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Sinnstiftende Personal-Service-Agenturen

Neuen Schwung am Arbeitsmarkt sollen Personal-Service-Agenturen (PSA) bringen. Nach dem Willen der Hartz-Kommission sollen Arbeitslose, die sechs Monate arbeitslos sind, durch die neuen Agenturen als Zeitpersonal in Betriebe (zwangs)vermittelt werden. Die Argenturen stellen dann die Arbeitslosen ungefragt ein und verleihen sie an interessierte Unternehmen für einen verhandelbaren Lohn.

Die Entliehenen bekommen anfangs „Lohn“ in Höhe des Arbeitslosengeldes und später Niedriglohn. Unternehmer können „Mitarbeiter“ auch auf Probe entleihen, und sind in keiner Weise ihren Mitarbeitern verantwortlich, da der Arbeitsvertrag ja mit der PSA abgeschlossen wurde. Bis Mitte 2003 soll es in jedem Arbeitsamtsbezirk mindestens eine Agentur geben, wobei es nur dort staatliche Personal-Service-Agenturen geben wird, wo sich keine privaten Leiharbeitsfirmen wie randstad oder adecco finden lassen.

Die Folgen dieser Erfindung für Erwerbslose zeigen sich schon jetzt in Frankfurt. Im Arbeitsamt Fischerfeldstraße in Frankfurt gibt es bereits so etwas Ähnliches wie eine Personal-Service-Agentur. Doch sie ist noch recht schüchtern: Wer zur Agentur will, muss danach suchen, Hinweise dazu gibt es nicht. Nur ausgewählte Arbeitslose „dürfen“ zur PSA. Offenbar will das Arbeitsamt die Kontrolle darüber ausüben, wer zur Agentur kommt. Am liebsten Erwerbslose mit guten Vermittlungschancen. Nur so wird die Agentur zur Erfolgsstory. Wie simpel die Sache sich reell gestaltet, erklärt Sabine Schultheiss, Arbeitsamt Frankfurt: „Diesem Personenkreis biete ich bzw. meine Kollegen in der Vermittlung dieses Projekt ‚vermittlungsorientierte Arbeitnehmerüberlassung‘ an und stelle den Kontakt zu dem Träger her, indem ich einfach die Leute mittels eines Formschreibens zuweise und auch noch persönlich im Regelfall Kontakt mit dem Träger, der Firma Consult aufnehme.“

Fassen wir mal zusammen: Das Arbeitsamt schickt ausgesuchte Bewerber zu einem Personaldienstleister, der eine Personal-Service-Agentur betreibt. Der stellt die Arbeitslosen ein, statt Arbeitslosengeld bekommen sie etwas Geld – in diesem Jahr noch nach den Zeitarbeit-Tarifen. Der Personaldienstleister verleiht sie dann an Betriebe weiter.

Consult ist einer der Personaldienstleister, der Arbeitslose einstellt. Und zwar für eine „Kopfgeld-Prämie“ vom Arbeitsamt. Mehrere Hundert Euro pro Monat, Geld, das die Arbeitsämter aus ihrem Weiterbildungstopf abzweigen.

Für die Arbeitsverwaltung ist klar: Das wirtschaftliche Risiko, ob die Entleihe funktioniert oder nicht, sprich ob der Verliehene (nun nicht mehr Arbeiter, sondern Produktionsmittel) einen Job findet, trägt der Personaldienstleister. Der entliehene Mensch ähnelt einer Maschine, die (wenn sie funktioniert) Arbeit hat und falls nicht „repariert“ werden muss. Dazu W. Schickler, Landesarbeitsamt Hessen: „Sie sehen, wenn er in seiner PSA häufiger verliehen wird als der Kalkulation zu Grunde liegt, dann macht er ein Defizit. Das wird zu erheblichen Aktivitäten innerhalb der PSA führen. Denn wir sind der Auffassung, das jede PSA ein wirtschaftliches Risiko tragen muss.“

Als Beschäftigte der Service-Agenturen fallen die Erwerbslosen zwar aus der Arbeitslosen-Statistik raus, stehen aber, da auch Personal-Service-Agenturen nur begrenzt Jobs aus der Tasche zaubern können, mitunter ohne Job da. Die Beschäftigungschancen sind im sog. Niedriglohnsektor (wen wunderes) am größten. Hiermit ist gesagt, worum es geht: Die die Statistik beschmutzenden Arbeitslosen sollen mit irgendwas beschäftigt werden, möglichst wenig bezahlt werden und so davon abgehalten werden ein „Sicherheitsrisiko“ zu werden. Doch die Rechnung ist schief . Die „arbeitenden Erwerbslosen“, die beträchtlich mehr sein dürften, als die jetzigen offiziellen vier Millionen ohne Lohnarbeit, sind als Entliehene zwar beschäftigt, aber zufriedengestellt? Vera Reimann, Consult GmbH: „Acht Euro bekommen die Menschen dann, wenn sie einen Arbeitseinsatz haben. Wenn sie nicht arbeiten, liegt es auch darunter.“

Peter Haller, All-Service GmbH: „Unser Problem ist eigentlich, dass wir im Niedriglohnsektor tätig sind. Wir haben also extrem niedrige Löhne, so dass die Eintrittshemmnisse für die Bewerber also doch sehr hoch sind.“ Doch das Hartz-Konzept macht den Weg frei „zum Arbeitsmarkt, insbesondere in diesen Niedriglohnsektor rein.“

Wer das Job-Angebot der Service-Agentur ablehnt, riskiert Sperrzeiten. Wilhelm Schickler, Landesarbeitsamt Hessen: „Wer unberechtigt eine Arbeit nicht antritt oder eine Arbeit beendet, der hat die gesetzlichen Sanktionen zu befürchten, das heißt: Einschränkungen beim Arbeitslosengeld.“ (1) Wer dann auch noch undankbarer Weise einen Job ablehnt, muss beweisen, dass er dazu berechtigt war. Damit wird das generell gesetzlich geltende Prinzip der Unschuldsvermutung umgekehrt. Die Beweislast liegt beim Angeklagten.

Trotz aller Vorschusslorbeeren für die PSA wurden bisher etwa die Hälfte der Arbeitslosen, die Consult angeboten hatte, wieder zurückgeschickt. Sie sind zum Teil dann wieder beim Arbeitsamt und damit auch in der Statistik gelandet. Und dennoch meint Wilhelm Schickler vom Landesarbeitsamt Hessen unerschütterlich: „Es wird kein Flopp, es wird ein Erfolg. Ich glaube, wir werden in diesem Jahr mindestens 50.000 Arbeitslose integrieren.“

Desertieren – Sabotieren – Boykottieren statt funktionieren!

hannah r.

(1) Dieses Reglement erinnert an den Arbeitsdienst zu Zeiten der Weltwirtschaftskrise 1929 ff.

Leiharbeit – ein Erfahrungsbericht

Das Hartz-Konzept preist andere Formen der Arbeit an, wie etwa Leiharbeit oder „Minijobs“. Feierabend! fragt sich und Leute, die bereits das „Vergnügen“ von Leiharbeit hatten, was denn so toll daran ist.

Leiharbeit ist so ziemlich das Letzte was einem passieren kann. Als ich vor Jahren meinen Job bei einer Handwerksfirma verlor, war es das einzige für mich, was hier noch an Arbeit zu bekommen war, ohne in wochenlange Warterei zu verfallen. Ein vorherige Anfrage beim Arbeitsamt wurde mit „Sie sind jung und ihr Beruf wird gesucht“ verworfen. Daraufhin bewarb ich mich bei obiger Firma, in der ich nach 14 Tagen anfangen konnte. Der Stundenlohn betrug 13,50 DM. Die Aufgabe bei dieser Art von Arbeit bestand darin, allwöchentlich Montag früh bei je abwechselnden Baufirmen im gesamten Bundesgebiet anzutreten und Sachen wie Fenster einzubauen, Zu- und Abluftkanäle zu verlegen, Dachabdichtungen zu montieren sowie Sanitär- und Heizungsgeschichten durchzuführen. Am allerersten Montag Morgen bei meiner Verleihfirma. ging es von Leipzig aus zum Darmstädter Hauptbahnhof, wo eine bayrische Firma dabei war ein Kuppeldach zu montieren. Sie hatte uns angefordert.

So fuhren mein Kollege und ich in seinem Auto um drei Uhr morgens los. Als wir an diesem heißen Sommertag auf der Baustelle eintrafen, kam von den „Kollegen“ der anderen Firma nicht einmal ein Grußwort. Sofort wurden wir vom Vorarbeiter angeschnauzt, ob wir noch nicht bei der Arbeit seien. Diese sah dann wie folgt aus: Den ganzen Tag lang schleppten mein Leipziger Kollege und ich schwere Trapezbleche, die mehrere Zentner wogen und etwa 2×8 Meter groß waren, die Dachrundung hinauf, wo sie dann verlegt wurden. Nach geraumer Zeit mussten wir aufgrund unserer schmerzenden Hände (trotz Handschuhe) und Rücken eine Pause einlegen. Mein ganzer Körper bebte vor extremer Anstrengung. Durch die Hitze hatte ich Wahrnehmungsschwierigkeiten und fiel durch das Übersehen der Lüftungsschlitze ein paar mal hin. Wir waren am Ende unserer Kräfte. Als uns der Vorarbeiter rumstehen sah, brüllte er schon von großer Ferne, mit seinem Tiefbayrisch auf uns ein. Wir gingen sofort wieder an die Arbeit. Beschimpfungen und Beleidigungen hagelte es den ganzen Tag.

Abends um sieben war dann zum Glück Feierabend, bei gerade einer halben Stunde Mittagspause. Ein anderes Mal durfte ein dritter Kollege unserer Firma das Dach den ganzen Tag nicht verlassen, weil der Vorarbeiter meinte, er sei immer zu lang weg. Jeden Tag wurde man aufgefordert schneller und schneller zu sein. Bei einem Regenschauer mit schweren Sturmböen wurde man angehalten weiterzumachen, anstatt in Deckung zu gehen. Auf fast allen Baustellen wurde ich grundlos angemacht und angetrieben – damit die Sonderprämie für vorzeitige Fertigstellung stimmte. Stellte man sie zur Rede, so wurden sie noch lauter. Die Sonderprämie geht an die Vorarbeiter und seine Firma.

Falk

In einem Gespräch fasste Falk seine Erlebnisse nochmal zusammen. Er berichtet über die willkürliche Verlängerung der Arbeitszeit, beklagt das häufige Mobbing durch Kollegen der Kundenfirmen der I.eiharbeitsfirma. Hinzu kommt, dass er Arbeiten ausführen musste, die er nicht kannte. Außerdem war das Arbeitsumfeld schlecht: Das Verpflegungsgeld war zu gering und die Anreise quer durchs Bundesgebiet musste mit dem eigenen Auto geschehen.

v.sc.d

Kasten: Leiharbeit

„Unser Leben ist der Mord durch Arbeit – wir hängen 60 Jahre am Strick und zappeln. Aber wir werden uns losschneiden!“ [Georg Büchner, 1835]

Leih- oder ZeitarbeiterInnen zählen zu den klassischen prekär Beschäftigten. Sie sind bei einer Leihfirma angestellt, die sie dann an verschiedene Firmen für einen begrenzten Zeitraum weitervermittelt. Die Entleihfirmen haben gegenüber den Leihkräften Weisungsbefugnis, Bezahlung, Sozialversicherungspflicht usw. erfolgt jedoch durch die Verleihfirma. Durch Rückgriff auf die gegenüber fest angestellten Arbeitskräften zunächst teuere Leiharbeit können die betreffenden Unternehmen dennoch erhebliche Einsparungen erzielen, da dadurch Schwankungen in der Auftragslage oder beim eigenen Personalbestand – etwa durch Mutterschaftsurlaub, Krankheit, Urlaub, Wehr- oder Zivildienst – ausgeglichen werden können. Neueinstellungen werden somit vermieden, außerdem werden betriebliche Zusatzleistungen eingespart oder etwa gesetzliche Richtlinien, die sich auf die Anzahl der Beschäftigten im Betrieb beziehen, umgangen.

www.arbeitsalltag.de

Hartz-Gesetze

Sozialabbau, bis alle Arbeit haben

Es ist stiller geworden, um das Hartz-Konzept. Die Gesetze sind ja auch beschlossen. Jetzt heißt´s wohl allseits: abwarten was passiert. Nun, es ist an uns – den unmittelbar und den mittelbar Betroffenen – etwas passieren zu lassen, was uns passt! Ein kompakter Überblick* zu dem was wir vom Tisch haben wollen …

Mein Name ist Hinrich Garms. Ich bin tätig in der BundesArbeitsGemeinschaft der Sozialhilfeinitiativen als aktives Mitglied und ich bin bei der Arbeitslosenzeitung „quer“ und auch im Berliner AntiHartz-Bündnis. Ich wollte etwa berichten über die Geschichte der Gesetze nach Hartz, das „fünfte Evangelium nach Hartz“ sozusagen.

Im Spiegel vor etwa drei Wochen stand ganz groß und breit, bevor die Gesetze in den Bundestag kamen, „Hartz ist Geschichte“. Das seh´ ich nicht so. Das wäre zwar schön, aber es ist auch eine mediale Fälschung, insofern da die ganzen Sachen, die bei Hartz standen, kurz danach im Bundestag konkret umgesetzt wurden.

Um noch mal die „Hartz-Geschichte“ ein bisschen Revue passieren zu lassen: Zunächst einmal stand der Skandal in der Bundesanstalt für Arbeit [BA] im April, wobei gesagt wurde, die Vermittlungen laufen nicht schnell genug, es wären falsche Zahlen offeriert von der Bundesanstalt usw. usf.

Dann wurde der Präsident der BA, Jagoda, der von der CDU kommt, entlassen und es wurde ein SPD-Präsident eingeführt, der Johannes Gerster, also ein Modernisierer. Dann wurde ziemlich schnell eine Kommission eingesetzt, von der vielen nicht klar war, was die eigentlich machen sollte. Vielleicht war auch der Gewerkschaft ver.di nicht klar, was diese Kommission machen sollte, sonst hätte sie vielleicht nicht die Beauftragte für Beschäftigte der Bundesanstalt für Arbeit, Frau Kunkel-Weber, da rein geschickt, sondern vielleicht jemand anderen. Auf jeden Fall war es ihnen spätestens klar als Herr Hartz sein Dreihundertfünfzigseitenpapier dann präsentierte – in sakraler Atmosphäre im Berliner Dom auf dem Gendarmenmarkt, vor 350 applaudierenden Claqueuren. Als es dann klar wurde, da war es fast zu spät.

Danach wurde gesagt, dass man solche Ergebnisse von Expertenkommissionen dummerweise noch im Parlament diskutieren muss. Deswegen wurden aber auch im Eilverfahren zwei Gesetze gemacht, die schon rund um den 15. November innerhalb von einer Woche verabschiedet wurden. Also mir selber ist so ein Eilverfahren aus der parlamentarischen Geschichte eigentlich nur aus dem Einigungsvertrag bekannt, der auch nur ein Flickwerk war und die entsprechenden Folgen hatte. Die Hartz-Papiere, allein vom parlamentarischen Vorgehen, hatten meiner Meinung nach einen ähnlichen Charakter: es musste schnell durchgezogen werden, und es sollen die meisten Gesetze schon zum ersten Januar in Kraft treten. Was nun in diesen Gesetzen enthalten ist, kann ich kurz und knapp unter drei Überschriften zusammenfassen:

1. Gesetze, die direkt ArbeitnehmerInnen schädigen

2. Gesetze, die direkt Erwerbslose und SozialhilfeempfängerInnen schädigen

3. Gesetze, die direkt die Gesellschaft schädigen.

Ich denke, man muss das nochmal sehen, dass die einzelnen Gesetze schon so schlimm sind, dass sie alles in den Schatten stellen, was so in den letzten 20, vielleicht auch sogar 40 Jahren, an Sozialkürzungen gekommen ist. So schlimm die einzelnen Gesetze aber auch sind, die Gesamtwirkung wird eigentlich nur durch das Gesamtkunstwerk erreicht, dass die Gesetze miteinander verzahnt sind und alle erwischen können. Um das mal ein bisschen aufzufächern: Gesetze die direkt ArbeitnehmerInnen schädigen, sind die Erleichterung (für sogenannte „Arbeitgeber“ natürlich) LeiharbeiterInnen einzustellen, die vollkommene Entrechtung von Menschen, die in Leiharbeit geschützt wurden, die Aufhebung von Befristung bei Leiharbeit, die Aufhebung von anderen Schutzrechten bei Leiharbeit, und die gleichzeitige Einrichtung von sogenannten Personal-Service-Agenturen (PSA): ein Schelm, wer böses dabei denkt. Personal-Service-Agenturen also, die vom Arbeitsamt mit Kommunen. und Ländern eingerichtet werden und direkt Menschen vom Arbeitsamt in Leiharbeitsfirmen vermitteln sollen. Diese können sowohl gegründet werden von kommunalen Beschäftigungsgesellschaften als auch von Leiharbeitsfirmen wie Adecco oder Randstad, oder wie hier in Leipzig die umstrittene Leipziger Beschäftigungsgesellschaft. Wenn Menschen aus dem Arbeitsamt direkt in Betriebe vermittelt werden, dann können sie in den Betrieben zunächst einmal nach welchem Lohn arbeiten? Zunächst einmal können sie sechs Wochen als PraktikantIn arbeiten, das heißt zu Arbeitslosengeld/-hilfe, die sie vorher bekommen haben – was ein Skandal ist. Erstens ist das eine staatliche Förderung von Betrieben. Zweitens ist das eine Lohndrückerei. Und drittens ist das die Aufhebung von Statuten – entweder hat man Arbeit oder man ist erwerbslos, beides zusammen ging bis vor kurzem nicht – obwohl natürlich Kleinbetriebe auch Praktika vergeben haben – aber in so großem Rahmen, und dass auch noch gesetzlich dazu aufgefordert wird, ist ein Skandal.

Das zweite war die Diskussion, die auch aufkam, um Tarifverträge mit Leiharbeit. Da wurde auch einige Verwirrung erzielt, insofern als es eine Übergangsfrist für neue Gesetze von einem halben Jahr gibt und nicht von einem ganzen Jahr, wie oft in den Medien behauptet wird. Die Frist, in der sozusagen Alt-Entliehene noch zu alten Tarifen beschäftigt werden können; aber vom 1. Januar bis 30. Juni greifen diese Gesetze, so dass Neu-Entliehene sowieso nach neuen Gesetzen entliehen und nach neuen Tarifen beschäftigt werden, und Menschen, deren Verträge auslaufen, die dann arbeitslos werden, auch dann sofort nach neuen Tarifen beschäftigt werden.

Es gilt auch das Wort, wonach Tarifverträge abgeschlossen werden sollen für Leiharbeit. Das Problem ist, Tarifvertrag sagt nichts weiter aus, als dass ArbeitnehmerInnen und ArbeitgeberInnen sich einigen um einen Preis, und wenn der Preis halt ein Euro ist, dann ist das auch ein Tarifvertrag. Die Frage ist in dieser Branche, wie in anderen Branchen auch, ob es nicht besser ist, gar keinen Tarifvertrag abzuschließen als so einen. Die offiziellen Gewerkschaften sehen das natürlich anders als andere. Aber ich sage mal so, das Wort Tarifvertrag allein sagt noch nichts aus.

Was natürlich auch noch ArbeitnehmerInnen schädigt, ist die Ausweitung von geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen, also den sogenannten 500-EuroJobs, und zwar in der sogenannten „haushaltsnahen Dienstleistung“ … das heißt nichts weiter, als Putzen und Waschen für reiche Familien. Das sind Jobs, die zum Großteil Frauen betreffen werden, wo die Schwelle da sie nur ganz gering (nämlich mit 10%) sozialversichert sind und auch nur ganz gering (mit 10%) Pauschalsteuer besteuert werden, nach oben geschraubt wird.

So werden die Menschen also vom Arbeitsamt direkt in schlechte Arbeitsbedingungen gezwungen. Es gibt noch ´ne alte Grenze von 325 Euro für andere geringfügige Beschäftigungsverhältnisse das Wort gibt´s jetzt nicht mehr, das heißt jetzt „MiniJob“. [Mittlerweile wurde die Grenze für alle Bereiche auf 400 Euro festgesetzt, H.G.]

Diese Minijobs können kombiniert werden mit „haushaltsnahen Dienstleistungen“, so dass die Obergrenze für schlecht versteuerte und schlecht sozialversicherungspflichtig gemachte Beschäftigungsverhältnisse bei 825 Euro liegt [in die immerhin der Arbeitgeber sonst 50% einzahlt]. Es wird ganz klar: wenn man zwei Jobs kombiniert, wird es billiger – eine ganz neue Ausrichtung.

Verschlechternd wirkt sich auch aus, dass der Status ArbeitnehmerIn ganz aufgelöst wird, indem Erwerbslose und SozialhilfeempfängerInnen verstärkt in sogenannte „Ich-AGs“ oder „Familien-AGs“ gedrängt werden. Das heißt, vom Staat bzw. vom Arbeitsamt wird massiv mit 25.000 Euro in drei Jahren gefördert, ausgezahlt in Raten á 600 Euro, dass jemand eine eigene Bude aufmacht und als Selbständiger über die Runden kommen muss. Und somit, könnte man sagen, arbeiten der Staat und das Arbeitsamt daran, dass die Klassen verschwinden (1) … aber nicht zugunsten der Klasse, sondern zugunsten des vollständigen Umformens der Menschen in Scheinselbständige.

Was die Erwerbslosen direkt betrifft, sind zunächst einmal die massive Kürzung von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe eingearbeitet, die Nichtanpassung an die Netto-Inflationsrate, die massive Anrechnung von Vermögen. Die Vermögensgrenze, die bei maximal 33.800 Euro lag, wird runtergesetzt auf 13.000 Euro, und das auch nur bei Menschen, die ungefähr 60 Jahre alt sind und sozusagen ihre Lebensversicherung und anderes angespart haben. Vermögen wird nicht mehr angerechnet wie früher, es gibt nicht mehr so hohe Freibeträge, und es wird massiv das Einkommen von EhepartnerInnen verrechnet, so dass hier Menschen – auch insbesondere wieder Frauen – aus der Arbeitslosenhilfe gedrängt werden. Indem gesagt wird, „dein Mann. oder Lebenspartner verdient gerade noch genug, um dich mit durchzufüttern, also kannst du keine Arbeitslosenhilfe mehr haben, du hättest sie vielleicht nach dem alten Gesetz noch haben können, aber jetzt nicht mehr.“

Weiterhin wird gekürzt, wenn Menschen in Umschulungsmaßnahmen sind. Wenn Leute Arbeitslosenhilfe hatten, dann haben sie bis jetzt Unterhaltshilfe bekommen, nach Arbeitslosengeld-Norm, die bekommen jetzt nur noch nach Arbeitslosenhilfe-Norm. Das ist eine massive Kürzung um genau 10 Prozent.

Wo ArbeitnehmerInnen noch rausgeschmissen werden aus den Betrieben, das ist das sogenannte Bridge-System, das ist eine verschlechterte Vorruhestandsregelung für die gesamte Gesellschaft. Das heißt im Klartext, dass Menschen ab 55 aufgefordert werden, wenn sie (24 Monate hindurch) Arbeitslosengeld bekommen, in so eine Art Frührente zu gehen, das heißt dann „Brückengeld“. Während der Zeit bekommen sie 50% des ihnen ansonsten zustehenden Arbeitslosengeldes, kriegen aber einen Garantieschein, dass sie vom Arbeitsamt nicht mehr belästigt werden. Auf der anderen Seite müssen sie dann mit 60 in Vorrente gehen und mit 63 in Rente und all diese kleinen Schritte sind verbunden mit Renteneinbußen massiver Art, dass sie vielleicht mit 65 die ihnen zustehende Rente bekommen würden – wenn die nicht bis dahin durch eine Kommission gekürzt worden ist. Also auch hier: massive Kürzungen.

Welches sind die anderen Seiten der Medaille, die auch die Gesellschaft schädigen? Ich denke, auch Eingriffe in die ArbeitnehmerInnenrechte und die Rechte von Erwerbslosen schädigen natürlich den demokratischen und sozialen Charakter der Gesellschaft. Aber was nochmal direkt in gesellschaftliche Zusammenhänge eingreift, ist auf der einen Seite das jugendlichen-, frauen- und migrantlnnen-feindliche Bild, das durch diese neuen Gesetze vermittelt wird. Zum zweiten die Fälschung der Statistik, die dadurch ausgebaut wird, dass sie noch ein Gesetz erlassen wollen, mit dem Menschen raus-gerechnet werden aus der Erwerbslosenstatistik. Und nicht zu vergessen ist auch die Einführung einer bundesweiten Chipkarte (wahrscheinlich im nächsten Frühjahr), die zunächst einmal die Daten von SozialhilfeempfängerInnen und Erwerbslosen erfassen wird und last not least vernetzt wird mit Betriebsdatensystemen etc. Um nach und nach die gesamte BRD statistisch zu erfassen und auf einer Chipkarte zu speichern, die jeder Mensch bekommen soll. Am Anfang soll der Mensch auch noch sehen, was da raufgeschrieben wird; am Ende nicht mehr. Und das ist ja die Höhe, und zwar sollen die Daten nicht einmal vom Bundesamt für Statistik oder von der Bundesanstalt für Arbeit oder ähnlichem, sondern von einem wie auch immer gearteten privaten Unternehmen gesammelt und verarbeitet werden.

Für Arbeitslose ist noch zu erwähnen, dass im Vorfeld der „PSA“ Job-Center eingeführt werden, in denen Menschen in Kategorien eingeteilt werden – Profiling genannt – also, es wird aufgeteilt in unwürdige und würdige Arme, es wird aufgeteilt in Menschen, die noch Arbeitslosengeld I oder II bekommen und Menschen, die noch Sozialgeld bekommen. Wobei sicher ist, dass dieses Sozialgeld hinterher niedriger ist als die jetzige Sozialhilfe.

Also das sind alles Dinge, die (bis auf die Chipkarte) sofort eintreten sollen. In den Monaten darauf ist damit zu rechnen, dass ABM und SAM massiv abgebaut werden und am Ende der Entwicklung, ich schätze im nächsten Sommer, steht die sogenannte Zusammenlegung .von Arbeitslosen- und Sozialhilfe, wobei es noch mehrere Varianten gibt, wie das durchgeführt werden kann. Dabei gibt es auch Probleme, dies mit den Kommunen finanziell zu ordnen. Aber es ist damit zu rechnen, dass die Sozialsysteme in dieser Art und Weise bis zum 1.August vollkommen umgekrempelt werden. Auch wird diskutiert, im Frühjahr oder Sommer nächsten Jahres (was zum Hartz-Paket gehörte) ein sogenanntes Ausbildungszeitwertpapier für Jugendliche einzuführen, die dann nicht mehr vom Betrieb ihre Ausbildung bezahlt kriegen, sondern ihr Geld für die Ausbildung mitbringen müssen.

Alles in allem kann man sagen, in diesem Moment ist Hartz nicht Geschichte, sondern Hartz ist ziemlich aktuell und ich denke, da sollten wir alle etwas gegen tun, sowohl gegen die Umsetzung der jetzt entstandenen Gesetze wie auch gegen die nächsten Gesetze, die jetzt noch produziert werden.

* Vorgetragen am 7.12.02 auf einer Veranstaltung der FAU Leipzig. Vielen Dank für´s Skript!
(1) vgl. dazu „Wiedernoch weben am Leichentuch?“, S. 12 f.

Hartz-Gesetze

Zur Not auch gegen ihren Willen

Die nun vollendete Arbeitsmarkt­reform nach dem Hartz-Konzept ist schon seit einigen Monaten, seit 1. April 2003, in der Wirklichkeit zu erleben. So erfolgreich wie die Reformer erwartet hat­ten, war die staatlich vermittelte Leiharbeit bisher noch nicht. Davon unbeirrt verab­schiedete der Bundestag am 13. August die letzten beiden großen Gesetze – „Hartz III und IV“.

Mit dem Hartz-III-Gesetz wird das Arbeitsamt umgestaltet zur „kunden­orientierten Bundesagentur für Arbeit“. Diese Neuorientierung tritt zum I. Janu­ar 2004 in Kraft und bedeutet zunächst einmal „intensivere Beratung“: verschärf­te Kontrollen und erhöhter Druck. Ein Mitarbeiter soll sich um 75 Erwerbslose kümmern – das wären etwa 50,000 „Fall­manager“, womit die Bundesagentur als ABM von landesweiter Bedeutung gelten darf. Mit der „Gewährung passiver Leis­tungen“ ist es jedenfalls vorbei. Und auch mit der amtlichen Ruhe. Das Ar­beitsamt soll künftig wie ein Unternehmen geführt werden, mit einem verant­wortlichen Management und strikter Erfolgskon­trolle. Wer erinnert sich da nicht an die Deutsche Bahn? Mittels „definierter Kennzahlen“ soll die Er­füllung der Zielvorgaben – klar, Reduktion der Arbeitslosigkeit – überprüft werden. Sta­tistik ist alles, der Mensch ist nichts.

Hartz IV etabliert durch die Zusammen­legung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe eine „Grundsicherung für Arbeitssuchen­de“. Das ganze tritt am 1. Juli 2004 in Kraft und heißt Arbeitslosengeld II; Sozialhilfe erhalten dann nur noch erwerbs­unfähige Menschen, diejenigen die weni­ger als drei Stunden täglich arbeiten kön­nen. Die „glücklichen“ Erwerbsfähigen er­fahren eine „intensivere Beratung“, einen erhöhten Druck seitens der neuen Bun­desagentur. Denn wer sich der Beratung oder Wiedereingliederung verweigert, muss die nächsten drei Monate mit etwa 100 Euro weniger (30 Prozent) auskom­men. Weigern sich Jugendliche unter 25 Jahren, bekommen sie drei Monate lang überhaupt kein Arbeitslosengeld. Dieses Prozedere kann zweimal in gleichem Ausmaß wiederholt wer­den. In der Presse­erklärung heißt es, eine Verweigerung sei eine „Pflichtverletzung“ – Arbeitspflicht?

In diesem Zusammenhang sei an eine Pas­sage in Schröders Agenda-2010-Rede (14.3.) erinnert: „Ich akzeptiere nicht, dass Menschen mit der gleichen Bereitschaft zu arbeiten, Hilfen in unterschiedlicher Hö­he bekommen. So kann erfolgreiche Inte­gration nicht aussehen.“ Es geht also um die „Integration“ derjenigen, die eine „Be­reitschaft zu arbeiten" zeigen. Als Partei mit 140jähriger, sozialistischer Tradition weiß man in der SPD sehr wohl, was „ar­beiten“ heißt: „ausgebeutet werden“. Schröder und die Partei wären nicht sozi­aldemokratisch, würden sie dabei nicht an alle Menschen der „deutschen Gesell­schaft“ denken. So kommt mangelnde „Bereitschaft" einer Pflichtverletzung gleich. Die Regierung geht mit ihrem Ar­beitseifer voran und will mittels Sonder­programm (1.9. die­ses Jahres bis 31. Au­gust 2005) 100.000 „Langzeitarbeitslose“ vermitteln – die So­zialhilfe wird in Höhe des Lohns gekürzt.

Das können jedoch nicht alle Maßnahmen gewesen sein, denn der Arbeitsmarkt hat zwei Kundenkreise – wie der Zeitungs­markt für Leser und für Anzeigenkunden. Knute für die einen, Zuckerbrot für die anderen. Hartz III umfasst neben der Ori­entierung auf die Erwerbslosen auch eine Senkung der Lohnnebenkosten – aus Sicht der Unternehmer gehören diese „Neben­kosten“ zum Faktor Lohn – also Senkung der Lohnkosten und die Pauschalisierung von Eingliederungszuschüssen. Diese Zu­schüsse zu den Lohnkosten werden offizi­ell gezahlt, um die „Minderleistungen“ des ehemals Erwerbslosen auszugleichen – bei Einarbeitung maximal 30 Prozent für bis zu sechs Monate, bei erschwerter Vermitt­lung bis zu 50 Prozent für 12 Monate, bei Alter bis zu 50 Prozent für 24 Monate. Pauschalisiert werden auch andere, spezi­ell ostdeutsche Lohnkostenzuschüsse (SAM), Und für Herbst ist eine „Offensi­ve“ angekündigt, zur „Verbesserung der fi­nanziellen Situation des Mittelstandes“.

Für Erwerbslose steht eine „Verbesserung der finanziellen Situation“ nicht zur De­batte – ebenso wenig für RentnerInnen. Schröder weiß, worauf es bei Wirtschafts­politik ankommt: Politik für „die Wirt­schaft“, für’s Kapital. Dabei handelt es sich um eine spezielle Wirtschaft, denn Produktion und Handel an sich geraten nicht ins Stocken geraten – es geht um Rentabilität: die Arbeitskraft muss billi­ger werden und der Markt muss expan­dieren, um den Gewinn zu realisieren. Die Preissenkung der Ware Arbeit selbst reicht nicht aus – wie an der Bilanz der Personal Service Agenturen kenntlich wird: „Der­zeit haben die Arbeitsämter 671 Agentu­ren unter Vertrag mit Plätzen für 30.000 Arbeitslose. Beschäftigt waren nur 6100 Arbeitslose, in einen Job vermittelt wur­den bisher 117.“ (1) Die notwendige Ex­pansion vollzieht sich heute, da alle Kon­tinente erschlossen sind, durch Neuerun­gen, durch neuartige Waren. Daher rührt die neu entdeckte Liebe zu Wissenschaft und Bildung – der Etat des Bildungs­ministeriums sei „seit 1998 um 25 Prozent“ gestiegen, heißt es in einer weiteren Presse­erklärung. (2)

… nicht die Vernunft einer menschlichen Gesellschaft

All diese Maßnahmen sind vernünftig – sie folgen der Vernunft des Gewinns. Gewiss können auch Wochenende, bezahlter Ur­laub, 35-Stunden-Woche und Sozial­versicherungen in dieser Logik gedacht werden… die Vernunft einer menschlichen Gesellschaft ist es nicht. Wenn aber in ei­ner krisengeschüttelten Wirtschaftsord­nung sich seit 20 Jahren alle Hoffnungen immer wieder zerschlagen, dann werden diese Vergünstigungen und Rechte wieder undenkbar. Verteidigen wir uns, denken wir das Undenkbare! Nicht nur an Wohl­stand denken wir, auch an Freiheit … wir haben Stiefel im Gesicht nicht gern, wir wollen unter uns keinen Sklaven seh`n, und über uns keinen Herrn.

Bisher ist noch kein Land in Sicht für Po­litik und Wirtschaft – aller Erfolgsrhetorik zum Trotz. Sie haben uns nichts zu bieten. Bisher ist noch kein Land in Sicht für Le­ben und Emanzipation – niemand wird uns das bieten. Das können wir nur selbst schaffen.

A.E.

(1) Financial Times Deutschland, 11.8.03
(2) Zur Bildungspolitik, siehe auch S. 12 in diesem Heft: „Einsicht in die Notwendigkeit". Die Zahlen und Zitate stammen von der Bundes­regierung (www.bundesregierung.de) und vom Ar­beitsamt (www.arbeitsamt.de)

Hartz-Gesetze

Armut simuliert Wachstum

So recht angebracht ist unsere Rubrik ja nicht (mehr) … geht es doch nicht allein um die Hartz-Gesetze, sondern um einen ganzen Komplex von Angriffen auf die Bevölkerungsmehrheit in diesem Staat. Zu diesem Komplex gehören die Gesundheitsreform inklusive einer Diskussion um die Pflegeversicherung und die Rentenreform ebenso wie der Bologna-Prozess. Nicht allein von Bedeutung ist die Verabschiedung im Bundestag und Modifizierung im Bundesrat (voraussichtlich noch im Oktober), sondern auch die gegenwärtigen Debatten um die Behebung der Wirtschaftskrise, um allgemeine Arbeitszeitverlängerung und Reformkonvents.

Die Hartz-Gesetze III und IV, wie sie im Feierabend! #8 behandelt wurden, sind zwar noch Gegenstand politischer Debatten, vor allem weil „Hartz IV“ vom Bundesrat bestätigt werden muss. Aber Veränderungen, die positive Auswirkungen auf die konkrete Situation der Erwerbslosen hätten, sind nicht zu erwarten. Schließlich sind sich Regierung und Nicht-Regierung, die sogenannte „Opposition“, im Kern einig: Arbeitslosen- und Sozialhilfe sollen zum Arbeitslosengeld Zwei (ALG II) zusammengefasst und abgesenkt werden, im Osten auf 331 Euro (im Westen 345). Uneinigkeit herrscht nur über die Staatsebene, mit der sich die rund zweieinhalb Millionen Menschen auseinandersetzen sollen, die von dieser Maßnahme betroffen sind: mit der „Bundesagentur für Arbeit“ oder mit den einzelnen Kommunen?

Es gibt auch kleinere Meinungsverschiedenheiten über den Stand der Dinge: während sich die SPD in Regierungsverantwortung zuversichtlich gibt – das gehört zum Handwerkszeug jeder Regierung und ist eigentlich nicht als Aussage zu werten – betont die CDU die Notwendigkeit weiterer Vorstöße. Denn so recht traut dem freundlicheren Geschäftsklimaindex wohl niemand, den ein Mitarbeiter der Deutschen Bank als bloßes „Szenario“ bezeichnete, schließlich gibt der Index nur die „persönliche Eindrücke“ (1) wider. Das wird vom Ifo-Institut ausdrücklich bestätigt: „Die Besserung beruht […] ausschließlich auf optimistischeren Erwartungen für die nächsten sechs Monate, während sich die Urteile zur aktuellen wirtschaftlichen Lage sogar weiter verschlechterten.“ (2) Aber um die tatsächliche wirtschaftliche Lage geht es in politischen Verlautbarungen kaum, eher um die Begründung weiterer Verschlechterungen. Denn der Aufschwung darf „nicht gefährdet werden“. Dementsprechend werden nun Forderungen nach Arbeitszeitverlängerung ohne Lohnausgleich laut, sei es von CDU, Industrie- und Handelskammertag, Bund der Deutschen Industrie (BDI), Porsche oder Siemens. Vor allem mit dem Wegfall von Zuschlägen könnten die Stückkosten gesenkt und damit der Standort Deutschland für Investoren attraktiver werden. SPD und PDS teilen diese Ansicht, nur tönen sie derzeit weniger als vielleicht zu Zeiten des IG-Metall-Streiks, sondern sie schreiten – in Berlin – zur Tat, wenn sie beispielsweise aus der Ländertarifgemeinschaft austreten, um die Löhne im öffentlichen Dienst zu senken.

Auch bei der Arbeitszeitverlängerung geht es letztlich um eine Lohnsenkung – mehr Arbeit bei gleichem Lohn. Und hier findet sich die Verbindung zu den Hartz-Gesetzen und der Agenda 2010: seien es direkte oder indirekte, die Lohnkosten sollen sinken. Wenn Politik und Wirtschaft auch einig scheinen, gibt es doch diverse Fraktionen. Denn der deutsche Exportsektor, der durch die Senkung der Lohnstückkosten gestärkt wird, kann nur wachsen, wenn die produzierten Güter auch verkauft werden können. So werden seit 30 Jahren Wirtschaftskrisen behoben. Dass dies weiterhin so funktioniert, das bezweifelt so mancheR. Denn nicht nur die Wirtschaft der BRD steckt in der Krise. Die Financial Times argumentiert (FTD, 26.9.), dass Mehrarbeit nicht das Ende der seit 20 Jahren währenden Krise sei, weil es nicht so ist, dass „die Unternehmen ihre überquellenden Auftragsbücher nicht abarbeiten“ können. Vielmehr würden längere Arbeitszeiten zu Entlassungen führen, und also nicht zur Verbesserung der gesamtwirtschaftlichen Lage beitragen. Die wäre, so der Chefredakteur, nicht vor 2010 zu erwarten (3).

Aber mehr als den schon trivialen Ratschlag der unternehmerischen Innovation, hat auch er nicht zu bieten. Genau wie die FTD, zielt die „Einheitsfront“ der großen Koalition für unbezahlte Mehrarbeit auf die Verbesserung der Lage für einzelne Unternehmen – geringere Personalkosten schlagen sich unmittelbar positiv im Unternehmensgewinn nieder. Nur Individuallösungen beheben gesellschaftliche Probleme aber nicht. Beide Fraktionen sehen keinen Weg aus der Wirtschaftskrise.

Der Ansatz des typisch reaktionären Lagers „länger Arbeiten“ in der Debatte ist aber recht interessant: eine Arbeitszeitverlängerung stelle „keine unzumutbare Belastung für die Beschäftigten dar“. Es ist also die Frage, was wir hinnehmen, und was nicht!

Derzeit schlucken wir Kröte um Kröte. Zwar halten sich die Auswirkungen der Personal-Service-Agenturen (PSA) noch in Grenzen, sie weiten sich aber aus (siehe „Arbeitende Arme“). Die Diskussion um die „Arbeitspflicht“ zeitigt trotz der PSA-Anlaufzeit schon Wirkung – freilich auf anderem Gebiet. So wurden im ersten Halbjahr 155.000 Sperrzeiten gegen EmpfängerInnen von Arbeitslosengeld verhängt (zu den neuen Möglichkeiten des Amts, siehe Feierabend! #8). Das sind 24 Prozent mehr als im ersten Halbjahr 2002 – im Osten beträgt der Anstieg gar 42 Prozent. Bei EmpfängerInnen von Arbeitslosenhilfe wurde der Anteil der Sperre sogar um 64 Prozent gesteigert … immer feste druff. An diesen Zahlen läßt sich gewiss auch einiges an individueller Verweigerung der Arbeitspflicht ablesen. Aber noch nichts weist auf eine kollektive Abwehr hin. Noch nichts weist darauf hin, dass die „Montagsdemo gegen Sozialabbau“ einmal mehr als 1.000 TeilnehmerInnen hätte, und dass die Protestkultur über Demonstrationen hinaus ginge.

Die nun verabschiedeten Maßnahmen der Regierung – es heißt, dass im November bereits Renten- und Gesundheitsreform in Gesetze gegossen werden sollen – werden kollektive Aktionen und gegenseitige Hilfe aber unabdingbar machen. Deshalb meint der BDI auch, Vorkehrungen treffen zu müssen und treibt die politische Diskussion voran. Auf dem Industrie-Kongress (Berlin, 22.9.) wurde deutlich, was einen funktionalen Staat ausmacht: „Garantie der Rechtsstaatlichkeit … Sicherheit und Ordnung im Innern“ und die Bereitstellung von Infrastruktur.

 

A.E.

 

(1) A. Kunkel: Zur Prognosfähigkeit des ifo-Geschäftsklimas, März 2003.

(2) „Wird jetzt alles wieder gut?“, wildcat, No 67.

(3) „Was können Unternehmer tun, wenn die Politik stagniert?“, Sachsensonntag, 5.10.2003.