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Die NATO, dein Freund und Helfer

Unser modernes Märchen: Die NATO unterstützt im Namen der Menschenrechte die in Libyen unterdrückte Bevölkerung mit einem Militäreinsatz, der nach knapp sechs Monaten dermaßen erfolgreich ist, dass Gaddafi gestürzt und Libyen befreit ist. Der gute Westen siegt über den bösen arabischen Despoten in einem unterentwickelten Land und bringt wirtschaftlichen Aufschwung mit. Auf die NATO werden Lobeshymnen gesungen – sie ist in der Bevölkerung nun so beliebt wie nie zuvor. Die versammelte Medienwelt schimpft derweil im Chor auf die deutsche Enthaltsamkeit während des Einsatzes und ruft schon laut nach der nächsten NATO-Intervention, um Syrien zu retten.

Während diese Mär Gefahr läuft, tatsächlich so in der Geschichtsschreibung festgehalten zu werden, lohnt ein Blick auf die wahrhaft märchenhaften Details: Kann man tatsächlich von einem Erfolg sprechen, bei 50.000 Toten seit der NATO-Intervention? Welche Form von Freiheit wurde hier für wen gewonnen? Wer übernimmt jetzt eigentlich – von der internationalen Gemeinschaft gestützt – die Macht im Land? Und warum sollten die Menschenrechte in Nordafrika auf einmal so wichtig sein, dass der Westen dafür Soldatenleben und Milliarden an Geldern investiert?

Da jedoch bekanntlich die Gewinner_innen die Geschichte schreiben, ist all das gerade nicht wichtig. Auch nicht, dass Menschenrechte lediglich als moralisches Etikett bespielt werden, um hintenrum eigene ökonomische und sicherheitspolitische Interessen zu befriedigen. Hinter verschlossener Tür geben sich derzeit verschiedene Staaten und Unternehmen die Klinke in die Hand, um Marktzugänge, Ölressourcen und die Kontrolle über Migrationsströme zu sichern. Darüber hinaus eröffnet das neue, von der breiten Bevölkerung getragene, glänzende Image der NATO als Ordnungspolizei Tür und Tor, um weitere UN-Resolutionen zu dehnen oder zu umgehen und im Namen der Menschlichkeit Kriege zu führen.

Vor allem aber vergessen die begeisterten Erzähler_innen unseres modernen Märchens vom Frieden durch Militär immer gerne, dass all diese Kriege gar nicht so geführt werden könnten, gäbe es nicht die Milliarden schwere westliche Waffenproduktion und ihren Export. Das zu unterbinden wäre ein wirklicher Schritt zur globalen Gewaltreduzierung. Leider nicht profitabel. Daher wohl zum altbackenen Märchen verdammt.

momo

„Milbradt in Afghanistan“

Werter Präsident unserer sächsischen Minister. Gratulation, mit dieser wohlkalkulierten Schlagzeile haben sie es geschafft, selbst im Feierabend! erwähnt zu werden. Wenn man schon gar nicht mehr in der Lage ist, sich über die hiesigen Probleme zu profilieren, dann bleibt ja noch das große Weltgeschehen. Da kann ein Ministerpräsident schon mal auf die einheimische Küche verzichten und aufs Ganze gehen. Was haben sie der afghanischen Administration versprochen? Ausbildung von LehrerInnen an unseren sächsischen Schulen und Universitäten? Einrichtung und Lehrmittel für afghanische Schulen? Auf dem Hintergrund desaströser Lehrbedingungen für Lehrer und Schülerinnen in Sachsen kann ich den lehrwilligen Menschen aus Afghanistan dabei nur Glück wünschen. Und mit dem Wissen über die langwierigen Erneuerungszyklen, dem ewigen Hin und Her bei der Einrichtung von Schulen und ihrer Ausstattung mit Lehrmitteln, nicht so recht daran glauben, daß sie bei ihrer Hilfsbereitschaft an Neuanschaffungen und Strukturveränderungen dachten. Ja, in Not ist auch der schimmelnde Kanten Brot recht, nicht wahr? Nein, Herr Präsident, auf ihre Versprechen können wohl selbst die notleidenden Menschen in Afghanistan gut und gern verzichten.

clov

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… ich will so bleiben, wie ich bin …

Es gab eine Zeit, da wollte jeder ein Eisbär sein. Doch heutzutage ist eine Zukunft als Eisbär mehr als ungewiss. Na gut, vielleicht wenn man Knut heißt und im Berliner Zoo den lieben langen Tag faulenzt und sich von Sonntagsausflüglern begaffen lässt. Seine Artgenossen haben da schon etwas mehr zu befürchten – ihr Lebensraum schmilzt ihnen unterm Pelz weg. Und nun schreien diejenigen, die so tun, als ob sie das interessiert, nach der Politik. Der ignorante Rest, dem die Zukunft dieses Planeten egal ist, verlässt sich sowieso in allem auf die Regierungen. Die Staaten handeln endlich, immerhin sind sie ja auch verantwortlich für unser Tun und nicht etwa wir selber. Die G8-Mitgliedsländer ziehen ernsthaft in Erwägung, unsere Emissionen zu senken; Australien verbietet energieverschwendende Glühbirnen, China tritt auf die Wachstumsbremse – naja und Südamerika und Afrika verkaufen lieber ihre Emissionskontingente. Auch die Wirtschaft reagiert brilliant, denn dank wassersparender Spühltabs haben bald auch alle genügend Wasser. Und Maschinen waschen dank neuer Waschmittel ganz ohne Strom. Also Tab rein und Socken, Handtücher und selbst Windeln riechen blumig, wie Bergfrühling oder was auch immer, aber immer frisch. Die Farben sehen wieder aus wie beim erstenmal Tragen, knallbunt und dabei noch super soft. Und alles ohne Strom und Wasser.

Ganz besonders schlaue Leute sprudeln sich sogar das Leitungswasser mit CO2 auf und schon wird der Transport von unzähligen Mineralwasserkisten überflüssig. Und wieder ein Stück weniger Treibhausgas verschuldet. Wahnsinn. Konsum, die Grundfeste dieses Landes, scheint der Ausweg aus der Umweltmisere. Es gibt für alles das passende Produkt. Verzicht bringt rein gar nichts und macht in erster Linie schlechte Laune. Die Eisdecke am Nordpol schmilzt unterdessen weiter. Heute will bestimmt niemand mehr ein Eisbär sein, weder am kalten Polar noch im Zoo.

etap

Frag nicht, was Du für Dein Land tun kannst!

Er hat‘s geschafft! Er ist in der Presse! Halleluja! Die Gebete wurden erhört!

Montagsdemonstrationen. Immer wieder einen Besuch wert! Nicht nur um gegen Sozialabbau zu demonstrieren, sondern auch um populistische Propaganda zu hören. Schuldzuwei­sungen nach oben, Neidbe­kundungen und "Wir sind das Volk"-Tiraden sind halt nicht genug für eine soziale Be­wegung. Da fehlt die positive Vision, die sich nicht in den Ketten der Realpolitik verfängt, und eine fundierte Analyse der Gesellschaft!

Den Vogel schießt da der Pfarrer Führer ab. Er hätte gut daran getan, seine Ankün­digung sich zurückzuziehen, wahr­zu­machen, anstatt nationale Platt­heiten zu verkünden. Schon seltsam: die einstige Wende-Ikone Pfarrer Führer rechter Rand der Montagsdemo?

Sein Grundproblem ist die Verwechslung von Nächstenliebe und menschlichen Zusammen­halts mit natio­naler Einheit! Wenn er meint, daß oben und unten gemeinsame Sache machen sollen und dies mit dem Volksbegriff kombiniert, dann kann da nur eine "Volks­gemeinschaft" bei rauskommen. Der mit der Nazisprache (z.B. "Völkischer Beobachter") belastete Volks­begriff ist wohl für den wider­ständigen und emanzipativen Ge­brauch un­­wie­der­bringbar verloren, die ursprüng­liche Bedeutung als Sammel­bezeichnung für untere Schichten nicht wieder­herzu­stellen. Wie einfach es ist, von der einen auf die andere Bedeutung umzu­schwen­ken, zeigten die Montag­demos 1989, wo sich der emanzipative "Wir sind das Volk" mühelos in das nationale "Wir sind ein Volk" trans­formieren ließ. Wen wundert es da noch, daß der Pfarrer versucht mit der abgelatsch­ten Frage "Was kann ich für mein Land tun?" in die bürgerliche Presse zu kommen, die im Namen des Landes, des Standorts und der Nation den Sozialabbau forciert. Nicht nur die Religion auch der Nationalismus ist „Opium des Volks“!

kater francis murr

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Wie das Geld, so die Wahl

Freiheit ist relativ. Die relativ freieste Gesellschaft, die ich bisher erlebt habe, bestand zwischen Herbst 1989 und Frühjahr 1990 in der Noch-DDR. Heute läßt es sich schwer vorstellen, daß führende Staatsmänner sich vor tausenden Menschen rechtfertigen und erklären müssen. Man erinnere sich an Kohl, der die Sonntagsdemo von Hunderttau­senden einfach weggewischt hat, oder an Schröder, der keinen Zweifel daran ließ mit der Polizei die Ordnung wiederherzustellen, als eine Benzinpreiserhöhung Tausende auf die Straße trieb. 1989 war die Bereitschaft unter den Leuten, sich aktiv in ihre eigenen Angelegenheiten einzumischen so stark wie nie zuvor und hat auch danach nie wieder auch nur annähernd dieses Niveau erreicht. Die Anzahl der Zeitungsprojekte explodierte, wie die der unkonventionellen, erfrischend (selbst-)kritischen Musikprojekte. Nie war es einfacher, mit Leuten, von denen man es vorher nie erwartet hätte, ernsthaft über gesellschaftliche Alternativen zu diskutieren. Nie gab es mehr Engagement. Dies alles erstarb mit der letzten Volkskammerwahl, der ersten „freien“. Von da ab übernahmen die Politprofis wieder das Kommando und die meisten Leute zogen sich ins Private zurück.

Nun war es wieder mal an der Zeit, die eigene Stimme den Politiker/innen zu geben, anstatt sie selbst zu erheben. So wie das Geld das Mittel der Ausbeutung ist, so sind Wahlen das Mittel der Entmündigung.

v.sc.d

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2010 – Vollbeschäftigung durch Arbeitsagenturen?

Während unser Wirtschaftsminister Cle­ment Stoßgebete in den Wirt­schafts­himmel schickt und von Voll­be­­schäfti­gung im Jahre 2010 dank Hartz IV schwadroniert, bleiben die Arbeitslosen­zahlen davon unbeein­druckt.

Der Minister nannte für eine Fast-Vollbeschäftigung – ein Sockel von 3-5 Prozent Erwerbslosen wäre in Ordnung – innerhalb von 6 Jahren „nur“ eine entscheidende Voraussetzung: eine „eini­ger­maßen vernünftige Entwicklung der Weltwirtschaft“. Sprich: Die unsichtbare Hand des Marktes soll, durch wessen Vernunft geleitet?, eben das verwirklichen, wozu Politiker nicht in der Lage sind: die Arbeitslosenquote von 10,3 Prozent im November 2004 auf 5 Prozent im magischen Jahr „2010“ senken.

Bisher scheint Clements’ Wirt­schaftsgott ihn nicht erhört zu haben. Im Gegenteil, gab es im vergangenen Dezember doch mit 4,43 Millionen Arbeitslosen so viele wie seit 1997 nicht mehr.

Uneins sind sich indes der Wirtschaftsminister und der Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) über den Erfolg der reformierten Arbeitsvermittlung. Letzterer bemängelt die schleppende Vermittlung aufgrund zu hohen Ver­wal­tungs­auf­wands. Hat da der ZDH nicht verstanden, dass gerade in den Arbeitsagenturen im Rahmen von Hartz IV Arbeitsplätze für alle geschaffen werden könnten? Allein die Reformen seit 2002 haben in der ehem. Behörde zum einem Stellenwachstum um 25 Prozent geführt! Wenn wir ehrlich sind, machen aber auch die gut 100.000 BA-Mitarbeiter den Kohl nicht fett. Interessant wäre sicher auch, um wieviel Prozent das Bruttoinlandsprodukt – nach Auffassung Clements – durchschnittlich wachsen müsste, um 2.500.000 „Arbeitsplätze zu schaffen“ …

hannah

 

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Wer verloren ist, kämpfe!

„Das Sichere ist nicht sicher. So, wie es ist, bleibt es nicht.“ Brechts Lob der Dialektik sollte uns Mut machen, als es Anfang September auf dem Augustusplatz von der Bühne vorgetragen wurde. Aber der erklärte Wille allein reicht nicht hin.

Die vergleichweise Ohnmacht der Mon­tags­­demos hängt auch damit zusammen, dass vor 15 Jahren öffentliche Manifestationen eben nicht das genehmigte Mittel waren, mit dem der Staatsbürger seinen Unmut kundzutun hatte – das hingegen sind Demos heute. Aus der massenhaften Überschreitung der staatlich gesetzten Grenzen erwuchs 1989 ein Gros ihrer Sprengkraft. Wer heute als „Staatsbürger“ auf die Straße geht und gegen den Staat als Institution des Gemeinwohls Reformforderungen erhebt, entfaltet eine solche Sprengkraft nicht. Allein symbolischer Druck, der auf den medialen Diskurs – oder gar auf vernünftige Diskussion – abzielt, reißt keine Mauern ein! Der tatsächliche Schmusekurs, den die soziale Bewegung der letzten Monate „gegen“ die Auto­ri­täten der etablierten Ordnung fuhr, steht in keinem Verhältnis zu der Entschiedenheit, mit der eben jene vorgehen. Beispiellos scheint das hartnäckige Programm, mit dem sich der Staat in die letzten Winkel unserer Leben drängt, scheint der unverhohlene Nationalismus in Wort (3.-Oktober-Debatte) und Tat („Landesver­tei­di­gung auch am Hindukusch“), scheint die offensivere Repression im Innern (Überwachung/Kontrolle). Richtungsweisend aber auch die unkontrollierte Re-Aktion (Bochum) auf vermeintlich „notwendige“ Verschlechterungen. Nur Mut! „An wem liegt es, wenn die Unterdrüc­kung bleibt? An uns. / An wem liegt es, wenn sie zerbrochen wird? Ebenfalls an uns.“

A.E.

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Vorwärts zur Vergangenheit

Es ist schon dolle, was grad in Deutschland geht! Mit der Bildungs- und Innova­tions­offensive der Regierung wird durchgestartet in eine Zukunft, die glänzend projiziert wird, und mit der nationalen Erinnerungskultur etwas vom „Charme der guten alten Zeit“ abbekommen soll. Aber die Technik der Holografie scheint im High-Tech-Standort noch nicht so weit fortgeschritten zu sein, dass die Illusion nicht durchsichtig wäre. Vielleicht hat aber die Bevölkerung einfach ein zu gutes Gedächtnis – und alles Vertrauen in „die Politik“ verloren.

Jedenfalls weisen die Zeichen der Zeit in der Wirklichkeit nicht nur in die Zukunft, sondern auch in die Vergangenheit: Wenn heute erst 114.000 Ein-Euro-JobberInnen rabot­ten gehen, soll ihre Zahl nach Regierungswillen noch 2005 auf 600.000 Menschen anwachsen. Da diese Arbei­terIn­nen nach herrschender Rechts­spre­chung nicht als „Arbeitnehmer“ gelten, haben sie – abgesehen von Urlaub und Arbeitsschutz – keine der gesetzlich verankerten Garantien. Die Dauer eines Ein-Euro-Jobs ist auf maximal 12 Monate begrenzt und soll „den Einstieg in den ersten Arbeitsmarkt“ erleichtern – unter diesem Vorwand unterstützt auch der DGB Sachsen diese neuen „Arbeitsgelegenheiten“. Die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt dürften aber ganz anders aussehen: nämlich, dass die ArbeiterInnen unter Druck geraten.

So weitet sich letztlich ein Vertragsmodell aus, das mit dem altertümlich anmutenden Begriff der „Lohnsklaverei“ beschrieben werden kann. Oft wird dieser Ausdruck als rhetorische Phrase missverstanden, die auf eine längst vergangene Zeit anspielt, als die ArbeiterInnen mitleiderregend niedrige Löhne bekamen, der Arbeitstag endlos lang war und eine drakonische Arbeitsdisziplin herrschte. Der aktuelle Bezug aber wird im Kern deutlich: das ist eine Situation, in der die Arbei­terInnen keine legalen Rechte haben, kollektiv über die Kosten und Bedingungen ihrer Arbeit zu verhandeln. Die Ein-Euro-JobberInnen gesellen sich zu 1.000.000 „illegalen“ ArbeiterInnen, 78.000 Zivildienstleistenden und 30.000 schuftenden Häftlingen. Der Sektor der Lohnsklaverei wurde mit Hartz IV also nicht neu erfunden, aber in beträchtlichem Maße ausgeweitet.

A.E. / wc

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Im Namen der Fahnen …

Den Sinn für Abenteuerurlaub entdeckten Europäer Mitte des 18. Jahrhunderts. Erst vereinzelt, dann ausgestattet mit reinem Herz und königlichem Geld erforschten hörige Missionarszäpfchen Das Herz der Finsternis. Da die Exoten neben Baströckchen auch ein unerschöpfliches Rohstofflager boten, folgte schnell eine Welle schneeweißer Siedler und brachte die Zivilisation auf den dunklen Kontinent. Gleichzeitig wurden Afrikas Bewohnern Transatlantik-Reisen ermöglicht. Die Überfahrten waren gefährlich, die Will­kommenskultur in den Zielländern aber überaus großzügig: Jedem winkte eine Jobgarantie. Innerhalb Afrikas folgten nun viele Jahrzehnte, in denen die Sehnsüchte nach Nestle-Muttermilchersatzprodukten und Entkrausungs-Conditionern unter den Hottentotten geweckt wurden. Dass die Gier nach Konsumgütern nicht ausartete, verdanken wir allein den Waffenlieferungen an vertrauenswürdige Partner.

Europa, seit 1992 endlich ein Ganzes und so richtig solidarisch mit der ganzen Welt, beschreitet nun neue Wege, um die lang gehegte Völkerfreundschaft aufrechtzuerhalten. In bester Absicht diktiert sind die Regeln globalen Handelns in der „Roh­stoff­initiative zur Sicherung der Versorgung Europas mit den für Wachstum und Beschäftigung notwendigen Gütern“. Denn sie bringt den erleichterten Zugang für europäische Unternehmen zu Rohstoffen und die Garantie, dass Elektroschrott, ausgelaugte Böden und durch chemische Verseuchung zerstörte Ökosysteme nicht sich selbst überlassen, sondern durch selbige abgetragen und wieder aufbereitet werden. Im Gegenzug müssen die anvisierten Länder aber ihre Ausfuhrsteuern und Zölle aufheben, erhalten sie doch dafür Entwicklungshilfegelder. Die erneuerte transkontinentale Freundschaft befördert den rechtlichen Schutz und die Gleichstellung europäischer Investoren mit einheimischen Unternehmen. Ach ja, wo wäre Afrika heute nur, wenn Europa nicht immer wieder Fortschritt, Frieden und Demokratie brächte? Der großmütige Neokolo­ni­a­lis­mus hat die königliche Flagge abgelegt und operiert nun unterm Banner der hehren Europäischen Union. So schön gestaltet sich die Neue Welt. Welcher Wilde würde da noch ernsthaft emigrieren wollen?

monadela

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Gut, daß es die Verwaltung gibt

Dank den Fortschritten im Bereich der Disziplinarmaßnahmen und den diversen Praktiken der sozialen Kontrolle ist es der deutschen Verwaltung endlich gelungen, einen neuen Arbeitnehmer-Typus auf dem weltweiten Markt zu etablieren: den homo buerocraticus. Dieser hochentwickelte Leistungsträger der deutschen Wirtschaft zeichnet sich durch die Ambivalenz aus, trotz seines engstirnigen Formalismus flexibel einsetzbar zu sein. Ob als Ordnungstifter, Paragraphenreiter oder Nahkampfpsychologe, der Bedarf wächst mit dem Wunsch, durch möglichst einfache Regelungen alles im Griff weniger Hände zu behalten.

In diesem Zusammenhang ist auch die breitangelegte Initiative der Verwaltungspitze zu sehen: Die Agenda 2010 war nicht nur eine Manöverübung der loyalen Beamtenschaft, um ihre Kennt­nisse in Seelsorge, Rechtskommentar oder Objektschutz zu aktualisieren, sondern sollte insbesondere das Heer der Arbeitslosen an den Umgang mit Formularen und Rechtssätzen heranführen. In einem genialen Dreischritt wollte die Führungsspitze sowohl Arbeitsplätze vermitteln, die Sicherheit befestigen, als auch wirtschaftlich langfristige Interessen wahren. Leider mußte man im Zuge der Reform feststellen, daß es mit dem patriotischen Eifer und dem individuellen Verzichtsethos hierzulande doch nicht soweit her ist. Erschreckender Weise schlägt dieser sittliche Verfall bereits auf die Beamtenschaft zurück. Anfang Juni kam es in diesem Zusammenhang in Leipzig zu einem skandalösen Vorgang: Als Aktivisten eines örtlichen Wagenplatzes Gewächshäuser zur Selbstversorgung auf einem angrenzenden Grundstück errichteten, schritten die Behörden nur halbherzig ein. Betroffene berichteten, wie sich Beamte in schwerer Uniform nur träge in der Sonne rekelten, während Verantwortliche des Ordnungs- und Liegenschaftsamtes verzweifelt nach der Grund­stücksgrenze suchten und sich partout nicht über die Begründung klar werden konnten, warum nun gerade (trotz Zusagen) eine solche „gärtnerische Pflege“ des Grundstücks neben der Ordnung wäre. Wenigstens wurde eine Räumung bis zum 10. Juni verfügt.

Umso erschütternder war, daß sich trotz der Folgeleistung der Wagenplatzbewohner­Innen, die die Pflanzen kurzentschlossen auf die nahegelegenen Betonflächen verfrachteten, kein Beamter zum Räumungstermin sehen ließ. Lediglich am darauffolgenden Montag will ein Anwohner eine Beamtin beim Photographieren auf dem Grundstück gesichtet haben. Sollte die Inkompentenz der Leipziger Beamten weiter Schule machen, ist in Zukunft mit einer drastischen Verschärfung auf den lokalen Arbeitsmärkten zu rechnen. Eine Entlassungswelle innerhalb der deutschen Beamtenschaft könnte das allgemeine Lohnniveau, das Wirtschaftswachstum ebenso wie die Innere Sicherheit und den Ruf des Exportweltmeisters Deutschland erheblich gefährden. Angesichts dieser Entwicklungen empfehlen anerkannte Experten schon jetzt eine umfangreiche Selbstversorgung. Dem ist nur zuzustimmen.

clov

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