Über die „Friedensbewegung 2014“
Er sei weder links noch rechts, sondern einfach ein Mensch – so erklärte es ein Redner bei der Montagskundgebung, die am 28. April auf dem Leipziger Augustusplatz stattfand. Diese Formel scheint sich innerhalb der „neuen Friedensbewegung“ mittlerweile flächendeckend durchgesetzt zu haben. So mittig zu sein, dass man im Prinzip überhaupt keine besondere Position mehr vertritt, ist freilich ein hoch gesteckter Anspruch. Solange man sich nur auf die Forderung nach Frieden beschränkt, mag es noch angehen – darauf könnten sich vermutlich auch Merkel, Putin und Obama einigen. Sobald mensch von diesem Minimum abgeht, wird es schwierig: Letztlich klappt es einfach nicht, sich rein „als Mensch“ überhaupt keine Gedanken zu machen. Auch der Redner auf dem Leipziger Augustusplatz konnte nicht ganz verbergen, was für Ideen er so hat und wo er diese herhat – spätestens als er gegen „Politikerdarsteller“ und die angeblich stattfindende „Umverteilung von Fleißig nach Reich“ zu wettern begann.
Die Formulierungen stammen aus dem von Andreas Popp und Rico Albrecht verfassten Manifest „Plan B – Revolution des Systems für eine tatsächliche Neuordnung“ (1), welches sich offenbar großer Beliebtheit in der neuen „Bewegung“ erfreut. Dabei machen Popp und Albrecht kein großes Geheimnis daraus, in welcher Traditionslinie sie sich bewegen: Sie beziehen sich in ihrem „Plan B“ unverhohlen positiv auf den nationalsozialistischen Ökonomen Gottfried Feder und dessen „Manifest zur Brechung der Zinsknechtschaft“ von 1919. So klagen die beiden Autoren, dieser „große Wirtschaftstheoretiker“ würde leider „noch immer mit dem Nationalsozialismus in Verbindung gebracht, obwohl er ab 1933 keine Rolle mehr spielte und seine Zinskritik von da an von Kapitalisten, Kommunisten und Nationalsozialisten gleichzeitig bekämpft wurde.“
Popp und Albrecht scheinen ihr Publikum für ziemlich dumm zu halten. Eine fünfminütige Internetrecherche reicht, um herauszufinden, dass Gottfried Feder selbst ein überzeugter Nazi und Antisemit war, wovon etwa seine 1927 verfasste Schrift über „Das Programm der NSDAP und seine weltanschaulichen Grundlagen“ (2) beredtes Zeugnis ablegt. Und wer wissen will, mit welch brachialen Mitteln Feder von den Nazis „bekämpft“ wurde, muss nur mal bei Wikipedia nachlesen: „Nach der ‚Machtergreifung’ Hitlers 1933 wandte sich die Wirtschaftspolitik der NSDAP von der antikapitalistischen, jedoch nicht von der antisemitischen Haltung Feders ab. Er wurde entgegen seinen Hoffnungen im Juni 1933 nur zum Staatssekretär im Reichsministerium für Wirtschaft ernannt.“ (3)
Auch Lars Mährholz, der als Organisator der Proteste in Berlin und überregional eine wichtige Rolle spielt, vertritt eine ähnliche „Zinskritik“, die freilich noch ein wenig platter daherkommt als bei Popp und Albrecht. Mährholz betont gerne, dass er erst in den letzten Monaten begonnen habe, sich mit Politik auseinanderzusetzen. Immerhin hat er sich schon ein gut strukturiertes Weltbild zugelegt, das auf einer einzigen Grundannahme beruht: Die US-amerikanische Notenbank Fed ist die Wurzel allen Übels. So meinte Mährholz in einem Interview im Leipzig Fernsehen: „Die Privatbank Federal Reserve ist sozusagen das Krebsgeschwür des Planeten.“ Man ahnt schon, wo der Mann sich in den letzten Monaten informiert hat… Fast dieselbe Metapher findet sich jedenfalls auch bei Popp und Albrecht, die schreiben: „Das System selbst verhält sich wie eine Wucherung und wuchert unersättlich. Aber auch innerhalb des Systems wird gewuchert, und zwar in Form von Zinswucher.“ Ein Schelm, wer da an Antisemitismus denkt, an das Klischee vom „wuchernden Geldjuden“ oder gar an eine mögliche „Zersetzung“ oder „Entartung“ des gesunden Volkskörpers!
Mährholz hat ja auch vernünftige Gründe für seine Abneigung gegen die Fed – die ist nämlich verantwortlich für alle Kriege in der Welt: „Das ist sozusagen der Hauptgrund, wieso Amerika Kriege führt: hauptsächlich, um ihre eigene Währung zu stabilisieren. Und das nicht mal freiwillig, sondern auf Druck der Federal Reserve.“ (4)
Fragt sich nur, wie da die anderen Akteure der Ukraine-Krise (Deutschland, die EU, Russland) reinpassen. Dass die auch durchaus eigene, vom Willen der USA oder der Fed unabhängige strategische Interessen haben, scheint für Mährholz glatt undenkbar. Ähnlich undenkbar scheint für ihn zu sein, dass am redlichen Profit der industriellen Großkonzerne irgendwas auszusetzen sein könnte. Er empört sich nur über den „ungerechten“ Profit, den er im Zins verkörpert sieht, etwa wenn er rhetorisch fragt: „Woran kann das liegen, woran kann diese ganze Ungerechtigkeit liegen? Dieses Zinssystem sorgt doch für eine absolut ungerechte Verteilung des Geldes.“
In diesem Kontext darf der notorische Jürgen Elsässer natürlich nicht fehlen – dieser trat, neben Mährholz, Popp und Albrecht, bei der Kundgebung in Berlin am 21. April als Redner auf. Wer ihn noch nicht kennt: Elsässer ist Herausgeber des verschwörungstheoretischen Compact-Magazins, wohnt seit einiger Zeit in Leipzig und ist hier schon öfter unangenehm aufgefallen – so im November 2013 mit einer Konferenz, bei der unter dem Motto „Für die Zukunft der Familie!“ gegen Homosexuelle agitiert wurde (5).
Bei seiner Rede in Berlin erklärte auch er erstmal alle politischen Unterscheidungen zwischen links und rechts für überholt: „Warum? Weil sich die heutige Gesellschaft nicht mehr hauptsächlich in Arbeiter und Kapitalisten spaltet“. Elsässer wünscht Volksgemeinschaft statt Klassenkampf, er möchte „die 99 Prozent der Ehrlichen und Arbeitenden“ gegen „das eine Prozent der internationalen Finanzoligarchie“ in Stellung bringen. Im Anschluss geht es wieder gegen die amerikanische Notenbank, nur entlarvt Elsässer alles noch ein Stückchen gründlicher: Hinter der verschwörerischen Macht der Fed steht nämlich noch eine weitere Verschwörung! Während die Fed die US-Regierung lenkt, wird sie selbst wiederum von anderen Leuten gelenkt, als da wären „Rockefeller, Rothschild, Soros, Chodorkowski, das englische Königshaus, das saudische Königshaus. Warum dürfen wir nicht sagen, dass sich diese Superreichen der Federal Reserve bedienen? Warum sollte das antisemitisch sein? Diese Oligarchen haben keine Religion, […] sie huldigen nur einem einzigen Götzen, nämlich dem kalten Mammon. Reden wir über dieses eine Prozent Finanzoligarchie, reden wir über die Verbrechen dieser Heuschrecken – und lassen wir uns den Mund nicht verbieten!“ (6)
Wenn er kritisiert wird, glaubt Elsässer sofort, man wolle ihm den Mund verbieten. Stellen wir also bloß mal fest, was ziemlich offensichtlich ist: Dieses Gerede klingt wieder verdächtig nach Gottfried Feder bzw. nach der bekannten Unterscheidung von „raffendem“ und „schaffendem“ Kapital. Während Elsässer den internationalen „Heuschrecken“ alle erdenkbaren Greueltaten zutraut, hat er für die ehrlichen einheimischen Ausbeuter nur wärmste Worte übrig. So erklärt er im aktuellen Compact-Editorial (7), warum er seit neuestem für den Frieden ist: „300.000 Arbeitsplätze hängen am Russland-Geschäft: Für VW ist das Riesenreich die derzeit wichtigste Wachstumsregion, Siemens baut den neuen Hochgeschwindigkeitszug Sapsan, für unseren Maschinenbau ist es der viertwichtigste Exportmarkt. […] Amis und Briten ist diese zahlungskräftige Nachfrage im Osten wurscht, weil sie außer Genmais, Drogen und Waffen ohnedies nichts zu exportieren haben. Aber uns als Industrieland kann es nicht gleichgültig sein, wenn ein weiterer guter Kunde zerschossen wird.“ Jetzt wissen wir immerhin, wie der Mann sein krudes Hochglanzmagazin finanziert: Er wird wahrscheinlich von VW bezahlt.
Und was ist mit den Protestierenden auf den öffentlichen Plätzen? Die militärischen Drohgebärden der EU, Russlands und der USA sind sicherlich nicht gerade beruhigend – und die propagandistische Begleitung, die von den deutschen Medien dazu geliefert wird, ist manchmal geradezu widerlich. Dass Leute deswegen besorgt sind, ist allemal verständlich. Aber die derzeitigen Proteste liefern meist keine adäquate Antwort darauf. Vielerorts werden sie von Verschwörungstheoretiker_innen oder Politsekten wie der Bürgerrechtsbewegung Solidarität (siehe FA! #21) dominiert. Neben „braven Bürger_innen“, die ihr Ideal demokratischer Herrschaft enttäuscht sehen und entsprechend empört reagieren, beteiligen sich auch eindeutige Neonazis und versuchen den Protest in ihrem Sinne zu beeinflussen.
Aber auch wenn die Mittel, mit denen die Protestierenden versuchen, sich das Weltgeschehen zu erklären, oft mehr als mangelhaft sind, sollte mensch sie nicht mit Typen wie Elsässer allein lassen. Statt sich nur auf das eigene Besserwissen zurückzuziehen, sollte man auch die Fehler der Bewegung ernst nehmen und sich ebenso offensiv wie kritisch damit auseinandersetzen. Immerhin drückt sich dort, in wie verzerrter und verdrehter Form auch immer, ein reales Unbehagen an den Verhältnissen aus. Daran knüpfen die Verschwörungstheorien an. Sie wirken nicht nur beruhigend, indem sie vermeintlich eindeutige Ursachen für alles Übel liefern. Sie helfen auch, die gefühlte Machtlosigkeit erträglich zu machen, sich als Teil eines großen (nationalen) Kollektivs zu fühlen, während der „Feind“ immer außerhalb steht… Ist es nicht beruhigend zu wissen, dass auch die Chefs von VW oder Daimler auf derselben Seite stehen wie man selbst?
Solche Ideologie ist hartnäckig. Solange es nicht einer linken Bewegung gelingt, die Klassengesellschaft ernsthaft in Frage zu stellen, solange es also keine wirksame gesellschaftskritische Praxis gibt, wird es schwierig sein, den Leuten ihre theoretischen Fehler auszureden. Bei einem geschlossenen verschwörungstheoretischen Weltbild dürften solche Therapieversuche ohnehin nicht anschlagen – darin besteht ja die schlichte (und ein wenig stumpfsinnige) Eleganz solcher Erklärungsmuster, dass sich hinter praktisch allen Geschehnissen in der Welt dieselbe große Verschwörung vermuten lässt. Die Frage ist, ob die „Friedensbewegung 2014“ auf ihrem jetzigen Niveau verbleibt oder doch einige Lernprozesse stattfinden. Sich mit Berufung auf das eigene „Menschsein“ vor allen inhaltlichen Auseinandersetzungen zu drücken, reicht in jedem Fall nicht aus.
justus
(1) www.wissensmanufaktur.net/plan-b
(2) Zu finden unter https://archive.org/details/Feder-Gottfried-Das-Programm-der-NSDAP
(3) http://de.wikipedia.org/wiki/Gottfried_Feder
(4) siehe www.youtube.com/watch?v=sUpmgI1ps8g
(5) Bei dieser durften u.a. der Eugenik-Experte Thilo Sarrazin, Frauke Petry von der Alternative für Deutschland sowie die russische Duma-Abgeordnete Elena Misulina gegen eine angeblich drohende „sexuelle Umerziehung“ wettern und sich um das Erbgut der europäischen Völker Sorgen machen – siehe auch FA! #50.
(6) Vgl. juergenelsaesser.wordpress.com/2014/04/22/elsasser-auf-der-montagsdemo-nicht-links-gegen-rechts-sondern-unten-gegen-oben/#more-6424
(7) juergenelsaesser.wordpress.com/2014/03/24/krieg-gegen-putin-wer-stoppt-die-nato/
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