um ein leerstehendes Haus, bei dem die Verhand­lun­gsten­den­zen mit den anderen Parteien bereits positiv sind, mit „Wäch­tern“ zu besetzen. Es sticht da­bei der Wider­spruch besonders heraus, dass der Verein zwar über die konkrete Nutzung so­ziale Stadtent­wick­lung betreiben will, dafür aber keinerlei eindeutige Kriterien anzugeben weiß, was den Schluss nahelegt, dass er gar kei­ne spezifischen Vorstellungen progressiver sozia­ler Stadtentwicklung ausgebildet hat. Stadtentwicklung gilt allein dann schon als er­folg­­­reich, wenn die Immobilien an die freie Spe­­kulat­ion des Marktes angekoppelt sind und von privaten Investoren wieder markt­kon­­form betrieben werden. Dass damit auch das schnelle Aus alternativer Nutzun­gen droht, wie im Beispiel der Lower East Side in New York (3), verschweigt der Verein tunlichst, denn auf langfristige Perspekti­ven hat er es gar nicht abgesehen. Das Wäch­ter­haus-Konzept begnügt sich mit einer Ni­schen­politik, bei der letztlich vor allem die Ka­­pi­tal-Interessen von Eigentümer und Stadt­­verwaltung be­dient werden. Zwar stellt er auch An­sprech­partner für die Nutze­rIn­nen ab, aber ob auf dieser Kommunikationsebene Fragen der hausübergreifenden sozialen Stadtent­wick­lung überhaupt verhandelt wer­den, bleibt äußerst fraglich. Man kann so­gar da­von ausgehen, dass der Verein durch die kurz­fristige Projektanlage und dem Ziel der Mark­trückbindung, schließlich durch die Inte­ressensvertretung von Stadt und Be­sit­zer, progressive Vorstellungen über Nutzung und Wirkung der Wächterhäuser un­ter­bindet, insofern diese bei den NutzerIn­nen über­haupt vorhanden sind bzw. angesammelt werden. Aufwertung der Quartiere, d.h. für die Stadtplaner des HausHalten e.V. auch nicht viel mehr als Wertsteigerung der Immobilien. Noch dazu verhindert der Ver­ein über die Re-Aktivierung des rechtmä­ßi­gen Besitzers und die Etablierung gewöhnlicher Mietverhältnisse, dass solche Häuser anderweitig und langfristiger „besetzt“ und genutzt werden.

Es bleibt also Alles in allem ein fades Bild zu­rück. Wenn die Wächterhäuser in Linde­nau und Plagwitz Freiräume eröffnen und em­an­­zipatorische Impulse in die angrenzenden Quartiere ausstrahlen, dann wohl haupt­­säch­lich durch die Eigeninitiative der dort an­ge­siedelten „Wächter“, sofern diese nicht vom Verein selbst ausgebremst werden. Das wird in den folgenden Heften noch genauer an den konkreten Projekten zu untersuchen sein. Und sicher, der entstandene Nutzraum und die, wenn auch kurze, Zeit der alternati­ven Nut­zung, befördern solche Möglichkeiten des sozialen Engagements. Den­noch sollte sich jedeR, der/die erwägt, in ein Wächterhaus zu ziehen, klar darüber sein, auf welcher Schmalspur der Verein HausHalten e.V. ei­gentlich plant. Die hohen Eigenleistungen wer­den zwar durch den günstigen Nutzungspreis ei­ni­germaßen ausgeglichen, aber lang­fri­stig ar­beitet mensch hier nur dem Besitzer in die Taschen. Und wenn diesem, der Stadt oder dem Verein die Nutzung nicht mehr passt, ja dann, flattert wohl ganz schnell die Kündigung ins Haus.

Auf dieser Grundlage sind die Wächterhäu­ser ganz sicher nicht der neue Rettungsanker Lindenaus, nicht mal ein Tropfen in die trockene Kehle. Denn solange die Priorität al­lein auf den Substanzschutz und die spe­ku­lative Verwertbarkeit der Häuser gelegt wird, solange fehlt eben eine handfeste und lang­fristig nachhaltige Per­spektive für die positive soziale Stadtent­wicklung in den Vierteln. Und um diese vor­an zu treiben, soll­te man in Zukunft nicht die Häuser „halten“, um sie dem Besitzer at­trak­tiv zu machen, son­dern jene enteignen, die ja offensichtlich kein Interesse mehr an ih­rem Besitz aufbringen, und die Häuser eben „besetzen“ und kol­lektivieren. Als neue Ba­stionen des sozialen Zusammenlebens könn­ten diese dann bspw. selbstverwaltete Ar­beitsbörsen, auto­no­me Mie­ter­kol­lek­tive oder Büros von unab­hängigen Stadt­teil­räten, Gewerk­schafts­syn­di­katen und anderen sozial aktiven Gruppen beherbergen, schließ­lich Raum für Fahr­ge­mein­schaften bis hin zur gemeinsamen Kin­­derbetreuung bieten; etwas an­de­res frei­lich als erlebnisorientierte Künst­lerInnen und kreative Individuen des verarmten Bil­dungs­bürgertums. Eine solche Perspektive blie­be sicher nicht im Kleinen stehen und nö­­tigt dem Standpunkt einiges an Idealismus ab. Aber ohne den, zumindest ohne den Mut und die Hoffnung der unteren Schichten, werden in Lindenau auch in Zukunft nur kleine Brezeln gebacken, Brosamen von der Herren Tische, die den Hunger und die Trostlosigkeit kaum stillen.

(clov)

 

(1) Der Leipziger City-Tunnel-Bohrer, den man extra für die unterirdischen Baumaßnahmen entwickelt hat, wurde auf den wenig phantasiereichen Namen „Leonie“ getauft. Das ganze Bauprojekt dürfte durch die anhaltenden Verzögerungen (3 Jahre +) mittlerweile schon ca. 1,5 Milliarden Eu­ro verschlungen haben. Allein der Eigenanteil von Stadt und Land ist im letzten Jahr von 500 Mil­lionen auf weit über 800 Millionen geklettert.

(2) Siehe hierzu auch FA!#25 „Neue Häuser“

(3) Freilich ist die Strategie nicht ganz neu. Schon in den 1980ern wurde bspw. genau mit die­sem Mo­dell (5-Jahres-Verträge mit kreativen Köp­fen, In­tellektuellen etc. pp.) die Lower East Side in New York entwickelt bzw. „gentrifiziert“. Mit der Fol­­ge, dass die meisten der Angeworbenen nach Ab­lauf der Verträge durch das teilweise bis auf über 500% gestiegene Mietniveau wieder ver­drängt wurden. Siehe hierzu auch das interes­san­te Interview in der aktuellen Direkten Aktion mit Prof. Dr. Neil Smith aus New York, der dort schon seit langem zu Gentrifizierungsfragen forscht: DA, Nr. 186, „Kapitaler Abschaum“, S. 6

Das kleine Spontandemo-ABC

In den letzten Monaten kam es bundes­­­weit immer wieder zu zahl­reichen „Spontandemos“. In Leipzig demonstrierten Menschen aus verschiedenen Spektren u.a. ge­gen Nazi­über­­­grif­fe, die Räu­­m­ung des Kopen­­hagen­er „Ungdoms­huset“ und die Re­­pres­­sions­­­flut ge­gen ver­meintliche „ge­­walttätige Glo­bali­sierungs­­kri­tikerInnen“ sowie jegliche Form der Repression.

Bei diesen Demos ging die Initiative spontan von losen Zusammen­hängen und Einzel­personen aus. Es gab keine Vor­bereitung sowie keine planen­den und koordinierenden Gruppen. Es lohnt also, sich mal ein wenig Zeit zu nehmen und sich mit den Besonder­heiten von „Spontandemos“ aus­einander­zusetzen, denn auch spontane Demos sind „richtige“ Demos, weisen aber ein paar nicht un­wichtige Besonder­heiten auf, die es zu beachten gilt, um unsere Sache auch spontan auf der Strasse vertreten zu können. Dies soll keine Ab­schreckung sein, sondern Euch vielmehr er­mutigen, auch spontan Eure Meinung, Eure Wut oder auch mal Eure Freude auf die Strasse zu tragen. Ihr solltet Euch nur im Vor­feld fragen, ob ihr in der Lage seid, die Situation zu überblicken und vielleicht den einen oder anderen Punkt dieses Textes berücksichtigen.

Juristisch gibt es die Unterscheidung in „normale“ Demonstra­tionen, Eil­demos und Spontan­demos. Generell besteht immer die Pflicht bis spätes­tens 48 Stunden vor Ver­öffent­lichung der Aufrufe (und nicht erst vor Beginn der Demo) eine Demo an­zumelden.

Bei Eildemos kann diese Frist der 48 Stunden nicht ein­ge­halten werden. Trotz­dem müssen Eil­demos beim Ordnungs­amt (z.B. auch tele­fon­isch) an­ge­meldet werden.

Der Unter­schied zwischen „normaler“ und Eil­demo einer­seits und Spontan­demo anderer­seits ist nun, dass letztere sich wegen des aktuellen An­­lasses sofort bildet, keinen ver­­antwort­lichen Ver­­an­stalter und -jeden­­falls erstmal- auch keineN (ver­ant­wort­­­­licheN) Lei­ter­­­In be­nötigt. Spon­tan­demo heißt also, dass die Demo wegen des aktuellen Anlasses so dringend ist, dass keine Zeit für eine An­meldung bleibt bzw. das Ordnungs­amt schon geschlossen hat.

Wichtig ist es noch zu be­achten, wer der Polizei eigentlich als Ver­anstalterIn einer Demo gilt: Sobald eine Gruppe oder eine Person im Vor­feld er­kenn­bar die Ver­antwortung für eine Demo übernimmt („deutlich hervorgehobene vorbereitende organisatorische Funktion“), gilt sie als Ver­anstalterIn und ist damit prinzipiell anmelde­pflichtig. EinE feststell­bareR Ver­anstalterIn macht sich durch Unter­lassen der An­meldung grund­sätzlich straf­bar.

Eine Demo, die trotz mehr­stündiger Mobilisier­ung nicht an­gemeldet wurde, kann – muß aber nicht – von der Polizei auf­ge­löst werden. Gegen diese Auf­lösung kann natürlich sofort eine Spontan­demo durchgesetzt / versucht werden…

Bei Nicht­auflösung kann die Polizei gegen­über der Menge oder Delegierten oder ei­ner spontan gewählten, leitenden Person Auf­­lagen bestim­men bezüg­lich Route, Dauer, Transpis usw. Da hier­gegen schnell ge­nug kein Rechts­schutz mög­lich ist, kommt es dabei ausschließ­lich auf die Verhand­lungen vor Ort und v.a. eine realis­tische Ein­schätzung der Kräfte­ver­hältnisse an. Es ist also wichtig für euch ein­zu­schätzen, welche Forderung­en Sinn machen und diese gegen­über den Bullen auch zu ver­treten. Dafür können die Teil­nehmer­Innen einer Spontan­demo einE Lei­terIn „wählen“, die dann als Ver­ant­wort­­licheR mit der Polizei, z.B. über die Route usw. ver­handelt. Wichtig ist, dass dieseR LeiterIn die Demo nicht als Ver­an­stalterIn an­melden/sich ver­ant­wort­­­lich er­­klären muss, da es bei einer Spon­tan­demo ja gerade keineN Ver­anstalter­In gibt. Ebenso spontan können sich auch Ordner­Innen finden.

Es kann also unter be­stimmten Um­ständen sinnvoll sein, einE Lei­ter­In der Demo zu wählen um die Ver­handlung­en mit den Bullen zu ver­ein­fachen. Lasst euch aber nicht ver­un­­sichern und lehnt jede Ver­­ant­­wor­t­ung als Ver­an­stalterIn ge­gen­­­über den Bul­len ab. So kann die Ver­ant­wort­ung, die sich aus dem Ver­samm­lungs­gesetz für die ein­zelne Person er­geben würde, ab­ge­wendet werden und es er­scheint niemand nament­lich als Ver­anstalter­In bei den Bullen.

Außer­dem gibt es noch ein paar Sachen, die mensch be­achten sollte, um den Bullen die Auf­lösung der Ver­anstaltung nicht zu ein­fach zu machen. Eine spontane Demo ohne Ver­anstalter liegt näm­lich definitiv nicht vor, wenn z.B.

– aufwendig neu gemalte Transpis,

– Aufrufe mit ViSdP (Verantwortlich im Sinne des Presserechtes),

– lange und des­halb nachweis­bar vor­ge­fertigte Rede­beiträge usw. vor­handen sind.

Nicht gegen eine spontan durch­geführte Demo sprechen da­gegen alle Dinge, die ent­weder schon vor­handen sind (Megaphone, alte Transpis, Fahnen, evtl. auch ein Lauti) oder die sehr schnell her­gestellt werden kön­nen (z.B. Hand­zettel, nicht ab­ge­lesene Rede­beiträge usw.).

Ent­scheidend für die Durch­führung einer Spontan­demo ist die Dauer der Mobi­lisier­ung. Wenn Ihr z.B. ein Posting auf Indy­media stellt und das Stun­den bevor es eigent­lich los­gehen soll, könnt Ihr ziemlich sicher sein, dass die Polizei das mittler­weile auch weiß und unter diesem Argument die Demo unter Um­ständen auf­lö­sen kann. Weniger sicher weiß die Polizei bei SMS-Ketten im Vor­feld Be­scheid und möglicher­weise keinen blassen Dunst hat sie bei der alten Taktik der Mund-zu-Mund-Propaganda.

Nicht zuletzt weiß mensch nie ge­nau, was auf dem wei­ter­­en Ver­­lauf der Demo so pas­sier­en wird, des­halb gilt auch und be­son­ders bei Spon­tan­demos das kleine Demo-­­Einmaleins! (1)

Eine ganze Menge also, was man im Kopf be­hal­ten soll­te für die nächste Spontandemo! Und zu alle­dem be­sonders eins: Lasst euch nicht ein­schüch­tern von den Tricks der Polizei!

(EA Leipzig)

(1) ein beständiger Link zum Demo-1×1: xttp://www.nadir.­org/­nadir/­archiv/PolitischeStroemungen­/antirepression/rechtshilfe/hilfe2.htm oder in jedem „WasTunWennsBrennt“

„Vom Rand her schrumpfen“

Fritjof Mothes im Interview

Fritjof Mothes, geboren 1970, innerhalb des Vereins für Nutzerbetreuung und Eigentümerberatung zuständig, ist Stadt- und Regionalplaner, Mitherausgeber der „Leipziger Blätter“ und einer der Initiativgeber zur Gründung von HausHalten e.V. sowie Vorstandsmitglied.

FA!: Sie sind von Beruf Stadt- und Regionalplaner, wie kam es zur Idee, zum Verein HausHalten und wann?

Fritjof Mothes: Als Stadtplaner produziert man ja viel Papier, nur an der Umsetzung ha­­pert es meistens. Wir wollten 2003 mal pro­­bieren, ob man das Konzept der Stadt­teilplanung für den Leipziger Westen auch in die Tat umsetzen kann. Damals haben wir uns pro Haus nur eine Person vorgestellt, die dort lebt und arbeitet. Letzt­end­lich hat sich ein Team aus Beteiligten, welche sich aus diesen Zusammen­hängen kannte, zusammengefunden mit dem Ziel, ein praktisches Beispiel zu schaffen und zu sehen, ob das tragfähig ist.

FA!: In knapp 4 Jahren von einer lokalen Initiative zu einem staatlich gefördertem Kompetenzzentrum. Sind sie zufrieden mit den Fortschritten des Vereins? Werden ihnen Steine in den Weg gelegt?

FM: Wir sind von der Resonanz, vor allem von der Nachfrage, was Interessenten für die Nutzung der Gebäude betrifft, über­­rascht. Wir hatten schon Zweifel, ins­be­­­­­­­­son­­­dere als wir im letzten Jahr den Schritt in den Osten getan haben, wo wir mit der Ludwigstraße und der Eisenbahn­stra­­ße zwei Häuser haben, die sehr groß sind. Aber auch dort hatten wir nach we­nig­­­­­en Besichtigungen das Haus quasi voll. Nur manch­mal hatten wir Schwierigkeiten, die Eigentümer zu überzeugen, weil die sich unter dem Konzept nichts vor­stel­­l­­­­en konnten. Generell können wir uns über mangelnde Unterstützung nicht be­schwe­­r­­en. Problematisch ist eher, dass wir als kleiner Verein mit rund zehn Mitgliedern mit den Kapazitäten an die Grenzen stoßen.

FA!: Das Wächterhaus-Konzept ist eigentlich unabhängig vom Interesse der Stadt, be­vor­­zugt die Substanz an vorhandenen Grün­der­häusern zu erhalten. Warum also stehen ge­rade diese Häuser im Zentrum der Aktivi­tä­ten des Vereins und können Sie sich vorstellen, dass etwa auch Plattenbauten bspw. in Grünau als „Wächterhäuser“ fungieren?

FM: Grundsätzlich orientieren wir uns da­nach, dass wir bewusst nicht in Stadtteile wie Südvorstadt oder Connewitz gehen, die es auf dem Immobilienmarkt leich­ter ha­ben. Wir glauben, dass sich da auch nor­male Investoren zur Genüge finden. Wir ge­hen ganz bewusst in die Stadtteile, wo wir Probleme sehen, wie bei­spiels­­­weise im Leip­ziger Osten und Westen. Man kon­nte vor einigen Jahren nicht sagen, dass Lin­denau jetzt der hippeste Stadt­teil ist. Wir hatten Anfangs in einem Haus in der Dem­meringstraße auch durch­aus eine hohe Fluktuation, weil Bewohn­er wieder zu­­rück nach Connewitz ge­zogen sind, da ihnen der Stadtteil nicht kre­ativ und hip ge­­nug war, das hat sich mitt­ler­weile geän­dert. Wir glauben, dass das durchaus ein Bau­stein ist, dass Wächter­häuser sich in­zwi­schen dort auch konzentrieren. Mitt­ler­­weile gibt es dort meh­re­re, die sich gegen­­seitig befruchten und Ge­gen­den, die vor­her eben nicht so ange­sagt waren, mit in den Fokus rücken. Zur Aus­wahl der Ge­bäu­de kann ich nur sagen: Unser Hauptziel ist es, die his­torisch­en, das Stadtbild prä­­gen­den Gebäude zu hal­ten und für Leip­­zig über die Zeit zu ret­ten. Wir gehen ganz bewusst nicht nach Grün­au, weil wir der Überzeugung sind, dass wir es dort mit einem erheblichen Leer­stand zu tun ha­ben und natürlich auch sehen, dass es Ge­­biete und Wohnungs­­­­überhänge geben wird, die abgebaut wer­den müssen. Und da sagen wir: den his­torischen, urbanen Kern zu behalten ist wich­tig. Das heißt auch, dass wenn man schon schrumpft, man vom Rand her schrumpft.

FA!: Es ist aber vorstellbar, dass der Verein etwa in Reudnitz oder Neustadt/Schönefeld Häuser übernimmt?

FM: Wir sind da dran und wenn sich Partner finden, sowohl auf Eigentümerseite als auch bei den Nutzern, dann werden wir das auch angehen. Uns ist es allerdings wichtig, besonders die den Stadtteil prägenden Gebäude anzugehen und das sind vor allem die Eckgebäude an den Haupt­ver­kehrsstraßen. Ich glaube, das kann man ja an der allgemeinen Sanierungsent­wick­lung sehen, dass sich die ruhigen Seitenstraßen oft von ganz alleine entwickeln, aber sich an den Hauptverkehrsstraßen, die das Bild der Stadt ganz besonders prägen, die Probleme konzentrieren. Das ist unser Hauptbetätigungsfeld. Da befinden wir uns übrigens vollkommen im Einklang mit den Stadtentwicklungszielen der Stadt Leipzig. Da arbeiten wir eigentlich Hand in Hand und haben auch keine gegen­sätzlichen Auffassungen.

FA!: Der Verein bildet ja einen runden Tisch der Interessen. Neben denen des Eigentümers und der Stadt sollen auch die NutzerInnen-Interessen eine Rolle spielen. Wie deckt sich die Arbeit im Verein mit ihren Idealvorstel­lungen von Stadtentwicklung insbesondere in Bezug auf die soziale Entwicklung von Quartier und Milieu?

FM: Unser Ansatz verfolgt mehrere As­pek­­­te, das ist zum Ersten der bereits er­wähn­­­te Substanzerhalt. Der Zweite ist, dass dort Stadtteile belebt werden sollen. Aber wir wollen auch ganz bewusst jene un­­ter­stützen, die es auf dem klassischen Markt schwer haben. Das bedeutet ei­ner­seits, Räumlichkeiten zu bieten für Kreative, Künstler, für soziale Initiativen, die oft auch am Anfang stehen. Manche haben vor ihrem Einzug nur auf dem Papier ex­­istiert, weil sie sagten: „Wir können nicht arbeiten, wenn wir keine Räume haben.“ Wir bieten zu sehr günstigen Kon­­­ditionen die Räume, aber auch Zeit – aufgrund dessen weil es nicht so teuer ist – zu probieren und sich zu entwickeln. Das Andere, was uns auch sehr wichtig ist, ist für Existenzgründer Möglichkeiten zu bieten. Wir haben mehrere kleine Büros, zum Beispiel ein Grafikbüro, oder eine Sei­fen­siederei, die es sich überhaupt nicht hät­ten erlauben können, sich eine klassische Einheit irgendwo auf dem regulären Markt zu mieten, aber sich jetzt ausprobie­ren können und vielleicht irgendwann so­weit entwickeln, dass sie damit auch Geld verdienen können und sich in den normalen Wirtschaftskreislauf einbringen.

FA!: Wenn sich nun viele soziale Vereine für ein leerstehendes Ladenlokal bewerben würden, wie würden sie entscheiden, wem sie den Vorzug geben?

FM: Wir machen mehrere Besichtigungen und meistens fügt es sich dann, dass sich im Prinzip so ein oder zwei be­son­ders sinnvolle für den Laden zusamm­en­finden. Dann sehen wir, was uns auch im Zusammenspiel mit den anderen Nut­zern am sinnvollsten erscheint und dann ver­suchen wir auch relativ schnell, die Nut­­zer im Haus gemeinsam entscheiden zu lassen, was dort sinnvoll ist. Weil die Nut­­z­ungen sich ja auch vertragen müssen, also wenn auch mal wo länger Musik ge­spielt wird, passt das nicht, wenn da­run­­ter etwa ein Yogakurs gemacht wird. Das ist immer ein sehr diffiziler, spannender und einzelfallbezogener Prozess.

FA!: Inwieweit hilft und berät der Verein bei der Planung und Finanzierung der NutzerInnen-Interessen?

FM: Im Grundsatz sind die Leute für ihr Kon­zept selbst zuständig, wir hoffen – und das hat bisher auch immer geklappt – dass es innerhalb des Hauses eine Mischung gibt und die sich gegenseitig helfen können. Zum Beispiel funktioniert in­zwi­sch­en auch die Kommunikation zwischen den Wäch­terhäusern ganz gut. Das betrifft nicht nur Nutzerkonzepte, sondern auch bau­liche Sachen, weil am Anfang der Ausbau dominiert – die Häuser sind ja teil­weise in nicht gerade berauschendem Zustand. Wir sehen es aber nicht so sehr als unsere Aufgabe an, dort inhaltliche Unter­stützung zu geben, das ist in anderen Städten ganz anders. Wie jetzt in Halle oder auch in Chemnitz, wo ein Verein die Wäch­terhäuser etablieren will. Dort will der Verein die Kreativen auch in den in­halt­lichen Konzepten unterstützen, das ist hier in Leipzig nicht so sehr das Thema.

FA!: Welche Erfahrungen haben Sie mit der Inte­gration der Nutzungsinitiativen der „Wäch­ter“ mit ihrer nach­bar­schaft­lichen Um­gebung/ihrem Milieu?

FM: Unterschiedlich. Ich habe den Eindruck im Gespräch mit den Nutzern, dass die Akzeptanz steigt und man sich auch damit auseinandersetzt, was hier im Stadtteil passiert. Ich glaube, dass es wichtig ist, für eine gewisse Offenheit einzustehen, das ist der positive Aspekt. Auf der an­deren Seite ist es aber auch so – und da­für gibt es auch ein, zwei Beispiele – dass wenn Abends mal Party ist und das nicht unbedingt Konzept des Ladens war, dass sich Leute gestört fühlen, wenn da Leute auf der Straße stehen mit ’ner Bierflasche und drinnen Musik kommt. Da gibt’s dann auch mal Nachbar­schaftskon­flikte, wo wir dann wieder dran sind und gucken müssen, das im Zaum zu halten, zu vermitteln und die Nutzer aufzufordern, sich an die Regeln zu halten. Man kann eben nicht bis 24 Uhr Techno spielen, wenn ein anderes Konzept eigentlich vereinbart war.

FA!: Ziel des Vereins ist es ja, irgendwann aus der Betreuung der Wächterhäuser auszu­stei­gen, sie sozusagen in die „Selbstbestimmung“ zu entlassen. Bisher ist das nur mit dem Wäch­terhaus in der Kuhturmstraße gelung­en. Was waren hier die besonderen Umstände, die dies er­mög­lichten? Und werden bald weitere „Wächterhäuser“ diesem Beispiel folgen?

FM: Grundsätzlich ist es so, dass wir eine Art Durchlauferhitzer sind. Unser Ziel ist es, eben nicht unendlich viele Wächterhäu­ser zu haben, sondern es geht darum, die Nut­zergemeinschaften so zu bilden, dass sie irgendwann in die Selbständigkeit ent­lassen werden können. Dass das bei der Kuh­turm­straße gut funktioniert hat, liegt da­ran, dass es in diesem Haus nur wenige Nut­zer gibt, so drei oder vier an der Zahl, die sich unter­einander sehr gut kennen, und auf der anderen Seite haben wir eine Ei­gen­tümerin, die selbst Leipzigerin ist, mit der wir sehr gut zusammenarbeiten und eng verbunden sind, also eine Ver­trau­ensbasis da ist. Bei den anderen Häusern ist es grundsätzlich ein bisschen kompli­­­zierter, weil es einfach sehr viel mehr Nutzer gibt und das Verfah­ren ja so ist, dass wir als Verein mit dem Haus­ei­gen­­tümer eine ‚Gestattungsverein­ba­rung Haus’ auf der einen Seite treffen und auf der anderen mehrere ‚Ge­stat­tungs­­ver­ein­ba­r­ungen Raum’ mit den Nut­zern. Wenn nun die Nutzer eines Hauses sich zu einer Ge­mein­schaft zusammen­schlie­ßen und statt mehrerer nur noch einen Vertrag mit uns haben als Zwischenstufe und dann die­ser eine Vertrag mit dem Eigentümer di­rekt zusammengeführt wird, da können wir uns dann herausziehen. Und das ist na­tür­lich in einem Haus, wo es zehn verschie­dene Nutzer gibt, sehr viel kom­pli­zierter als in einem kleinen Haus wie in der Kuhturmstraße. Wir haben jetzt auch zwei Häuser, wo wir uns vor­stellen können, dass das sehr bald der Fall sein wird. Man darf aber auch nicht ver­gessen, dass die Eigentümer auch froh sind, einen seriösen „Puffer“ zwischen den Nutzern und sich selbst zu haben.

FA!: Hoffen sie denn, dass sich der Verein durch positive Entwicklung eines Tages selber überflüssig machen könnte?

FM: Ja, wir sehen das Projekt ‚Wächterhäuser’ bewusst als temporär. Wir glauben oder erhoffen, dass wenn man sich die Sanierungsentwicklung in Leipzig anschaut und auch die weniger wertvollen Häuser, die diese extremen Probleme haben, dass man uns in zehn Jahren nicht mehr braucht, weil dann dieses Problem der geflickten Häuser hoffentlich weitgehend befriedigt ist. Wir sind gerade dabei – das wird unser Schwerpunkt in nächster Zeit sein – dieses Modell in andere Städte zu exportieren; der andere Schwerpunkt ist es, das Modell weiter zu entwickeln, uns zu überlegen, ob es nicht auch andere Varianten des Hauserhaltes gibt. Da werden wir schauen, ob es gerade für Kleinstädte, wo die Probleme ja noch viel, viel größer sind als in Leipzig, noch weitere Modelle gibt und uns dann darauf konzentrieren in Zukunft.

FA!: Vielen Dank für das Interview.

bonz

EinmalEins für „moderne“ Staatsbürger

Einige schlaue Köpfe haben einmal behauptet, das herausragendste Merkmal der Mo­der­­ne wäre das einer um sich greifenden Berechenbarkeit. Leider haben sie da­­bei über­sehen, dass zu einer richtigen Berechnung auch die jeweils passenden Rechen­mit­tel ge­hö­ren. So kommt es, dass eine anwachsende Menge von Interessenskalkülen in der mo­dernen Welt nicht zu Transparenz sondern zu „Unübersichtlichkeit“ und „Über­kom­plexität“ führt. Der Einfachheit halber könnte mensch auch von einer aus­ufern­den Orien­tierungs­lo­sigkeit sprechen. Das passende Umfeld also, um Eier als Hüh­ner zu verkaufen. Zugespitzt for­mu­liert: Die Moderne unterscheidet sich von allen bis­he­ri­gen Epochen gerade darin, dass sie es ermöglicht, nicht nur Einige oder Viele son­dern Al­le in Dummheit einzulullen.

So wundert es kaum, dass die „modernen“ Volksparteien aktuell versuchen, den gemei­nen Bür­ger für dumm zu verkaufen, indem sie so tun, als gäbe es plötzlich eine völlig neu­­­­ar­tige po­li­tische Debatte um Mindestlöhne und eine Verschärfung des Strafrechts für Mi­­gran­tIn­nen. Dabei reichen schon vier Finger, um das angebliche Neue als Wieder­kehr des ewig Glei­chen darzustellen. Das dritte Jahr der derzeitigen Bundesregierung ist an­ge­bro­chen und damit auch der Vorwahlkampf. Dementsprechend rechnen die gro­­­ßen Wahl­stra­tegen die dumpfesten Vorurteile ihrer Anhängerschaft fürs erste einfach hoch. Mo­bi­li­sie­rung der Stammwählerschaft heißt das dann. Da haben wir einerseits die Rechts­kon­ser­va­tiven, denen der Staat sowieso nie genug Gewalt anwenden kann und die, historisch gesehen, von der CDU bedient werden. Andererseits die Links­so­zia­listen, für die die staatliche Vorsorge selbst dann nicht weit genug geht, wenn der Stadt to­tal be­­stimmen würde, was überhaupt ‚da sein‘ kann bzw. Existenzrechte wie Vollstreckungs-Ti­tel zuspräche. Klassischerweise das Klientel der SPD.

Und ganz logischerweise würde in dieser Gemengelage jeder konkret politische Inhalt die ideologische Integrität der jeweiligen Lager nur ge­­fähr­den. Da darf dann auch ein gewisser Roland Koch (CDU), seit seiner Korruptions-Affäre bekannt als „Schweinchen Babe“, härtere Stra­­fen für „Ausländer“ fordern und dabei auf Schmusekurs zur NPD gehen. Denn wem die wohltätig verteilten Lebensmittelkarten nicht aus­­rei­chen, der wird sowieso nie begreifen, was man hierzulande unter ‚deutscher Leitkultur‘ versteht. Dass in einem „modernen“ Rechtsstaat ein­­zig die Richter am konkreten Fall über die Angemessenheit der Strafe entscheiden, solche Details interessieren im Kampf ums stumpfeste Res­­sen­timent von Rechts so wenig, wie die unliebsame Frage nach den Ursachen, welche eine Kriminalisierung bestimmter Be­völ­ke­rungs­schich­­ten notwendig bedingen. Bleibt nur zu hoffen, dass sich der eiserne Roland nicht verrechnet hat und die Sicherheitsverwahrung von Mi­­grantInnen in Gefängnissen statt in Auffanglagern den Bürger nicht am Ende noch teurer kommt.

Ver­lässlicher ist da schon die SPD. Besser spät als nie hat man sich ausgerechnet, dass die eigenen Arbeitsmarktreformen der letzten Jah­re zu ei­nem massiven Lohndumping und zur Prekarisierung ganzer Bevölkerungsschichten geführt und eine Unmenge von Ne­ben­wi­der­sprü­chen in der roten Ecke produziert haben. Peter Hartz, besser bekannt als „Mister VW“, ist ja mittlerweile auch anderweitig straf­rechtlich ver­urteilt. Nach diesen ganzen Pleiten versucht man deshalb jetzt, der völligen Desintegration des eigenen Lagers ent­ge­gen­zu­wirken, indem man der Wäh­lerschaft die Einführung flächendeckender Mindestlöhne suggeriert. Und wer will schon nicht mehr Lohn für Arbeit im Ka­pitalismus. Lei­der scheint man bei der SPD zu vergessen, dass diese Rückkehr zu „ursozialistischen“ Positionen nur dann wirklich wirk­sam wäre, wür­de man auch gleichzeitig zur staatlichen Preiskontrolle zurückkehren. Mal ganz abgesehen vom büro­kra­tischen Aufwand durch­greifender Kon­trollen und der faktischen Aushebelung der Tarifautonomie. Denn letztlich würde dieser Mindestlohn gleich­zeitig in vie­len Fällen der ma­ximale sein und gewerkschaftliche Kämpfe erheblich erschweren. Immerhin: Den Staatsfetisch des links­sozialistischen Klien­tels hat man da­mit punktgenau bedient und welcher ernsthaft engagierte Gewerkschafter wählt heutzutage schon noch SPD.

Was am Ende bleibt, ist die einfache Formel: Aktuelle Debatte minus heiße Luft istgleich Nichts-Neues bzw. zusammengekürzt: Die große Koa­li­tion entspricht dem nationalen Konsens. Dass dieser wiederum die beiden Lager fest umspannt und den Bürger in seinem heißen Traum vom starken Staat bestätigt, das sehen unsere Berufspolitiker zwar sehr genau, aber irgendwie muss man ja zu Wahlkampfzeiten Pro­fil entwickeln. Da­rum die beiden Debatten, fein säuberlich getrennt. Und das Ausweichen auf Anachronismen fällt ja angesichts der Bil­dungsregression gar nicht weiter auf. Gegen solchen Dummfang von CDU bis SPD hilft nur eines: politisches Bewusstsein und mehr Selbst­bestimmung, Widerstand und die Verwaltung der Bedürfnisse aus eig’ner Hand. Das sind die Rechenmittel, um die Manipulation von oben auszuhebeln. Die Volksparteien kön­nen sich derweil ruhig erneut zum Zentrum zusammenschließen, denn solange dieses nie­mand wählt, haben MigrantInnen auch hierzulande Zu­kunftschancen und die Arbeiterschaft die begründete Aussicht, an der eigenen Pro­duktion fair und gerecht beteiligt zu werden.

Lasst Euch also nicht bequatschen und gebt Euch die Mittel selber an die Hand! Post­moderne, you are welcome!

(clov)

Editorial FA! #30

Endlich ist die #30 von der Werkbank auf die Straße gerollt. Aufgepimpt mit CD-Beilage, poppt und punkt es in der Kiste mit „Geräuschen aus dem Postfordimus“. Für die Jubiläums­ausgabe haben unsere Musikredakteure in nervenaufreibender Kleinstarbeit 16 politisch-subversive Bands und Inter­pre­ten aus der Region für ein musikalisches Schmankerl gewonnen. Ergänzend dazu haben wir diesen Schwerpunkt (Seite 18-25) mit historischen Hintergründen „tiefergelegt“.

Auffällig und „untypisch“ für den Feier­abend! ist diesmal sowohl das Themen­gebiet, als auch die prallen 36 Seiten dieser Jubiläumsausgabe.

Weil Freude an subvisionärer Musik und Abwehr von Überwachungswahn aber oftmals Hand in Hand gehen, findet Ihr diesmal auch einen Einblick in die aktuellen Entwicklungen zum Daten­schutz (Seite 1,13-17) sowie praktische Tipps zur Sicherheit im Netz (Seite 28f).

Diesmal leider zu kurz gekommen ist trotz langwierigem Diskussionsprozess die Pro/Contra-Rubrik. Wir arbeiten aber weiter an unseren Widersprüchen ;). Alte Muster und Rubriken finden sich im vorliegenden Heft kaum und auch der Produktions­prozess war der bisher (ungewollt) längste, was diese Ausgabe in mehrfacher Hinsicht special macht. Zumindest sind wir in unserem Bemühen, die Länge der einzel­nen Beiträge nicht allzu auszudehnen, erfolgreicher gewesen. So ist hoffentlich anhaltender Genuss mindestens bis zum nächsten Feierabend! garantiert. Auch wenn´s mal wieder länger dauert.

P.S. Unsere Verkaufsstelle „Shahia“ feiert übrigens demnächst ebenfalls Jubiläum und ist uns nun auch schon über fünf Jahre treu. Grund genug, sie wie schon damals in Heft #4 zur Verkaufsstelle des Monats zu küren. Weiter so!

Viel Spaß beim Lesen,

Eure Feierabend!-Redaktion