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Des Demonstranten neue Kleider

In Zeiten der Überwachung bedarf es nicht nur eines angemessenen Auftretens sondern auch eines entsprechenden Outfits. Denn wo dutzende Kameras den politisch Aktiven zumindest in den behördlichen Archiven über Nacht zum Star machen wollen, wird es Zeit, dem staatlichen Hype um die eigene Person mit den neuesten Vermummungs-Looks und -Styles zu begegnen. Doch so einfach ist die Sache nicht, gilt doch in Deutschland seit Mitte der 80er Jahre dank Kohl das Vermummungsverbot bei Demonstrationen. Wäre ja auch schade, soviele Steuergelder in Überwachungstechnik zu stecken und nur „Fruit-of-the- Loom“ vor die Linse zu kriegen. Obwohl ein Verbot die Überreaktion vieler Beamter gegen Demonstranten nicht hinreichend erklärt, muss mensch doch zugeben, dass der gute alte Autonomen-Look mit Jedi-Kapuze, Motorradtuch und Matrixsonnenbrille schon etwas antiquiert wirkt. So martialisch adrett wie zu wilden Berliner Häuserkampfzeiten mit Integralhelm, Hassi und verschiedenen improvisierten Waffengattungen wird es so schnell nicht mehr werden.

Doch wer heute hip sein will, sollte auf die neuesten Vermummungstrends achten, die auf der Berliner Demonstration am 22.09. wieder mal Maßstäbe setzten und die Route zum Catwalk machten. Polit-Schickness und Preisvorteil kombinierte beispielsweise das Schäuble-Modell. Grundkleidung und Ausrüstung sind dabei frei wählbar und individuell sowie szeneneutral ausgestaltbar. Dazu bedarf es obligatorisch lediglich eines DINA4-Portraits von Schäuble, eines Gummibands und eines Messers zur Bearbeitung. Wer auf der Berliner Demo zugegen war, bekam eine fertig präparierte Schäuble-Maske sogar gratis. Dies war obendrein mit der Polizei im Vorfeld abgesprochen, was die Schäuble Maske sozusagen staatlich zertifizierte und legitimierte (leider sah das die Polizei im Nachhinein auch wieder anders). Diese Schäublekollektion wurde ein eigener Block, der mitdemonstrierte und gleichzeitig Happening-Charakter hatte. Frei nach dem Motto „Auch du bist Schäuble“ waren plötzlich viele große und kleine Schäubles zu sehen, die vermummt waren und dennoch Gesicht zeigten. So kann auch der große Bruder zu einem hohen Grad an Anonymität beitragen.

Wem diese Form jedoch aus ästhetischen Gründen nicht zusagt oder wer einfach nicht basteln kann, der mag sich vielleicht mit dem gerade sehr angesagten Clowns-Look anfreunden. Großer Vorteil hier: die Ganzkörperanonymität, die sich auch auf ’s Verhalten niederschlägt. Erst einmal Teil einer „Clownsarmy“, die auch diesmal in Berlin zugegen war, schüttelt man den deutschen Staatsbürger gänzlich ab, was den Umgang mit Beamten einschließt. Das Ganze ist nach einiger Vorbereitung einfach schick: Bunte, frei improvisierbare Klamotten vereinen Noblesse und Nonchalance, abnormales Verhalten bringt große Subversion, dickes Make-Up verhilft zur existentiellen Weltschmerzattitüde und die rote Nase macht zeitlos sexy. Nicht nur, dass diese Form den Aufmarschcharakter der herkömmlichen kollektiven Vermummungsblocks aufweicht, der Demoaufenthalt wird gleichzeitig zum Spektakel.

Natürlich ist ein Vermummungsstyle bei jeder Demo nach wie vor der absolute Renner: Helm mit Darth-Vader-Schnittmuster verhilft zur Totalanonymität, Knüppel (alternativ bald auch Elektroschocker oder Gummigeschoß) ist todschick, Schutzmontur (wahlweise grün oder schwarz) macht unschlagbar elegant und das Ganze natürlich open end aufrüstbar. Einfach Premiumklasse. Leider ist es schwer zu bekommen und oft mit dem Preis der Vernunft verbunden, also nicht gerade billig.

Wer bei all diesen Vorschlägen immer noch nichts für sich entdeckt hat, kann auch einfach so mitlaufen. Denn letztlich ist sicher: Wer als vermummt gilt, entscheidet immer noch die Polizei.

k. rotte

Lauffeuer

Erziehung zum Manne

Burschenschaften, Landsmannschaften, Corps und jede Art von Korporierten werden immer noch in vielerlei Hinsicht ideo­logisch unterschätzt. Es ist zwar relativ bekannt, dass viele Vertreter ihrer Art mit rechtsextremen Haltungen sympathisieren bis hin zum Austausch mit faschistischen Gruppen, genauso ihre elitäre Abgrenzung verbunden mit Vetternwirt­schaftlerei und den ausgeprägten Sexismus, trotzdem genießen sie – und das nicht nur in konservativen Kreisen – eine unreflektierte gesellschaftliche Akzeptanz. Das wird oft damit begründet, dass es viele unter ihnen gäbe, die sich „liberal“ äußern mit den Hinweis, dass man die verschiedenen Studentenverbindungen nicht als eine homogene Masse begreifen könne. Es ist nicht abzustreiten, dass es bezüglich der einzelnen Weltanschauungen Differenzen gibt (auch wenn sich die Spanne in fast allen Fällen nur zwischen rechtsextrem und konservativ bewegt) und dass es selbst so- genannte „alternative“ Burschenschaften gibt, die „sogar“ Frauen aufnehmen; ihre gemeinsamen Grundprinzipien und der damit verbundene Zwangscharakter jedoch, was alle Formen von Verbindungswesen teilen, wird sehr gerne übersehen oder sogar heimlich bewundert. Studentische Korp­erationen teilen alle eine militärisch hierarchische Grundnorm sowie einen erzieherischen Anspruch. Der Einzelne hat sich seiner Aufgaben – die ihm meist vom nächst höheren zugeteilt werden- sowie der eigenen Verbindung bedingungslos zu unterwerfen. Die Gemeinschaft die sich zuallererst über elitäre Abgrenzung definiert, hat die Aufgabe, den Einzelnen nach einer entsprechenden Norm zu formen. Dies gelingt über eine Fülle verschiedenster Rituale und Konventionen.

Ein zentrales Element bei schlagenden Verbindungen ist die Mensur, ein ritualisierter Degenkampf, der die Aufgabe hat, dass die Kämpfenden sich selbst überwinden. Die beiden Kontrahenten dürfen während des Kampfes ihre Positionen nicht verändern um abwechselnd auf­einander einzuschlagen. Sollte einer von beiden rückwärts ausweichen, bekommt er eine Strafe die in den meisten Fällen ein Freischlag (also ein Schlag bei dem der Gegner nicht parieren darf) für den anderen bedeutet. Der ganze Vorgang ist nicht nur ein krudes Männerspiel, es dient auch der Charakterdisziplinierung. Der Einzelne, dem die Aufgabe obliegt sich selbst zu überwinden, zwingt sich zum Kriegsspiel, indem er natürliche Ängste in erster Linie verdrängt und somit sich total dem kollektiven Diktat der soldatischen Tugend unterwirft, sie quasi lieben lernt. Die Mensur bindet das noch junge Mitglied an die Fraktion und wird ihr Soldat. In den verschiedenen, schlagenden Verbindungen muss jeder mind­estens einmal die sogenannte Bestim­mungsmensur gefochten haben um Mitglied zu werden. Längst überholte Männer­roman­tik vom harten, pflichtbewussten und bedingungslos loyalen preußischen Männchen blüht bei ihr wieder auf. Indem Ängste einfach wegdividiert oder ihre Ursachen unreflektiert gelassen werden, bietet die durchdisziplin­ierte Gemeinschaft das Gefühl der Sicherheit und den festen Glauben daran, dass jeder Erfolg nur ihr zu verdanken ist. Ein weiteres Beispiel für die ständige kämpferische Auseinandersetzung sowie gezielte Diszi­plinierung innerhalb von Studentenbünden sind die „Trinkspiele“. Diese sind nicht als gesellige Partyunterstützer zu betrachten, sondern dienen oft als Ersatz für Zucht und Mannbarkeitsbestimmung. Trinkrituale werden zum einen als Strafe der Gruppe gegenüber dem Einzelnen verwendet, der die engen Regeln und Konventionen übertreten hat, zum anderen sind sie Duellersatz zwischen zwei Mitgliedern. Trinken als Strafe findet sich bei der so genannten „Kneipe“ wieder, eine geschlossener verbindungs­internen „Feierlichkeit“. Während des „öffentlichen“ Teils dürfen die einzelnen Mitglieder nicht vom Tisch aufstehen (auch nicht um einfach banal auf die Toilette zu gehen). Bricht ein Teilnehmer jedoch die strenge Regel muss er öffentlich zur „Belehrung“ Zwangstrinken. Bei solchen Ritualen wird ein Schwächerer gekürt und seine angebliche Schwäche öffentlich diffamiert. Es fordert gleichzeitig alle anderen Anwesenden dazu auf bloß keine Schwäche zu zeigen Das Trinken als Duell ist Mittel der männlichen Auseinandersetzung und verliert die Unschuld des schlicht Geselligen. Das ständige Kampftrinken ist ebenso Grundlage bei der Auseinandersetzung mit anderen Verbindungen, wo militärisch stramm und im Gleichschritt Marsch „Stafetten“ gegen­einander getrunken werden. Das Individuum ist ständig einen Druck zur Profi­l­ierung ausgesetzt, damit es sich immer aufs neue „selbstüberwinden“, sprich Ängste verdrängen muss um nicht als Verlierer (und damit als nicht profund „männlich“) dazustehen. Indem sich der gemeinschaftliche Rahmen in Verbindungen durch Disziplinierung, Unterwerfung unter eine Autorität und ewige Auseinandersetzung charakterisiert, wird der Einzelne unter Druck gehalten und formbar zum sexistischen, nationaltreuen und Autorität heuchelnden Ellenbogentypus. Im Selbstbild der korporierten Erziehung wird das als Prozess zur Entwicklung von Verantwortlichkeit stilisiert. Der Einzelne hat sich autoritärer Strukturen anzupassen, was schon in der Verbindlichkeit zur einheitlichen Kleidung zum Ausdruck kommt. Das Verbindungs(un)wesen vermittelt ein Weltbild, was sich auf Ellen­bogenmentalität bis hin zum Recht des stärkeren versteht. Insofern sind die Verbindungen von Burschenschaften zur extremen Rechten kein Zufall und keine Ausnahme und eben darum nicht zu ignorieren.

Verbindungen starten gerade zu Anfang des Semesters vielerlei Werbeveranstaltung in Form von Info-Ständen, Parties oder günstige Wohnangebote um neue Mitglieder zu rekrutieren.

Burschenschaften der Deutschen Burschenschaft (ein burschenschaftlicher Dachverband) treffen sich ebenso alljährlich zu ihrem Burschen- und Altherrentag. Die Versammlung findet in der Zeit vom 18-22. Mai 2005 statt. Jeder ist aufgerufen das nationalistische Fanengeschwenke zu stören und sich kritisch mit dem im selben Rahmen stattfindenden Vorträgen und Veranstaltungen auseinanderzusetzen.

Karotte

Bildung

Rechtsradikal macht Schule

In Dresden wurde ein NPD-nahes Bildungswerk eröffnet

Seitdem die NPD in den Landrat von Sachsen mit 9,2 % der Stimmen einmar­schierte und damit 12 der insgesamt 124 Sitze besetzt hält, steigt ihr rechtsextremes Selbstbewusstsein unaufhörlich an. Damit erlangte die Rechte einen parlamen­tarischen Arm, um ihre faschistischen Ideologeme nach bürgerlichen Spielregeln verbreiten zu können. Immer mehr beginnt die NPD ihren menschen­ver­achtenden Parolenfaschismus in ein theoriegeleitetes Format zu packen, um damit ihre Anhängerschaft zu erweitern, mit dem Ziel, bis tief hinein in die bürgerliche Mitte zu kommen. Dabei bedient sie sich zwar der traditionellen Propaganda vom Antisemi­tismus über Antiamerikanismus bis hin zu diffusem Antikapitalismus, kleidet diese aber in ein neues Gewand. Systematisch wird ver­sucht, öff­en­t­­liche Diskurse mit völkischen Inhalten zu speisen. Ein entscheidender Schritt zur Ideologie­verbreitung war die Gründung eines NPD-nahen „Bildungs­werks“ am 18. April 2005 in Dresden. Das „Bildungs­werk für Heimat und nationale Identität e.V.“ soll durch Spenden, Mit­glieder­beiträge und parlamentarische Zuschüsse – notfalls auch über Gerichts­beschluss erwirkt – finanziert werden. Ziel ist es, tagespolitische Themen zu ver­handeln und dabei eine Bewertung nach völkischen Interpretationsmustern zu transpor­tieren. Über Publikationen, Vorträge, Seminare und Exkursionen werden na­tionalistische Inhalte ent­sprechend ver­mittelt. Vorsitzender des „Bildungs­werkes“ ist Peter Dehoust ein ehemaliger Heraus­geber des rechts­extremistischen Kampf­blattes „Nation & Europa“ und bekannter Neonazi, bis 1992 NPD-Mitglied und Mitbegründer der „deut­schen Liga für Volk und Heimat“. Seinen Stellvertreter spielt Karl Richter, der ebenso Redakteur von „Nation und Europa“ war, sowie parallel beim par­lamentarischen Bera­tungs­dienst der NPD-Fraktion Sachsen arbeitet. Ein weiterer faschist­ischer Kopf im Hintergrund ist das Vorstandsmitglied der NPD, der sich in der NPD-Parteizeitung „Deutsche Stim­me“ mit antisemi­tischen sowie ausländer­feindlichen Äuße­run­gen be­sonders kräftig hervortat. Karl Richter und Jürgen Gansel gehören beide zu einem losen Kon­glomerat rechts­intellektueller Köpfe, die im Umkreis der NPD-Fraktion ihre neo­nazistische Ideologie theoretisch ze­men­tieren möch­ten. Diese Gruppe be­zeichnet sich selbst als „Dresdner Schule“ und wählten diesen Begriff analog zur Frank­furter Schule (1) um eine Art Gegen­position zu formulieren. Das „Bildungs­werk“ dient dabei als Plattform den rassistischen Theorien Verbreitung zu verschaffen.

Nach Auffassung der „Dresdner Schule“ be­stimme die von Horkheimer und Adorno in den 40ern und 50er Jahren for­mulierte Gesellschaftskritik das „gei­stige Grundklima in der BRD“. Auch wenn sich die Gruppe als Gegenkonzept zu der Kritischen Theorie versteht, ist ihre Kritik an dieser haltlos, schon weil es an einer ausgiebigen Rezeption mangelt. Vielmehr blieb es bei den publizierten Aufsätzen bei vagen Bezügen und wüsten Unter­stel­lungen. Das lässt vermuten, dass es mehr darum geht seine eigene Position auf­zuwerten, indem das eigene Denk­kon­strukt in Form eines „Gegenentwurfs“ als die selbe philo­sop­hische Ebene dargestellt wird. Ebenso wird die kritische als politische Theorie verstan­den, was sie aber nicht war und ist (2).

Inwieweit es um die Kritik an der Frank­furter Schule bestellt ist, zeigt nicht zuletzt Jürgen Gansel, der das Hauptwerk der kritischen Theorie, „Die Dialektik der Aufklärung“, als ein „un­appetitliches jüdisches Buch“ beschimpfte, was die Wurzeln der Adornokritik der „Dresdner Schule“ aufzeigt.

In ihrer ersten Verlautbarung stellen sie den „ethnisch homogenen Gesell­schafts­körper“ einer von ihnen denunzierten „multikulturalistischen Gesellschaft“ gegenüber und argumentieren, dass sich Identität nur auf die „genetische Mitgift“ beziehen kann.

Die soziale Identität bestimmt sich jedoch durch die Beziehungen, die Menschen mit anderen Menschen bestreiten, und durch ihre Umwelt, welche uns prägt und nicht durch irgendeine chromosomale Beschaf­fen­­­heit. Zentral bei Richters Erklärungs­schrift zur „Dresdner Schule“ ist also ein Blut-und-Boden-Biologismus, der Begriffe wie „Abstammungsgesellschaft“ wieder stark machen soll.

In seiner Propaganda gegen das von ihnen deklarierte egalitäre Weltbild in der bun­desdeutschen Gesellschaft das durch die „kulturelle Hegemonie der 68iger“ getra­gen würde, postuliert Karl Richter die „Men­schenrechtslüge“ und spricht damit dem Menschen (nach seiner Vorstellungen einem bestimmten Teil von Menschen) die Würde ab.

Ebenso fordert Richter, wie jeder ordent­liche Nazi, dass die „Frage der deutschen Souveränität und Staatlichkeit“ erneut in den Mittelpunkt der öffentlichen Diskus­sion rücken müsse, wohl damit sich Deutschland seines Führungsanspruches wieder bewusst werde, wie einst 1933.

Zuschlechterletzt wird in der letzten Hetzthese der Erklärungsschrift eine Reform des parlamentarischen Systems gefordert, wobei nicht näher erläutert wird, welche gruselige Idee von Staat­lichkeit sich hinter dem Ausdruck „Reform“ verbirgt.

Eine Verbindung von „Bildungswerk“ und Theoriewerkstatt dient vornehmlich zwei Zwecken: Zum einen der Schaffung einer lückenlosen Ideologie, die ihren zeit­geschichtlichen Rahmen abdeckt (so verstanden unter einer „globalisierten Rechten“) und zum anderen der Ein­flussnahme auf die bürgerliche Mitte und deren Diskurse.

Die menschenverachtenden und rassis­tischen Inhalte dieser „Schule“, sind typisch für ihre Gattung, die Art und Weise jedoch, wie die einzelnen Inhalte transportiert werden, bedient sich bürger­licher Attitüde. Durch den rechten parlamentarischen Arm findet ihre Ver­brei­tung einen günstigen Kanal und die Anschlussstellen zur Mitte sind schnell gefunden. Gerade durch die Aufwertung von Begriffen wie Nation und Volk von rechtsliberaler Seite (3) bekommen rassis­tische Theorien wieder Aufwind und Anhang in den verschiedenen gesellschaft­lichen Bereichen.

Karotte

(1) Bezeichnung für eine philosophische Strömung ausgehend von dem Institut für Sozialforschung aus Frankfurt, die in den 30er und 40er Jahre des 20. Jh. entstand und welche u.a. von den Gesell­schafts­wissenschaftlern Theodor Wiesengrund Adorno und Max Horkheimer getragen wurde.
(2) Siehe dazu auch aus Feierabend! #16 den Artikel „Feier­abend! – Mehr als antideutsch“
(3) Siehe dazu das Thesenpapier der jungen Union Sachsen „Werte-Strategie-Papier“

NazisNixHier

Kunst am Rande der Südvorstadt

Am Ende der Südvorstadt in Richtung Connewitz versteckt sich in der Kantstraße 18 ganz unauffällig das alte Gebäude einer ehemaligen Kunst und Bauschlosserei. Diesen verlassenen Ort nutzten die Mitglieder des Kulturvereins „artpa“, um dort eine Plattform für Kunst, Künstler und die die es werden wollen zu installieren. Seit dem Austellungsbeginn im Oktober 2004 können gerade junge Künstler, ihre Konzepte vorstellen und die verfügbaren Räume nach ihren er­ar­bei­te­ten Programmen ausgestalten und in die Öffentlichkeit tragen. Ziel soll es auch sein,neue Strömungen und Ideen zu fördern und diese ebenso breiten Schi­chten zu eröffnen. Die Mitglieder des Vereins wollen die Ausgestaltung und den Ent­schei­dungsprozess den Künstlern selbst­be­stimmt überlassen und lediglich unter­stützend zur Seite stehen. Das Projekt ist als allgemeinnütziger Verein organisiert und finanziert sich über Spenden, Miet­ein­nahmen für das Atelier und den Cafébetrieb. An der Aufstellung des Programms sind alle Mitglieder gleicher­maßen beteiligt.

Zu Beginn jeder Ausstellung gibt es eine Er­öffnungsfeier, wo neben der Ausstellung auch Livemusik undoder Theater gezeigt wird. Die Ausstellungen selber laufen im 6 Wochen Takt und können immer während der Cafézeiten zwischen 18 und 22 Uhr jeden Mittwoch bis Sonntag be­wundert oder kritisiert werden. Stellt auch die Malerei den derzeitigen Fokus dar, bleibt das Spektrum der Künste nicht da­rauf beschränkt, sondern beinhaltet Kunstformen von Musik, Theater, Photo­gra­phie und Tanz über Lesungen und Film bis Performance und Installation. Dafür gibt es eine Fläche von 680 Quadratmeter mit einem Hof und zwei Gebäudeteilen.

Ver­schiedene gelungene Ver­anstaltungen hat der Ver­ein bisher schon durch­­­­­­­geführt, darunter ei­ne interkulturelle Aus­stellung mit dem Namen Grenzen PassageHorizont, wo u.a. Künstler aus Kroatien oder der Ukraine vertreten waren, sowie Gastspiele von Theatergruppen aus den Connewitzer Kammerspielen oder dem Kulturhaus „Villa“, die im Rahmen des Sommertheaters in der Kantstraße auf­ge­tre­ten sind.

Derzeit präsentiert das Kunstprojekt Kant­straße einen einstündigen Film über das Le­ben und Wirken dreier Leipziger Künstler und einer Band aus Sachsen-An­halt im Rahmen der Veranstaltung „TU!“. Ini­tiiert und Gestaltet wurde das unab­hängige Projekt von hiesigen Filme­machern mit Unterstützung der HTWK Lei­pzig. Im Film werden einzelne In­ter­views mit den Künstlern in eine Rahmen­handlung eingebettet. Der Pro­tagonist ist auf einem Streifzug durch die Stadt und rich­tet seinen Blick auf die In­dus­trie­ro­man­tik Leipzigs. Die Hand­­­­­lung kommt da­­­bei auch ohne Spra­che aus und lässt allein die Bil­der spre­chen, wel­che das manch­­mal schwere Dasein zwischen Stein und Beton ein­fangen ohne im Molochkitsch zu lan­den. Mittendrin werden die ein­zelnen In­ter­viewsequenzen mit den hiesigen Künstlern collagenartig in dramaturgisch zu­gespitzter Form zwi­schen­geschaltet und ge­ben Einblicke in ihr Denken und Schaffen. Die Interviews enthalten Fragen über Gott und die Welt, das Wohin und Wo­her, das Wozu und Warum, eben alle großen Fragen des Menschen. Der Film ver­meidet es, vor­ge­kaute Antworten zu lie­fern die abgespickte Weisheiten ver­mitteln sollen. Darin steckt auch seine Stärke. Er ist ein me­lan­cholischer Blick auf eine Existenz, auf eine Stadt, auf das Leben, auf die Welt. Die mitunter scharfen Schnit­te und weit­läufigen Aufnahmen so­wie die satte musikalische Untermalung fü­gen sich zu einem dichten Gesamtbild, was sich die 60 Minuten Filmlänge auch durch­gängig trägt. Da kann mensch auch ge­­trost drüber hinweg­sehen, dass der Film sei­ne An­kündigung als „Mu­­sik­film“ ni­cht kon­sequent be­die­nen kann, da das Musikalische des Films eher im Hin­ter­­grund bleibt und damit eben „nur“ unter­stützend auftritt. Auch ist teilweise bei der Einarbeitung der Interviews in die Rahmenhandlung keine dramaturgische Fortführung zu sehen, sodass sich bestimmte Teile unnötig strecken. Fazit bleibt aber das der Film sehenswert ist, schon allein, weil mensch, sofern er Leipzig kennt, Stationen im Film wiedererkennt.

Gleich im Anschluss des Films gibt es die Möglichkeit die Werke der Künstler auch live in der Ausstellungshalle der Kant­straße zu begutachten. Die Aus­stellung läuft noch bis 4. 9. und der dazugehörige Film eventuell noch den ganzen Sep­tember über.

Des Weiteren gibt es von 9.9. bis 2.10. eine Ausstellung mit dem Namen „Intro–section“ mit Malereien von Antje Herold und Photographien von Kai Kovacs mit Live-Musik zu Ausstellungsbeginn. Wer am 30.9. die Kantraße besucht, bekommt eine Lesung von Kurt W. Fleming aus seinem Buch „Ein Schwejk in der NVA“ zu hören. Und schließlich findet am 22.9. in der Kantstraße ein Lifekonzert mit dem Sylke Peter Projekt aus Leipzig und den Deti Desti aus Prag statt. Die Kantstraße öffnet jeden Mitt­woch bis Sonntag ihre Tore und lädt zur Auseinandersetzung mit jeder Dimension von Kunst ein.

karotte

www.artpa.de

Macht Gemeinsam Freiheit

Michail Bakunins Begriff von Freiheit

Im Folgenden soll anhand der politischen Philosophie des Anarchisten Michael Bakunin (1814-1876) eine andere Sichtweise auf Freiheit untersucht werden. Dabei soll es nicht primär darum gehen, Bakunins Freiheitsbegriff auf seine systematische Wasserdichte zu untersuchen um dessen theoretischen Gehalt zu prüfen, sondern dieser Text soll nur einige Punkte seines politischen Denkens betrachten, auf der Suche nach dem Brauchbaren. Es soll auch nicht auf die vielen Widersprüchlichkeiten in Theorie und Praxis des politischen Daseins Michail Bakunins eingegangen werden, als vielmehr anhand seines Hauptwerkes „Gott und der Staat“ seine Vorstellung von Freiheit im Mittelpunkt stehen. Bakunin selber verbrachte fast sein ganzes Leben als „Berufsrevolutionär“ auf den Barrikaden der zahlreichen Revolten Europas im 19. Jahrhundert. Gab es gerade keinen Aufstand, widmete er sich dem Schreiben politischer Schriften, die oft auch Erfahrungsberichte seiner politischen Praxis waren. Die ersten Manuskripte zu „Gott und der Stadt“ erschienen 1871. Freiheit galt für Bakunin durch alle Widersprüchlichkeiten seines politischen Schaffens hindurch als zentrale Kategorie seiner Überzeugung.

Freiheit ist der wohl bewegendste po­li­tische Be­griff der Moderne. Wenn heute aber auf der politischen Bühne über mehr Freiheit für den Bürger la­mentiert wird, heißt das in der ge­sellschaftlichen Praxis für viele Men­schen in erster Linie Abbau von (so­zialer) Sicherheit, Stagnation, Rückschritt oder Ohn­macht. Mit­unter zu Recht wird geklagt, dass diese prophetisch versprochene Frei­heit nur ein paar wenigen Menschen zu­gute kommt. Denn diese propa­gierte Freiheit kann nicht verhüllen, was sie ist: Einschränkung der ei­genen Möglichkeiten, ein Mehr von Macht für eine Minderheit. Sicher­heit steht der Freiheit für alle dia­metral ge­genüber. Das Eine scheint nur unter Ver­zicht des Anderen greif­bar. Wenn die Ei­n­en laut zur öko­­­nomischen Libe­­ral­i­sierung auf­rufen, um end­lich Freiheit zu er­­rei­chen, schreien die anderen nach Vater Staat, der einen Garant ihrer Frei­heit dar­stel­len soll. Und umgekehrt. Gan­ze Par­teien repräsentieren die eine oder die andere Seite, oder be­haupten es zumindest, und schwim­men damit hin und her zwischen Frei­heit und Macht.

Was aber kann mensch unter Freiheit verstehen und wodurch ist sie bedingt. Heißt Frei­heit nur Freiheit der Wahl, dann ist sie be­grenzt durch die Anzahl ihrer Wahlmög­lichkeiten. Geht Freiheit aber nicht über die Grenze schlichter Wahlmöglichkeit hinaus und be­deutet sie nicht auch Selbst­ver­wirklichung?

Gott als Produkt der Einbildung

Der Mensch folgt in der Theorie von Bakunin einem Entwicklungsgang hin zur Freiheit. Freiheit versteht er dabei als die Höchste Seinsstufe menschlichen Strebens. Stück für Stück emanzipiert sich der Mensch von seiner tierischen Herkunft – von seiner „Animalität“. Zwei wesentliche Eigenschaften bilden den Motor dieser Bewegung hin zur Freiheit: Das Denken und die Empörung. Jede Art von mensch­­­licher Ent­wick­lung – somit auch und vor allem die Geschichte der Men­schheit – ist Resultat dieses Antriebs, denn der Men­sch „begann seine eigene Geschichte mit einem Akt des Ungehorsams und der Erkenntnis, das heißt mit der Empörung und des Denkens.“* Insoweit er sich zur Freiheit bewegt, kann der Mensch die Individualität leben, zu der er neigt. Indi­vidualität ist also Grundbestandteil men­schlicher Freiheit, denn „kol­lekt­ive Freiheit“ existiert nur „wenn sie die Summe der Freiheit und des Wohl­befindens der Individuen“ (S. 62) darstellt. Der gestärkte Einzelne ist Bestandteil einer humanistischen Gemeinschaft.

Bakunin verortet sich selbst überzeugt als Vertreter des Material­is­mus. Das ideologische Feinbild sieht er wie selbstverständlich auf der Gegenseite: dem Idealismus. Seine ganze Theorie neigt zu dieser dichotomen Weltsicht, die sich stark vereinfacht auf die Formel bringen lässt: Materialismus gleich Freiheit, Idealismus gleich Unterdrückung. Besonders in seiner Herrschafts- und Ideolo­giekritik führt er seine materialistische Denk­weise als Mittel ins Feld, um gegen „falsche Einbildung“ vorzugehen. Unter den Be­griff Materialismus versteht er die Philosophie, die das Sein von der Materie ableitet, das heißt allein die Stofflichkeit bildet und formt die Wirklichkeit. Er lässt nur das materiell Erfahrbare als Grundlage aller Erkenntnis gelten. Die Abwert­ung des Stofflichen im philo­so­phischen Denken der Idealisten und das Hervorheben abstrakter Ideen als Ursache des Ganzen, führe, Bakunin zufolge, unweigerlich zur Einbild­ung von Gott. Indem aber nur die (Gottes-)Idee als wahr gelten darf, wird das, was wirklich empirisch sachlich nachweisbar ist, zur bloßen Einbildung und das Eingebildetete zum einzig Wahren.

Gott ist nicht empirisch nachweisbar und so nach wissenschaftlichen Maßstäben nicht existent. Glaube entsteht als solcher für Bakunin aus ideo­logischer Indoktrinierung zum Zwecke der Herrschaftssicherung, sowie aus Flucht aus der wirklich wahrnehmbaren, kalten sozialen Umwelt. Die Verabsolutierung der Idee stellt diese über die Wirklichkeit und beginnt das Humanum nur zu verwalten, nicht die Inhalte an den konkreten Verhältnissen zu mes­sen.

Denn wenn Gott existiert, ist er notwendigerweise der ewig höchste, absolute Herr, und wenn ein solcher Herr da ist, dann ist der Mensch der Sklave; wenn er aber Sklave ist, sind für ihn weder Gerechtigkeit noch Gleichheit, Brüderlichkeit, Wohlfahrt möglich“. (S. 125)

Bakunin zufolge produziert das Prinzip der idea­­listischen Logik, egal in welcher spezifischen Ausprägung es sich zeigt, automatisch eine Herr­schaftskonstellation. Die ab­strakte Idealisierung steht aus­nahmslos im Widerspruch zur Freiheit. Die Bedingung der Mög­lichkeit von Freiheit ist demnach die Einsicht in die Abschaffung aller abstrakten Prinzipien. Damit kann Freiheit nur vom material­istischen Standpunkt her Wirk­lichkeit werden. Freiheit aus ideal­istischer Sicht, versteht Bakunin als pure Metaphysik, fernab jeglicher realistischen Verwirklichung. Der idealistische Standpunkt muss abstrakt bleiben, weil ihm die Ein­sicht in die materiellen Geg­ebenheiten des Menschen fehlt, deswegen kann er die Voraussetzung der wirklichen Freiheit gar nicht entdecken. Bakunin versucht, Freiheit als etwas rein Konkretes zu fassen, was sich verwirklichen kann, dabei aber keine bloß abstrakte Idee ist. Die Idee Gott verklärt die Wirk­lichkeit, so könnte man mit Ba­kunin theoretisch sagen. Oder historisch:

Auch im Zuge der bürgerlichen Revolution und der damit ein­hergehenden Säkularisierung wurde sich nur von der Institution Kirche emanzipiert, nicht von deren ideal­is­tischen Selbstverständnis. Herr­schaft überdauerte so die Frei­heitsstürme in der Konstruktion des bürgerlichen säkularen Staates. Als Verwalter der idealistisch ver­stande­nen Freiheit wird der Staat in der Moderne zur religiös tradierten Instanz gottähnlicher Herrschaft – das erklärt zu­mindest seine Aus­uferung.

Bürgerliche Staatsideologie

Herrschaft, resultierend aus dem göttlichen Prinzip, reproduziert sich auch im liberalen Staatsmodell. Zwar auf andere Weise, diesmal unter dem Banner der Freiheit, aber nur als verabsolutierte Idee, die verwaltet wird. Liberalismus ist im bakuninschen Verständnis eine Art politisierter Idealismus. Er kritisiert, dass liberalistisch ver­standene Freiheit nur im In­dividuum möglich ist und selbiges stellt auch die Grenze dieser Freiheit dar. Eigentum und die Reduzierung menschlicher Assoziation auf die Kleinfamilie sind Grundpfeiler dieses Verständ­nisses. Der Staat soll die liberale Freiheit schützen und wird dadurch zum Tyrann.

Sie nennen sich Liberale, weil sie die persönliche Freiheit als Grund­lage und Ausgangspunkt ihrer Theorie nehmen, und gerade weil sie diesen Ausgangspunkt oder diese Grundlage haben, müssen sie infolge einer verhängnisvollen Konsequenz, bei der Anerkennung des absoluten Rechts des Staates ankommen“. (S. 126)

Der Ausgangspunkt, Freiheit als angeborene Idee zu betrachten, bleibt für Bakunin in idealistischen Mauern gefangen und kann sich nicht verwirklichen. Freiheit klebt durch ihren göttlichen Ursprung so fest am Individuum, dass dieses nicht Grundlage ihrer Verwirk­lichung, sondern ihr Gefängnis darstellt. Das macht die liberale Freiheit nur außerhalb einer Ge­sellschaft möglich; die einzelnen Ideale stoßen sich nur gegenseitig ab. Daher die Trennung von Freizeit und Arbeit, Öffentlichem und Privatem. Das freie Individuum ist sich Selbst das Nächste. Die Ver­einzelung gerinnt zur Tugend. Gesellschaft muss staatlich verwaltet werden. Solche Freiheit führt zum Staat und nicht andersherum.

Jedes [Individuum] mit einer unsterblichen Seele und einer Freiheit oder einem freien Willen, die ihnen nicht genommen werden kann, absolute und als solche in sich und durch sich selbst vollkommene Wesen, die sich selbst genügen und niemanden nötig haben.“ (S. 129)

Freiheit wird als höchstes Ideal postuliert, zerbricht aber an der materiellen Wirklichkeit und wird zur ab­soluten Herrschaft. Bakunin liest die Entwicklung des modernen Staates als zynische Folge eines idealistischen bzw. idealisierten Freiheitsver­ständnisses.

Deswegen versucht er Freiheit ma­terialistisch zu fassen. Als Produkt einer mat­eriellen Welt und nicht als unabhängige Größe. In dieser Lesart beginnt der liberal-bürgerliche Grundfehler schon in dem Ver­ständnis, Freiheit außerhalb ge­sellschaftlicher Organisation zu verorten und nur im Individuum zuzulassen. Freiheit ende dort, wo die Freiheit des anderen beginne – so das Credo. Solche Freiheit versteht das andere Individuum per se als Einschränkung der eigenen Möglichkeiten. Bakunins Verständ­nis von Freiheit fängt jedoch dort erst an, wo die Bürgerlichkeit aufgibt – beim Anderen. Er hält dem Bürger entgegen, dass Freiheit nur durch den anderen wirklich ge­schaffen werden kann, sich also durch Gesellschaft konstituiert und nicht durch sie beschnitten wird.

Da er die Menschwerdung als materielle Entwicklung zur Freiheit begreift, schließen sich für ihn ewige Ideen als Voraussetzung aus. Der Mensch wird also nicht frei geboren, sondern gelangt erst zur Freiheit vermittelt durch die Ge­sellschaft. Der Mensch hat seine Freiheit nicht von oder durch Geburt und nur für sich, sondern gerade durch und in Geselligkeit mit Anderen, das ist Bakunins Punkt.

Durch Gesellschaft zur Freiheit

Zunächst kann er weder dieses Bewusstsein noch diese Freiheit haben; er kommt in die Welt als wildes Tier und als Sklave, und nur im Schoße der Gesellschaft, die notwendig vor der Entstehung seines Denkens, seiner Sprache und seines Willens da ist, wird er fortschreitend Mensch und frei.“ (S. 131)

Der ideale Mensch genügt sich selbst und hat als logische Folge die Vereinzelung, er ist a-sozial. Als Miteinander kennt er nur den Kampf Aller gegen Aller, die der Staat zentral organisiert. Kollektivität ist dagegen gar nicht als Beschneidung des Individuums zu verstehen, wie so oft naiv oder diffamierend über sie geurteilt wird. Im Gegenteil ist sie die notwendige Voraussetzung, um überhaupt frei sein zu können. Individuelle Frei­heit und Indi­viduum werden durch gesell­schaft­liche Kollektivität erst gesetzt. „Der isolierte Mensch kann kein Bewußt­sein seiner Freiheit haben“. (S. 131)

Das Bewusstsein zur Freiheit des Men­schen entsteht aus einer frei­heit­lichen gesellschaftlichen Ausgangs­lage, denn wenn sich Freiheit durch den anderen konstituiert, muss der Einzelne „von allen ihn umgebenen Men­­­­schen als frei anerkannt wer­den“ (S. 132). Das gilt auch im Gegenzug, für das Individuum. Auch das Individuum vermittelt Freiheit, denn „nur solange ich die Freiheit, und das Menschentum aller Men­schen, die mich umgeben, an­erkenne, bin ich selbst Mensch und frei“ (S. 132). Seine Freiheit behauptet sich im Zusammenspiel zwischen Indivi­duum und Kollektivität. Freiheit hat sozialen Charakter.

Das Primat der Gesellschaft als Mittler der Individuation des Einzelnen beinhaltet gleichzeitig seine negative Komponente: Da Gesellschaft für das Individuum eine Art zweite Natur darstellt, kann sich der Einzelne der falsch eingericht­eten Gesellschaft, d.h. gegen eine Gesellschaft basierend auf dem Herrschaftsprinzip, kaum entziehen. Die Empörung gegen die Ge­ssellschaft ähnelt damit dem Aufbegehren gegen die Naturgesetze. Damit wäre jedoch jede Hoffnung auf Emanzipation hin zur Freiheit aus der unfreien Gesellschaft zum Scheitern verurteilt. Frustration und Pessimismus wären die Folge. Und gerade dieser Punkt macht den Gang zur Freiheit für Bakunin auch so schwierig und markiert auch die Grenzen seiner naiv optimistischen Position des sicheren Ganges zur Freiheit. Deshalb versucht er, das Ganze dynamisch zu denken, als Rebellion. Freiheit be­zeichnet Bakunin auch als „ne­ga­tiv“, als Empörung des men­schlichen Individuums gegen „jede göttliche und menschliche, gegen jede kollektive und individuelle Autorität“. (S. 133)

Empörung gegen die subtile Macht einer falsch ein­gerichteten Gesellschaft, bleibt jedoch schwierig, denn Bewusstsein zur Freiheit entsteht nach Bakunins strenger materialistischer Sichtweise nur aus den richtigen materiellen Gegebenheiten heraus. Der Mensch wäre determiniert durch die Ge­sellschaft.

Es zeigt sich die Grenze Bakunins naiv materialistischer Theorie. Auch Empörung als Trieb­feder des Men­schen zur Freiheit zu bescheinigen und Bakunins Glauben in ein positiven Entwicklung­sgang des Menschen, bleiben am Ende eben auch nur ein Glaube, dessen Begründung an vielen Stellen nicht befriedigt. Er führt zwar an, dass die Ver­ding­lichung der falschen Ge­sellschaft als staatliche Macht auftritt und dadurch ihre Gewalt deutlich zu spüren sei. Damit gehe ein Auf­begehren gegen den Staat mit dem Aufbe­gehren gegen die Macht der falsch eingerichteten Gesellschaft einher. Doch den Staat als Voraussetzung seiner Abschaffung zu bezeichnen, reicht nicht aus.

Darin liegt zwar eine große Schwäche, aber immerhin begeht Bakunin nicht den Fehler, Gesellschaft und Staat in eins zu setzen. Gerade dies wurde im 20. Jahrhunder immer wieder getan. Nicht dass man Gesellschaftliches mit Staatlichem verwechselt hätte, sondern gerade umgekehrt wurden staatliche Maßnahmen zunehmend als ge­sell­schaftliches Tun verklärt. Aber mit Bakunin und über ihn hinaus kann der Staat stets bestenfalls Mittel selbstverwirklichter Freiheit sein, nicht ihr Zweck. Die freie Ge­sellschaft weist dementsprechend immer über Staat hinaus.

Und hier hat auch Bakunins Kon­zeption von Freiheit ihr Ge­wicht: Eine Freiheit, die sich erst in und durch kollektive Praxis verwirklicht. Eine Freiheit, die über das In­dividuum hinausgeht, um es zu retten. Erst durch eine kollek­tive Praxis ist es möglich Räume der Freiheit zu schaffen, selbst wenn sie erst einmal nur marginal entwickelt werden können. Freiheit muss als Prozess verstanden wer­den, der nicht passiv vorhanden ist, oder wie ein Rechts­titel an uns klebt, son­dern aus einer Tä­tig­­keit entspringt, aus dem In- und Durch­einander men­schlichen Handelns. Und das nicht allein, sondern zu­sammen. Eine Frei­­heit, die durch das Kollektiv das Individuum stark und frei macht, ist auch in der Lage, gegen eine gesellschaftliche Übermacht hand­lungsfähig zu bleiben. Nie­mand ist alleine in der Lage, seine individuelle Freiheit gegen ge­sellschaftliche Repression zu erhalten, gerade wenn diese systematisch und totalitär auftritt. Erst als Kollektiv können Räume erschlossen und vernetzt werden. Macht, die Freiheit unterdrückt, ist nur Gemeinsam zu bewältigen; das vereinzelte Indi­viduum bleibt immer ohnmächtig.

karotte

Kleine Schritte, große Sprünge – Anarchie als Alltag

Interview mit Horst Stowasser zur Situation der libertären Bewegung in der BRD

Horst Stowasser, Jahrgang 1951, fand in seiner Jugend in Argentinien zum Anar­chismus und lebt heute als freier Journalist in Neustadt an der Weinstraße. In seinen Publikationen befasst er sich mit dem Thema Anarchismus in Ge­schichte und Gegenwart. Im Frühjahr diesen Jahres veröffentlichte er zwei neue Bücher: „Anti-Aging für die Anarchie“ sowie „Anarchie!“, das erst kürzlich auf Platz 1 der deutschen Sachbuch-Besten­liste stand. Derzeit engagiert er sich beim Aufbau eines generationsübergreifenden Wohn- und Lebensprojektes (www.eil­hardshof.de) in Neustadt.

Feierabend!: Herr Stowasser, was sagen Sie zum Wetter aktuell?

Horst Stowasser (HS): Das Wetter passt zur Situation der libertären Bewegung in Deutschland…

FA!: Können Sie das näher beschreiben?

HS: …etwas triste aber mit der Aussicht auf Besserung. Wir bleiben beim „Du“, ja?

FA!: Wie würdest Du die Aussichten auf Besserung beschreiben?

HS: Ja, wollen wir mal von der Metapher mit dem Wetter wegkommen. Ich glaube, dass die meisten Probleme der Libertären hausgemacht sind, selbst gemacht, selbst verschuldet. Als ich ein junger Libertärer war, da war es immer der böse Klassen­feind und die Polizei, die schuld an allem waren. Und heute sind es die Faschos oder die Prekarität. Aber ich finde, dass unsere Bewegung viel zu sehr im eigenen Saft schmort, auf sich selbst bezogen ist, sich selbst reflektiert, sich gegenseitig kritisiert und sich dadurch im Laufe der Zeit so ein richtig bequemes Insidernest ge­schaffen hat, aus dem sie nicht raus kommt. In manchen Szenen glaube ich, auch gar nicht raus will.

FA!: Ja, womit glaubst Du hängt diese Auf-Sich-Selbst-Bezogenheit zusammen? Ist das theorieimmanent oder hat es sich so entwickelt aus praktischen Engpässen, die passiert sind?

HS: Es ist in der Theorie mit Sicherheit nicht so angelegt, denn der Anarchismus ist – bzw. es gibt ja nicht den Anarchismus – aber sagen wir mal: der „Mainstream-Anarchismus, ist ja eigentlich eine Idee, die sich nichts weniger auf die Fahnen geschrieben hat, als die Gesellschaft, die ganze Gesellschaft zu verändern. Dagegen ist diese Rückbeziehung auf sich selbst, die Nabelschau, das Kultivieren von immer perfekter ausgedachten Verhaltens­weisen, szenespezifischen Sprachen oder sonstigen Ritualen eigentlich ein Zeichen der Schwäche, der Isolierung – und zwar schon immer. Das war historisch in den anar­chistischen Bewegungen nach großen Niederlagen und Einbrüchen so, ein Symptom der Rat­losigkeit. Bei­spiels­­weise nach der Pariser Kom­mune, die Phase des indi­vi­duellen Ter­rors, der in eine Sack­gasse führte. Es hat 20, fast 30 Jahre gedauert, bis sich danach wieder etwas Kon­s­truktives wie der Anar­cho­­syndi­kalismus heraus­bilden konnte. Der hat dann tat­säch­lich inner­halb von wenigen Jahren in einem er­sten großen Ex­peri­ment mit Millionen Men­schen gezeigt, dass es funk­tio­niert. Nach dem Krieg allerdings war der Anar­chis­mus praktisch am Boden, de facto völlig aus­gerottet, zu­mindest in Deut­schland.

Aber es gab auch Länder, in denen der Anarchismus ganz normaler Alltags­bestandteil von Gen­erationen gewesen war, von vielen Men­schen, nicht von ein paar Tausend, ich rede jetzt mal von Hundert­tausenden oder Millionen. Das hinterlässt natürlich Spuren in Gesellschaft und Kultur. Wenn ich heute in Italien oder Frankreich oder Spanien über Anarchismus rede, dann ist das etwa so, wie wenn man hier über Sozial­demokratie oder die Evangelische Kirche redet. Der Anar­chismus hatte in solchen Phasen immer etwas „Normales“, er war verwurzelt und zwar nicht nur ideen­geschichtlich sondern auch sozial-prak­tisch, d.h. er hat es verstanden, lebendige Dinge erschaffen, die im alltäglichen Leben der Menschen eine Bedeutung hatten. Also ganz kon­krete Dinge, so dass die Chance bestand, auch diejenigen Menschen für anar­chistische oder anar­chische Struk­turen zu begeistern, die sich theoretisch selbst nicht als Anarchisten bezeichnen würden.

FA!: Überhaupt diese Bezeichnung „Anarchismus“, was würdest Du eigent­lich darunter verstehen? Inwiefern kenn­zeichnet das eine Art von anderer sozial­istischer Bewegung oder Theorie als die der Marxisten?

HS: Also, die bewussten Anarchisten, die sich selbst so nennen, das sind ja Über­zeugungs­menschen, und da gibt’s für die meisten eine ganz einfache Formel: A=S+F, heißt Anarchismus gleich Sozialismus plus Freiheit. Und das ist genau der springende Punkt, ganz vereinfacht: Dem autoritären Sozialismus fehlt das freiheitliche Element oder anders ausgedrückt, das Vertrauen in die Selbstverwaltungskräfte der Men­schen. Der klassische Marxismus – es gibt natürlich auch ein paar nette libertäre Marxisten darunter – aber der „Main­stream-Marxist“ glaubt, er wüsste die ganze Wahrheit und müsste die Menschen zwangsbeglücken. Die Menschen sind noch nicht reif, also werden sie halt reif gemacht. Das ist selbstverständlich ein unfreiheitlicher Ansatz.

Trotzdem gibt es natürlich auch eine große Deckungsmenge in den sozialen Pro­jektionen. Der Anarchismus ist ja schließ­lich auch eine soziale Bewegung, und nicht nur eine andere Lebens­philosophie. Er will ja auch die Wirtschaft zum Beispiel völlig auf den Kopf stellen, die Ökologie und viele andere Dinge anders anpacken, die natürlich auch dringend einer radi­kalen Wende bedürfen – und zwar unabhängig davon, ob die Anarchisten nun gerade eine attraktive Idee haben oder nicht.

FA!: Allerdings will der Marxismus auch eine komplette gesellschaftliche Umwälzung vonstatten gehen lassen.

HS: Einspruch… also komplett ja eben nicht, weil es nach der marxistischen Theorie nach wie vor klare Hierarchien geben wird. Und die Frage der Hier­archien hängt wiederum sehr stark mit wirtschaftlichen Strukturen zusammen. Ich glaube auch nicht, dass man ein wirklich sozialistisches Wirtschaftssystem durch Zentralisierung hinkriegen kann, das muss dezentral laufen, um die Menschen dahin zu bekommen, dass sie Vertrauen in ihre eigenen Kräfte ent­wickeln und freiwillig anders leben wollen. Das ist der Schlüssel.

Man sagt oft, die anarchistische Utopie ist ja ganz nett, aber im Ganzen ist es Spinnerei, zu naiv gedacht, denn wir bräuchten dafür einen völlig neuen Menschen. Aber das entspricht überhaupt nicht der Dialektik des Anarchismus, die im Grunde sagt: Indem wir virulente Projekte schaffen, in denen die Menschen in kleinen Schritten die Angst verlieren, den Respekt vorm Staat, gewinnen sie gleichzeitig das Vertrauen in die eigene Kraft.

FA!: Also ist eine Umwälzung im anar­chistischen Sinne eine Umwälzung der kleinen Schritte?

HS: So sehe ich das zumindest. Was ja nicht heißt, dass natürlich in bestimmten Momenten auch eine Revolution im um­stürzlerischen Sinne gebraucht wird. Aber das, was man gemeinhin unter Revolution versteht, ist ein Miß­ver­ständnis, ein semantisches. Die meisten Leute verstehen unter Revolution Bar­rikaden­bau und Pulverdampf. Das darf man nicht mit der eigentlichen Re­volution verwechseln. Die Revolution, die Umwälzung, ist immer ein Prozess, der kleine Schritte und große Sprünge macht.

FA!: Welche Bedeutung nimmt im diesem Zusammenhang das Lieblingskind der Anarchisten ein, die Spanische Revolution 1936-39?

HS: Wenn wir diese „Revolution“ mal genau betrachten, die hat ja nicht erst 1936 stattgefunden, das ist ein Märchen. Das Ganze hat mindestens 20 Jahre vorher angefangen. Die Vorarbeit, die da geleistet wurde, diese kleinen Schritte, haben den Erfolg erst möglich gemacht. Dass eine revolutionäre Situation bestand, dafür konnten die Anarchisten am wenigsten. Die Faschisten haben ja schließlich geputscht. Hätten die Anarchisten einfach nur gesagt: Wir sind in der Lage, diesen Putsch militärisch niederzuschlagen; dann hätte es vielleicht eine Woche gedauert und der Atem wäre aus gewesen. Aber die Leute hatten sich 20 Jahre auf die Revolution vorbereitet. Wie übernehme ich eine Fabrik? Wie manage ich den Warenfluss? Geldfluss, Import, Export, Ressourcen?

Die Arbeiter hatten wirklich Betriebs­wirtschaft gebüffelt. Das ist sicher nicht so spektakulär wie Barrikadenkämpfe aber notwendiger Teil einer richtigen sozialen Revolution. Und das hatte im Umkehr­schluss zur Folge, dass die Menschen plötzlich massenweise, millionenweise gesagt haben: OK, da machen wir mit, das ist besser als was anderes, wir vertrauen den Anarchisten. Es ist ein Mythos, dass das alles Anarchisten waren. Die Mil­lionen, das waren viele Mitläufer, aber Mitläufer im positiven Sinn, die wurden nicht gezwungen. Und das ist der Unter­schied …

FA!: Also da hatte der Anarchismus eine gewisse Integrativkraft entwickelt. Wie ist das eigentlich heute?

HS: Der Anarchismus hatte eine At­traktivität, weil die Menschen, die sich so bezeichneten, Schulen und Kindergärten bauten, Lebensmittelkooperativen hatten, Streiks führen konnten und die Fabriken besetzt haben. Denen glaubte man halt einfach, dass sie auch die Gesellschaft besser „managen“ würden als der Staat. Wenn ich dagegen sage, Anarchisten, das sind Menschen, die machen eine tolle Zeitung wie den Feierabend! und organi­sieren so ein nettes Ladenlokal wie die Libelle, dann hätte auch ich wohl meine Zweifel, ob sie deswegen beispielsweise auch ganz Leipzig managen könnten. Soweit zu kommen, das ist ein Prozess, der braucht seine Zeit. Das ist natürlich auch eine Frage der Selbstdarstellung nach außen.

FA!: Und wie würde das allgemein heute aussehen, gibt’s da überhaupt Möglichkeiten? Du hast ja auch immer wieder Kritik an der „Versumpfung“ in der Subkultur formuliert?

HS: Die Frage ist die, was wollen wir denn erreichen? Wollen wir diese Gesellschaft revolutionieren, wollen wir Millionen Menschen ansprechen oder wollen wir im Schmollwinkel sitzen und sagen, ihr seid alle Spießer, wir sind besser, ihr könnt uns mal den Buckel runterrutschen, wir schaffen uns hier unseren Freiraum. Das ist ohne Zweifel legitim, aber um die Frage zu beantworten: Selbstverständlich gibt es solche Möglichkeiten, ich kenne auch eine ganze Reihe davon, die sind nur nicht so spektakulär …

Also ich bin ja ein Anarchist, der eher dazu neigt zu sagen: Ich finde das, was der Anarchismus zu einem Thema sagt, eine tolle Idee, aber lasst es uns erstmal ausprobieren. Ja und manchmal sind die Ideen dann gar nicht so toll und phan­tastisch, zumindest die Aus­führungs­bestimmungen, die daran hängen. Man muss immer testen: Verbessere ich eine Idee oder begehe ich mit der Verbesserung Verrat am Grundsätzlichen, an der Substanz? Das ist immer ein heikler Weg, aber man sollte offen sein und un­dog­matisch. Von daher ist der Anarchismus wie eine lebendige Wundertüte und ich hoffe, die wird er auch noch lange bleiben.

FA!: Ok, vielen Dank für das Gespräch, super Sache …

(u.a. k.rotte)

Alles Pop oder was?

Play

„Pop“ oder „Popkultur“ sind allgegen­wärtig und wie immer, wenn jeder ein Wört­chen mitreden will, weiß am Ende kei­­ner mehr genau, worum es geht. Da wird einmal von „Pop“ als Musikstil ge­re­det, dessen populärer Charakter von ei­ni­gen wesentlichen Elementen abhängt: ein­gängige Melodie, saubere Produktion, ein bestimmter Aufbau (Strophe, Refrain, Stro­phe, Refrain…).

Zum anderen gibt es Pop als „Popkultur“. Die lässt sich zum einen gegen die „Hoch­kultur“ abgrenzen: Popkultur erhebt nicht den Anspruch, Kunst zu sein, sie be­­ruht auf industrieller Massenproduk­tion und soll entsprechend massenhaft kon­­sumiert wer­den können. Popkultur wird auch als „Jugendkultur“ verstanden, als expressive All­tagskultur verschiedener Grup­­pen, die sich durch bestimmte Codes voneinander ab­grenzen. Diese Codes umfassen Musik und Kleidung, Em­bleme ebenso wie be­stimmte Wertvor­stel­lun­gen. In der Kul­tur­soziologie wird dies auch als Bricolage be­zeich­net: Vorge­fundene Bruchstücke der Kul­­tur werden an­geeignet und neu zu­sam­men­gefügt – so etwa Iro­ke­senfrisuren und Sicher­heits­na­deln im Punk oder die Klei­dung der briti­schen wor­king class durch die Skinheads Ende der 60er. Die so ent­stehen­den Codes mar­kieren auch einen ge­mein­­sa­men Lebens­stil. Subkultu­ren sind bei ih­rer Entstehung an einen be­stimmten so­­zia­­len Kontext gebunden. So markiert die An­­eignung der Kleidung der britischen Ar­­beiterklasse durch die Skin­heads eine Ver­­bundenheit zu diesem Mil­ieu, ebenso wie z.B. die Entwicklung des Reggae wesentlich von der damit verbundenen Party- und DJ-Kultur der jamaikanischen Soundsystems geprägt war.

Auch gegen diese Subkulturen lässt sich die Popkultur abgrenzen. Die Grenzen sind hier fließend, denn zugleich erhält sie von dort neue Impulse. Zu „Pop“ wer­den die Sub­kulturen, indem sie von ihrem ur­­sprüng­lichen Kontext gelöst und einem Mas­sen­publikum zugänglich gemacht wer­­­den. Die Triebkraft dabei ist der Markt, der die Subkulturen den Bedin­gun­­gen der Mas­sen­produktion unterwirft (wo­­bei hier nicht der Mythos einer „ver­lorenen ur­sprüng­lichen Unschuld“ be­­dient werden soll).

Dies setzt einen widersprüchlichen Pro­zess in Gang: Zwar werden die „Kultur­güter“ der jeweiligen Subkultur zu Massen­produkten, sie bewahren aber einen Teil ihrer Funktion der Abgrenzung nach außen. Dies entspricht einer all­ge­mei­nen Tendenz der Marktwirt­schaft, zum einen Kaufanreize durch eine be­haup­tete „Exklusivität“ des jeweiligen Pro­­duktes zu schaffen, zum andern aber das Produkt möglichst oft verkaufen zu wol­len, wodurch eben diese Exklusivität wie­­der untergraben wird. Dies führt zu ei­ner ständigen Aus­differenzierung des gesam­ten kul­­turellen Feldes.

Rewind

Da die Popkultur so allgegenwärtig ist, kam auch die Linke nicht um die Frage he­­rum, was denn davon zu halten sei. Die Traditions­marxisten, für die die Ökono­mie das A und O war, konnten es sich ein­­fach machen – sie interessierten sich eh nicht für den kulturellen „Überbau“. Falls doch, wurde die Popkultur nur als Aus­­druck bürgerlicher Ideologie gesehen, als Mittel, um das Proletariat zu manipu­lie­ren und ruhig zu stellen. Dieser Sicht liegt freilich nicht nur ein verkürztes Ver­­ständnis von Ideologie zugrunde, wo­nach alle kulturellen Erscheinungen sich un­­mittelbar auf ökonomische Interessen zu­­rückführen lassen. Der Begriff der „Ma­ni­pulation“ unterstellt auch ein weitge­hend passives Publikum, das alles, was ihm angeboten wird, widerspruchslos schluckt.

Die Ende der 60er entstehende Neue Lin­ke dagegen erhielt ihre besondere Form ge­rade durch die Verbindung von Protest­be­­wegung und Popkultur (sie­he auch hier). Zwei Strategien der po­litischen Praxis auf dem Feld der Kultur bil­deten sich dabei heraus: Gegenkultur und Subversion. Eigene Parallel­strukturen sollten aufge­baut und dann von diesen aus das „Es­tablishment“ unter­wan­dert werden. Auf brei­terer Basis wurden die­se Strategien aber erst ab Ende der 70er an­gewendet. Wäh­rend vorher nur ein paar Bands wie Ton, Steine, Scherben ihre Platten selbst ver­öffentlichten, wurde das DIY-(Do-It- Yourself-)Modell mit dem Punk zu einer all­gemeinen Praxis (siehe hier).

Mit dem Anfang der 80er in Groß­bri­tan­nien aufkommenden „New Pop“, des­sen Pro­tagonist_innen zu einem guten Teil durch den Punk sozialisiert worden wa­ren, nahm auch die geplante subversive Un­ter­wanderung des Mainstreams kon­kre­­te­re Formen an. Vor allem die herge­brach­­­ten Geschlechterrollen wurden in Fra­­­ge gestellt. Zu keiner Zeit hatten so vie­le offen homosexuelle Künstler_innen im Popbusiness Erfolge gefeiert – seien es nun die Village People (die sich musika­lisch auf die schon in ihren Anfängen stark von Homosexuellen geprägte Dis­coszene be­­zogen), Frankie Goes To Holly­wood, Bronski Beat oder die Pet Shop Boys. Und auch Heterobands wie Duran Duran sa­hen mit hochtoupierten Haaren und Make-up reichlich feminin aus. Auf der an­­deren Seite standen Künstlerinnen wie Grace Jones mit ihrer androgynen Aus­strah­lung, und Madonna. Der „neue Pop“ war auch eine Gegenbewegung zum Punk, dem aggressiven, mackerhaften Auf­­­treten der Punks wurde ein sauberes, „wei­­ches“ Image entgegengestellt, der be­haup­teten Authentizität des Rock ein be­wusstes Spiel mit Image und Selbst­sti­lisierung.

Vor diesem Hintergrund von Punk und neu­em Pop entstand in Deutsch­land eine Pop­linke, die diese Vorgänge journalis­tisch begleitete. Mit theoreti­schen Be­zügen zu Poststruktura­listen wie Foucault, Baudrillard und Derrida wurde versucht, in den Popdis­kurs zu intervenie­ren. Pop wur­de als Mit­tel begriffen, um in die Ge­sell­schaft hineinzuwirken, In­halte zu trans­portie­ren, wobei gerade der Wa­ren­charakter von Pop als Vorteil angesehen wurde, da über diesen ein brei­tes Publi­kum erreicht werden konnte.

Stop

Heute lässt sich die Linke nicht mehr so gern auf die Popkultur ein. Die Pop­linke ist zum Großteil den Bach runter ge­gangen, das einstige Zentralorgan Spex ver­liert immer mehr Profil, ehemalige Protagonisten suchen sich andere Betäti­gungs­felder. Auch hier in Leipzig lässt sich diese Distanzierung beo­bachten.

„Das Terrain, in dem wir als Conne Island ste­hen, ist verloren, das wissen wir selber“, lautete es etwa im Jahre 2003 vom CI-Plenum (1). Das Zitat stammt aus der Aus­einandersetzung um die Band Mia, die kurz zuvor mit „Was es ist“ eine Loblied auf Deutschland verfasst hatte. Der Auftritt im Conne Island wurde folgerich­tig abgesagt. Aber was ist gemeint, wenn es heißt, man hätte „das Terrain ver­loren?“ Warum wundert man sich darüber, wenn sich falsches Bewusstsein auch im Pop Ge­hör verschafft? Scheinbar hat mensch tat­säch­lich mal an die grenz­über­schreiten­de, in­ternationalistische Di­mension von Pop­mu­sik geglaubt.

Mit der ist es momentan tatsächlich nicht weit her. In Zeiten sinkender Verkäufe be­dient die Musikindustrie lieber ein fest um­rissenes Marktsegment und liefert den na­iven Mittelstandskids etwas, womit sie sich identifizieren können: deutsche Wert­arbeit. Dabei ist es durchaus nicht so, dass der internationalistische Charakter des Pop reine Illusion wäre. Gerade ihre Wa­ren­förmigkeit verleiht der Popkultur einen uni­versellen Charakter – sie soll sich ver­kaufen, und zwar an möglichst viele Men­schen. Aber auch dies wird dem Pop zum Vor­wurf gemacht – meist mit Rück­griff auf Adornos „Kul­tur­industrie“ – Ka­pi­tel in der „Dialek­tik der Auf­klärung“. Popkultur bleibe letztlich in der Wa­ren­form gefan­gen, die alle noch so kri­tischen Inhalte ihrer Substanz beraube.

Das mag so sein. Nur: Warum sollen, wenn sich Pop wirk­lich restlos auf die Warenform re­du­zieren ließe, nicht auch Mia im Conne Island spielen? Warum nicht der Aggro-Berlin-Knallkopf Bushido oder gar die Naziband Landser? Genauer: Wenn die Kulturindustrie kritische, eman­zi­pa­to­rische Inhalte zur beliebig aus­tausch­­baren Chiffre macht, warum gilt das nicht auch für andere Inhalte, also etwa den homo­phoben, sexistischen und sons­tigen Quark, den Bushido abson­dert?

Man kommt also nicht um die Einsicht he­rum, dass es – bei aller Gleichheit in der Wa­renform – im Pop dennoch inhaltli­che Un­terschiede gibt und dass diese eine Rol­le spie­len. Es mag der Plattenfirma egal sein, ob nun Bushido auf Platz 1 der Hit­pa­rade steht oder eine feministische Band wie Le Tigre. Das heißt nicht, dass man das Feld der Popkultur umstandslos dem „Geg­ner“ überlassen sollte. Natürlich ist „Pop“ genauso Teil des kapitalistischen Sys­­tems wie die restliche Ge­sell­schaft auch. Aber gerade das ist ein Ar­gu­ment da­für, das Projekt „Pop“ nicht vor­eilig über Bord zu werfen: Wenn es oh­nehin kein „Außen“ gibt, keinen Bereich der Ge­sell­schaft, der nicht der kapitalis­tischen Lo­gik un­terworfen wäre, dann muss man zur Überwindung der herr­schen­den Zu­stände eben auf das zurück­grei­fen, was die­se Ge­sellschaft anbietet und versuchen, es im ei­genen Sinne zu nutzen.

Dabei muss die ökonomische Basis der Popkultur freilich mitberücksich­tigt wer­den. Das Agieren auf der Dis­kurs­ebe­ne macht nur dann Sinn, wenn es da­­rauf ab­zielt, von dieser Ebene wieder run­ter­zu­kommen, materielle Verände­run­­gen zu er­rei­chen. Alles symbolische Da­ge­gen­sein hat sich letztlich an der Praxis zu be­weisen. Hier liegen auch die Grün­­­de für die Krise der „Poplinken“. Man hat sich in einer men­talen und wirt­schaft­lichen Nische ge­mütlich einge­rich­tet – ein Hinterfragen der eigenen Position ist auch ein ökonomi­sches Risiko. Der Rück­­griff auf kritische The­orie zielt dabei nicht mehr auf Ver­änderung ab, sondern wird zum Abgren­zungs­merkmal: „Wir“ ge­gen die böse Welt da draußen (als würde die sich so einfach aussperren lassen). Künstler­_innen, Jour­nalist_innen und Publikum bestätigen sich dabei wechselsei­tig in ihrer Position.

Fast Forward

Auch beim Pop gilt, dass Pauschalurteile meist am Kern des Problems vorbeigehen. Dass Popkultur „an sich“ emanzipatorisch sei, kann nur glauben, wer die Augen hart­näc­kig vor der Realität verschließt – Pop als total von der Kulturindustrie ver­ein­nahmt zu verwerfen, ist das­ selbe in Grün. Im beiden Fällen er­übrigt sich eigenes Handeln, ent­we­der, weil das „Gute“ ohnehin siegen wird oder weil es eh schon verloren hat. Beides ist Blödsinn: Zu­min­dest von den In­halten her, ist Pop nur das, was mensch draus macht.

Als Mittel zum Beispiel gegen sexistische und rassistische Stereotype hat sich die Pop­­­kultur schon als nützlich erwiesen – ge­rade ihrer „Künstlichkeit“ und man­geln­den „Authentizität“ wegen, als ein Feld, wo Menschen sich bis zu ei­nem ge­wis­sen Grad selbst aussuchen kön­nen, wer oder was sie sein wollen. Die Ein­­sicht, dass Iden­tität nicht „angeboren“, son­dern Re­sul­tat eigener Entscheidung ist, dass mensch sich sein „Selbst“ durch be­wusste Tä­­tigkeit erarbeitet, entzieht star­ren Rollen­zuschreibungen den Boden.

Das Problem dabei ist, dass solche Zu­schrei­­bungen nicht nur diskursiv erzeugt wer­­den – sie sind auch von materiellen öko­nomischen und politischen Struktu­ren bedingt. Ohne eine grundlegende Ver­än­derung eben dieser lässt sich z.B. sexistische Diskriminierung zwar in ihren Aus­­wirkungen abmildern, aber nicht aus der Welt schaffen. Wenn Popkultur eman­zi­patorisch wirksam werden will, muss sie al­so ihre eigene Bedingtheit durch ma­te­rielle Zwänge mitbedenken. So ist es zu­min­dest eine zwiespältige Sache, wenn bei Bands wie Chumbawamba oder Rage Against The Machine die Ka­pi­talismus­kritik in Warenform daherkommt. Die ka­pi­­talistischen Struk­tu­ren lassen sich nicht ein­fach so für die ei­genen Zwecke über­neh­men – vor allem, wenn es darum gehen soll, den Kapitalismus abzu­schaffen.

Eine mögliche Antwort darauf ist der Auf­bau von eigenen Strukturen, wie es die DIY-Szene tut – im Punk und Hardcore, aber auch in anderen musikali­schen Nischen (freie Improvisa­tion, Industrial usw.). Die Anfang der 90er in den USA entstandene Riot-Grrrl-Bewe­gung (die in den letzten Jahren durch die Lady­feste eine Neuauflage erhielt) ist ein Bei­­­spiel dafür, wie die DIY-Strategien der Selbst­­er­mäch­ti­gung und selbstorganisier­ter Kultur, die Kritik an Sexismus (auch in­nerhalb der eigenen Szene) mit Kritik an Kapitalismus und Herrschaft allge­mein, politisches Engagement und lustvol­ler künstlerischer Ausdruck verbunden wer­den können.

Natürlich findet auch dies im Rahmen der ka­­pitalistischen Gesellschaft statt, gewisse Inkonsequenzen lassen sich also nicht ver­meiden. Der Wert dieser Pra­xis muss sich da­ran messen lassen, wie weit es gelingt, sich den marktwirtschaft­li­chen Spielregeln zu entziehen. Coole Indie-Kleinkapitalis­ten, die ihr Minus an ökonomischem Kapital gegenüber den Majorlabels durch ein Plus an symboli­schem Kapital (Nähe zur Basis usw.) kom­pensieren, gibt es schließ­lich schon genug. Und auch wenn die Indielabels ihre Stel­lung gegen­über den Majors dadurch zu fes­tigen ver­suchen, dass sie sich als die „besseren“ Ka­pi­talisten in Szene setzen, ist die einstige Front­stel­lung zwischen „Indie“ und „Major“ ohne­hin längst bis zur Unkennt­lich­keit auf­geweicht – nicht umsonst sind die meisten be­deutenderen Indielabels wie SubPop, City Slang oder L´Age d´Or längst nur noch Unterabtei­lungen der großen Majors. Und selbst wenn das (noch) nicht der Fall ist, sagt es nichts über den eman­zi­patorischen Gehalt des eigenen Han­delns aus, wenn man zu­fällig etwas weni­ger verdient als an­dere.

DIY dürfte auch der technologischen Entwicklung wegen an Bedeutung gewin­nen. Dank der Compu­ter­tech­nik ist es heute kein Problem mehr, Mu­sik in guter Qualität und zu niedrigen Kos­ten aufzu­neh­men, und das Internet macht es mö­glich, diese ohne den Umweg über eine Plattenfirma allgemein zugäng­lich zu ma­chen. Während die Musikindus­trie da­durch in eine Krise gerät, deren Ausgang noch unklar ist (siehe Seite 30), öffnet sich hier ein neues Feld für einen lebendi­gen Untergrund, für experimentelle, inno­vative Musik ebenso wie für eine Praxis, die politische und künstlerische Belange mit­einander zu verbinden ver­sucht.

(k.rotte & nils)

(1) den dazugehörigen Text könnt ihr unter www.conne-island.de/nf/105/17.html nachlesen.

Der Muff von 40 Jahren

Und täglich grüßen die 68er. Zum 40. Jahrestag wird im Feuille­ton eifrig um die richtige Deutung der damaligen Geschehnis­se ge­­strit­ten. Für den Alt-68er und Historiker Götz Aly ist die Sache klar wie Kloßbrühe, wenn er aus ganzer analytischer Kraft heraus po­stuliert: 68er = Nazis. Logisch, Goebbels hat schließ­lich auch stu­diert. Gut, dass es da noch die taz gibt, den Dutschke-Fan­club Num­mer 1. „Brauchen wir einen neuen Dutschke?“, fragt mensch sich da z.B. ganz unbefangen, um dann in scholastischer Ma­nier meh­rere Sei­ten mit Pros und Kontras zu aufzufüllen. Vor sol­chen Fans würde mensch den Dutschke doch gern in Schutz neh­men. Im Gegensatz zu Götz Aly findet die taz Dutschke und die 68er zwar im Prinzip rich­tig knorke, nur mit ihrer Staatskritik hät­ten sie halt etwas übertrie­ben. Der Na­tionalstaat sei schließlich mitt­lerweile selbst eine „bedroh­te Spe­zies“. Ein echter Geistesblitz – mensch sieht, beim langen Marsch in den Arsch der Berliner Republik haben die GenossIn­nen von der taz einiges dazugelernt. Weil unser armer Nationalstaat so arg bedroht ist, hat er auch gar keine andere Wahl, als z.B. überflüssige Ausländer abzu­schie­ben. Die Lage ist ernst, da müs­sen auch parlamentarische Ent­schei­dungs­gremien zu­rücktre­ten. Das mussten die hessischen Grü­nen, die SPD und die Lin­ke feststellen, nachdem sie sich im hes­sischen Landtag für einen Ab­schiebestopp für afghanische Flücht­linge aus­ge­sprochen hatten. Trotz Landtagsmehrheit sah es der Innenmini­ster überhaupt nicht ein, den Stopp auch umzuset­zen. Wieder ei­ne Lektion in Sa­­chen Parlamentarismus gelernt! Viel­leicht sollte mensch sich die Sa­che mit der außerparlamentarischen Opposi­tion doch noch ein­mal durch den Kopf gehen lassen. Daraus könnten sich zur Ab­wechs­lung mal Fragestellungen er­geben, die wirkliche Er­kennt­nis­se fördern. Die ehemals ach so re­bellischen Zeitge­nos­sen könnte mensch derweil ihrem unaufhalt­samen Verkal­kungs­prozess über­las­sen. Viel Vernünftiges wird dabei wohl nicht mehr her­auskom­men. Höchstens noch Fragen wie die­se: Würde Rudi Dutschke Chi­na boykottieren? Oder ist vielleicht gar der Dalai Lama der Ru­di Dutschke von heute? Wir wissen es nicht. Und wir brauchen es auch nicht wissen!

justus & karotte

Hoch die…! Nieder mit…!

Bei Nazis sind sich Alle einig: Raus! Raus! Raus! Doch ruhiges Hinterland gibt es auch bei der Antifa nicht, wie es sich während der Mobilisierung gegen den Demo-Versuch der freien Kräfte am 15.März zeigte.

All cops are bastards, zitterte es noch in den Knochen einiger sonst so alerter Antifascistas, die aus Angst vor prognostizierter Polizeigewalt lieber ausschlafen wollten.

Die Karli musste letztlich eh nicht Stein für Stein zurückgegeben werden, da die angekündigte Demo von NPD und freien Kräfte kurz vor knapp verboten wurde. „Na watt denn“, dachte sich das Ladenschlußbündnis und demonstrierte trotz fehlenden Nazis einfach unter dem Motto „gegen Rassismus von LVZ bis deutsche Stimme“, mit immerhin 150 Bewegten.

Selbst dem armen Häuflein Festent­schlossener wollte es nicht so richtig gelingen ein furioses Auftreten durch markige Parolen zu demonstrieren. Dabei bleibt bei fehlender Masse nicht viel Übrig außer guten Absichten verpackt in gute Sprüche.

Nicht dass aufgrund des schwindenden Mobilisierungspotenzials bald Deutschland brüllt: „nie, nie, nie wieder soziale Bewegung“. Da gilt es, nach Außen die Stärke wenigstens zu simulieren. Oft ist die Parole nicht nur Stütze, sondern gar der letzte Anker um wenigstens nicht ganz und gar belächelt zu werden. Gerade wenn die Demogrüppchen nicht mehr die Straße erschüttern, sondern eher wie mobile Phrasendreschmaschinen daherkommen. Es gruselt sich halt niemand mehr vor „Ho-Ho-Ho-Chi-Minh“,

So eine gute Demoparole ist aber auch schwer. Muss sie doch konsensfähig sein, provokativ und humorvoll zu gleich, so sind das gleich drei Sachen auf einmal. Soll der glotzende Bürger sich obendrein noch einreihen, erschöpft sich wohl die Kraft jeder Parole.

Die Guten lassen sich dann nur vermuten, muss DemonstantIn resignativ zu Kenntnis nehmen. Politische Kritik ist eben kein Fußballjubelverein, der Erfolg einer direkten Aktion nicht nach 90 Minuten im Videotext nachzulesen. Der Slogan als Mittel zur Meinungsäußerung unterscheidet sich nur von der gebrüllten Parteinahme zu seinem Fussballverein, solange er Inhalte auch diskursiv entfaltet. Dies ist spätestens dann unmöglich, wenn von Seiten der Beamten – frei nach dem Motto „dumm brutal und national“ – das Verteilen von Flyern oder Infomaterial verboten wird, wie es sich die Polizei für den 15.März in Leipzig ausdachte. Je mehr das Demoerlebnis – ob Ost, ob West – vordergründig in Blessuren und Haftstrafen statt Erfolg endet, desto mehr gerinnen Forderungen wie „no nation, no border – fight law and order“ zu puren Phrasen. So in die Ecke gedrängt muss mensch Slogans schon wie Gedichte vortragen, um ihnen wenigstens ein Stück Gehalt zuzuführen. Wem dann einfällt, dass sich Agitprop nur schwer in ein Goethedrama verpacken lässt, der sollte sich komplett vom Sinn verabschieden und einfach Agitpop machen. Dieser ließe dann Sloganeering zu, die auf Adressaten und Meinung von vornherein verzichten und einfach nur noch die Bewegung inszenieren: Freiheit für Grönland, nieder mit dem Packeis. Gebrüllt wird einfach was mensch will und die bierernste Parole kann getrost der Bild-Zeitung überlassen werden. Die erreicht den gemeine Bürger sowieso viel eher, als jede durchdachte Parole der anspruchsvollsten Antifa.

bonz & karotte

Die neue Autonomie nach Humboldt

Über das Ende der Demokratie an Sachsens Hochschulen

Der Begriff der Autonomie war und ist seit der Aufklärung konstitutiv für die Univer­sität. Für Lehre und Forschung der Alma Mater, dieser altehr­würdigen „nährenden Mutter“, bedeu­tete Autonomie in ihrer Ziel- und Zweck­setzung immer Unabhän­gig­keit von staat­licher und gesellschaft­licher Vereinahmung. So genoss die Uni­versität durch die Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts hindurch in ganz Europa immer besondere Privilegien in Bezug auf Rechtsstatus und Verwaltung. Dies sollte jedoch nicht nur nach Außen sondern auch nach Innen greifen. Eine freie, also auf Unabhängigkeit gegründete, Lehre und Forschung besagte gleichzeitig sowohl die freie Wahl der Formen und Methoden als auch der Inhalte für die Akteure im Uni­ver­sitäts­betrieb. Die Frage was, wozu und wie gelernt und geforscht wurde, sollte einzig und allein von den daran Beteiligten beantwortet werden. Diese Autonomie ging einher mit einem bestimmten Begriff von Bildung.

Erkenntnisgewinnung beispielsweise rich­tete sich nicht nur primär auf tech­nische An­wendbarkeit oder wie auch immer ge­artete Verwertbarkeit, sie stand für sich, war autonom. Universitäre Bildung im Sinne der Auf­klärung hieß auch den Men­schen aufzufordern, sich aus Unmündig­keit durch selbstbestimmte Wissensan­eig­nung heraus­zu­führen. Was dieser sich an Wissen aneig­ne­te, also auf welche An­wend­bar­keit sein Er­kenntnis­drän­gen zielte, sollte so weit als möglich von ihm selbst au­sgehen und keineswegs gänz­lich vorge­geben sein. Damit verbunden war auch immer ein selbständiges, unabhängiges Gewichten und Prüfen der jeweiligen Wis­sensformen und ihrer Inhalte. Inwie­weit dies noch mög­lich ist in Zeiten von Modu­la­risierung, Anwesenheitslisten und stren­gen Ein­schrei­beverfahren bleibt fraglich.

Während im 19. und Anfang des 20. Jahr­hunderts die universitäre Selbstverwal­tung noch sehr aristokratisch funktio­nierte, d.h. wesentliche Entscheidungen der Univer­si­tätspolitik nur von Professoren (den so ge­­nann­ten Ordinarien) gefällt werden durf­­ten, kam es in der BRD im Zuge der 68er Revolte zu einer starken Kritik an diesem Modell.

Dabei wurde jedoch nicht die Selbstver­wal­tung an und für sich kritisiert, sondern ihre Verwirklichung durch wahrhaft demo­kratische Mitbestimmung gefordert. Eine wesentliche Forderung bestand darin, alle Mitgliedergruppen einer Universität an den Entscheidungsprozessen zu beteiligen.

Die Ordinarienuniversität reformierte sich, hin zur so genannten Gruppenuniversität. Der Muff der Talare lüftete sich. In dem neuen Modell bekamen alle Mitglie­der­gruppen der Universität mehr Mitbestim­mung zugesprochen. Diese Mitglieder bildeten die ordentlichen Hoch­schullehrer (Professoren, sowie Do­zen­ten), die As­sisten­zen und akademische Aus­hilfs­kräfte, die nicht-akademischen Mitar­bei­ter und letztlich die Studenten. Diese neue Form der Selbstverwaltung war nun eine paritä­tische, was jedoch nicht bedeutete, dass damit das Stimmverhältnis der ver­schie­denen Gruppen gleich­ge­stellt war. Nach diesem Mo­dell funktioniert die Universität bis heute.

Der Abgesang auf die Selbstverwaltung

Sachsens Koalition von SPD und CDU plant nun im Landtag ein neues Hoch­schul­gesetz. Dieses läuft Gefahr das bis­herige Modell wenn nicht abzuschaf­fen, so doch substanziell zu un­ter­wandern. Das Gesetz, das Anfang des Jah­res 2008 dem Landtag zur Abstim­mung vorgelegt wird, markiert das vorläu­fige Ende einer langen Auseinandersetzung in der Koalition um die Details der No­vellierung der aktuellen Gesetzeslage. In Einem war man sich allerdings von Anfang an einig: Eine größe­re Autonomie der Hochschulen muss her! So weit, so gut, könnte man meinen, das Gesetz stehe also in der guten, aufkläre­rischen Tradition der Universität. Bei ge­naue­rem Hinsehen muss mensch jedoch schwer schlucken, denn in Sachsen scheinen die Parteipolitiker Auto­nomie vor allen Dingen mit dem Ausbau der Lei­tungs­ebene und dem Abbau paritä­tischer Mit­be­stimmungsstrukturen der Selbst­ver­wal­tung gleichzusetzen.

Im Vorfeld der Abstimmungsprozedur im Landtag kam es deshalb wiedermal zu Pro­tes­ten seitens der Studentenschaft, deren Interessen von den Dresdner Parlamenta­riern seit Jahren erfolgreich ignoriert wer­den. Das erneute Aufflammen der Proteste mündete in eine Großdemonstration am 13.12.07, an der über 10000 Menschen teil­nahmen. Der Demonstrationszug streif­­­te den Rand der Dresdner Altstadt auf dem Weg zum Landtag. Dabei kam es zu kei­nen größeren Vorkommnissen, da die Stu­dentInnen den tief greifenden Verände­run­gen in ihren Bildungsinstitutionen in erster Linie mit Trillerpfeifen und Kundge­bungen begegneten. Diese richteten sich vor allem gegen eben diesen Abbau von Mit­bestim­mung an der Universität und für ein gebüh­renfreies Studium. Es sprachen ne­ben Stu­dentenverbänden wie der KSS (Konfe­renz sächsischer Studierender) auch die sächsische Ministerin für Wissenschaft und Kunst, Eva-Maria Stange, die sich noch einmal aus­drücklich hinter die Koali­tionspläne und das neue Gesetz stellte, und den Studieren­den Unkenntnis des eigent­lichen Vorhabens vorwarf. Ebenfalls ein altbekannter Gestus vor dem Dresdner Land­tag. Der Akt der Recht­fertigung schien der SPD-Politi­kerin dann auch über­­flüssig, da man sich in der Koa­lition ja sicher sein kann, das Gesetz im kom­­men­den „Winter of Resistance“ durch­zu­­bringen. Und welcher studen­tische Pro­test der letzten Jahre konnte schon die mini­sterialen Pläne durch­kreu­zen?

Die Debatte um das Hochschulgesetz, die schon seit 2005 geführt wird, ist in der Koa­lition ein für allemal geklärt. Während die CDU seit damals sowieso eine klare Linie in der Gestaltung zukünftiger Hoch­schulen vertritt, die durch Milbradts Wor­te: „De­mo­kra­tie gilt nicht für die Hoch­schu­len!“ auf den Punkt gebracht wird, sieht die SPD, in ihrem Selbstbild von der Hüterin der Stu­dentInnenrechte verfan­gen, gerade mit dem aktuellen Neuentwurf einen de­mo­kra­tischen Punkt verwirklicht: Autono­mie. Stan­ge betonte noch einmal, in der No­vel­lierung eine „Stärkung der Eigenver­ant­wortung der Hochschulen durch Verla­ge­rung der Entscheidungskom­pe­tenzen des Staates […] auf die Hoch­schule“ erreicht zu haben. Auch sonst be­stehe kein Grund zur Panik, denn beim ewigen Thema ‚Stu­dien­gebühren‘, wofür sich die CDU immer klar ausgesprochen habe, hätte das neue Ge­setz einen entschei­denden Schritt gemacht: „Das neue säch­sische Hochschulgesetz sichert die Stu­dien­­gebührenfreiheit“, so Stange.

Dieses ohnehin fragwürdige „Geschenk“ der Ministerin kann jedoch nicht da­rüber hinweg­täu­schen, dass die Verhältnisse im Universitätsalltag nach oben hin zuspitzt wer­den sollen und die Entscheidungs­mög­lichkeiten und Partizipation insbesondere der Studentenschaft weiter schwindet. Denn bei allem Entgegenkommen wurden die monierten Punkte in Bezug auf die stu­dentische Selbst­verwaltung nicht einmal zur Kennt­nis genom­men sondern einfach übergan­gen. Stattdessen wird an der sich selbst verwaltenden Universität weiter kräftig gesägt.

Nach oben buckeln…

Die wesentlichen Veränderungen durch das neuen Gesetz zielen auf die obere Ver­wal­tungsstruktur der Hochschulen in Sach­sen. Hier­bei wird der Versuch unter­nom­men, in den Hochschulen eine relativ über­sicht­liche und flexible Entscheidungs­ebene auf­zubauen. Eherne Pfeiler des Mo­dells der Grup­­penuniversität, die sich dem zumin­dest partiellen Mitbestim­mungs­recht all ih­rer Mitglieder verpflich­tet hatte, geraten dadurch aber erheblich ins Wan­ken. Denn die Anzahl der Stimm­be­rech­tigten aller Gruppen wird drastisch ge­senkt. Der we­sent­lichste Einschnitt ist hier die Abschaf­fung des Konzils, welches mit bis zu 400 Mitgliedern bisher alle Gruppen an der Uni­versität umfasste. Das Konzil entschied seiner Funktion entspre­chend über die uni­versitäre Grund­ordnung und die personelle Besetzung und Auftei­lung des Rektorats, und stellte somit eine Art “Uni-Parlament“ dar. Grundle­gen­de Kom­pe­tenzen dieses „demokratischen“ Gre­miums sollen jetzt auf ein kleineres über­gehen: den Senat, dem seinerseits wiede­rum Kompe­ten­zen entzogen werden zu­gunsten des Rektorats.

Der Senat stellte bisher das zentrale Ent­schei­dungsgremium an der Universität dar. Er setzte sich aus gewählten Vertretern des Konzils zusammen, die alle Gruppen der Universität repräsentierten, sowie aus dem Rektor und den Dekanen aller Fakultäten, was ihn vergleichbar mit dem Bundesrat macht. In seiner Funktion als zentrales Ent­­scheidungsgremium soll er dem neuen Gesetz nach nun drastisch beschnitten wer­den. So wird, trotz Wegfall des Konzils, seine Mitgliederzahl nicht aufgestockt, son­dern verringert. Von maximal 40 Mit­gliedern bisher auf maximal 17 Mitglieder. Unter diesen 17 Mitgliedern entfällt der Hauptteil auf die Hochschul­lehrerInnen, während sich die anderen Gruppen die verbleibenden Plätze teilen müssen. Die genaue Verteilung der Sitze unter allen anderen Mitgliedsgruppen be­stimmt die je­weilige Grund­ord­nung. Durch diese Re­duzierung kön­nen nicht mehr alle Fakul­tä­ten durch ihre Dekane vertreten sein. Aber auch grundle­gende Entscheide, wie jene über die universitäre Grund­ordnung selbst, die Wahl des Rekto­rats sowie diverse Vermittlungsfunktionen – ursprüng­lich Auf­­­gabe des Konzils – fal­len also einem ver­kleinerten Senat zu. Doch wird der Se­nat durch diese Ver­schie­bung vom aufgelö­sten Konzil her keines­wegs zu einer Art Su­per-Gremium, im Ge­gen­teil wird ihm in erster Linie nur eine beratende Funktionen zu­erkannt, und zwar in Bezug auf das Rek­torat, dessen Ent­scheidungsmacht dra­stisch ausgebaut werden soll.

Im Kern stellte das Rektorat bisher das oberste Exekutivorgan der Universität dar. Beschlüsse, die Konzil oder Senat bisher fassten, wurden vom Rektorat umgesetzt. Es verfügte deshalb auch über die Ge­schäfts­­­füh­rung sowie über die Mittel- und Stellenzuweisungen. Nun kommen jedoch weit­reichende Kompe­ten­zen hinzu. Das neue Gesetz sieht vor, dem Rektorat fortan auch die Ausgestaltung der universitären Grund­ordnung vorzubehalten, welches der verkleinerte Senat dann lediglich be­schlie­ßen oder ablehnen kann. Darüber hinaus wä­re das Rektorat nach dem neuen Gesetz in der Lage, in eigener Regie und ohne Kon­trolle und Einspruch, neue Ge­bühren­ord­nungen einzurichten oder gar ganze Stu­­dien­gänge einfach abzuschaffen. Eben­so soll der Rektor gegenüber den De­kanen der Fakultäten weisungs­be­rechtigt werden, so­wie die Möglichkeit besitzen, Entschei­dun­gen über die Einrich­tung oder Aufhe­bung von ganzen Fakultäten zu treffen. Und auch die rektorale Formu­lierung des Gesamt-Wirt­schaftsplanes muss dann nur noch von einem neuen Gremium, dem so ge­nannten Hoch­schul­rat, genehmigt wer­den. Dieser Hochschul­rat tritt an die Stelle des Konzils und stellt die eigentliche Neue­rung der Ge­setzes­vorlage dar. Er ersetzt auch das Kura­to­­rium, welches das ur­sprüng­liche externe Kontrollgremium dar­stellte und mit akti­ven und passiven Inter­ventions­mög­lich­keiten verknüpft war.

Im maßgeblichen Entwurf des Hochschul­ge­setzes vom Mai 2007 heißt es, dass der neue Rat „die Profilbildung und Erhöhung der Leistungs- und Wettbe­werbs­fähigkeit der Hochschule“ zu ge­währ­leisten habe. Der Hochschulrat soll da­hin­­gehend eng mit dem Rektorat zusammenarbeiten. Mit höch­­stens 11 Mitgliedern soll er zu drei Vier­­teln aus vom Land bestimmten Vertre­tern und zu einem Viertel aus vom Senat aus­gewählten Vertretern bestehen. Der Hoch­­­schulrat muss zudem zum überwie­gen­den Teil aus hochschulexternen Vertre­tern aus verschiedenen gesellschaftlichen Be­reichen gebildet werden. Diese Regelung bietet vor allem die Scharnierstelle zur Wirt­­schaft, die als Drittmittelvergeber ganz besonders im Fadenkreuz der Reform steht. Der neue Hochschulrat ist zwar kein Ent­schei­dungsgremium sondern ein Kon­troll­gremium, jedoch geht seine Kom­pe­tenz über reine passive Kontrolle hinaus. Aktiv soll der Hochschulrat sich in allen Be­­­rei­chen durch Beratung, Einbringung von Vorschlägen in Sachen Finanzen, Ver­wal­tungs­aufbau und durch das Vor­schlags­recht zur Rektoratswahl engagieren. Über wirt­schaftliche Fragen bezüglich des Haus­halts oder anderer Struktur- und Entwick­lungs­fragen trifft nach dem Gesetz der Hoch­schul­rat die letzte Entscheidung, da er die Vor­schläge des Rektorats absegnen muss, was zuvor Aufgabe des Senats war.

Das enge Zusammenarbeiten von Rektorat und Hochschulrat nimmt so­mit alle Rich­tungs­ent­scheidungen be­züglich der Ent­wick­lung von Lehre und For­schung an den sächsischen Universi­tä­ten aus den Händen der betroffenen Grup­pen, die ein margina­lisierter Senat kaum noch wirklich reprä­sen­tiert. Konzil und Kura­­torium werden ganz eingestampft. Alle Entscheidungs­kom­petenzen verteilen sich auf zwei kleine Gre­mien an der Spitze, in welchen den ge­bün­delten Leitungs­posi­tionen umfang­rei­che­re Befugnisse als je zuvor zuge­ordnet wer­den. Gruppen aus dem Mittel- und Un­ter­bau der Universität werden dabei weitest­gehend aus großen Entscheidungen heraus­ge­halten.

…nach unten treten

Aber nicht nur die Mitbestimmung unter­liegt starken Veränderungen, auch bedeu­tet der Ausbau der Entscheidungs­befug­nisse der Leitungsebenen eine Ver­schär­fung der Arbeitsbedingungen von fast allen Ange­stell­ten der Universität. So fallen mit dem neuen Hochschulrahmengesetz auch die ge­setzlichen Flächentarifbestimmun­gen vom Land Sachsen weg. Diese galten für Ange­stell­te in der Universität, weil sie damit den Sta­tus des öffentlichen Dienstes inne hat­ten, der nun wegfallen soll. Das gilt aller­dings nicht für Professoren, für die nach wie vor gesetzliche Soldbestimmun­gen be­stehen bleiben. Alle Anderen kön­nen tarif­liche Mindeststandards in Zu­kunft nicht mehr einfach erwarten. Die un­­ter dem Stich­wort „Personalautonomie“ ge­­führte Richtlinie bedeutet letztlich nichts anderes, als dass die Geschäftsebene der Universität mit Inkrafttreten des Ge­setzes bis auf weite­res an keine tarif­lichen Bestimmungen mehr gebunden ist.

Setzt man zudem freie Gelder nur noch zur Förderung von Elite- und Spitzen­for­schung ein, bedeutet dies bei einem kon­stanten Etat nichts anderes als andere Stel­len wegbrechen zu lassen oder unter­finan­zieren zu müssen. Neben dem erhöh­ten Druck auf Assistenzen und außeraka­de­mische Angestellte steht damit aber auch die Qualität der Lehre unter Beschuss, die nun mal nur mit genü­gend Personal ge­währ­­leistet werden kann.

Die Studierenden will die Landesre­gie­rung angesichts dieser katastrophalen Ent­­wick­­lung der Mitbestimmungsrechte und der substanziellen Verschlechterung der Lehre in Watte lullen, indem sie ver­spricht, dass die Studiengebühren für den ersten be­rufs­qualifizierenden Abschluss in Sach­sen ausfallen sollen. Diese Regelung schützt jedoch nicht davor, dass Gebühren auf ein Aufbau- und Weiterbildungs­stu­dium so­wie auf Zweitstudiengänge erho­ben wer­den. Darunter fällt dann in einem zwei­glie­dri­gen Abschlusssystem zwischen Bache­lor und Master auch ein Großteil der Masterstudiengänge. D.h. de facto, dass nur noch ein Schnupperkurs an der Uni­versität gebührenfrei bleibt. Ein um­fassendes, tiefer gehendes Studium von 4-5 Jahren und ein daran angeschlos­sener Ab­schluss, der auch zum Arbeits­markt wirk­lich be­fähigt, kann so nicht ohne Ge­büh­ren ge­währleistet werden. Das Ende vom Lied lautet: Das neue Hoch­schul­rah­mengesetz hat nichts zu bieten außer jenes faule „Geschenk“ der Bil­dungs­mi­nisterin, welches nichts als eine Mogel­packung ist. Wahre Bildung wird unter diesen Bedin­gun­gen zu einem Privileg be­stimmter Leistungs- und Ein­kommens­elite gegen­über einer Armee von mehr oder weniger gut ausgebil­deten Fach­kräften.

Autonomie ohne Autono­mie

Von größerer Autonomie kann folglich nur in zweierlei Hinsicht gesprochen wer­den: Unabhängigkeit kleinerer Entschei­dungs­­eliten gegenüber demokratischer Kon­­­trol­le und Mitbestimmung sowie Auto­­­nomie gegenüber dem staatlichen Ein­griff im Rahmen finanzieller Erwägun­gen. Der Freistaat gibt tatsächlich Ent­schei­dungs­kompetenzen ab, jedoch nicht an die Universität und ihre Mitglieder, sondern an deren Funktionseliten. Das ist in­sofern kein Fortschritt, sondern tendiert eher zu einem Ordinarienmodell zurück, nur mit dem gro­ßen Unterschied, dass die säch­sischen Universitäten der Zukunft stärker fremden und externen Interessen unter­wor­fen sind, als sie das jemals waren.

Dieses Vorgehen verfolgt gerade nicht das Ziel Selbstverwaltung zu stärken, sondern vor­anschreitender Ökonomisierung struk­tur­­gerecht zuzuarbeiten. Autonomie in der Ge­staltung von Lehre und Forschung reiht sich so ein in immer denselben Reigen von Flexibilisierung und Effizienz.

Entbürokratisierung, als zweiter großer Pfei­­ler der Reform, heißt immer nur Macht­­­kon­zentrierung. Die ganze, als ver­schlankt ange­kün­digte, Selbstverwal­tung, bezieht sich im Kern nicht auf die aus­ge­wogene Partizipa­tion aller Mitglieder, son­dern auf eine Markt­mobilisierung von Leh­re und For­schung. Die vom Gesetzes­ent­wurf angestreb­te Struktur kleinerer Einhei­ten mit größerer Entscheidungs­ge­walt äh­nelt dabei eher einem straffen Ma­na­ge­ment­system als einer Institution der öffent­lichen Bildungs­inte­res­sen. Die ge­strafften Ent­scheidungsebenen sind zwar in der La­ge, schnell und ohne gro­ße Wider­stände seitens der betroffenen Mit­glieder grundle­gende Entscheidungen zu treffen und in einem System um Gelder kon­kurrie­render Lehre und Forschung effizienter zu arbei­ten. Diese sind dann aber nicht mehr als au­tonom zu begreifen, denn ihre For­men und Inhalte müssen sich fortan nach den Maßstäben und Verwertungskriterien des ökonomischen und d.h. neoliberalen Leit­bil­des richten: schnell (re)produzierbar, ver­wertbar und konkurrenzfähig zu sein. Wo eine scheinbare Unabhängigkeit vom Staat ein­tritt, übernimmt das Uni-Ranking die Rich­tungsentscheidung.

Für die Einsicht, dass die Rede von der neuen Auto­nomie der Universität ein Etikettenschwindel ist, bedarf es also keines Studiums. Echte Autonomie dagegen, also gelebte Demokratie und Mitbestimmung, fördert Einsichten, die eine Universität ohne Mitbestimmung nicht bieten kann. In diesem Sinne heißt es bald nicht nur in Sachsen: Gute Nacht der freiheitlichen Bildung.

(karotte)