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Nightmare on Raumschifffolter

Am 16. Oktober wurde in dem Wohn- und Kulturzentrum Gießerstraße 16 im Rahmen eines Kleinkunstabends das Theaterstück „Nightmare on Raumschifffolter“ uraufgeführt.

Langsam gewöhnen sich die Augen an die Dunkelheit. Mensch befindet sich mit ein paar Dutzend anderen Leuten innerhalb einer Industrieruine. Schrott liegt scheinbar nutzlos herum. Roboterartig legen sich Wesen aus alten Reifengummi und Müll bestehende Rüstungen an. Dazu dröhnt live Musik von Schlagzeug und Bass, flirrende Lichter. Robocops aus dunklen Zukunftscomics lassen grüßen. Es wird ein grausam düsteres Bild gezeichnet. Womöglich das Bild unserer Zukunft?

Da ist eine kaum mehr als menschliche Kreatur zu bezeichnende „Gebärmaschine“, die genetisch exakt für eine bestimmte Arbeit ausgerichtete, zum Gehen aber unfähige, Wesen erzeugt. Hinrichtungen gehören schon zum Normalzustand. Zwischendurch erscheint ein gut gekleidetes Pärchen. Candellight-Dinner bei völliger Ausblendung der überall vorhandenen Gewalt. Aber auch hier ist Gewalt zu spüren: durch das Gefangensein in den Rollenbildern. Der Ausbruch aus beiden Welten wird versucht und endet ebenso blutig. Die Rebellis beider Welten vereinigen sich zwar, ein „happy end“ mit Zukunftschancen gibt es dennoch nicht.

Das Stück macht seinem Namen „Nightmare on Raumschifffolter“ alle Ehre. Es besticht durch dröhnende Beats und die brutalen Gewaltszenen, welche so gar nichts mit den alltäglich im Fernseher zu sehenden Gewaltplots gemein haben. Ekelgefühle gegen die extrem abstoßend wirkende Darstellis bahnen sich ihren Weg in den Bauch. Jeder in Mann/Frau sortierende Gedanke ist im Keim erstickt. Leider bleibt etwas Verwirrung zurück, da einige Rollen von mehreren Personen gespielt wurden und die ausgewechselten Personen wiederum in anderen Rollen auftreten. Die Übergänge zwischen den verschiedenen Bühnen gelangen sehr flüssig. Die Spielzeit von ca. einer Stunde verging wie im Flug, so dass das Stehen kaum auffiel. Alles in allem also eine sehr zu empfehlende „Antiperformance“. Weitere Aufführungen sind geplant. Haltet also Augen und Ohren offen oder schaut in die Gießer-Veranstaltungsflyer.

feuerstein

Kultur

HIT ME WITH MUSIC

Homophobie (1) und Reggae als Exportschlager

Die emanzipatorischen, zum Teil anarchistisch libertären Züge, die die Rasta-Bewegung dank ihrer Mischung – heute heißt es Hybridität – auszeichnet, insofern es ihr um die Umsetzung ihrer antihierarchischen Ziele im Hier & Jetzt geht, werden durch den Sexismus konterkariert.“

(J.P. Kastner: Der Mythos von Reggae als schwarzer Kultur der Befreiung, testcard Nr. 12: Linke Mythen)

Die ständigen verbalen Diskriminierungen Homosexueller durch viele Reggae-MusikerInnen sowie Bemühungen um Zensur bzw. Auftrittsverbote dieser durch Lesben- und Schwulenverbände sind die Frontpositionen eines komplizierten Konfliktes entlang kultureller Linien, dessen Analyse dem Geschehen entsprechend nur vorläufig und unvollständig sein kann. Jamaikanische Verhältnisse und ihre Sprache werden nur am Rande beleuchtet (S.13). Es geht v. a. um „Entspannungsmusik“ – bzw. das Konsumieren dieser hier.

Ich mag Reggae nicht

Damit das gleich klar ist: in jedem Leipziger Club, in dem hin und wieder Reggae-Partys stattfinden, lief schon homophobe Musik, von der Gießer bis zur Tille, auch im Eiskeller und auf der Wiese. Diverse Soundbwoys und -gyals (gemeint sind die lokalen Reggae-Crews) antworten auf diesbezügliche Nachfragen, dass sie dieser Debatte überdrüssig geworden seien (2), können aber wenigstens noch zugeben, dass Homophobie Blödsinn ist. Ein beachtlicher Teil bekennt allerdings, dass sie „Schwule nicht gerade mögen“. Persönliche Unsympathie­bekundungen aufgrund sexueller Vorlieben anderer sind zwar nicht gerade politisch korrekt, aber – für mich – gerade so noch akzeptierbar. Wenn dann jedoch diese Ressentiments öffentlich verbreitet werden – wenn etwa bei einer Tanzveran­staltung bewusst und wiederholt solche Lieder gespielt werden, in denen es gegen Schwule und Lesben geht (3) – so hat das nichts mehr mit persönlichen Vorlieben zu tun, sondern ist ganz klar eine politisch relevante und zu bekämpfende Tatsache. Aufgeregt wird sich darüber, zumindest „in der Dancehall“, jedoch so gut wie nie. Woran liegt das? In Italien z.B. werden homophobe Inhalte bei Konzerten und Partys oft mit Buh-Rufen quittiert, auch in den USA und Großbritannien gibt es mehr „teilnehmenden Widerstand“. Zum einen können oder wollen die meisten Leute einfach die Texte nicht verstehen, z.B. Wörter wie batty-boy und chichi-man, die abfällig für Schwule verwendet werden (4). Mangelnde Courage bzw. Politisierung, aber auch andere Prioritäten bei der Party oder gar Zustimmung können auch Gründe sein.

Oh Nein!

Auf der anderen Seite führt die inhaltliche Auseinandersetzung (5) für so manche emanzipations-motivierte Linke zu einer Ablehnung der Subkultur Reggae. Der massive Sexismus z.B. hängt jedoch nicht zuletzt eng mit der Kulturindustrie zusammen: Shabba Ranks musizierte jahrzehntelang „cultural“, bevor er mit laxer „slackness“ (im Kasten erläutert) 1992 den Grammy gewann. Lady Saw, eine auf sexistische Art feministische (Geht das?) „Königin des Dancehall“, muss sich hingegen heute noch rechtfertigen, warum sie z. B. auch mal einen sauberen Schrittgriff hinlegt; ohne wäre sie wiederum nur halb so erfolgreich. Der Kultur­wissenschaftler Stuart Hall spricht von einer „sexuellen Ökonomie“, die außerdem ethnische Verhältnis­mäßigkeiten untermauere. Potenzgehabe kommt in der Musik genuaso vor, wie harmonische Harmlosig­keiten und düstere Härtefälle – jeder Hit ein Hit und nichts weiter.

Zweiter Brennpunkt ist die Kritik an Babylon, die meist ziemlich kurz und bündig in widerständig-feurigen Zeilen geäußert wird. Das System Babylon steht in der Rasta-Philosophie sowohl für den biblisch-historischen Ort der menschlichen Selbstüber­schätzung (Turmbau zu Babel), als auch für Imperialismus, Kapitalismus und prekäre Lebensrealitäten insgesamt. „Verkürzte Verschwörungstheorien!“ heißt dann, aus völlig anderen Verhältnissen kommend, die Diagnose, wo MusikerInnen ohne analytischen Anspruch über ihre Geschichte, ihren Glauben und ihr unprivile­giertes Leben erzählen.

Und: Genauso wenig, wie mensch erwarten kann, dass diese sich in ihren Inhalten kulturindustriell an unsere KonsumentInnen­ansprüche anpassen, lässt sich die verbreitete „Illusion einer Eins-zu-Eins-Aneignung von jamaikanischer Musik und Kultur“ (6) aufrecht erhalten. Für die kulturelle Kommu­nikation sollte aber zumindest eine Erinnerung überall immer wieder wach gerufen werden: Vor 60 Jahren sind hier u. a. Homosexuelle (und im Mittelalter „Hexen“) tatsächlich verbrannt worden.

Ich liebe es

Was positiv rüberkommt: bei fugenartigem, spielerischen Kontrastreichtum kann mensch seine Hörgewohn­heiten entspannen, irie (glücklich) werden, sogar in Trance oder revolutionäre (6) Stimmung kommen – auch wenn das politisch nicht verständlich ist, kann es gut sein. Die DJs, die zumindest versuchen, homophobe Musik heraus zuselektierenden, sind dabei natürlich vorzuziehen, doch leider auch rar. MusikerInnen ohne jamaikanische Nationalität und Homophobie gibt es dagegen recht viele, nur werden die selten gespielt, wegen der Authentizität. Und ohne hier so zu tun, als ob im ach so aufgeklärten Deutschland der bessere, weil politisch korrekte Reggae produziert würde, erheben sich sehr wohl kritische Stimmen: „Wer Chi-Chi-Man spielt, bekennt sich zur Schwulen­feind­lichkeit oder verabschiedet sich von jedem politischen Anspruch.“ So Oliver Schrader von Silly Walks Movement in einer Diskusion des Riddim-Magazin. Im Internet­auftritt der Berliner Band Culcha Candela heißt es: „Es gibt Interessan­teres und Wichtigeres im Leben, als die Menschen permanent mit seiner Penisgröße, seinem Hoden­­gewicht und einer schein­­bar ange­bo­renen Homo­phobie zu unter­halten“. Viele junge Dance­hall-Musiker­Innen haben explizite politische Ambitionen (z.B. Mono und Ni­ki­­ta­­man). Der süd­deut­sche Rag­ga­bund wendet sich eben­falls konkret an die eigene Szene: „Batty Man Tunes sind Hass-Propaganda!“

Realise it!

Eine andere Frage betrifft z.T. durch­gesetzte Zensurforderungen bzw. Auf­tritts­verbote z.B. durch den deutschen Lesben- und Schwulenverband oder die britischen Outrage. Was hat das mit Emanzipation zu tun? Wiederum muss mensch nicht nur der Geschichte wegen Vorsicht üben, kultu­relle Güter verbannen zu wollen. Ist Bob Marleys „I shot the Sheriff“ schon Anstiftung zu „unspezifischem Mord“? Mehr als positions­verhär­tende Verbote würde doch die gute alte direkte Aktion helfen. Ob „überaffirma­tive Partyinfiltration“ (7), lautstarke Un­muts­­bekun­dungen, spielerische Bloß­stellungen – das Publikum muss nicht nur in Jamaika die Partyhoheit haben, denn die ohnehin sehr dynamische Musik wird ja für die Leute gemacht und „live“ verhandelt. (Übel nur, wenn mir, wie einst in der Distillery, auf meinen mit Hilfe der Zeichensprache geäußerten Unmut von dem Leipziger Iggla über das Mikro ge­an­t­wortet wird, dass auch alle Lesben (8) brennen sol­len.) „Culture jamming“ nennen manche die subversive Verän­derung kulturell festgelegter Codes; manchmal wird z.B. die homophobe Aus­sage mit anderen Geräuschen überspielt oder sogar eine neue kreiert. Auch Partys mit Reggae-Soundsystems und Queer-DJ´s sind denkbar. Ich möchte jeden­falls irgendwann nicht mehr alleine frei auf der Tanzfläche sein. Wenn nicht alle tanzen können, ist es auch nicht meine Emanzipation!

clara

Buchtipps:
Volker Barsch: Rastafari: Von Babylon nach Afrika, 2003.
Stuart Hall: Rassismus&kulturelle Iden­tität, Hamburg 1994.
(1) Homophobie bezeichnet eine soziale, gegen Ho­­­mo­sexuelle gerichtete Aversion bzw. Feindseligkeit.
(2) Z.B. durch die gescheiterten Diskusionen im Cee Ieh 2001.
(3) Sog.“Batty-Boy-Runden“. Auch Aufforderungen zur Abstimmung per Hand gegen Schwule, wie sie auf jamaikanischen Dances oft praktiziert werden, habe ich hier schon erlebt (und unherzlich gelacht, weil diese zwanghaften Unter­hal­tungs­­versuche sowieso fast niemand mehr versteht).
(4) Batty boy meint im jamaikanischen Englisch (dem Patois) wörtlich einen sich beugenden Typen. Chi chi heißt ebenfalls „Termite“ und wird auch gegen „böse“Menschen verwendet.
(5) z.B. Daniel Kulla: Die Hure muss brennen, Cee Ieh 10/06 oder Radio Island Nr.8.
(6) Siehe z.B. Titus Engelschall: Babylon by bus, Neuroticker 8/06.
(7+8) Olaf Karnik: Homophobie hier – Der dritte Weg, Riddim 06/04.
(9) Auch ohne betroffen zu sein was dagegen haben zukönnen, das kennt er hierbei wohl nicht.

Kasten: Notizen zu Leben und Musik auf Jamaika

„Sodomie“ (gemeint sind vom heterosexuellen Geschlechtsakt abweichende Praktiken) ist seit 1864 gesetzlich verboten.

Sklaverei, Kolonialherrschaft und christliche Missionierung sind auch die frühen, die heutige (korrupte und weiterhin ausbeuterische) Politik und Manipulation aktuelle Ursachen für die hohe Armut und Kriminalität: 1000 Morde pro Jahr bei 2,6 Mio. EinwohnerInnen, davon seit ´97 600 durch Polizisten und 30 an Homosexuellen; 20% leben unter der Armuts­grenze; 2,5 Mio. TouristInnen jährlich.

Den Entwürdigungen von oben wird kulturell das positive Bild des einfachen und starken schwarzen Mannes gegenübergestellt, das sich bis zum bad man, dem Helden des Ghettos, steigern kann.

Aids breitet sich zunehmend aus, nicht zuletzt, weil die Bevölkerung glaubt, es sei eine „Schwulenkrankheit“.

Die zu zwei Dritteln christliche Gesellschaft Jamaikas legt die Bibel (als mitunter einziges Buch im Haushalt) in bester missionarischer Tradition sehr konservativ aus, Homosexualität (oft auch Masturbation und Oralverkehr) wird dabei, wie u. a. auch in vielen christlichen Gesellschaften Afrikas, als Sünde angesehen. Auch der Anfang des 20. Jh. entstandene Rastafari-Glauben, dessen Sprachrohr seit den 70ern Reggae-Musik ist, propagiert Homophobie.

Verkürzt gesagt war Reggae zu Beginn mit spirituellen und politischen Botschaften erfüllt („roots“), in den 80ern wurde ein grober, vulgärer Stil („slackness“) populär und seit den 90ern gibt es wieder mehr Inhalte, z.T. bewußt, z.T. dogmatisch.

Traditionell treten bei einem Dance oft mindestens zwei Soundsystems auf (das sind jeweils mind. ein selecta (der die Platten auflegt, hier heißt er DJ) und ein deejay (der sprechend und singend das Publikum animiert, hier MC)) die sich dann gegenseitig beleidigen, was wie im Hip Hop eine unterhaltende und eine Wettbewerbsfunktion erfüllt. Der deejay sucht meist einen Konsens, um das Publikum auf seine Seite zu ziehen, und dieser besteht nun mal leider u.a. in einer abstrakten Homophobie (laut einer Studie 96% der Bevölkerung). Das unterlegene Soundsystem in so einem theatralisch inszenierten „clash“ ist dann gestorben, d.h. es muss seine nicht mitreißenden Platten und Sprüche einpacken. „Töten“ und „Sterben“ sind also gängige sprachliche Metaphern, wie das „Verbrennen“ von „Bösem“. Der homophobe Musiker Shabba Ranks drückte es einmal so aus: „It´s a lyrical gun for the people to have fun!“ (in etwa: Es sind lyrische Waffen, für die Leute zum Lachen.) Vulgäre Ausdrücke werden als Gefahr aus der „Unterschicht“ im übrigen z.T. gesetzlich bestraft, was PolitikerInnen jedoch nicht von der Instrumentalisierung homophober Songs abhält. Eins noch: Auch wenn es im Text z.B. um Liebe oder Freiheit geht, lässt es sich nicht 1:1 übersetzen!

unter Kultur

Keine Angst vor Politik

– Methoden kritischer Kunst am Beispiel –

Einer von 365 „Orten des Tages“ im „Land der Ideen“ (siehe Kommentar) wurde am 17. Juni auch in Leipzig gefunden: Die von einigen Aktiven liebevoll „Spinne“ genannte Baumwollspinnerei hat sich in den letzten Jahren zu einem richtigen Mikrokosmos entwickelt. Da zu dieser „Auszeichnung“ aber ehemalige Oberbürgermeister und andere von einem kulturellen Elite-Standort in Leipzig sprachen und Mützen für den „Fanclub Deutschland“ verteilt wurden, konnte der Eindruck aufkommen, es handele sich hierbei um ein Projekt auf dem kulturellen Niveau einer Fabrikeinweihung oder eines Sportevents. Schade, denn nicht nur die zahlreichen Galerien – zuletzt eröffnete „Pierogi“ aus Brooklyn, New York – machen auch so von sich reden: Die gemeinnützige „Stiftung Federkiel“ bespielt seit 2002 eine mehrere Fußballfelder fassende Ebene in der Halle 14 mit thematisch orientierten Jahresausstellungen. Die mittlerweile fünfte dieser Art ist noch bis Ende September (Fr, Sa, 11-18/So 14-18 Uhr) offen und widmet sich der „Kultur der Angst“ (siehe FA!#22). Kurator Frank Motz hat über zwanzig internationale KünstlerInnen eingeladen, ihre Positionen zu entwickeln und zu präsentieren. Wie im Einführungstext überzeugend dargestellt, ist Angst als eine „Schlüsseltechnologie der Macht“ und „marktbestimmendes Verkaufswerkzeug“ allgegenwärtig, weswegen ein besonderer Wert auf Projekte mit po­litischen Ambitionen gelegt wurde. Zwei nord­amerikanische Künstlergruppen – das Critical Art Ensemble und The Yes Men – stechen dabei durch einen besonderen Aktivismus hervor; nach einem stichprobenartigen „Rundgang“ soll dieser näher gebracht werden.

Kriegerische Kultur

m modernen Army-Look mit weißen Ripphemden und Camouflage-Hosen kämpfen auf den zwei „Panorama-Gemälden“, die als Startrampe in die Ausstellung fungieren, junge Menschen verschiedener Hautfarbe; es sind auch kleine Kinder darunter. Ob gegeneinander kann man nicht direkt sagen, die Waffen haben keine realistische Ausrichtung, alles ist sehr sauber. Die Moskauer Künstlergruppe AES+F hat durch eine Montage der Fotografien von jugendlichen Agenturmodellen mit digital erstellten Tieren, Pflanzen und Architekturen aus aller Welt, die dann auf Leinwand ausgedruckt worden ist, eine starke Inszenierung entwickelt: The Last Riot II (Die letzte Aufruhr), 2006. Schöne neue Kriege?

Neben dem Themenstrang um Kinderarbeit- und –pornografie ist es u.a. auch Samuel Huntingtons These vom Kampf der Kulturen, bzw. einer Islamisierung der westlichen Welt, womit sich die Gruppe beschäftigt. Sie stilisieren dabei gesellschaftliche Konflikte und Tabus provozierend zu etwas Schönem, etwa als Unterwäsche-Performances mit russischen Kindermodels in Ba­rock­­­sälen („Erlkönig“) und goldenen Skul­­pturen der Kinder (siehe Abb.) oder z.B. eine den Koran und Kopftuch tra­gen­de Freiheits­­­statue („Das Islam-Projekt“).

Mandy Gehrt aus Leip­zig zeigt auch Kopf­­­­­­­tü­cher: an sich, an freiwilligen Rollen­­spie­ler­­in­­nen, an der Wand. Den Spagat zwi­schen den verschiedenen prä­sen­tierten Posi­ti­o­nie­run­gen zur Kopf­­­tuch­-Debatte bekommt mensch wahr­schein­­­lich am besten in einem der angebotenen „Islam-Loves-Peace“ – Klei­­­dungs­­­stücke hin, die eine solidarischen und alltäglichen Umgang mit dem Islam fördern sollen. Islamo­phobie, binationale Ehen, Frauen im Islam – die Künstlerin thematisiert in kleinen Filmen, nach intensiven Recherchen im Betrof­fenenkreis, Konflikte im Alltag und mit den Behörden aus der Sicht islamischer MigrantInnen – nur, dass sie die selbst spielt bzw. von anderen Deutschen spielen lässt. Diese anregend ungewöhnliche Art des Perspektivwechsels spiegelt konsequent die Art des Abbaus von Vorurteilen im Weiter­tra­gen konkreter Erfahrung. Die Plattform in der Raum­mit­te soll weitere Kom­­mu­nikati­on ermöglichen, wie es vor­her auch schon öf­ter ein tem­­porär eröffneter Laden ge­tan hatte.

Weniger nach­­haltig ist in mei­nen Augen die Arbeit der Schwe­­­din Ma­ri­an­ne Fri­­berg, deren zwei Videos „No time to fall“ die bei­den An­tritts­reden George Bushs zu seiner jeweiligen Regie­rungs­periode zeigen. Alle Wortbeiträge sind heraus geschnitten, so dass nur Applaus, Räuspern und die dümmliche Mimik eines von sich überzeugten Präsidenten übrig bleibt. Das ist genauso simpel, wie amüsant.

Kollektive Erinnerung und andere Spaziergänge

Das deutsche Passagierflugzeug „Landshut“ war 1977 von RAF-solidarischen TerroristInnen entführt worden. Bei Dubai stand es zwei Tage in der Wüstenhitze, bevor die Anti-Terror-Einheit GSG9 es in Mogadischu befreien konnte. Zwei Filmaufnahmen werden für Philipp Lachenmann zur Basis einer Video­­­­in­stal­la­tion mit dem Namen „Spa­ce_Sur­rogate“. Durch digitale Ver­vielfäl­ti­gung erscheint ein­mal die „Lands­­­hut“ als flimmernde Fatah­mor­gana, der zweite „Bild­­film“ zeigt die Grup­pe der GSG9 in An­kara – ein Haufen junger Männer in Schlag­­­­­­­hosen, die in lang­samen, gemor­phten Schrit­­ten eine Straße entlang gehen. Lachenmann hinterfragt die Reprä­sen­ta­­ti­ons­­leis­tung me­­di­aler Bilder und Prozesse des kol­lektiven Gedächtnisses. Die individuelle Zeit­­­er­­fah­r­ung oder das Ersetzen von Bil­dern in der Er­in­nerung kön­nen dem­nach die Wahr­­neh­­­mung der Ge­schich­­­te stark prägen.

Das dritte Aus­stel­­lungs­objekt La­chen­manns dreht sich um eine andere Ge­­schichts­­­ent­wick­lung: „Gated com­­­mu­­nities“ (um­zäun­­ten Wohn­gebie­ten) in den reichen Vierteln von Los Angeles. Das „Bel Air Bouquet“ entfaltet sich in einem Schilderwald aus Logos von privaten Sicherheits- und Überwachungsfir­men, die er allesamt „beim Joggen“ heimlich aus dem sicheren Boden holte.

Auch der Schweizer Christoph Draeger hat einen gefährlichen Raub für die Kunst begangen: in einem ungarischen Katastrophen-Test-Areal entwendete er einen Mitschnitt einer Übungsaktion aus den Zeiten des Kalten Krieges, wo ein Atomkrieg bzw. seine Konsequenzen geprobt worden waren.

Zum Selber-Machen wollen die Instruktions-Kunsträume von Nedko Solakov und Noboru Tsubaki anregen. Wer sich traut, kann das Gesicht eines Propheten an die Wand malen oder einen Teil der neuen Mauer gestalten, die der sozial radikal agierende Tsubaki zwischen Israel und Palästina ausmacht und in einem Internet-Projekt problematisiert. Im September kommt er für einen Workshop nach Leipzig.

Die Ohrfeigenperformances Yarbossin Meldibekov´s zeigen wiederum eine ganz andere Art des Einsatzes. Er ließ sich in Kasachstan auf der Straße immer wieder ohrfeigen, um auf den traditionellen Despotismus und die mangelnde Zivilcourage hinzuweisen.

Bio-Art?

Die mindestens fünf schon seit 1987 zusammenarbeitenden KünstlerInnen des Critical Art Ensemble (CAE) bezeichnen sich selbst eher als „taktische Medienpraktiker“, die hybrid und künstlerisch zwischen Technologie, Theater und Theorie changieren. Dabei kämpfen sie als „Wir-versuchen-alles-Amateure“ prinzipiell produktiv gegen übermächtige und fehlerhafte Systeme und praktizieren eine lokal und publi­kums­angepasste Medienwahl. Dokumentarfilme zu verschiedenen Projekten sollen ihren Beitrag zum „Faktor Angst“ in die Ausstellung tragen. Aus einem Positionspapier:

Die Verwendung der symbolischen Abstraktion von Angst als austauschbarem Zeichen war schon immer ein hilfreiches Mittel, um die perversesten Bedürfnisse der Autorität zu rechtfertigen und zu verfestigen. Diese folgen der Ausweitung einer militarisierten Ordnung und der Abschaffung individueller Eigenständigkeit.“

Der Film „Marching Plague“ thematisiert Biowaffen-Forschung und deren „Ökonomie der Sinnlosigkeit“. Nach der Nutzung chemischer Waffen im Ersten Weltkrieg sei schnell sowohl ein hohes Interesse vorhanden, als auch die geringe „Effektivität“ von Bakterien u.ä. in diesem Zusammenhang klar gewesen. Bumerangeffekte, die problematische Haltbarkeit der Stoffe und „stärkere“ Alternativen sind schon 1932 als Gegenargumente in der innermilitärischen Diskussion aufgetaucht. Die gezeigte Aktion fand 2005 nahe einer schottischen Insel statt: Die Künstler­Innen setzten über zwanzig Meerschweinchen und eine Betreuerin auf einem Floß aus und besprühten dieses aus einiger Entfernung mit einer Flüssigkeit, in der der pestähnliche, aber harmlose Bacillus subtilis in hoher Konzentration enthalten war. Damit wurde detailgetreu die 1952 von der britischen Marine durchgeführte „Operation Caul­dron“ nachgestellt, bei der Pest-Viren als Schiff-zu-Schiff-Waffen getestet worden waren. Bei beiden Tests konnten jedoch keine bzw. nur vernachlässigbare Ergebnisse erzielt werden (ein Meerschweinchen hatte ein paar Bakterien auf dem Fell).

Vor dem Hintergrund aktuellerer Fälle, wie der nachweislich durch übertriebene Darstellung geschürten Anthrax-Panik-Welle, kann diese Arbeit als Metapher für die Absurdität der „bio-warfare“-Forschung gelesen werden. Die ideologisch und physisch mit PolitikerInnenimage und Konsumanregung operierende Inte­res­sen­­lage wächst beständig und die Budgets für militärisch-medizinische For­schungs­institutionen werden kräftig aufgestockt, um sowohl biologische Waffen, als auch Gegenmittel zu finden. Obwohl weder Massenangriffe mit Biowaffen noch massenhafter Schutz vor ihnen wahrscheinlich sind, wird getan, so der Vorwurf an die US-amerikanische Regierung, als handele es sich dabei um das Gesund­heitsrisiko Nr.1.

Dass die Angst vor Bioterror den Staat schwer beschäftigt, erlebt Steve Kurtz, einer der Hauptprotagonisten des CAE, vor Gericht, seit im Mai 2004 seine Frau an einer Herzattacke gestorben war. Die Polizei hatte, als sie in die Wohnung gekommen waren, wegen verdächtiger Reagenzgläser des Ehepaares die „Joint Terrorism Task Force“ des FBI verständigt. Die beschlagnahmten zunächst die gesamte Wohnung und nahmen unter anderem ein Manuskript für das Buch zum „Marching Plague“ – Projekt mit, im Film „Body of Evidence“ sieht man u.a. FBI-Mitarbeiter in Intensivschutz-Anzügen, wie sie die Wohnung betreten.

Laut Vorladungen verfolgte das FBI Straftaten nach Abschnitt 175 des US Bio­logical Weapons Anti-Terrorism Act von 1989, der durch den „USA Patriot Act“ nach dem 11. September erweitert wurde. Durch die Erweiterung verbietet dieses Gesetz den Besitz von „jeglichen biologischen Stoffen, Giften oder Herstellungsmitteln“, der nicht gerechtfertigt ist durch eine „prophylaktische, schützende, gutgläubige Forschung oder einen anderen friedlichen Zweck.“ Man ging also von einer künstlerischen Bedrohung aus. Da die gefundenen Bakterien und Utensilien aber einem üblichen High-School-Biologieunterricht-Equipment entsprachen, musste der Vorwurf des Bioterrorismus dann auf eine Postbetrugsbagatelle runtergeschraubt werden. Trotzdem steht bis heute die Drohung einer Höchststrafe von 20 Jahren Haft dafür im Rechtsraum, obwohl es sich um eine gängige Austauschpraxis zwischen Wissenschaftlern gehandelt hatte. Der angestrebte Präzedenzfall wird sich wohl noch eine Weile hinziehen – die Solidarität durch zahlreiche WissenschaftlerInnen und Bürger­rechtlerInnen ist erfreulicherweise groß, auch KünstlerInnen unterstützen das CAE in diesem Prozess.

Die Gruppe „The Yes Men“ beispielsweise verkauft online einen Film über sich, dessen Erlös an den Gerichtskostenfond geht. Auch inhaltlich finden sich gemeinsame Punkte, wenn das CAE etwa erklärt, dass unsere wandelreiche Zeit für subversive politische und soziale Veränderungen produktiv sein und das aktive Konstruieren und Manipulieren der Darstellung durch­aus Einfluss auf den Diskurs haben kann.

Für die zwei Hauptprotagonisten der „Ja-Sager“ mit wechselnden Namen ist es inzwischen schon relativ schwierig geworden, ihrem Ziel nach subversiv zu agieren, oft müssen sie sich Leute suchen, die ihre Auftritte durchführen. Denn die Yes-Men mischen sich wirklich ein: Auf den verschiedensten Konferenzen haben sie sich schon als eingeladene Vertreter einer bestimmten Firma mit abstrusen, überspitzten Ideen und Produkten präsentiert, immer unsicher, ob ihre „Identitätskorrekturen“ aufgingen. Der größte Coup gelang ihnen 2004, als sie sich zum 20. Jahrestag der Chemiekatastrophe im westindischen Bhopal, in deren Auswirkung ca. 20 000 Menschen sterben mussten, im Internet als Dow-Chemicals (den verantwortlichen Konzern) ausgaben und die lang ersehnte finanzielle Entschädigung der Hinterbliebenen ankündigten. Die Yes-Men wurden als Dow-Repräsentanten angesehen und „Jude Finisterra“ durfte selbst die Nachricht an das Nachrichtenpublikum der BBC. Kurz darauf musste der Konzern sich öffentlich dazu bekennen, keinerlei Zahlungen zu übernehmen und die Nachricht dementieren. 2005 traten die Yes-Men wieder „für“ Dow auf einer Konferenz in Erscheinung, wo sie den „Dow Risk Calculator“ vorstellten, eine Software für Unternehmen zur Ermittlung eines Produk­tions­ortes mit großer Risikobereitschaft in der Bevölkerung.

Vor kurzen hat wieder einer angebissen: auf der unechten Homepage wurden die beiden als Vertreter des großen Energiekonzernes Halliburton ausgemacht und eingeladen. Auf einer Konferenz für Versicherungsmanager zum Thema Katastrophenschutz in Florida Anfang Mai 2006 präsentierten also ein gewisser Fred Wolf und sein wissenschaftlicher Kollege Dr. Goody nach langer Forschungsarbeit den „Halliburton SurvivaBall“. Nachdem alle möglichen klimatischen und soziale Katastrophen besprochen waren, wurde die „gated community für einen“ vorgeführt: ein riesiger Stoffball zum Reinklettern mit vielen Funktionen: genügend Stauraum für Nahrung, medizinische Versorgung und Arbeitsgeräte, eine abschreckende Verteidigungsinfrastruktur, die Andock-Möglichkeit für andere Bälle, um ein „managerial agregate“ in funktionaler Differenzierung zu bilden, etc. So könne man sogar die Firmenmission fortführen, selbst wenn eine Epidemie oder Klimakatastrophe menschliches Leben unmöglich gemacht haben oder Migration und Krieg selbiges gefährden. Schließlich hätte selbst die schreckliche Pest trotz allem zur wunderbaren Renaissance geführt und auch das noch ältere Projekt der Arche Noah sei ja durchaus erfolgreich verlaufen. Die Errungenschaften der heutigen Wissenschaft ermöglichten also die absolute Sicherheit für diejenigen, die sich früh genug darauf vorbereitet haben. Die Fragen aus dem Publikum zur finanziellen Machbarkeit, der sperrigen Umsetzung und ob der SurvivaBall auch ausreichend vor Terrorismus schütze, würden, so die Vertreter, in der weiteren Planung Beachtung finden.

Derlei Eingriffe werden nicht nur viel eher für bare Münze genommen, sie rütteln auch auf eine besondere Weise an den Strukturen der Macht, zum Nachahmen empfohlen! Die Stiftung Federkiel hatte sich jedenfalls in weiser Voraussicht an der Entwicklung des Produktes beteiligt und wird in naher Zukunft ihre Exemplare der SurvivaBalls erhalten und in der laufenden Ausstellung präsentieren. Es lebe die Freiheit der Sicherheit!

(clara)