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Leipzig schwarz-rot (Teil 2)

Ein Rückblick auf 20 Jahre autonome Linke in Leipzig

In der unmittelbaren Nachwendezeit schien in der Hausbesetzer_innenszene, die sich vor allem in Leipzig-Connewitz konzentrierte, noch weitgehende Harmonie zu herrschen. Die städtischen Behörden versuchten, die um Legalität bemühten, im Verein Connewitzer Alternative organisierten „Instandbesetzer_innen“ in die eigenen Stadtentwicklungskonzepte einzubinden. Und auch die eher autonom-staatsferne, durch Punk und Hardcore sozialisierte Fraktion hatte von der in dieser Übergangsphase ohnehin überforderten Staatsmacht wenig zu befürchten. Die Bedrohung durch Neonazis war zwar allgegenwärtig, sorgte aber auch dafür, dass man sich nach innen umso enger zusam­menschloß. Die internen Widersprüche der „Szene“ wurden da nur zu leicht übersehen. Im November 1992 brachen sie dafür um so heftiger auf.

Eskalation

Als Katalysator fungierte dabei eine Gruppe von etwa einem Dutzend Teenagern zwischen 14 und 18 Jahren, die wegen ihrer Vorliebe für Autorennen mit gestohlenen Wagen die „Crashkids“ genannt wurden. Diese Clique hatte ursprünglich ein Haus in der Innenstadt besetzt, nach einem Neonaziüberfall zogen sie aber nach Connewitz um. Die „Crashkids“ waren Auslöser der Straßenschlacht in der Nacht vom 27. zum 28. November 1992, die einen wichtigen Wendepunkt für die Connewitzer Szene bedeutete.

Viele Details lassen sich dabei nur noch schwer rekonstruieren. Alles begann wohl damit, dass die „Crashkids“, nachdem sie im Pulk randalierend durch die Straßen gezogen waren, Ärger mit der Polizei bekamen. Sie holten Hilfe aus dem Zoro, wo eines Konzerts wegen gerade viele Leute vor Ort waren. Zur Eskalation kam es schließlich, als ein Jugendlicher von einer Polizistin angeschossen wurde. Dem zweifelhaft erscheinenden Polizeibericht zufolge waren die Beamten von einer ca. 30 Mann starken Gruppe mit Steinen und Molotow-Cocktails angegriffen worden. Die Polizistin hätte daraufhin zwei Warnschüsse abgegeben und einen der Angreifer in die Hüfte getroffen.

Die Nachricht von den vermeintlichen Todesschüsse verbreitete sich in Windeseile. An vielen Orten wurden Barrikaden errichtet, bis in die frühen Morgenstunden lieferten sich die Hausbesetzer_innen Scharmützel mit den Beamten. Am Ende der Nacht waren zwischen 200 und 400 Polizisten im Einsatz, um die Lage wieder unter Kontrolle zu bringen. Ihnen standen ca. 1-200 „Autonome“ gegenüber. Die LVZ meldete 38 Verletzte, davon 24 Polizisten. Auch dieses Zahlenverhältnis wirkt nicht ganz glaubwürdig, denn auch die Polizei ging mit großer Härte vor, z.B. als sie im Laufe der Auseinandersetzungen das Zoro stürmte. Augenzeug_innen berichten, dass es dabei zu gezielten Misshandlungen der Gäste kam.

In der Hausbesetzer_innenszene kursierten nach der Straßenschlacht Gerüchte, die Polizei hätte es gezielt auf eine Eskalation angelegt. So seien auffällig rasch Hundertschaften als Verstärkung aus anderen Städten herbeigeordert worden. Diese Gerüchte sind wohl eher als Indiz für die aufgewühlte Stimmung nach den Ereignissen zu sehen. Andererseits ist die Existenz von Verschwörungstheorien noch kein Beweis dafür, dass es keine Verschwörung gab. Auch in diesem Fall gilt: Nichts genaues weiß man nicht.

Leipziger Linienziehungen

Die Straßenschlacht rückte die Conne­witzer Szene schlagartig in den Mittelpunkt des Interesses. Die LVZ übte sich in ihrem Kommentar in Ausgewogenheit: „Es spricht gegen die Connewitzer Alternativen, daß ihnen ein von einer Polizeikugel getroffener junger Mensch genügt, gleich einen Straßenkampf zu beginnen. Es spricht aber auch gegen die Polizei, mit einem sogenannten `Warnschuss` über­haupt jemanden zu treffen“ (LVZ, 30. 11. 92). Womöglich wäre die Partei­nah­me eindeutiger ausgefallen, wenn bei den Ausschreitungen nicht auch ein LVZ-Reporter von der Polizei zusammengeschlagen worden wäre: Er hatte Beamte dabei fotografiert, wie sie auf einen am Boden liegenden Hausbesetzer einprügelten.

Auch die in der LVZ zitierten Bürgerstimmen zeigten eine gespaltene Stimmung: Während manche hartes Durchgreifen forderten („Am besten alle alten Häuser hier abreißen, dann gibt es nichts mehr zu besetzen“), bekundeten andere ihre Sympathie für die „Autonomen“. Hinzu kamen diverse abwägende, zwischen „guten“ und „bösen“ Beset­zer­_innen trennende Äußerungen.

Eine weitere Folge der Straßenschlacht war die Gründung eines maßgeblich von örtlichen Geschäftsleuten getragenen Bür­ger­verein. Hauptakteur war dabei der Hotelbesitzer Frithjof Schilling, der in den folgenden Jahren einen wahren Kleinkrieg gegen die Connewitzer Szene führte. Erste Amtshandlung des Vereins war ein Offener Brief an den Oberbürgermeister, in dem erklärt wurde, die Einwohner_innen und Gewerbetreibenden in Connewitz seien nicht daran interessiert, mit „Chaoten und Kriminellen“ zusammen zu leben (LVZ, 19./20.12.92). Mit ähnlichen Briefen sollte Schilling auch künftig allen Verantwortlichen vom Stadtrat bis zur Landesregierung auf die Nerven gehen.

Unterdessen war auch die Stadtverwaltung nicht untätig. In der am 30.11.92 stattfindenden Krisensitzung des Stadtrats kristallisierte sich rasch die künftige „Leipziger Linie“ heraus. Oberbürgermeister Hinrich Lehmann-Grube brachte das Konzept in der LVZ vom 17.12.92 so auf den Punkt: „Mit friedfertigen Hausbesetzern schließt die Stadt Verträge ab, ein kriminelles Umfeld werden wir aber nicht dulden.“ Und weiter: „Wir unternehmen alles Notwendige, damit Connewitz nicht zum Zentrum alternativen Wohnens wird.“

Es ging also darum, eine Trennung von „gutwilligen“ Hausbesetzer_innen und „Gewalttätern“ zu erreichen. Dazu wurden zunächst einmal die Verhandlungen mit den in der Connewitzer Alternative organisierten Besetzer_innen forciert. Schon eine Woche später konnte Holger Tschense (damals Leiter des Amts für Wohnungswesen) erste Erfolge melden: „Sechs weitere Häuser haben die ihnen angebotenen Mietverträge (…) akzeptiert“. Entsprechend der Doppelstrategie der Stadt enthielten die Mietverträge eine Klausel, die die Bewohner_innen der Häuser verpflichtete, für die „Gewährleistung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit“ Sorge zu tragen – ansonsten drohte fristlose Kündigung. Um Neubesetzungen zu verhindern, wurde ab Januar 1993 damit begonnen, die Eingänge noch leerstehender Häuser in Conne­witz zu vermauern. Illegal besetzte Häuser sollten künftig sofort geräumt werden.

Polizei und Staatsanwaltschaft reagierten derweil auf ihre Weise. Drei Staatsanwälte wurden in den Wochen nach der Straßenschlacht für die Ermittlungen abkommandiert. Die Szene reagierte auf diese Entwicklungen u.a. mit der Gründung des Koordinierungsgruppenbüros (KGB), das für die Antirepressionsarbeit zuständig war.

Und auch auf Landesebene interessierte mensch sich für Connewitz. So wurde im Dezember 1992 eine interne „Arbeitsgruppe Connewitz“ im sächsischen Regierungspräsidium gebildet. Diese aus Leuten des Landeskriminalamts, der Landespolizeidirektion und der Staatsanwaltschaft bestehende „Expertenrunde“ machte sich für ein hartes Vorgehen gegen die Connewitzer Hausbesetzerszene stark. Wohl auch aus parteipolitischen Erwägungen heraus: Die CDU-Landesregierung glaubte wohl, im SPD-regierten Leipzig mit „law and order“-Parolen punkten zu können (LVZ, 23.8.1993).

Zerwürfnisse

Nur einen knappen Monat später sorgte ein weiteres Ereignis für Aufsehen: die Ermordung von Steffen Thüm (genannt Thümi) in der Nacht zum 23. Dezember 1992. Auch dabei spielte die Clique der „Crashkids“ eine eher unrühmliche Rolle. Ein Autodiebstahl brachte den Stein ins Rollen. Beim Besitzer des Wagens handelte es sich, wie die Polizei rasch ermitteln konnte, um einen an der Leipziger Uniklinik beschäftigten Arzt. Dieser hatte sich wegen des Autodiebstahls hilfesuchend an den Freund seiner Tochter gewandt, der gute Kontakte im kriminellen Milieu hatte. So kam es, dass in dieser Nacht eine Gruppe von etwa 15, laut LVZ mutmaßlich der Zuhälterszene zugehörigen Leuten zunächst in der Dürerstraße auftauchte, wo der gestohlene Wagen stand. Nachdem sie einen Hausbesetzer gekidnappt und in den Kofferraum gesperrt hatten, fuhr die Gruppe weiter in die Leopoldstraße, um dort einige der mutmaßlichen Autodiebe zu stellen. Auf den deswegen ausgelösten Alarm hin wollte Steffen Thüm (in der Annahme, es handele sich um einen der zu dieser Zeit üblichen Naziangriffe) mit einigen anderen Menschen zu Hilfe kommen. Die Angreifer flüchteten mit einem Auto, wobei sie mit einem Schnellfeuergewehr (!) aus dem Seitenfenster schossen. Steffen Thüm wurde dabei getroffen, er starb einige Stunden später an seinen Verletzungen.

Warum es zu diesem Zeitpunkt der Ereignisse zu einer solchen Eskalation kam, lässt sich heute nicht mehr klären. Die LVZ kolportierte Gerüchte, denen zufolge möglicherweise eine größere Menge an Drogen im Kofferraum des gestohlenen Wagens versteckt war. Die Autodiebe hätten das Paket gefunden und bei Seite geschafft. Die Angreifer hätten damit ein konkretes Eigeninteresse bei der ganzen Angelegenheit gehabt. Aber das bleibt Spekulation. Das 1994 eröffnete Gerichtsverfahren gegen die drei Hauptverdäch­tigen verlief schließlich im Sande.

Die Connewitzer Alternativen hatten sich schon nach der Straßenschlacht um eine Distanzierung von den kriminellen „Crashkids“ bemüht. Der Mord an Steffen Thüm brachte das Fass nun zum Überlaufen: Auf einem kurz nach dem Mord einberufenen Plenum wurde beschlossen, selbst aktiv gegen die Autodiebe vorzugehen, sie also aus dem Viertel zu vertreiben. Das führte immer­hin dazu, dass sich die Clique zerschlug und auf verschiedene Häuser verteilte.

Die Straßenschlacht und der Mord an „Thümi“ machten auch die internen Widersprüche der „Szene“ sichtbar. Je nachdem konnten sich mit den Hausbesetzun­gen schließlich ganz unterschiedliche Zielsetzungen verbinden – für die einen nur ein Mittel an billigen Wohnraum zu kommen, für die anderen ein politischer Akt, ein bewusster Angriff auf die geltende Eigentumsordnung. Daraus folgten je nachdem auch ganz unterschiedliche Strategien z.B. beim Umgang mit der Staatsmacht. Jetzt kam es zu einer stärkeren Polarisierung zwischen „Pazifisten“ und „Militanten“, Alternativen und Autonomen. Während für die einen die Straßenschlacht den „Mythos Connewitz“, die Überzeugung von der eigenen Militanz und Schlagkraft begründete, verstärkten die anderen die Kooperation mit den Behörden und bemühten sich um ein sauberes Image.

Trotz aller Diskrepanzen innerhalb der „Szene“ ging die von den Behörden verfolgte Strategie der Spaltung aber nicht ganz auf. Die „Leipziger Linie“ brachte nämlich auch für die um Legalität bemühten Projekte Probleme mit sich. Schuld daran war die städtische Dezen­trali­sierungspolitik. Der „Hausbeset­zungs-Ballungsraum Connewitz“ sollte aufgelöst, die einzelnen Projekte auf andere Gegenden der Stadt verteilt werden. Die Be­setzer_innen mussten also zu Recht um den Erhalt ihrer Häuser bangen. Mehr oder weniger notgedrungen rauf­te mensch sich also immer wieder zusammen. Aber dazu mehr im nächsten Heft…

(justus)

outside the box: Raus aus der Schublade

outside the box

„Feministische Gesellschaftskritik“ hat sich die Zeitschrift Outside The Box auf die Fahnen geschrieben, deren erste Ausgabe nun, im Dezember 2009, erschienen ist. Damit schickt das Heft sich an, eine klaffende Lücke im (ohnehin nicht allzu dichten) linken Blätterwald zu füllen. Denn eben solch eine Verbindung von feministischer und sonstiger kritischer Theorie suchte mensch bisher vergebens.

In weiten Teilen scheint es noch ein wenig so, als wollten sich die Autor_innen selbst erst mal einen Überblick über den Stand der Diskussion verschaffen. Eine lesenswerte Einführung in die feministische Philosophie (anhand von Beauvoir, Irigaray und Butler) liefert z.B. der Artikel von Kristina Biene Holme. Anna Kow fasst die bisherige Debatte über das Verhältnis von Sex und Feminismus übersichtlich und von einer vernünftigen und sympathischen Position her zusammen. Ebenfalls interessant und informativ ist das Interview mit der Journalistin Kirsten Achtelik und der Filmemacherin Sarah Diehl zum derzeitigen Stand der Abtrei­bungsdebatte und -gesetzgebung. Das Fazit ist zwiespältig. Zwar sind Abtreibungen bis zum dritten Monat und unter bestimmten Bedingungen darüber hinaus straffrei. Diese Regelung wird aber durch den moralischen Druck, der von religiösen und sonstigen Abtreibungs­geg­ner_innen auf Ärzt_innen und betroffene Frauen ausgeübt wird, in Frage gestellt. Dass Abtreibungen straffrei sind, nützt wenig, wenn kein Arzt bereit ist, eine solche vorzunehmen (abgesehen davon, dass die dazu nötigen Kenntnisse kein normaler Teil der gynäkologischen Ausbildung sind). Auch das Dilemma der staatskritischen Linken in dieser Frage wird deutlich benannt: Die Entkrimina­li­sierung von Abtreibungen lässt sich relativ einfach fordern, der Ruf nach positiven Rechten wird dagegen als staatsaffirmativ abgelehnt. Ohne verbindliche Regelungen droht aber das alte Elend nur weiter verschleppt zu werden.

Ein echtes Ärgernis ist dagegen der Text „Die negative Dialektik des männlichen Subjekts“ von Martin Dornis. Das „männliche“ bzw. „bürgerliche Subjekt“, das Dornis uns da präsentiert, scheint so was wie der dunkle Zwillingsbruder des Hegelschen Weltgeists zu sein: Wo letzterer nach voller Selbstbewusstwerdung strebt und so die Geschichte vorantreibt, strebt Dornis´ „männliches Subjekt“ nach Beherrschung seiner inneren und äußeren Natur, was die Herrschaft über die als passiv-naturhaft vorgestellten Frauen einschließt. Dornis übernimmt hier eben das Männer- und Menschenbild, das er vermutlich kritisieren will, und erhebt es zur eigenständigen Realität, zum eigenmächtig in der Geschichte wirkenden „Subjekt“. Bei der vom Autor angepeilten „materialistischen Kritik der Ge­schlech­terverhältnisse“ kommt so auch nur ein vermeintlich kritisch gewendeter Idealismus heraus.

Nachdem das „männliche Subjekt“ erst mal als verantwortlicher Akteur benannt ist, kann Dornis diesem nach Belieben allerlei Eigenschaften und Tätigkeiten zu­schreiben. Etwa so: „Das liberale männliche Subjekt träumt noch vom Glück aller auf Kosten von Frauen […] Das spätka­pitalistische Subjekt träumt dagegen von über­haupt nichts mehr als von der Ewigkeit des selbst produzierten Schreckens […]“. Die nicht ganz uninteressante Frage, wo dieses „Subjekt“ herkommt, wird mit einem knappen Hinweis auf die „Be­din­gungen der ka­pitalistischen Verge­sell­schaf­­tung“ abgehakt. An­­­­sons­­­­ten scheint Dornis dem „Sub­jekt“ die göttliche Ga­be der creatio ex nihilo, der Selbster­schaffung aus dem Nichts zuzuschreiben, wenn er z.B. sagt: „Das Subjekt wurde wesentlich zum Subjekt, indem es seine Endlichkeit an die Frauen delegierte“, oder: „Das spätere bürgerliche Subjekt schmie­dete in dieser Zeit [der Hexen­ver­folgung] seine Freiheit und Autonomie“. Wie kann das Subjekt etwas schmie­den oder delegieren, wenn es noch gar nicht existiert?

Indem er das männliche Selbstbild für bare Münze nimmt, übernimmt Dornis ganz nebenbei auch das entsprechende Frauenbild – Frauen tauchen hier bloß als Opfer des „männlichen Subjekts“ auf (etwa wenn es heißt: „Die Zerstörung der Individualität hat ihre wesentliche Ursache darin, dass die Individuierung den Frauen vorenthalten und an ihnen vollzogen wurde“). Auch wenn er sicher anderes im Sinn hatte, reproduziert Dornis die sexistische Trennung von „aktiv-kulturschaffendem“ Mann und „passiv-naturhafter“ Frau.

Zum Glück bleibt es bei diesem einen Ausrutscher – ein paar Seiten vorher hat Andrea Trumann weitaus Substanzielleres zum Thema zu sagen. Marianne Pabst und Virginia Spuhr dagegen verzetteln sich in ihrem Artikel über „Emanzipation“ etwas bei der Erörterung der diversen Vorstellungen von „Befreiung“ – irgendwo zwischen dem Lutherschen und dem Kant­schen Frei­heits­begriff geht da schon mal der rote Faden verloren. Ein ähnliches Problem hat auch Georg Domkamp, der in seinem Text versucht, alles was sich zum Themenfeld „Frauen – Drittes Reich – rechte Szene“ sa­gen ließe, zu­mindest mal anzureißen. Der Artikel des Antifaschistische Frauenblocks Leipzig zeichnet dagegen ein ambivalentes Bild von der Lage der „Frau­en in der DDR“: Trotz rechtlicher Gleichstellung und staatlich geförderter Integration in die Arbeitswelt bestanden auch in der DDR die patriarchalen Verhältnisse fort. Abgerundet wird das Heft durch Rezensionen, Comics usw., wobei beson­ders Sylvia Ehls Text zu feministischen Uto­pien positiv heraussticht. Kenntnisreich und unterhaltsam wird da der Bogen vom Mittelalter bis zur modernen Science-Fiction geschlagen – dieser Artikel hätte von mir aus gerne doppelt so lang sein dürfen.

Es bleibt nur zu wünschen, dass dieses unterstützenswerte Zeitungsprojekt mit den nächsten Ausgaben noch ein wenig inhaltliches Profil hinzugewinnt. Die Debatte ist jedenfalls eröffnet, in der OutsideTheBox-Redaktion ebenso wie hoffentlich auch in einer breiteren interes­sierten Öffentlichkeit. Zumindest ich bin schon gespannt auf die nächste Ausgabe.

(justus)

Leipzig schwarz-rot (Teil 1)

Ein Rückblick auf 20 Jahre autonome Linke in Leipzig

Jubiläen wohin man schaut. Aber nicht nur das fiese Schweinesystem (verkörpert vom wiedervereinigten Deutschland) feiert seinen Jahrestag. Auch für die Leipziger autonome Linke bedeutete die Wende einen entscheidenden Einschnitt. Da kann mensch schon mal nostalgisch werden, auch wenn´s um Ereignisse geht, bei denen man selbst nicht dabei war. In den nächsten Ausgaben des Feierabend! wollen wir deshalb auf die letzten 20 Jahre zurückschauen, die Entwicklungslinien nachziehen, die die heutige Leipziger Linke prägten. Wie war das denn in der glorreichen Hochphase der Hausbesetzungen? Wo nahm der „Mythos Connewitz“ (den wir hier natürlich auch bedienen) seinen Anfang? Was war noch gleich die „Leipziger Linie“ und was lief beim BesetzerInnenkongress 1995? Und wie kommt es eigentlich, dass jedes Jahr zu Silvester so viele Polizisten am Connewitzer Kreuz rumstehen?

Wurzeln in der DDR

Die Hausbesetzungen in Leipzig begannen nicht erst mit der Wende. Stille Besetzungen, das sogenannte „Schwarzwohnen“, waren schon in der DDR eine gän­gige Praxis. Von den Behörden still­schwei­gend geduldet, geschahen sie weniger aus politischen Zielsetzungen heraus, sondern als pragmatische Antwort auf den Wohnungsmangel. Trotzdem boten die so besetzten Wohnungen und Häu­ser auch Freiräume für alle, die nicht ins Schema des „guten“ DDR-Bürgers pass­ten: Punks, Künstler_innen, Alternative.

Jede westliche Subkultur fand im Osten ihr Pendant, auch wenn es meist ein paar Jahre dauerte, bis die jeweils neuesten Entwicklungen jenseits des „Eisernen Vorhangs“ ankamen. Punks tauchten ab Anfang der 80er im Stadtbild auf, die erste Leipziger Punkband Wutanfall gab 1981 ihr Konzertdebüt. Erschien Punk anfangs nur als Ausweg aus dem grauen Alltag, dem staatlich geplanten kulturellen Einheitsbrei, so führte die ständige Schikane durch Bullen und Stasi rasch zu einer Politisierung (1). Der Anarchismus bot sich als Gegenmodell zum Staatssozia­lismus an, auch wenn (ähnlich wie heute) viele Punks wohl nicht genau wussten, was mit „Anarchie“ eigentlich gemeint war.

Vor allem die Sternwartenstraße entwickelte sich zu einem wichtigen Anlaufpunkt, wo Punks und die etwas älteren Langhaarigen aufeinandertrafen. Mitte der 80er Jahre hatten sich dort zunächst Student_innen in einem leerstehenden Haus eingerichtet. Bis zur Wende wurden nach und nach weitere Häuser in der Straße besetzt. „Ohne dass es einer der Beteiligten so richtig darauf anlegte, wurde hier Hausbesetzerleben praktiziert, offene Türen, Fehlfarben-Musik im Hausflur und unterm Dach der neue Proberaum von Wutanfall“ (2). Auch der Mockauer Keller, ein offener Jugendtreff der evangelischen Gemeinde, war ein Anlaufpunkt für oppositionelle Politaktivist_innen, Punks und sonstige Subkulturen. Regelmäßig fanden Konzerte statt, über anarchistische Ideen wurde dort ebenso diskutiert wie über Kriegsdienstverweigerung und Umweltschutzfragen. Neben diesen festen Treffpunkten gab es unzählige informelle Grüppchen und Freundeskreise, in denen oppositionelles Gedankengut gepflegt wurde.

Das ist unser Haus!

Ab Mitte der 80er entwickelte sich Connewitz zum Zentrum der „Szene“. Connewitz war ein überalterter Stadtteil, der in den 70er und 80er Jahren eine starke Abwanderung zu verzeichnen hatte. Um diese Entwicklung zu stoppen, wurde ein Sanierungskonzept entwickelt, das den Komplettabriß des Viertels vorsah. Die maroden Gründerzeithäuser sollten durch Plattenbauten ersetzt werden. Mit dem Abriss wurde 1988 begonnen, die Wende beendete dann das Projekt. Bis zum Baubeginn wurden die leerstehenden Wohnungen an Student_innen vergeben, die andere Leute, auch Künstler_innen und Aussteiger_innen nachzogen. Ab 1985 häuften sich die stillen Besetzungen. Die Wende verstärkte diese Entwicklung noch. Die Besitzverhältnisse vieler Häuser waren unklar, Polizei und sonstige Behörden waren in dieser Übergangsphase ohnehin überfordert von der neuen Situation. Hausbesetzungen waren also kein Problem und kamen nicht nur in Conne­witz, sondern auch in anderen Vierteln (z.B. Lindenau) vor.

Im März 1990 besetzte eine Gruppe von Aktivist_innen in rascher Folge 14 Häuser in Connewitz. Die Akteure kamen vor allem aus dem Umfeld des Neuen Forums (3). Der Zeitpunkt war gut gewählt. Die Ergebnisse der bis dato üblichen Stadt­pla­nungspolitik waren nicht mehr zu übersehen: Zu dieser Zeit waren aufgrund jahrzehntelanger Vernachlässigung fast 50% der Wohnungen in Leipzig in schlechtem Zustand, 30.000 davon völlig unbewohnbar. Auf der im Januar 1990 stattfindenden „Volksbaukonferenz“ wurde das Problem erstmals in der breiteren Öffentlichkeit diskutiert. Anders als bislang wollte man nun auch die Bürger_innen in die Planungsprozesse einbeziehen. Nicht ohne Erfolg, wie die Zahl von etwa 1000 aktiven und passiven Teilnehmer_innen zeigt. Als allgemeiner Tenor der Diskussion schälte sich rasch die Forderung nach Abkehr von der Plattenbauweise und dem Erhalt von Altbauten heraus.

Für eine wirksame Sanierungspolitik fehlte aber das Geld. Die „Instandbe­set­zer_innen“ konnten sich als Basisinitiative zum Erhalt historischer Bausubstanz erfolgreich in die Bresche werfen. Parallel zur rechtlich nicht ganz ein­wand­frei­en Aneig­nung bemühte mensch sich um einen legalen Status. Als Trägerverein wurde die Conne­witzer Alter­­native ge­grün­­det, die sich als stadt­teilori­en­tier­tes Selbst­­­hil­fe­pro­jekt mit sozialer und kultureller Ziel­set­zung ver­stand. Die­sem Selbstbild entsprachen Projekte wie die Volksküche, ein Hausprojekt für Mi­grant_innen und ein Dritte-Welt-Laden, hinzu kamen Kultureinrichtungen wie das Café K.O. Backwahn oder die Connewitzer Verlagsbuchhandlung. Durch ihr medienwirksames Auftreten konnte sich die Connewitzer Alternative in der Öffentlichkeit erfolgreich als Vertretung aller Connewitzer Hausbesetzer_innen präsentieren.

Ein LVZ-Artikel vom 24./25.März 1990 berichtete wohlwollend: „Im illegalen Handstreich (…) läuft das Unternehmen Connewitzer Alternative (…) nicht. Geschäftsführer Hohberg erarbeitete ein seriöses Projekt für das Vorhaben. Bei Häusern, deren Zustand auf der Kippe steht, konsultiert er Gutachter. Alle besetzten Gebäude gehören übrigens der GWL, und die gab ihren Segen. Auch auf eine Stadtbezirksrätin und den ABV [Abschnittsbevollmächtigten der Polizei] kann man bauen. Nicht zuletzt im eigenen Interesse. Für militante Krawallmacher soll sich in Alt-Connewitz kein Platz finden. Man will sich links-alternativ ausrichten.“ Alles harmlos also… So harmlos, dass für Interessierte in dem Artikel gleich noch eine Telefonnummer zur Kontaktaufnah­me mit den Besetzer_innen angegeben wurde.

Der Verein geriet allerdings bald in eine ernsthafte Krise. Schuld daran war der autokratische Führungsstil des Vorsitzenden Hohberg, dessen Neigung zu Alleingängen u.a. dazu führte, dass sämtliche Nutzungsverträge auf seinen Namen liefen. Nachdem es darüber zu offenen Konflikten kam, setzte sich Hohberg ins Ausland ab und verschwand spurlos.

Die Szene vernetzt sich

Während sich so im Leipziger Süden ein Biotop alternativer Lebensweisen herausbildete, versackte die „Friedliche Revolution“ zusehends im nationalen Taumel. Neben fahnenschwenkenden Deutsch­­land­fans prägten auch Neonazis immer mehr das Bild der Demonstrationen. Und nicht nur dort stellten sie für Menschen mit der falschen Hautfarbe ebenso wie für Punks und Alternative eine alltägliche Bedrohung dar. Antifaschistischen Widerstand zu organisieren, war also dringend nötig.

Die ersten Antifagruppen hatten sich schon zu Vorwendezeiten aus losen Freundeskreisen heraus gebildet, daraus entstand nun die Antifaschistische Jugendfront. Diese orientierte sich in ihrer Praxis (Recherche, Schutz- und Abschreckungsmaßnahmen gegen Nazis, Aufklärung usw.) stark am Vorbild der westdeutschen autonomen Antifa. Damit einher ging freilich auch eine zunehmende Professionalisierung und die Herausbildung von Aufgabenteilung und informellen Hierarchien.

Es waren aber vor allem die Reaktions-Konzerte, welche die weitere Entwicklung der Leipziger Szene prägten. Die Initiative dazu kam von Leuten aus dem Mockau­er Keller, das erste Konzert fand im Dezember 1989 in der naTo statt. Ein unmittelbarer Erfolg war es, dass das für den folgenden Tag geplante Gründungstreffen des Ortsverbandes der Republikaner verhindert werden konnte (4).

Wie der Name schon sagt, waren die Reaktions-Konzerte eine Antwort auf die negativen Entwicklungen der Wendezeit. Sie sollten selbstorganisierte Kultur, Musik und Politik verbinden, einen Anlaufpunkt für die „Szene“ schaffen, den Austausch von Informationen und den Aufbau subkultureller Strukturen ermöglichen. Dem eigenen Anspruch gemäß wurde von den ohnehin niedrigen Eintrittspreisen ein bestimmter Betrag an politische Initiativen gespendet, bei Konzerten wurde (erfolgreich) versucht, allzu agressives Slam­dancen usw. zu unterbinden. Obwohl die Reaktions-Konzerte damit deutlich von der Do-It-Yourself-Ethik der Hardcore-Szene ins­piriert waren, bildeten sie einen Anlaufpunkt für alle Arten von Subkulturen: Skater, Gothics, Metalfans usw. Über zwei Jah­re hinweg fanden die Reaktions-Konzerte in verschiedenen Lokalitäten statt. Nach­dem bekannt wurde, dass das ehemalige „Erich-Zeigner-Haus“ (das heutige Conne Island) von der Stadt verkauft wer­den sollte, nutzten die Aktivist_innen die Chance. Nach spektakulären Aktionen wie einer zeitweiligen Besetzung des Rat­hauses wurde ihnen das Gebäude zur Nut­zung als Veranstaltungsort überlassen. Die Reaktions-Konzerte fanden so 1992 ein dauerhaftes Domizil.

Der allgemeine Naziterror machte auch vor Connewitz nicht Halt, gerade ab dem Herbst 1990 kam es fast täglich zu Übergriffen. Insbesondere die Häuser in der Stöckartstraße waren das Ziel von Angriffen, die teilweise generalstabsmäßig geplant mit Molotowcocktails und Eisen­stangen durchgeführt wurden. Die Stadtoberen ignorierten das Problem. Die Connewitzer Alternative bemühte sich zwar um eine Sicherheitspartnerschaft mit der Polizei, die jedoch scheiterte, weil die Polizei bei Faschoangriffen meist nur verspätet oder gar nicht auftauchte. Die schlecht bezahlten und dürftig ausgerüsteten Beamten hatten wohl auch wenig Lust, ihre Haut im Kampf gegen Nazis zu riskieren. Klar, dass mensch sich da eher auf sich selbst verließ und sich gegen die regelmäßigen Attacken ebenso handfest zur Wehr setzte. Manche beließen es dabei, mit Mehlbeuteln zu werfen, die Mehrheit sah es angesichts der Brutalität der Angriffe aber nicht ein, sich in der Wahl der Mittel solche Beschränkungen aufzuerlegen. An dieser Differenz zwischen „Pazifisten“ und „Militanten“ sollten sich noch einige szeneinterne Konflikte entzünden. Aber dazu mehr im nächsten Heft…

justus

 

(1) Dass u.a. auch Imad (als Gitarrist bei Wutanfall und L´Attentat eine zentrale Figur der Szene) als Informeller Mitarbeiter beim MfS geführt wurde, wie sich nach der Wende herausstellte, sorgte noch für einiges böses Blut. Siehe z.B. www.conne-island.de/nf/5/12.html.

(2) Zitat aus Ronald Galenza/Heinz Have­meister (Hrsg.), „Wir wollen immer artig sein – Punk, New Wave, HipHop und Independent-Szene in der DDR von 1980 bis 1990“, Schwarzkopf & Schwarzkopf 2005, S. 217.

(3) vergleiche dazu D. Rink, „Der Traum ist aus? Hausbesetzer in Leipzig-Connewitz in den 90er Jahren“, in: Roth/Rucht (Hrsg.), „Jugendkulturen, Politik und Protest – Vom Widerstand zum Kommerz?“, S. 119-140.

(4) siehe Galenza/Havemeister 2005, S. 256, sowie C. Remath/R. Schneider, „Haare auf Krawall“, Connewitzer Verlagsbuchhandlung 1999.