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Autoritäre Antiautoritäre

„Wo geht’s denn hier zur Macht?“, fragte der autoritäre Antiautoritäre mit einem Selbstbewusstsein, das an Selbstverliebtheit grenzte, mit einem Lächeln auf den Lippen, scheinbar souverän wie immer. Die eigentlichen Worte lauteten anders. Wahrscheinlich irgendwas mit „Strukturen stärken“, „Kontakte aufnehmen“, „ein Player werden“ – dies alles aber auf bestimmte Art und Weise, nämlich um jemand zu werden. Wo sind die Leute, die „wirklich was machen“, jene die „wirklich Kontakte haben“, die „vernetzt“ sind? So lauten derlei Fragen auch.

Dabei werden fleißig Keywords platziert, sowas wie „Protestchoreographie“, „Diskurs“, „ideeller Gesamtkapitalist“ oder was auch immer. Nicht zu vergessen ist auch der Anschein, um irgendwelche „Interna“ aus irgendwelche Gruppen zu wissen, überhaupt zu wissen „wie die Linke derzeit aufgestellt ist“ und sich „die politische Lage entwickelt hat“, beeindruckender noch: „wie sie sich entwickeln wird“. Up to date sein im Szene-Gossip ist eine permanent zu bewältigende und schwierige Aufgabe mit enormen Zugangsvoraussetzungen.

Schwer zu bewältigen ist teilweise der Spagat zwischen vermeintlich professionellem und irrsinnigerweise für seriös gehaltenem Auftreten auf der einen und einer von oben herab behandelnden kumpelhaften Art auf der anderen Seite. Dabei handelt es sich um die Einübung der coolen Art linker Politiker, der Checker, die wissen, wo sie den nächsten Widerspruch begraben werden: unter ihrem Deckmantel, dafür schon eine Lösung zu finden. Entscheidend dafür ist natürlich, Kontakte zu halten, Informationen abzugreifen, sich blicken zu lassen wo notwendig, und sich einige zuverlässige Sympathisant_innen zuzulegen, die am klebrigen Schein der Aura des Simulanten hängengeblieben sind.

Wo sie glauben, Macht zu finden, lassen sie sich von den Leuten blenden, denen solche zugeschrieben wird. Früh übt sich, wer in der Hierarchie nach oben klettern will, und kein Buckeln, Kratzen, Selbsterniedrigen und Lächeln ist zu viel, wenn ein Stück vom Kuchen abfallen könnte. Und wer mal Kuchen essen will, frisst auch mal Scheiße. Allerdings verliert er dabei sein „anti“ und wird nur noch ein autoritärer Autoritärer, was die Sache für ihn wesentlich erleichtert, denn dann braucht es kaum mehr Rechtfertigung vor einem selbst, sondern nur noch vor den linken Bossen – solange man in ihrer Gnade steht.

Stattdessen nehmen antiautoritäre Autoritäre die Prinzipien der Selbstverwaltung und Selbstorganisation sogar fast ernster als ein stinknormaler Apparatschik. Irgendwo muss damit ja angefangen werden. Deswegen streichen sie für sich einfach das Adjektiv „kollektiv“ von diesen Begriffen, organisieren und verwalten also sich selbst. Und wenn sie einmal dabei sind, organisieren und verwalten sie auch gern andere mit, denen sie ihre ungefragte Hilfe aufdrängen können.

Äußerst wichtig dabei ist, wie schon erwähnt, das politische Geschwätz und das Darstellen der „politischen“ Bekanntschaften, um sich Bedeutung zu verschaffen.

Die Psychologie des antiautoritären Autoritären ist ein vertracktes Ding. Bisher unverstanden ist auch sein Verbalradikalismus, der ans Lächerliche grenzt und nur politische Analphabeten zu überzeugen vermag. Sei es drum: Er weiß die Gründe, kennt die Wege, im Übrigen auch die Mittel – deren Anwendung er gern anderen überlässt, während er zum nächsten „Projekt“ weitereilt. Deswegen fällt es ihm schwer, anderen zuzuhören, sie überhaupt tiefgehender wahrzunehmen und sich vorstellen zu können, dass seine Meinung möglicherweise doch nicht so klug und durchdacht ist, wie er selbst stets glaubt und sich selbst beweisen muss.

Wenn er auftritt, wird der Raum eng. Lassen sich Situationen nicht vermeiden, in denen die Gruppe keine rein oberflächliche, sondern eine grundsätzliche Debatte führt, versucht er sich ihnen zu entziehen. An basisdemokratische Beschlüsse, die seinem Ego zuwiderlaufen, würde er sich ohnehin nicht beteiligen. Dies versucht der antiautoritäre Autoritäre dadurch zu übertünchen, dass er unterlegene Positionen in Dienst nimmt und anderen aufdrängt, sich mit ihnen zu beschäftigen – unabhängig davon, ob sie dies möglicherweise schon ausgiebig tun oder nicht. Beispielsweise geht er davon aus, wenn er sich mit Feminismus beschäftigen würde, könnte er sich Inhalte und Techniken aneignen, die ihn dann des Problems seiner eigenen Verstrickung entledigen würden, womit er besser dastünde, diese Sache abgehakt hätte und über andere urteilen könnte, „die es noch nicht geblickt haben“.

Dass eine solche Beschäftigung eine langwierige und schwere Aufgabe wäre, die am Ende seine eigene Selbstverliebtheit und Aufgeblasenheit in Frage stellen müsste, geht ihm nicht in den Kopf rein. Überhaupt ist Emanzipation für ihn nur ein Wort neben vielen anderen. Salvador Dalí malte 1929, ich denke noch vor der Phase seiner faschistischen Sympathien, ein Gemälde mit dem Titel „Le Grand Masturbateur“ („Der Großmasturbator“). Ganz im hier beschriebenen Sinne würde ich den antiautoritären Autoritären analog als den „Großorganisator“ bezeichnen.

jens