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Leipzig schwarz-rot (Teil 1)

Ein Rückblick auf 20 Jahre autonome Linke in Leipzig

Jubiläen wohin man schaut. Aber nicht nur das fiese Schweinesystem (verkörpert vom wiedervereinigten Deutschland) feiert seinen Jahrestag. Auch für die Leipziger autonome Linke bedeutete die Wende einen entscheidenden Einschnitt. Da kann mensch schon mal nostalgisch werden, auch wenn´s um Ereignisse geht, bei denen man selbst nicht dabei war. In den nächsten Ausgaben des Feierabend! wollen wir deshalb auf die letzten 20 Jahre zurückschauen, die Entwicklungslinien nachziehen, die die heutige Leipziger Linke prägten. Wie war das denn in der glorreichen Hochphase der Hausbesetzungen? Wo nahm der „Mythos Connewitz“ (den wir hier natürlich auch bedienen) seinen Anfang? Was war noch gleich die „Leipziger Linie“ und was lief beim BesetzerInnenkongress 1995? Und wie kommt es eigentlich, dass jedes Jahr zu Silvester so viele Polizisten am Connewitzer Kreuz rumstehen?

Wurzeln in der DDR

Die Hausbesetzungen in Leipzig begannen nicht erst mit der Wende. Stille Besetzungen, das sogenannte „Schwarzwohnen“, waren schon in der DDR eine gän­gige Praxis. Von den Behörden still­schwei­gend geduldet, geschahen sie weniger aus politischen Zielsetzungen heraus, sondern als pragmatische Antwort auf den Wohnungsmangel. Trotzdem boten die so besetzten Wohnungen und Häu­ser auch Freiräume für alle, die nicht ins Schema des „guten“ DDR-Bürgers pass­ten: Punks, Künstler_innen, Alternative.

Jede westliche Subkultur fand im Osten ihr Pendant, auch wenn es meist ein paar Jahre dauerte, bis die jeweils neuesten Entwicklungen jenseits des „Eisernen Vorhangs“ ankamen. Punks tauchten ab Anfang der 80er im Stadtbild auf, die erste Leipziger Punkband Wutanfall gab 1981 ihr Konzertdebüt. Erschien Punk anfangs nur als Ausweg aus dem grauen Alltag, dem staatlich geplanten kulturellen Einheitsbrei, so führte die ständige Schikane durch Bullen und Stasi rasch zu einer Politisierung (1). Der Anarchismus bot sich als Gegenmodell zum Staatssozia­lismus an, auch wenn (ähnlich wie heute) viele Punks wohl nicht genau wussten, was mit „Anarchie“ eigentlich gemeint war.

Vor allem die Sternwartenstraße entwickelte sich zu einem wichtigen Anlaufpunkt, wo Punks und die etwas älteren Langhaarigen aufeinandertrafen. Mitte der 80er Jahre hatten sich dort zunächst Student_innen in einem leerstehenden Haus eingerichtet. Bis zur Wende wurden nach und nach weitere Häuser in der Straße besetzt. „Ohne dass es einer der Beteiligten so richtig darauf anlegte, wurde hier Hausbesetzerleben praktiziert, offene Türen, Fehlfarben-Musik im Hausflur und unterm Dach der neue Proberaum von Wutanfall“ (2). Auch der Mockauer Keller, ein offener Jugendtreff der evangelischen Gemeinde, war ein Anlaufpunkt für oppositionelle Politaktivist_innen, Punks und sonstige Subkulturen. Regelmäßig fanden Konzerte statt, über anarchistische Ideen wurde dort ebenso diskutiert wie über Kriegsdienstverweigerung und Umweltschutzfragen. Neben diesen festen Treffpunkten gab es unzählige informelle Grüppchen und Freundeskreise, in denen oppositionelles Gedankengut gepflegt wurde.

Das ist unser Haus!

Ab Mitte der 80er entwickelte sich Connewitz zum Zentrum der „Szene“. Connewitz war ein überalterter Stadtteil, der in den 70er und 80er Jahren eine starke Abwanderung zu verzeichnen hatte. Um diese Entwicklung zu stoppen, wurde ein Sanierungskonzept entwickelt, das den Komplettabriß des Viertels vorsah. Die maroden Gründerzeithäuser sollten durch Plattenbauten ersetzt werden. Mit dem Abriss wurde 1988 begonnen, die Wende beendete dann das Projekt. Bis zum Baubeginn wurden die leerstehenden Wohnungen an Student_innen vergeben, die andere Leute, auch Künstler_innen und Aussteiger_innen nachzogen. Ab 1985 häuften sich die stillen Besetzungen. Die Wende verstärkte diese Entwicklung noch. Die Besitzverhältnisse vieler Häuser waren unklar, Polizei und sonstige Behörden waren in dieser Übergangsphase ohnehin überfordert von der neuen Situation. Hausbesetzungen waren also kein Problem und kamen nicht nur in Conne­witz, sondern auch in anderen Vierteln (z.B. Lindenau) vor.

Im März 1990 besetzte eine Gruppe von Aktivist_innen in rascher Folge 14 Häuser in Connewitz. Die Akteure kamen vor allem aus dem Umfeld des Neuen Forums (3). Der Zeitpunkt war gut gewählt. Die Ergebnisse der bis dato üblichen Stadt­pla­nungspolitik waren nicht mehr zu übersehen: Zu dieser Zeit waren aufgrund jahrzehntelanger Vernachlässigung fast 50% der Wohnungen in Leipzig in schlechtem Zustand, 30.000 davon völlig unbewohnbar. Auf der im Januar 1990 stattfindenden „Volksbaukonferenz“ wurde das Problem erstmals in der breiteren Öffentlichkeit diskutiert. Anders als bislang wollte man nun auch die Bürger_innen in die Planungsprozesse einbeziehen. Nicht ohne Erfolg, wie die Zahl von etwa 1000 aktiven und passiven Teilnehmer_innen zeigt. Als allgemeiner Tenor der Diskussion schälte sich rasch die Forderung nach Abkehr von der Plattenbauweise und dem Erhalt von Altbauten heraus.

Für eine wirksame Sanierungspolitik fehlte aber das Geld. Die „Instandbe­set­zer_innen“ konnten sich als Basisinitiative zum Erhalt historischer Bausubstanz erfolgreich in die Bresche werfen. Parallel zur rechtlich nicht ganz ein­wand­frei­en Aneig­nung bemühte mensch sich um einen legalen Status. Als Trägerverein wurde die Conne­witzer Alter­­native ge­grün­­det, die sich als stadt­teilori­en­tier­tes Selbst­­­hil­fe­pro­jekt mit sozialer und kultureller Ziel­set­zung ver­stand. Die­sem Selbstbild entsprachen Projekte wie die Volksküche, ein Hausprojekt für Mi­grant_innen und ein Dritte-Welt-Laden, hinzu kamen Kultureinrichtungen wie das Café K.O. Backwahn oder die Connewitzer Verlagsbuchhandlung. Durch ihr medienwirksames Auftreten konnte sich die Connewitzer Alternative in der Öffentlichkeit erfolgreich als Vertretung aller Connewitzer Hausbesetzer_innen präsentieren.

Ein LVZ-Artikel vom 24./25.März 1990 berichtete wohlwollend: „Im illegalen Handstreich (…) läuft das Unternehmen Connewitzer Alternative (…) nicht. Geschäftsführer Hohberg erarbeitete ein seriöses Projekt für das Vorhaben. Bei Häusern, deren Zustand auf der Kippe steht, konsultiert er Gutachter. Alle besetzten Gebäude gehören übrigens der GWL, und die gab ihren Segen. Auch auf eine Stadtbezirksrätin und den ABV [Abschnittsbevollmächtigten der Polizei] kann man bauen. Nicht zuletzt im eigenen Interesse. Für militante Krawallmacher soll sich in Alt-Connewitz kein Platz finden. Man will sich links-alternativ ausrichten.“ Alles harmlos also… So harmlos, dass für Interessierte in dem Artikel gleich noch eine Telefonnummer zur Kontaktaufnah­me mit den Besetzer_innen angegeben wurde.

Der Verein geriet allerdings bald in eine ernsthafte Krise. Schuld daran war der autokratische Führungsstil des Vorsitzenden Hohberg, dessen Neigung zu Alleingängen u.a. dazu führte, dass sämtliche Nutzungsverträge auf seinen Namen liefen. Nachdem es darüber zu offenen Konflikten kam, setzte sich Hohberg ins Ausland ab und verschwand spurlos.

Die Szene vernetzt sich

Während sich so im Leipziger Süden ein Biotop alternativer Lebensweisen herausbildete, versackte die „Friedliche Revolution“ zusehends im nationalen Taumel. Neben fahnenschwenkenden Deutsch­­land­fans prägten auch Neonazis immer mehr das Bild der Demonstrationen. Und nicht nur dort stellten sie für Menschen mit der falschen Hautfarbe ebenso wie für Punks und Alternative eine alltägliche Bedrohung dar. Antifaschistischen Widerstand zu organisieren, war also dringend nötig.

Die ersten Antifagruppen hatten sich schon zu Vorwendezeiten aus losen Freundeskreisen heraus gebildet, daraus entstand nun die Antifaschistische Jugendfront. Diese orientierte sich in ihrer Praxis (Recherche, Schutz- und Abschreckungsmaßnahmen gegen Nazis, Aufklärung usw.) stark am Vorbild der westdeutschen autonomen Antifa. Damit einher ging freilich auch eine zunehmende Professionalisierung und die Herausbildung von Aufgabenteilung und informellen Hierarchien.

Es waren aber vor allem die Reaktions-Konzerte, welche die weitere Entwicklung der Leipziger Szene prägten. Die Initiative dazu kam von Leuten aus dem Mockau­er Keller, das erste Konzert fand im Dezember 1989 in der naTo statt. Ein unmittelbarer Erfolg war es, dass das für den folgenden Tag geplante Gründungstreffen des Ortsverbandes der Republikaner verhindert werden konnte (4).

Wie der Name schon sagt, waren die Reaktions-Konzerte eine Antwort auf die negativen Entwicklungen der Wendezeit. Sie sollten selbstorganisierte Kultur, Musik und Politik verbinden, einen Anlaufpunkt für die „Szene“ schaffen, den Austausch von Informationen und den Aufbau subkultureller Strukturen ermöglichen. Dem eigenen Anspruch gemäß wurde von den ohnehin niedrigen Eintrittspreisen ein bestimmter Betrag an politische Initiativen gespendet, bei Konzerten wurde (erfolgreich) versucht, allzu agressives Slam­dancen usw. zu unterbinden. Obwohl die Reaktions-Konzerte damit deutlich von der Do-It-Yourself-Ethik der Hardcore-Szene ins­piriert waren, bildeten sie einen Anlaufpunkt für alle Arten von Subkulturen: Skater, Gothics, Metalfans usw. Über zwei Jah­re hinweg fanden die Reaktions-Konzerte in verschiedenen Lokalitäten statt. Nach­dem bekannt wurde, dass das ehemalige „Erich-Zeigner-Haus“ (das heutige Conne Island) von der Stadt verkauft wer­den sollte, nutzten die Aktivist_innen die Chance. Nach spektakulären Aktionen wie einer zeitweiligen Besetzung des Rat­hauses wurde ihnen das Gebäude zur Nut­zung als Veranstaltungsort überlassen. Die Reaktions-Konzerte fanden so 1992 ein dauerhaftes Domizil.

Der allgemeine Naziterror machte auch vor Connewitz nicht Halt, gerade ab dem Herbst 1990 kam es fast täglich zu Übergriffen. Insbesondere die Häuser in der Stöckartstraße waren das Ziel von Angriffen, die teilweise generalstabsmäßig geplant mit Molotowcocktails und Eisen­stangen durchgeführt wurden. Die Stadtoberen ignorierten das Problem. Die Connewitzer Alternative bemühte sich zwar um eine Sicherheitspartnerschaft mit der Polizei, die jedoch scheiterte, weil die Polizei bei Faschoangriffen meist nur verspätet oder gar nicht auftauchte. Die schlecht bezahlten und dürftig ausgerüsteten Beamten hatten wohl auch wenig Lust, ihre Haut im Kampf gegen Nazis zu riskieren. Klar, dass mensch sich da eher auf sich selbst verließ und sich gegen die regelmäßigen Attacken ebenso handfest zur Wehr setzte. Manche beließen es dabei, mit Mehlbeuteln zu werfen, die Mehrheit sah es angesichts der Brutalität der Angriffe aber nicht ein, sich in der Wahl der Mittel solche Beschränkungen aufzuerlegen. An dieser Differenz zwischen „Pazifisten“ und „Militanten“ sollten sich noch einige szeneinterne Konflikte entzünden. Aber dazu mehr im nächsten Heft…

justus

 

(1) Dass u.a. auch Imad (als Gitarrist bei Wutanfall und L´Attentat eine zentrale Figur der Szene) als Informeller Mitarbeiter beim MfS geführt wurde, wie sich nach der Wende herausstellte, sorgte noch für einiges böses Blut. Siehe z.B. www.conne-island.de/nf/5/12.html.

(2) Zitat aus Ronald Galenza/Heinz Have­meister (Hrsg.), „Wir wollen immer artig sein – Punk, New Wave, HipHop und Independent-Szene in der DDR von 1980 bis 1990“, Schwarzkopf & Schwarzkopf 2005, S. 217.

(3) vergleiche dazu D. Rink, „Der Traum ist aus? Hausbesetzer in Leipzig-Connewitz in den 90er Jahren“, in: Roth/Rucht (Hrsg.), „Jugendkulturen, Politik und Protest – Vom Widerstand zum Kommerz?“, S. 119-140.

(4) siehe Galenza/Havemeister 2005, S. 256, sowie C. Remath/R. Schneider, „Haare auf Krawall“, Connewitzer Verlagsbuchhandlung 1999.