Zum dritten Mal erschien nunmehr die outside the box – Zeitschrift für feministische Gesellschaftskritik, die seit ihrer ersten Ausgabe im November 2009 versucht, linke, feministische Kritik präsenter zu machen. Sie hat den Anspruch feministische Gesellschaftskritik aus den Fußnoten linker Werke in den Mittelpunkt des Gesprächs zu rücken und den entsprechenden Themen ein Forum zu bieten.
Nachdem sich die letzten beiden Nummern mit Emanzipation bzw. Form beschäftigten, geht es dieses Mal um ein Thema das wie kaum ein anderes mit Natürlichkeit und Fremdzuschreibungen verbunden ist: Gebären.
Während viele andere (queer-)feministische Magazine lockerflockig daher kommen, nicht schwer im Magen liegen und sich durchaus auf dem Klo schmökern lassen, würde die outside als Klolektüre Hämorriden begünstigen. Kürzere und leichtere Texte gibt es auch, die meisten längeren Texte haben es aber in sich und wollen sowohl gründlich als auch gern mehrfach gelesen werden. Die Unterscheidung längerer Theorietexte von eher praktisch orientierten Textformen schlägt sich auch im Layout nieder, die Differenz fällt schon beim Durchblättern der Ausgabe auf. Interviewteil, lebensnahe Texte und Theoriebeiträge haben verschiedene Schriftarten und -größen. Die outside the box kommt gut gepolstert daher: 103 Din-A4-Seiten, dazu noch eine Einlage in A3.
Quer durch das Heft schlängelt sich der Interviewteil, der mich von allen Beiträgen am meisten ansprach. In vier Blöcken tauschen sich vier Personen über die Gebärensaspekte „Geburt/Schmerz“, „Aufklärung/Natursehnsucht“, ein „solidarisches Umfeld“ und „Anforderungen an Mütter, Väter und Andere“ aus. Drei der Personen haben selbst Kinder geboren, die vierte möchte nie selbst Kinder gebären und scheiterte mit dem Versuch als dritte Bezugsperson für ein Kind von Freund_innen da zu sein. Aus vielfältigen Perspektiven sprechen die vier auch Themen an, die sich sonst weder in den üblichen Schwangerschaftsratgebern finden lassen, noch Eingang in gängige feministische Texte finden: z.B. das Gefühl, als Frau versagt zu haben, weil das Kind per Kaiserschnitt geboren wurde und nicht ganz „natürlich“. Die scheinbar undenkbare Situation, als Mutter direkt nach der Geburt nicht sofort vor Mutterliebe zu vergehen, sondern sich erst einmal an das neue Wesen gewöhnen zu müssen und paternalistisches Verhalten aus dem Freund_innenkreis sind nur ein paar der Themen, die bewusst machen, wie viel über Schwangerschaft noch nicht gesagt wurde. Ich hätte gerne noch viele, viele Seiten mehr von diesem nachdenklich machenden Gespräch gelesen. Leider reichte der Platz im Heft nicht aus, um noch mehr Interview abzudrucken, was die Herausgeberinnen mit einer Liste an Themen kommentieren, die sie gerne noch angesprochen hätten, wie beispielsweise Sexualität und Schwangerschaft und die Entfremdung vom eigenen Körper.
Das Verhältnis zum eigenen Körper ist in zwei biografischen Texten präsent, in denen die Autor_innen darüber sprechen, wie sie ihre Abtreibungen empfanden, wie behördliche Fristen, ihre Selbstbestimmung über den eigenen Körper einschränkten und mangelnde ärztliche Begleitung sie verletzte. In diesen Beiträgen wird ein Thema präsent, das bei den „Betroffenen“ oft die Sehnsucht nach Gedankenaustausch weckt, in dieser Gesellschaft jedoch tabuisiert ist, weshalb viele mit ihren Gefühlen auf sich allein gestellt waren.
Die Außensicht auf das Gebären (lassen) ist das Thema zweier von Vätern verfasster Texte. Beide berichten vom Aufeinanderprallen alternativer Lebens- und Erziehungsmodelle und normalisierender Außenwelt. Es wird thematisiert wie schnell sich Unzufriedenheit breit macht und die Beziehung ebenso wie den eigenen Alltag bedroht, wenn mensch den ganzen Tag nur von Lohnarbeit und/oder Kind umgeben ist und keine Zeit mehr für die eigenen Interessen und Bedürfnisse hat.
Ein dritter Text aus männlicher Perspektive behandelt das Unaussprechliche – „die männliche Angst“. Die Angst, die eintreten kann, wenn der_die Sexpartner_in schwanger geworden ist/sein könnte – und man selbst ab dem Zeitpunkt die Entscheidung, wie es weiter geht, allein der potentiell schwangeren Person überlassen und das Ergebnis akzeptieren muss. Dieser Beitrag ist ein Hybrid, inhaltlich eher theoretisch teilt er das Layout und den leicht verständlichen Inhalt mit den anderen „Praxistexten“.
Die theorielastigeren Beiträge unterscheiden sich inhaltlich stark voneinander, den größten gemeinsamen Nenner weisen vier Artikel auf, die sich allesamt mit historischen Persönlichkeiten bzw. Persönlichkeitsmythen beschäftigen, die stets in identitären Spannungsfeldern standen. Die mexikanische La Malinche, die deutsche Bettina von Arnim und der polnische Mythos der Matka Polka. Die vierte im Bunde ist Maria Theotokos, Maria die Gottesgebärende, deren bildlicher Inszenierung auf den Grund gegangen wird.
Schnell wird deutlich, dass „Gebären“ von vielen Autor_innen durchaus sehr weit gefasst wurde, nicht immer geht es um das Zur-Welt-Bringen von Kindern, auch die Schöpfung von Ideen und die Produktion nationaler Identität wird behandelt.
Nah am körperlichen Thema sind beispielsweise noch die Kulturgeschichte der Gebärmutter und der Beitrag über das Wiener Museum für Verhütung und Schwangerschaftsabbruch.
Wie es sich für eine linke, sich kritisch-antideutsch verortende Zeitschrift gehört gibt es natürlich auch Texte mit NS-Bezug: Es werden die Geburtenpolitik im Nationalsozialismus – und deren heutige Interpretation behandelt und das Modell der „neuen Frau“ reflektiert, das nach und nach nationalsozialistisch geprägt und schließlich bedeutungslos wurde.
Wesentlich abstrakter kommt z.B. ein Text mit dem Titel „‘Nicht ohne Sträuben.‘ Libido und Fortpflanzungsfunktionen“ daher, der das Problem der Zuweisung von Frauen zur Natur sowie Männer zur Kultur mit Psychoanalyse zu widerlegen versucht, dabei jedoch auf reichlich krude Theorien Freuds zurückgreift.
Das Thema des Hefts erweckt bei manchen Texten den Eindruck eines Alibis, wenn ein Bezug zum Themenkomplex „Gebären“ kaum noch zu erkennen ist und der entsprechende Text an eine Haus- oder Abschlussarbeit erinnert, die sich in die Ausgabe geschlichen hat.
Mitunter liegt die Vermutung nahe, der_die ein_e oder andere Autor_in versuchte durch verklausulierte Formulierungen, übermäßigen Fachwortegebrauch und unzählige Referenzen über inhaltliche Schwächen hinwegzutäuschen bzw. einen besonders kompetenten Eindruck zu erzeugen. Zwar ist Stil Geschmackssache, doch leider besteht bei elitärem Sprachgebrauch die Gefahr, einen Teil der Leser_innenschaft auszuschließen.
Leichter verdaulich ist die Photostrecke, in der verschiedene Marienbilder – ohne Kind – nachgestellt wurden und auch die liebevollen Illustrationen, die sich quer durch das Heft ziehen, sollen nicht verschwiegen werden. Schade, dass es dieses Mal keinen Comic gibt, dafür liegt der Ausgabe als Geschenk ein Din A3 großer Extrabogen bei, der vom Layout her zur zweiten outside the box passt und zwei Texte beinhaltet.
Genau in der Mitte des Magazins findet sich das Editorial, das mit seiner ungewöhnlichen Lage wohl das queerste Element in dieser Ausgabe ist. Auch wenn sich die Redaktion in Interviews teilweise queer verortete und für eine ganzheitliche Sichtweise auf feministische Themen eintreten möchte, empfinde ich in #3 queere Perspektiven als unterrepräsentiert.
Die einzige Position zu nicht-monogamen Beziehungsformen findet sich im Interviewteil, in einem der „Vätertexte“ wird das Thema queer kurz touchiert.
Nachdem im Jahr 2008 der schwangere Transmann Thomas Beatie die Presse in Aufruhr versetzte und im Erscheinungsjahr der neuen outside das Bundesverfassungsgericht die Zwangssterilisierung von Trans*personen als Voraussetzung für die Personenstandsänderung abschaffte, habe ich beim Thema „Gebären“ mehr erwartet.
Zugegeben, im call for papers, der der dritten outside voraus ging, wurde zumindest die Schwangerschaft von Trans*personen erwähnt – in die Texte hat das Thema jedoch keinen Eingang gefunden. Es gibt auch tatsächlich nur einen einzigen Beitrag (und das Editorial), in dem das Gender_Gap verwendet wird und damit einen Hinweis darauf, dass zumindest in einem Text nicht-binärgeschlechtlichen Identitäten mitgedacht wurden. Explizit genannt werden sie in keinem Beitrag. Wenn von schwangeren Personen die Rede ist, sind allein Cisfrauen (1) gemeint, den väterlichen Part übernehmen stets Männer. Es scheint, als sei die outside the box der Natürlichkeit auf den Leim gegangen, die sie doch mit dieser Ausgabe in Frage stellen wollte.
Alles in allem kann ich die outside the box sehr empfehlen, da sie mit ihrem Mix aus niederschwelligen und schwerer zugänglichen Texten für fast alle Leser_innen interessante Aspekte zu bieten hat. Für 4,50 Euro hat mensch eine Menge Lesestoff (103+2² Seiten) – und wer gar nicht damit warm werden kann hat immer noch ein schickes, frühlingsgrünes Mitbringsel aus Leipzig für die Bekannten im tristen Restdeutschland.
Website mit Bezugsmöglichkeiten: outside.blogsport.de
gundel
(1) „Cis“ ist das Pendant zu „trans*“ und meint Personen, bei denen das nach der Geburt zugewiesene Geschlecht mit dem gelebten und gefühlten Geschlecht übereinstimmt.
Rezension