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„Wir wissen, wo Sie wohnen!“

Die WM als industrieller Feldversuch zur Einführung von „Schnüffel-Chips“ (RFID)

Mit dem Verkauf der 3,2 Millionen Tickets hat die FIFA einen riesigen Umsatz gemacht. Doch damit nicht genug, denn der DFB, der den Kartenverkauf für die FIFA in der BRD organisiert, hat sich ein besonderes Prozedere ausgedacht: die Tic­kets wurden personalisiert. Erstens, damit nur die WM-Orga­ni­sa­tor­Innen und keine weiteren Unter­händ­lerInnen Geschäfte mit den Tickets machen und zweitens, damit sogenannte „erleb­nisorientierte“ Fans nicht ins Stadion gelangen.

Wer zu Gast bei Freunden sein möchte, musste sein Ticket über ein Online-Formular beantragen. Dabei musste ein komplettes Persönlichkeitsprofil angeben werden. Das waren Name und Vorname, Adresse, Geburtsdatum, Nummer des Personalausweises oder Reisepasses, Ausstellungsland des Ausweises oder Passes, Nationalität, Telefonnummer (freiwillig), Email, die Spiele, für die die Karte(n) bestellt wurden, und die Preiskategorie, der Name des favorisierten Vereins, Bank- oder Kreditkartendaten, Angaben von Zusatzbestellungen für andere Personen.(1) Das taten ungefähr 30 bis 40 Millionen Personen seit März 2005. Aus dieser Datenbank wählte das WM-Organisa­tions­komitee die KäuferInnen aus. Dabei wurden die Daten mit DFB-eigenen Datenbanken und Polizeidatenbanken abgeglichen, um im Vorfeld Gewalttäter und gewaltbereite Hooligans aus den Stadien auszuschließen. Wer die Realität kennt, weiß, dass viele so zu unrecht ausgeschlossen wurden. Die Daten derjenigen, die nicht ausdrücklich dagegen widersprochen haben, können zu kommerziellen Zwecken an die wirtschaftlichen Partner der FIFA weitergegeben werden. Widersprochen haben sicher die Wenigsten. Der FIFA fällt somit eine nahezu vollständige Datei der fußballbegeisterten Bevölkerung der Bundesrepublik in die Hände. Ein vollständiger Datensatz einer Person hat auf dem Datenmarkt einen Wert von bis zu 1,50 EURO. Also ein Geschäft, das sich lohnt. Sicher wird es nicht bei einem einmaligen Verkauf bleiben, da sich das Marktforschungsgewerbe da­durch die Datenbanken runderneuern kann. Mil­lionen dürfen sich also über unerwünschte Post, Emails, Anrufe aus Call-Centern und Hausbesuche freuen.

Doch damit nicht genug. Diejenigen 3,2 Millionen Unglücklichen, die das Glück hatten, in den Genuss eines personalisierten Tickets zu kommen, werden zu Kaninchen des größten Feldversuches zur Einführung der sogenannten RFID-Chips (Radio Fre­quen­cy Identifi­cation), mit dem Philips endlich die neue Technologie markt- und gesellschaftsfähig machen möchte. Die Pro­bandIn­nen klärt man natürlich, wie hier in einem Philips-Werbeartikel der BAHN mobil, nur über die vermeintlichen Vorteile des Versuches auf: „Endlos lang Schlange stehen vorm Stadion – das war einmal: Bei der FIFA WM 2006 wird der Zugang zu den Spielstätten dank elektronischer Ticketkontrolle schnell gehen – ein Debüt bei einer internationalen Sportveranstaltung dieses Ranges. Jedes einzelne der 3,2 Millionen Tickets ist mit einem winzigen Chip zum kontaktlosen Austausch von Daten versehen. Die Nutzung ist denkbar einfach. Der Besucher hält seine Karte ans Lesegerät – das prüft blitzschnell, ob das Ticket zum Eintritt berechtigt. Der Vorteil: Niemand muss für Kontrollen stehen bleiben, die Fans kommen zügig ins Stadion.“ (2)

Der Vorteil wird dank seiner Einfachheit und Schnelligkeit zum Nachteil. RFID sind in den Tickets versteckte selbstfunkende Radiochips, die das berührungslose Auslesen von Daten durch Radiowellen möglich machen. Die Antenne eines Lesegerätes sendet einen Funk-Impuls und der „Schnüffel-Chip“ sendet eine welt­weit einmalige Nummer zurück. Das Lese­gerät gleicht die Nummer mit dem Eintrag in der oben beschriebenen Datei ab und klärt die Berechtigung der Besu­cherIn­nen, den angefragten Bereich zu betreten. So kann über unscheinbare Antennen überall in den Stadien und drum herum berührungslos per Funk festgestellt werden, wer sich gerade wo aufhält. Komplette Bewegungsprofile werden technisch möglich sein – ohne dass die Karten­besitzerInnen es bemerken. Es ist nur eine Frage wo man die Sendegeräte aufstellt und wie weit sie funken. Die FIFA spricht von zehn bis fünfzehn Zentimetern, doch mit einfachem Funkamateur-Equipment sollen auch acht bis zehn Meter möglich sein.(3) Dann können die Stadiengäste nur hoffen, sich z.B. nicht in der Nähe von Krawallmachenden aufzuhalten. Es wäre nicht das erste Mal, dass das private Sicherheitspersonal bzw. die Polizei nach der Logik „mitgegangen, mitgehangen“ vorginge. Das Lesegerät weiß, dank Persona­li­sierung, wo der oder die Ticket­besitzerIn wohnt, und welche Telefonnummer anzurufen ist.

Willkommen in der Kontrollgesellschaft!

 

leipziger kamera.

initiative gegen überwachung

 

(1) www.aktive-fans.de

(2) Bahn Mobil, März 2006

(3) CILIP 83 – WM 2006: Die Welt überwacht von Freunden 1/2006, S. 26

Panoptismus im Zentralstadion

Bei der zeitgenössischen Fußballstadienarchitektur hätte der von der Aufklärung beseelte Erfinder des Pano­pticons (Anm. d. Red.: gebräuchlicher ist Panoptikum) Jeremy Bentham wohl vor Begeisterung gejubelt. Sein Panopticon sollte als ringförmiges Gebäude, in dem die Wärter alles und alle sehen, das Modell für Zucht-, Arbeits- und Schulhäuser abgeben. Im Panopticon hatte jedes Subjekt seine Einzelzelle. Die Fußballfans von heute sind in vier Sektoren A, B, C und D gepfercht. Seit kurzem verschwinden die Stehplätze zugunsten der Sitzschalen. Dahinter steckt durchaus erzieherisches Kalkül. Die tobenden Fanmassen werden durch die Sitze vereinzelt und an Bewegungen gehindert. Wer aufspringt und grölt, wird sich über kurz oder lang den Hals brechen. Auch die Stadien sind ringförmige Gebäude in denen unsichtbare Wärter im Raum der Polizeiaufsicht an zwei Bedienplätzen auf acht Farbmoni­toren, im Raum des Stadion­sprechers und beim Brandschutzbeauf­trag­ten alles sehen. Honeywell Security Deutschland installierte im Leipziger Zentralstadion in „allen Stadien- und Vorfeldbereichen ins­gesamt 68 hochauflösende Farbkameras“. „Die ausgewählten Zoomobjektive mit langer Brennweite erlauben eine lückenlose Überwachung aller Tribünenplätze mit großformatigen Darstellungen der Personen.“ (1)

Elke Weiße, ehemalige Geschäftsstellenleiterin des FC Sachsen Leipzig, beschrieb die Technik griffiger in der Provinzpostille hallo Leipzig! zur Eröffnung 2004: „Die Videoüberwachung klappt bereits vorzüglich. Wenn jemand gähnt, kann man problemlos die Goldkrone sehen“, so die Geschäftstellenleiterin belustigt. „Das Sicherheitsaufgebot wird so groß sein, dass der Polizei schon derjenige auffällt, der den Arm hebt“, spitzt es der Vize-Manager Uwe Thomas zu. (2)

Dank Lichtwellenleiter können sogar Aufnahmen mobiler Polizeikamerateams und der Polizeikameras aus der Innenstadt in die Videozentrale übertragen werden. Das digitale System erlaubt „zeitnahe Ausdrucke von aktuellen Aufnahmen auf einem Drucker zu erstellen“ und die Sicherung der Aufnahmen auf CD-Rom-Datenträgern. (3) Wenn es sich dabei nur um das Bild der Goldkrone handelt, ist der Stadion­besuch glimpflich verlaufen. Denn nach Sachsen-Justizminister Geert Mac­ken­­­roths (CDU) Aussage soll hinter dem Poli­zisten gleich noch ein Staatsanwalt, „der Haftbefehle beantragt oder Durchsu­chungen durchführt“, und ein Richter sitzen. Das Fernziel sei, „dass bei leichteren Vergehen der Täter nach dem Schlusspfiff seine Strafe bekommen habe“, äußerte der Minister gegenüber der Presse. (4)

Digitale Bildaufzeichnung ist auch offen für immer neue programmierte Fähigkeiten. Der ehemalige SPD-Innenminister Otto Schily hat biometrische Erkennungssoftware zur WM bereits im Mai 2005 auf einer Pressekonferenz angekündigt. (5) Die Dresdner Firma Cognitec hat im holländischen Stadion des PSV Eindhoven ein biometrisches Gesichtserkennungsverfahren getestet. Diese Systeme melden dann automatisch Alarm, wenn sie ein Gesicht erkennen, das in einer entsprechenden Datei gespeichert ist. Dabei kann es sich um bekannte Ge­walt­­täterInnen handeln, doch sehr häufig geraten Personen hinein, gegen die nur vage oder unhaltbare Ver­dachts­momente bestehen. Gerichtlich geregelt ist dieser Bereich selten. Hinzu kommt noch, dass sensibler Software Fehler unterlaufen. Was hier gebaut und geplant wird, sind gedankliche Fehlgeburten von politischen Popu­list­Innen und technischen, juristischen und politischen Techno­kratInnen, die oft nicht sonderlich mit dem korrespondieren, was tatsächlich technisch oder juristisch machbar, geschweige denn sinnvoll ist. Für die, die immer noch glauben, dass Videoüber­wachung eine – wie auch immer verstandene – Sicherheit erhöhe, sei darauf hingewiesen, dass diese Technik bei weitem nicht die Ziele erreicht, die ihre Befür­worterInnen behaupten. Britische Studien sprechen aus, was vielen schon klar ist: „Videoüberwachung hat keine Auswirkung auf Gewaltverbrechen.“ Denn diese werden entweder im Rausch oder Affekt begangen oder geplant, und dann an unüberwachter Stelle oder maskiert.

Jeremy Benthams panoptisches Prinzip baute darauf, dass sich die Eingesperrten normgerecht verhielten, weil sie nicht wissen, ob sie gerade der kontrollierende Blick trifft oder nicht. Gesellschaftliche Machtverhältnisse werden dabei durch die Architektur und die eigene Normanpassung reproduziert. Ihr Ziel haben die Architekten und Technokraten schon erreicht. Das zentrale Sicherheitsproblem der Stadien ist beseitigt, denn die Masse der einkommensschwachen Fußballfans kommt durch die hohen Preise und die Modalitäten der Ticketvergabe nicht mehr ins Stadion. Die Lust würde ihnen dort auch vergehen, da sie auf den Schalensitzen festsitzen und sich nicht bewegen kön­nen. Bier ist auch verboten. Die Ränge sind frei für die Funk­tio­närInnen, Spon­­soren und Part­ner­In­nen der FIFA.

(leipziger kamera.)

initiative gegen überwachung

 

(1) www.pro-4-pro.com/de/Security/Company-4248149/4248149_2_gsm0404.html

(2) hallo! Leipzig, März 2004, S. 17

(3) www.pro-4-pro.com/de/Security/Company-4248149/4248149_2_gsm0404.html

(4) www.netzeitung.de/servlets/page?section=704&item=333232

(5) www.heise.de/newsticker/meldung/print/59911