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„Nach der Besetzung ist vor der Besetzung“

Kampf um ein Libertäres Zentrum in Magdeburg

So schloss der letzte Bericht (#33) des Feierabend! zum „Topf Squat“ in Erfurt, welches am 16.05.09 nach acht Jahren Besetzung martialisch geräumt und anschließend plattgemacht wurde. Gemeint war eine (hoffentlich baldige) Neubesetzung, die der Stadt ihr unverzicht­bares autonomes Zentrum zurück gibt. Doch erstens kommt es anders und zweitens als man denkt:

Nicht nur der Blick der deutschen Squat­terszene richtete sich noch am selben Tag in die sachsen-anhaltinische Landeshaupt­stadt. Von der erst ein paar Wochen zuvor gegründeten Freiraumkampagne Für ein Libertäres Zentrum in Magdeburg wurde prompt am Tag der Erfurter Räumung ein Haus besetzt – die ehemalige „Gruson-Villa“ der SKET-Poliklinik, etwa zwei Kilometer von der Magdeburger Altstadt entfernt, im Stadtteil Buckau. Für Besetzer_in­nen-Verhältnisse sehr idyllisch in einem brachliegenden ehemaligen Industriegebiet gelegen, bot das geräumige Gebäude vielversprechende Möglichkeiten eines zukünftigen Libertären Zentrums. Ja, bot. Denn nach sechs Wochen war die Besetzung erst einmal vorbei.

Aber die Initiative für ein Magdeburger Libertäres Zentrum ist damit noch lange nicht gestorben. Sie wird dieses Haus überleben wie sie auch schon die „Ulrike“ überlebt hat, die zwischen 2000 und 2002 mehr war als nur ein autonomes Zentrum und libertärer Freiraum. Für die zahlen- und engage­mentstarke linksrevolutionäre Szene Mag­de­burgs rund um den Autonomen Zusam­menschlusz war das Ulrike-Meinhof-Haus eine wichtige Station, eine unverzichtbare Basis für die gesamte alternative Szene, wel­che leider im Zuge der Ermittlungen im Rahmen eines 129a-Verfahrens (1) ebenso wie der Zusammen­schlusz zerschlagen wurde. Die Vorstellung des Autonomen/Liber­tä­ren Zentrums aber lebte weiter. Doch was soll diese – ganz unabhängig von den konkreten Räumlichkeiten – eigentlich sein? Die Leute der neuen Freiraumkampagne drücken es so aus: „Das Libertäre Zentrum soll ein Wohn- und Projekthaus sein, in dem wir freiheitlich und selbstbestimmt le­ben können und in dem es genügend Platz für verschiedene kulturelle und politische Projekte gibt.“ So allgemein, so gut. Doch die Aktivist_innen haben nicht nur solche Allgemeinplätze im Programm, sondern durchaus konkrete Vorstellungen. Sie „brauchen Platz für unkommerzielle Kunst und Musik, Selbsthilfe-Werkstätten, einen Umsonstladen, Café und Vokü, politische Bildung unabhängig von Parteien, unterschiedliche Formen des Zu­sam­menlebens und vieles mehr.“ Und diesen Platz fanden sie in der seit Jahren leerstehenden Poliklinik in der Freien Straße und besetzten sie kurzerhand.

Die Polizei war von Beginn der Besetzung an vor Ort, duldete diese jedoch aufgrund un­geklärter Besitzverhältnisse. Es stellte sich recht schnell heraus, daß die Villa der Mitteldeutschen Sanierungs- und Entsor­gungs­gesellschaft mbH (MDSE) gehört und die wiederum zu 100% dem Land Sachsen-Anhalt. Die MDSE signalisierte Ver­hand­lungsbereitschaft, stellte aber sogleich auch Strafantrag wegen Hausfriedensbruch (aufgund dessen eine Räumung möglich ist). Ein Straßenfest am zweiten Tag lockte noch mehr Unterstützer_innen auf das Gelände, schuf in der kritischen ersten Zeit eine personelle Basis. Die Polizei hielt sich zurück und auch in den folgenden Tagen sollte alles recht positiv ver­laufen. Die Besetzer_innen richte­ten sich ein, nahmen Stromaggregate in Be­trieb und begannen mit ersten Instand­set­zungsmaßnahmen, um die Bewohnbarkeit des Hauses herzustellen bzw. zu gewährleisten.

Nach zwei Wochen wurde der Besetze­r_in­­nengruppe von der MDSE in Ver­hand­­lungen ein Ersatzobjekt angeboten. Als Bedingung für weitere Verhandlungen jedoch wurde ein Verlassen der Gruson-Vil­la innerhalb von sechs Stunden gefordert. Dies war freilich nicht durchführ- oder gar hinnehmbar und auch das gleich oberflächlich besichtigte Ersatzobjekt woll­­­te nicht als Katze im Sack gekauft werden. (2) Nach der Ablehnung einer ge­forderten zweitägi­gen Bedenkzeit zeigte sich die MDSE kom­promisslos und kündigte die Räumung durch die Polizei an. Nichts dergleichen ge­schah jedoch, die grö­ßere Feier zum vierwöchigen Bestehen ging glatt über die Büh­ne und andere Kon­­zert-, Film- und Dis­kussionsveranstal­tungen, wie die zum „Konflikt zwischen An­ti­faschist_innen in Mag­deburg“ (dem die Freiraumkampagne stets neutral ge­gen­­über stand), konnten reibungslos verlaufen. Observation durch den Staatsschutz und kleinere Übergriffe und Belei­di­gungen waren dennoch an der Tagesordnung. Die Lage spitzte sich am 30. Juni plötzlich drastisch zu, die Polizei blockierte das Gelände, sprach Platzverweise aus und griff sogar einzelne Leute körperlich an.

Doch es kam nicht zum befürchteten Show­down nach Erfurter Vorbild. Die verbliebenen Besetzer_innen traten in der Nacht zum 2. Juli, von der Polizei unbemerkt, den Rückzug an. Die Kampagne begründete diese Aufgabe damit, daß „durch den physischen und psychischen Druck […] der Betrieb des Libertären Zen­trums im besetzten Haus […] unmöglich gemacht [wurde].“ Daß die Idee eines Libertären Zentrums allerdings nicht an ein bestimmtes Gebäude gebunden ist werden die Kampagnenleute nicht müde zu be­tonen, sie vertraten dies auch lautstark und bunt am 18. Juli in einer Freiraumdemo durch die Magdeburger Innenstadt. Wie aktuell der Slogan „Nach der Besetzung ist vor der Besetzung“ tatsächlich bei den Elbestädtern ist, beweist die erfreuliche Meldung, die uns kurz vor’m FA!-Druck erreichte: „SKET Poliklinik wie­derbesetzt“. Weiter so!

(bop)

 

(1) siehe auch FA! #27 S.22: „Wie bilde ich eine terroristische Vereinigung?“

(2) Kritik an den und Diskussion um die gescheiterten Verhandlungen: nkotb. blogsport.de/2009/06/08/voll-gegen-die-wand/

Ausschluss durch Einschluss

Leipziger AsylbewerberInnen sollen ins Containerlager

Leipzigs heimbewohnende Asylbe­wer­ber_innen müssen bald umziehen. Aus der Stadt an deren Rand, von Stein und Beton in Blech, von wenig Raum auf noch weniger Raum. Genauer gesagt werden es wohl wieder sch… ähh, schöne Wohncontainer, 24qm zum Wohnen und Schlafen für jeweils 4 Personen. Die Stadt Leipzig beschloss am 16.07.09 den Bau einer Sammelunter­kunft in „Systembauweise“ (so der Euphemismus) am selben Ort, an dem sich schon in den Jahren 2000 bis 2006 ein Con­tainerlager für Asylsuchende befand. In der Wodanstrasse des fernen Leipziger Nordostens, weit ab vom pulsierenden Leben der Stadt, zwischen Gewerbegebiet und der Autobahn; fern von Wohngebieten, Supermärkten, Schulen und sonstigem gesellschaftlichen Leben. Ein Platz, der für schmarotzende und potenziell kriminelle Ausländer nach Meinung vieler Deutscher am ehesten geeignet ist, wenn man sie schon nicht dahin loswird, wo sie doch eigentlich hingehören.

Begründet wird die Zwangsumsiedlung vor allem mit den seit Jahren rückläufigen „Asylbewerber-Zuweisungszahlen“ (1) und diesen entsprechend sinkt auch die Zahl der in Heimen unterzubringenden Asylbewerber_innen in Leipzig. Zum 15.04.09 waren dies nur noch 284 Personen in den beiden Leipziger Heimen – dagegen 485 dezentrale Unterbringungen (Familien sind schon länger aus „humanitären wie auch wirtschaftlichen Gründen“ in normalen Wohnungen untergebracht). Diese schon länger erfolgreiche Praxis sollte zeigen, dass es nur ein kleiner Schritt zu einer angemessenen Unter­bringung aller Asylsuchenden in Leipzig wäre. Um diesen Spielraum zu eröffnen, be­dürfte es allerdings zuerst einmal einer An­tragstellung der Stadt an das Land Sach­sen; die allerdings bisher nicht erfolgte, woran der nicht vorhandene politische Wille klar erkennbar ist. Offizielles Haupt­argument für die Zusammenlegung der Heime in der Lilienstein- und Tor­gauer Straße ist dann auch die Un­wirt­schaftlichkeit durch diese sehr geringe Auslastung – nur noch gut die Hälfte der Plätze sind belegt und so „ergibt sich für die Unterbringung der heimunterge­brachten Asylbewerber ein durchschnittlicher Kostenaufwand von 3.095 €/Jahr. Unter Einbeziehung der weiteren Leis­tungs­ansprüche der Asylbewerber (Leistungen für Verpflegung, Hygiene, Bekleidung sowie Taschengeld und Kranken­hilfe­kosten) wird die vom Freistaat gewährte Pauschale in Höhe von 4.500 € je Asylbewerber und Jahr deutlich überschritten.“ (2) Und das geht ja mal gar nicht!

So gab es Überlegungen, das im Grünauer Wohngebiet liegende Heim Lilienstein­straße zu schließen und die dort Untergebrachten in die Torgauer Straße zu verfrachten. Dies sollte zunächst gar nicht an der Kostenfrage scheitern: Angeblich müsse das Gebäude zwar aufwendig für über eine Mio. Euro saniert werden, was jedoch mit einer schrittweisen Sanierung „haushaltsneutral“ im Rahmen der Asylbewerberpauschale geschehen könne. Allerdings meldete pünktlich zum Auslaufen des Betreibervertrages des Heims Torgauer Straße zum 30.09.09 das Dezernat Wirtschaft und Arbeit unmittelbaren Bedarf an – ein Investor wolle die Gewerbefläche zur Erweiterung ansässiger Firmen und zur Ansiedlung anderer Firmen nutzen, womit selbstredend die Schaffung von Arbeits- und Ausbildungsplätzen gesichert würde. Zusätzlich erhofft sich die Stadt von der Veräußerung etwa 500.000 Euro. Daß sich dem Fetisch und Allheilsbringer Arbeit alles unterzuordnen hat, wird in der Vorlage der Stadt schön auf den Punkt gebracht: „Da die Schaffung von Arbeitsplätzen oberste Priorität für die Stadt Leipzig hat, ist die diesbezügliche Verwendung der Flächen nötig.“

Für die Errichtung des abgelegenen Containerlagers und gegen eine Zusammenlegung in die Liliensteinstraße werden hingegen Gründe herangezogen, die andere nicht ganz zu Unrecht kritisieren: „ Die in dem Heim Torgauer Straße vorhandenen vielfältigen sozialen Problemlagen in ein Wohngebiet zu verlagern, ist keine Handlungsoption. Die Ab­ge­grenzt­heit des Heimes […] bietet bessere Umgangsmöglichkeiten mit diesem Problem.“ (3) Die oftmals durch Heimunter­bringung erst produzierten Probleme sollen als Begründung für noch mehr Ausgrenzung und Desintegration herhalten, so die parlamentarische Logik. Dass die Stadtoberen die Wurzeln dieser Probleme eher woanders vermuten – nämlich in der Herkunft der Asylbewerber_innen – ist offensichtlich (rassistisch).

Der größte Hammer der Begründung der Stadt Leipzig ist aber folgender:

„Die Erfahrungen der Stadt Leipzig mit der Containerunterkunft im Zeitraum 2000 – 2006 waren sowohl hinsichtlich der Wohnqualität als auch bezüglich des Betreiberkonzeptes positiv.“

Ganz vergessen haben sie wohl die Vorkommnisse im früheren Containerbaulager in der Wodanstraße – die Überlastung der zuständigen Psychologen, die Drogenprobleme und Gewalt der Asyl­be­wer­ber_innen untereinander und schließ­lich sogar geradezu revolteähnliche Zustände, bei denen fast komplette Einrichtungen aus den Fenstern flogen. Diese Verhältnisse und offenen „Un­muts­be­kun­dungen“ führten zur Schließung des umstri­ttenen Lagers, welches nun auf den verscharrten Erkenntnissen seiner selbst wieder errichtet werden soll.

Der Umzug ist beschlossen, das Gelände in der Torgauer Straße Gerüchten zufolge sogar schon verkauft und zu­min­dest der Auszug so kaum noch zu verhindern. Da halfen leider auch die 877 Unterschriften nicht, die dem Leipziger OBM Burkhart Jung am 7. Juli bei einer offenen Bürgersprechstunde überreicht wurden. Konfrontiert mit unbequemen Fragen schwafelte der dort nur, daß er auch schon 2003 gesagt hätte, daß Asylbewerber sich in Leipzig zu Hause fühlen sollen. Um im nächsten Satz zur Kenntnis zu geben, daß er den Beschluss zur Errichtung des abgelegenen Containerlagers mit all seinen bekannten Nachteilen für alternativlos hält.

Ob der Umzug so reibungslos verlaufen wird, wie die Planer_innen sich das denken, oder ob Aktionen wie das „Asyl im Asyl“ (4) populärer werden, wird die Zukunft zeigen.

(bop)

 

*Auch lesenswert im Zusammenhang: „Einbli­cke ins Lagerleben“ FA! #25

*Internet-Petition gegen die Containerunterkunft: www.ipetitions.com/petition/containerunterkunft/

(1) Der Stadt Leipzig vom Land Sachsen (und dem wiederum vom Bundesministerium des Innern) zugewiesenen Asylbewerber_innen. Die Rückläufigkeit der Zahlen liegt zuallererst an der restriktiven Asylpolitik Deutschland und Europas, bspw. durch die sog. Dublin-II-Verordnung. (siehe auch FA! #32 „Endlich Bargeld“)

(2) Vorlage der Stadt Leipzig zur Unterbringung von Asylbewerbern: linke-bueros.de/linxx_dokumente/1245068655.pdf

(3) ebenda

(4) wie mehrere Familien ob ihrer desolaten Unterbringungssituation kürzlich in einer Grimmaer Kirche (siehe S.14)