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Widerstand an der Uni Leipzig

Der Bildung in Deutschland geht es schlecht. Die Bildungspolitik ignoriert die Notwendigkeit von freier und selbstbestimmter Bildung für die geistige Entwicklung einer Gesellschaft. Und nicht nur an den Schulen, sondern eben auch an den Universitäten fehlen die Mittel und der Wille, um qualitativ hochwertige Wissensvermittlung zu organisieren. Die soziale Selektion des Bildungssystems wird nicht bekämpft, sondern durch die geplanten und teilweise schon umgesetzten Studiengebühren weiter verschärft. Die Kürzung der öffentlichen Mittel und Ausrichtung auf wirtschaftliche Verwertbarkeit gestaltete die Bologna-Reform (1), die einen europäischen Bildungsraum schaffen soll. Diese sollte den wissenschaftlichen Austausch erleichtern, aber durch eine mangelhafte und überstürzte Umsetzung sorgte sie für eine Verschulung des Studiums, brachte hohe Kosten mit sich und gestaltete das Studiensystem insgesamt nach ökonomischen Kriterien um. Dagegen regte sich in ganz Europa Widerstand, an zahlreichen Universitäten gab es Aktionen und Besetzungen, so auch in Leipzig.

Rektoratsbesetzung

Der fulminante Auftakt der Proteste im Wintersemester 09/10 war am 23. November die Besetzung des Rektorats, der durch die zeitgleich in Leipzig stattfindende Hochschulrektorenkonferenz (HRK) (2) maximale mediale Aufmerksamkeit zuteil wurde. Geplant war, durch die Blockierung des Rektorats Druck auszuüben, um die Erfüllung von neun Forderungen (siehe Kasten) durchzusetzen, die im Vorhinein ausgearbeitet worden waren. Die Forderungen bezogen sich in erster Linie auf die Verhältnisse an der Uni Leipzig und ihr konkret umsetzbarer Inhalt lag hauptsächlich in der Kompetenz des Rektorats.

Während der vorherigen Besetzung, die eher nach dem Motto „der Weg ist das Ziel“ verlief, wurde sich Zeit genommen, um über die eigene Situation und die Ursachen der Probleme (3) zu reflektieren. Dadurch wurde der Protest allerdings von außen meist als ziellos wahrgenommen. Demgegenüber wurde nun versucht, sich mit konkreten Forderungen an die Verantwortlichen zu wenden, um zu verhindern, dass die Verantwortung einfach auf andere Ebenen abgeschoben werden kann.

Um eine Eskalation, bzw. die sofortige Räumung zu verhindern, verzichteten die BesetzerInnen darauf, sich direkt im Büro des Rektors niederzulassen und bezogen Stellung im Vorraum, was zur Folge hatte, dass sie trotz der unmittelbaren Nähe doch recht wenig störten. Die Arbeit der Rektoren und ihrer Sekretärinnen  ging hinter geschlossenen Türen weiter, die Studierenden wurden schlicht ignoriert.

Weitestgehend ignoriert wurde auch die Demonstration „Keine Stimme ohne uns – Für eine demokratische Bildungspolitik“, die am Dienstag, dem 24. November, vor dem Rektorat startete und mit ca. 5000 Studierenden durch die Innenstadt zog, die auch mit Bussen aus Mannheim, Frankfurt, Dresden und anderen Städten gekommen waren. Nicht zu ignorieren waren allerdings die ca. 10 Protestierenden, die sich Zugang zu der zeitgleich stattfindenden abschließenden Pressekonferenz der HRK verschafften. Dort vertraten sie lautstark die Forderungen der Demonstrierenden nach mehr Mitbestimmung und gegen den Anspruch der RektorInnen, die Hochschulen alleine vertreten zu können.

Am Donnerstag, dem vierten Tag der Besetzung, änderte sich die Situation, als der Zugang zu den Räumen des Rektorats komplett blockiert wurde. Am Mittag wurde dann die Stellungnahme des Rektorats zu den Forderungen bekannt. Während einige Forderungen mehr oder weniger ignoriert wurden, wurde auf andere positiv eingegangen und geplant, konkrete Maßnahmen zu ergreifen. Die Besetzung hatte also ihr Ziel zumindest teilweise erreicht. Am Freitag wurde das Rektorat dann verlassen. Nach dem Wochenende traf sich „der Protest“ jedoch nicht wie ursprünglich geplant in einem besetzten Hörsaal, sondern in den vom Rektorat überlassenen Räumen: dem ehemaligen Sitz des studentischen Radio Mephisto. Die Räume waren einerseits legal und dadurch nicht so kraftraubend, andererseits eröffneten sie auch keine Perspektive, denn die Nutzung war auf zwei Wochen beschränkt. Durch diese Maßnahme der Befriedung wurde es viel ruhiger, – um nicht zu sagen still – um den Protest, zumindest in der Wahrnehmung von außen. Die Arbeitskreise arbeiteten weiter, autonomer und dadurch auch dynamischer, allerdings auch personell ausgedünnt, da der Status der Duldung und die Arbeit im Hintergrund wohl nicht mehr so faszinierend waren wie eine spannende Besetzung. Unter anderem wurde an der Vorbereitung der studentischen Vollversammlung (VV) gearbeitet, die dann am 14. Januar bei eisiger Kälte im Innenhof des Innenstadt-Campus stattfand. Außer der Verabschiedung neuer Forderungen (4) und dem Beschluss, zu Beginn des nächsten Semester eine weitere VV abzuhalten, brachte die VV keinen neuen Schwung. Die ca. 600 BesucherInnen waren leider nicht für weiteres konkretes Vorgehen mobilisierbar. Auch kam es nicht zu einer neuerlichen Besetzung, da wiederum befristete Alternativräume gewährt wurden. Diesmal in der Jahnallee, deren Entfernung vom Campus auch ein Grund für die mangelnde BesucherInnenzahl darstellen könnte. Dort wurde also im kleinen Kreis weitergearbeitet und unter anderem ein Vernetzungstreffen der Protestgruppen aus Jena, Halle, Merseburg und Dresden abgehalten. Im nächsten Semester soll es dann weitergehen, geplant ist ein selbstverwaltetes „Studierenden-Café“ auf dem Campus Augustusplatz. Dieses soll als eine politische Alternative zu den Cafeterien dienen und die Möglichkeit zu kritischer Reflexion beim gemütlichen Kaffee geben.

Eine Bilanz

Der Protest ist also noch nicht ganz abgeebbt, durch eine kleine Anzahl Unermüdlicher artikuliert sich die Unzufriedenheit vieler. Unter anderem gehört dazu auch die Bildungsstreik-Gruppe (5), eine bundesweite Initative, die sich auch um die Vernetzung mit SchülerInnen und „dem Rest“ der Gesellschaft bemüht. Das sich angesichts der massiven Probleme, europaweit und an der Uni Leipzig, nur eine handvoll Menschen auch wirklich engagiert, ist allerdings nicht nur ein Problem der Trägheit der Masse. Schon die Besetzung von 5 Räumen des neuen Seminargebäudes im Sommersemester 2009 sorgte durch endlose Diskussionen in überfrachteten Plena für viel Frust. Durch die Entscheidungsfindung im zentralisierten Plenum entstanden langwierige Diskussionen, die sich durch eigentlich ordnende Elemente wie Anträge noch künstlich verlängerten. Dies führte dazu, dass trotz des Willens zum Konsens, faktisch oft durch Abstimmungen entschieden wurde. Dieses Problem spitzte sich bei der Rektoratsbesetzung durch den Druck der direkten „illegalen“ Aktion extrem zu. Dadurch wurde der Besuch der Plena eher zu einem ermüdenden als energetisierenden Erlebnis, was natürlich extrem abschreckend wirkte. In der Mitte der Besetzung war dann die Frustrationsgrenze erreicht, was dazu führte, dass Entscheidungsbefugnisse in die jeweiligen Arbeitskreise, die zu speziellen Problemstellungen arbeiteten, abgegeben wurden. Damit konnte nicht nur das Plenum endlich flüssiger und dynamischer ablaufen, sondern auch die Arbeitskreise gewannen an Attraktivität, da sie nicht mehr nur dem Plenum zuarbeiteten, sondern selbst Entscheidungen treffen konnten.

In diesem Sinn gab es eine interne Weiterentwicklung die sich hoffentlich fortsetzen wird. Mit einem „Protest-Café“ würde endlich eine notwendige räumliche Basis geschaffen werden, die hoffentlich nicht zum Selbstzweck werden wird. Auch andere Projekte wie die erfolgreiche Veranstaltungsreihe „Kritik.Los!“ und verschiedene kleinere kritische Seminare, sind lokale Früchte der StudentInnenbewegung. Auch sind vielversprechende Ansätze von studentischer Organisierung entstanden, vor allem an kleinen Fakultäten, wie zum Beispiel bei den EthnologInnen.

Insgesamt passiert also durchaus einiges abseits vom „Kernprotest“. Ob die Bewegung insgesamt eine emanzipatorische Entwicklung annehmen kann, ist angesichts der meist reformistischen Forderungen sehr fraglich. Vielen protestierenden Studierenden geht es wohl mehr um den Erhalt des Status Quo, als um einen Widerstand gegen die kapitalistischen Zumutungen, die eben auch vor den Universitäten nicht halt machen.

(konne)

 

Der Blog der aktuell Protestierenden: unile.blogsport.de

(1) Darstellung der Reform und Kritik daran: wiki.bildungsserver.de/index.php/Bologna-Prozess

(2) Bundesweites regelmässiges Treffen aller HochschulrektorInnen. Sie versteht sich als Sprachrohr aller Hochschulen, befürwortet Studiengebühren, die elitäre Exzellenzinitiative und die Bologna-Reformen. Siehe bildungspolitik.bplaced.net/bildungsstreik-herbst-09/aktionen/hochschulrektorenkonferenz/

(3) Alles vom und über den damaligen Protest unter protesttage.blogspot.com

(4) zu finden unter www.stura.uni-leipzig.de

(5) bildungsstreik.tumblr.com

 

Die BesetzerInnen forderten:

1. Keine allgemeinen und/oder versteckten Studiengebühren.
2. Umfassender Bestandsschutz für die auslaufenden Studiengänge.
3. Garantie für die Studierbarkeit der neuen Studiengänge (Studierbarkeit des Wahlbereichs und Möglichkeit eines Nebenfaches mit Abschluss für alle Studierenden).
4. Bereitstellung selbst verwalteter studentischer Räume.
5. Reduzierung der Prüfungslast, Abschaffung von Multiple-Choice-Klausuren, Verbot von Anwesenheitskontrollen.
6. Erhalt und Ausbau der “kleinen Fächer” zur Wahrung der Fächervielfalt.
Umgehende Besetzung aller Lehrstühle.
7. Ein/e studentische/r Konsul/in als studentische Vertretung mit Antrags- und Rederecht im Rektorat und Hochschulrat, der/die bei allen Sitzungen anwesend sein muss.
8. Einstellung der HRK-Finanzierung von Seiten der Universität.

Wir fordern vom Rektorat eine sofortige, schriftliche Positionierung und eine umgehende Umsetzung der Forderungen! Bereits mehrmals hat sich das Rektorat undemokratisch verhalten, leere Zusagen gemacht und auch die Beschlüsse des Senats ignoriert. Sollte das Rektorat den Forderungen seiner Studierenden nicht nachkommen, verlangen wir dessen Rücktritt.

Das Rektorat antwortete:

Das Rektorat antwortete überwiegend positiv. Jedoch wurde durch Formulierungen wie „nach Möglichkeit“ und „bei Fehlentwicklungen Abhilfe schaffen“  versucht, Probleme zu Ausnahmefällen umzuinterpretieren und auf aktuell schon stattfindende Prozesse verwiesen, die Lösungen bringen sollen. Ganz allgemein „begrüßt [das Rektorat] studentisches Engagement, das zur Problemlösung beiträgt“, ist aber anscheinend nicht dazu bereit Fehlentscheidungen einzugestehen und bestehende Probleme konkret als solche zu benennen.

Die Forderungen und die komplette Antwort des Rektorats unter: unile.blogsport.de/allgemeines/

Globalisierungskritik goes to Hollywood

Seit sechs Jahren findet nun schon das alljährliche globalisierungskritische Filmfestival globaLE statt. Dieses geht auf das gleichnamige Filmfestival in Berlin zurück und übernahm anfänglich das Berliner Programm eins zu eins. Seit ein paar Jahren jedoch stellt das Leipziger Team ein eigenes Programm zum Thema Globalisierung zusammen.

Auch diesen Herbst werden wir wieder Filme und Dokumentationen in die Leipziger Kinos bringen. Denn nicht jeder Kinobesuch muss zwangsläufig eine seichte Berieselung mit Hollywood-Blockbustern oder experimentellen Kunstfilmen zur Folge haben. Zwar gibt es in Leipzig so einige Filmfestivals (z.B. Französische und Argentinische Filmtage, DOK), aber keines greift mit seiner Filmwahl so viele Facetten des Weltgeschehens auf wie die globaLE. Außerdem: Wer sah sich nicht schon mit der Frage konfrontiert, ob ein Besuch bei den genannten Festivals denn finanziell überhaupt machbar ist? So verlockend das Programm des kommerziellen Kinos auch sein mag, Eintritt kostet jeder Kinobesuch. Weil wir überzeugt sind, dass Teilhabe am politisch-kulturellen Leben das Recht jedes Menschen ist und nicht vom Einkommen abhängen soll, ist der Eintritt zu den globaLE-Veranstaltungen frei. Die Unterstellung, dass „was nichts kostet nichts wert ist“ gehört ja genau zu den neoliberalen Denkweisen, die im Widerspruch zur Realität stehen, wie Linux-User oder Studierende in Sachsen bei allen Vorbehalten sicherlich am besten wissen.

 

Die globaLE ist auch mehr als reines Politkino in konsumptiver Form. Im Anschluss an die Filmvorführungen bieten ReferentInnen die Möglichkeit, das Thema des Abends kritisch zu diskutieren. Sei dies nun der Zugang zu AIDS-Medikamenten, die Folgen von Massentourismus, der Kampf gegen Konzerne oder die politische Lage in der Kaffee-Region Chiapas (Mexiko): Die globaLE ist stets bemüht, dem Publikum die Verhältnisse in anderen Teilen der Welt nicht nur konsumptiv näher zu bringen. Mit externen ReferentInnen kann das Publikum diskutieren und sich so mit der Thematik des Films näher auseinandersetzen. Auch dies unterscheidet die globaLE von anderen Medien-Spektakeln. Denn eine allabendliche Portion von Desastern und Katastrophen kann sich jedeR bei der Tagesschau um 20:00 Uhr abholen und (damit sich jedeR gleich besser fühlt) im Anschluss etwas für die Opfer der Flutkatastrophe in Pakistan spenden. Da jedoch gesellschaftliche Veränderung nicht ausschließlich über das Unicef-Konto laufen muss oder alle vier Jahre denen vorbehalten ist, die die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, stellt die globaLE auch immer wieder Organisationen und Initiativen vor, die sich global oder vor Ort der neoliberalen Globalisierung entgegenstellen.

 

So ist Widerstand eines der immer wiederkehrenden Themen, welches von der globaLE in diesem Sommer, mit ihrem monatlichen Programm der globaLE Zwischendurch, aufgegriffen wurde. Am 15. September 2010 zeigte die globaLE den Film „Battle in Seattle“ von Stuart Townsend. Der Titel spricht für sich. Die meisten werden schon einmal von den Protesten gegen die in Seattle stattfindenden Konferenz der Welthandelsorganisation WTO vor nunmehr 11 Jahren gehört haben. Die Proteste werden heute als Startpunkt der globalisierungskritischen Bewegung bewertet. Aber wer weiß schon noch, dass sich in den Tagen vom 30 November 1999 bis zum 4. Dezember 50.000 Protestierende (1) in Seattle einfanden, um ihrem Unmut gegenüber der WTO und deren neoliberaler Politik Ausdruck zu verleihen? Im Gedächtnis geblieben sind die Ereignisse wohl vor allem durch das gewaltsame Vorgehen der Polizei gegen die größtenteils friedlichen Demonstranten (2). Selbst der Ausruf des Notstandes und eine Ausgangssperre konnten nicht verhindern, dass Delegierte am Betreten des Konferenzgebäudes gehindert wurden. Am Ende scheiterten die WTO-Gespräche, was nicht nur den Protesten geschuldet war, sondern auch der afrikanischen Delegation (3) und deren Verärgerung über die Green Room Meetings (4).

 

Der irische Schauspieler und Regisseur Stuart Townsend verfilmte 2007 die Ereignisse als fiktionalisiertes Hollywood-Spektakel. Der Film erzählt die Geschichte der WTO-Konferenz und der Proteste durch verschiedene Protagonisten: dem damaligen Bürgermeister von Seattle, dem Polizeichef Norm Stamper, diversen WTO-Delegierten und natürlich den Protestlern. Schon  in den Wochen und Monaten nach den Protesten gab es Kritik an der medialen Darstellung von „Seattle“. Bemängelt wurden vor allem die einseitige und verkürzte Berichterstattung über die Gewaltausschreitungen und den Vandalismus. Dass vereinzelt Scheiben zu Bruch gingen, ist unbestritten, war jedoch nur ein Teilaspekt. Und dabei Anarchisten und den Schwarzen Block in einen Topf zu werfen, entwirft ein verqueres Bild der Ereignisse. Ebenso geriet der Mythos von einer spontanen Rebellion in die Kritik, da dieser z.B. die Organisationsarbeit des Direct Action Network im Vorfeld der Proteste ignoriert (5).

 

Auch der Film „Battle in Seattle“ geriet für die Darstellung der Aktivisten in die Kritik. Denn wenn dort z.B. eine Aktivistin gezeigt wird, die die Versuchslabore ihres Vaters niederbrennt, erscheint ihr Protest gegen die WTO eher als Resultat eines Elektra-Komplexes und weniger als (eventuell berechtigte) Kritik an der undemokratischen Institution der WTO und ihrer neoliberalen Politik. So reproduziert der Regisseur, obwohl er die mediale Ausblendung der Hintergründe im Film zu thematisieren versucht, genau diese. Ebenso fehlt im Film jeglicher Verweis darauf, dass die Proteste nicht nur von Gruppen aus dem globalen Norden getragen wurden, sondern sich auch zahlreiche Gruppen aus dem globalen Süden durch das Netzwerk People’s Global Action daran beteiligten (5).

 

Zugegebenermaßen ist „Battle in Seattle“ keine Dokumentation der Ereignisse, sondern ist und bleibt ein Spielfilm. Wer sich also Unterhaltung mit einem Hauch von Globalisierungskritik wünscht, dem/der sei dieser Film wärmstens empfohlen. Doch neben seichter Unterhaltung bot die Veranstaltung auch Raum für Reflexion. Als Referentin war Friederike Habermann eingeladen, die als Teilnehmerin der Proteste etwas zu den Ereignissen erzählen konnte. Wie üblich bei der globaLE wurde im Anschluss an den Film über das Thema diskutiert. Denn der Film ließ viele Fragen offen, und eine kritische Auseinandersetzung mit der „Hollywoodisierung“ der globalisierungskritischen Bewegung ist wünschenswert und notwendig.

 

Wer die Veranstaltung verpasst oder Lust auf mehr hat, kann sich nun auf den Herbst freuen. Denn von Oktober bis Dezember findet die globaLE wieder im Wochenturnus statt. Geboten werden  Dokumentationen zu Themen wie Fabrikbesetzung, Gated Communities, Ölsand-Abbau in Kanada,  Uranmunition im Irak, Formen des Widerstands gegen den G8-Gipfel in Göteborg und Gentrifizierung in Hamburg. Wieder einmal sollen Themen kritisch beleuchtet werden, die es sonst nicht in die Schlagzeilen schaffen. Der Einsatz von Uranmunition im Ersten Golfkrieg und dessen Auswirkungen werden zum Beispiel auch der/m einen oder anderen Indymedia-LeserIn noch unbekannt sein. Und was der Abbau von Teersand in Kanada (dessen Prozess im Vergleich zu konventionell gefördertem Öl drei- bis fünfmal so viel Treibhausgase entstehen lässt) mit kapitalistischen Produktionsweisen zu tun hat, ist außerhalb von klimapolitischen Kreisen wohl wenig bekannt. Von Gated Communities haben dagegen vielleicht schon einige gehört. Jedoch ist diese Entwicklung nicht nur durch Sicherheitsrisiken bedingt. Vielmehr spiegelt sie die Realität einer Gesellschaft wieder, in der sich die mit dem nötigen Kleingeld in von Armut und Gewalt abgeschirmte Enklaven zurückziehen können. Auch der Film über die Werkschließung eines deutschen Konzerns in Mexiko und die folgende Mobilisierung der Belegschaft wirft Fragen auf, die es mit dem Publikum zu diskutieren gilt. Denn eine selbstverwaltete Fabrik in den Händen der Angestellten ist nicht frei von Problemen, auch sie muss sich der Logik des kapitalistischen Marktes beugen. Zum selben Thema gibt es auch einen Film aus Lateinamerika, wo in den Favelas von Venezuela Konzepte für die konkrete Umsetzung von der Idee der Selbstverwaltung entwickelt werden. Doch auch in Deutschland passiert so einiges: Zwei Filme, einer aus Berlin und einer aus Hamburg, fragen kritisch, wem die Stadt eigentlich gehört und wer entscheidungsberechtigt ist. Wer die globaLE aus den Jahren davor kennt, kann erahnen, dass das Team aus Ehrenamtlichen sich wieder bemüht hat, die Vielschichtigkeit der Globalisierung deutlich zu machen. Auch wenn der Fokus der globaLE10 auf dem Thema Stadt, Stadtentwicklung und Freiräume liegt, ist die diesjährige globaLE kein rein „urbanes“ Filmfestival. Denn neben Filmen wie Empire St. Pauli, Communa under construction oder RAW. Wir sind gekommen um zu bleiben wird mit umweltpolitischen und sozialen Themen die ganze Bandbreite der Globalisierung abgedeckt. Dabei wird deutlich, dass urbaner Raum, Ressourcen-Nutzung und soziale Auseinandersetzungen eng miteinander verknüpft sind.

 

Für alle, die im Detail wissen möchten, welche Filme die globaLE diesen Herbst in die Leipziger Kinos bringen wird, haben wir hier noch das Programm. Wer weiterhin auf dem Laufenden gehalten werden möchte, kann sich auch auf der Webseite www.globale-leipzig.de informieren oder in unseren Newsletter aufgenommen werden, dazu einfach eine Email an infos@globale-leipzig.de senden.

Euer globaLE-Team

 

(1) Schätzungen reichen von 40.000 bis 75.000. Siehe de.wikipedia.org/wiki/Ministerkonferenz_der_Wirtschafts_und_Handelsminister_der_WTO_in_Seattle_1999. Die Zahl 50.000 ist folgender Webseite entnommen: realbattleinseattle.org/node/70

(2) democracynow.org/2008/9/18/battle_in_seattle_with_a_list

(3) Patrick Bond: „From Seattle to Copen-hagen. Will African again block a bad deal?“ Siehe zeitschrift-luxemburg.de/?p=427

(4) Green room bezeichnet im WTO-Jargon ein besonders informelles Verhandlungsforum, das in einem unbekannten Raum und in unbekannter Zusammensetzung tagt, um problematische Fragen zu besprechen. Siehe germanwatch.org/pubzeit/z10green.htm

(5) David & Rebecca Slonit „The battle of the story of the battle of Seattle“ 2009 AK Press

Neue Kameras im Leipziger Osten

Seit dem 8. September wird ein weiterer öffentlicher Platz in Leipzig von der Polizei videoüberwacht. Zu den bisher vier Kamerastandorten in Leipzig ist damit ein fünfter an der Kreuzung von Eisenbahn- und Hermann-Liebmann-Straße hinzugekommen. Begründet wird dies damit, dass die Eisenbahnstraße ein „Kriminalitätsschwerpunkt“ sei, insbesondere was Drogendelikte angeht (siehe FA!#34).

Mit der Installation von zwei Kameras im Kreuzungsbereich will die Polizei einer „offenen Rauschgiftanbieterszene entgegenwirken“, also Dealer_innen und Konsument_innen in andere Gegenden verdrängen. Zusätzlich verweist sie wie üblich auf das „Sicherheitsgefühl“ der Bürger_innen, das durch die Kameras angeblich verbessert würde. Als Beleg dafür, dass Videoüberwachung nicht nur die „gefühlte“, sondern auch die reale Sicherheit erhöht, werden Statistiken in´s Feld geführt, denen zufolge z.B. die Zahl der Einbruchsdiebstähle aus Kraftfahrzeugen im Umfeld des Leipziger Hauptbahnhofes von 807 im Jahr 1996 auf 33 im Jahr 2008 gesunken sei. Wobei diese Statistiken freilich von der Polizei selbst erstellt wurden und schon deswegen nicht sehr aussagekräftig sind.

Zeitgleich zur Installation der Kameras führte die Polizei „eine großangelegte Komplexkontrolle mit eigenen Kräften sowie einer Hundertschaft der Bereitschaftspolizei durch“ (1). Um die Notwendigkeit der neuen Kameras propagandistisch zu untermauern, „wurde der Fahr­zeug­verkehr auf der Eisenbahnstraße in den Zeiten, 10.30 Uhr bis 11.45 Uhr und 13.00 Uhr bis 14.30 Uhr, im Bereich der Hermann-Liebmann-Straße umgeleitet. Die (…) Kontrollen richteten sich ausschließlich gegen Personen, die augenscheinlich der Rauschgiftszene zugeordnet werden konnten.“ 214 Leute wurden so überprüft und gefilzt, bei 11 davon wurden „Betäubungsmittel zum Eigenbedarf“ gefunden. „Weiterhin konnten zwei Drogendealer mit zum Straßenverkauf abgepackten Heroineinheiten sowie szenetypischem Bargeld von über 1.200 Euro vorläufig festgenommen werden.“ Das dürfte reichen, um kritische Nachfragen zu unterbinden…

(justus)

 

(1) www.polizei.sachsen.de/pd_leipzig/4799.htm

Kürzen für Leipzig

Auf 5% des Leipziger Kulturetats sollten die Fördermittel für die Freie Szene bis zum Jahr 2013 angehoben werden. Dieser Forderung der Initiative Leipzig + Kultur hatte auch der Stadtrat im September 2008 zugestimmt und eine schrittweise Erhöhung der finanziellen Unterstützung für freie Kulturprojekte beschlossen (siehe FA! #31). Ende gut, alles gut, könnte mensch meinen.

Aber das Leipziger Kulturdezernat verfolgt offensichtlich andere Ziele. Einer von Leipzig + Kultur herausgegebenen Pressemitteilung (1) zufolge plant das Amt für 2010 eine Kürzung der Fördergelder, ohne dies allerdings offen zuzugeben. Im Gegenteil soll „die reale Kürzung verschleiert und durch Haushaltstricks als Erhöhung dargestellt“ werden, wie die Initiative schreibt. So würden sechs Einrichtungen, die mit einer eigenen Haushaltsstelle schon gesondert im Leipziger Verwaltungshaushalt auftauchen, in die Berechnung mit einbezogen. Dazu zählen u.a. der Freundeskreis Gohliser Schlösschen e.V. und der Bürgerkomitee Leipzig e.V. (der Trägerverein des Stasi-Museums in der „Runden Ecke“). Auch das Forum Thomanum wird vom Kulturdezernat in seinem Plan zur Fördermittelverteilung als Teil der Freien Szene angeführt. Der Forum Thomanum e.V. hat es sich zum Ziel gesetzt, in Leipzig ein „international ausgerichtetes Bildungszentrum“ aufzubauen, „das sich um den Thomanerchor und die Thomasschule gruppiert“ (2). Unter der Hand plant das Kulturdezernat also eine Umverteilung von Geldern zu Ungunsten der Freien Szene.

Die Empörung von Leipzig + Kultur ist unter diesen Umständen durchaus berechtigt. Leider fragt mensch sich nicht, warum das Kulturdezernat zu solchen Manövern greift. Stattdessen sorgt sich die Initiative in ihrer Pressemitteilung wieder mal um den Wirtschaftsstandort Leipzig. Dem soll auch die 5%-Regelung dienen: „Geht es der Stadt wirtschaftlich gut, so fallen die Zuschüsse für unsere Arbeit höher aus. In schwierigen Zeiten können die Fördermittel sinken.“ Leider denkt das Kulturdezernat nicht daran, soviel Bescheidenheit zu honorieren. Der Standortlogik ist mensch schließlich auch dort verpflichtet. Eben darum will man ja der Freien Szene die Mittel kürzen. Eine rege Sub- und Soziokultur mag für die Lebensqualität vor Ort unentbehrlich sein – für den Standort ist die Hochkultur bedeutend wichtiger. Das Kulturdezernat meint einfach, das Geld sei besser in prestigeträchtigen Projekten angelegt, mit denen sich die Stadt nach außen präsentieren und Touristen anlocken kann. Es wäre an der Zeit, dass auch die Freie Szene das begreift, anstatt hilflos die Argumente ihrer „Gegner_innen“ nachzubeten.

(justus)

 

(1) www.fuenf-fuer-leipzig.de/die-zukunftskampagne/aktuelles/vom/datum/2010/02/02/verwaltung-will-2010-bei-freier-kulturszene-kuerzen/

(2) www.forum-thomanum.de/geschichte.html

Schafft ein, zwei, viele Erwerbslosentheater!

Stichworte wie „Hartz IV“, „1-Euro-Job“ oder „zweiter Arbeitsmarkt“ dürften bei den meisten Leuten eher negative Assoziationen hervorrufen. Nicht ohne Grund denkt mensch da an Erwerbslose, die zum Laubharken in öffentlichen Grünanlagen abgestellt werden, wilde Plakatierflächen säubern dürfen oder bspw. unter dem Namen Bürgerdienst LE (siehe FA!#24) in Uniformen gesteckt und als Aushilfspolizisten auf Streife geschickt werden. Aber zumindest in Teilen der Institution ARGE scheint man mittlerweile erkannt zu haben, dass reine Beschäftigungstherapie wenig zur angestrebten Wiedereingliederung der Erwerbslosen in den ersten Arbeitsmarkt beiträgt. Sogar Kunst kann im Rahmen von AGH-Maßnahmen (1) entstehen – Theater zum Beispiel. Solche Ausnahmen von der schlechten Regel sind weniger ungewöhnlich, als es scheinen mag. Allein in Leipzig laufen derzeit fünf von der Arbeitsagentur unterstützte Theaterprojekte, an denen gut 80 Erwerbslose teilnehmen.

Who is who?

Klären wir erst mal die großen W-Fragen: Wer macht hier wo was, warum und wozu? Die eine Seite bilden dabei die einzelnen Projekte und deren Träger. Da wäre z.B. der Eutritzscher Geyserhaus e.V. (als freier Träger im Kinder- und Jugendbereich auch für die Betreuung von anderen ARGE-Maßnahmen zuständig), dessen Theaterprojekt Faule Haut nun schon im dritten Jahr läuft. Ebenfalls in der dritten Runde befindet sich derzeit das Projekt Theater am Kanal der Agricola-Institut GmbH. Schon die vierte Maßnahme führt, in Kooperation mit der VILLA-Betriebsgesellschaft mbH, die Theatergruppe DramaVision (siehe FA! 33) durch. Im selben Haus probt und arbeitet zeitgleich auch die Figurentheatergruppe Xp3rim3nt 1 1/4. Als weiterer Träger ist in diesem Jahr der Mischhaus e.V. dazugekommen, dessen Kunst- und Sozialwerkstatt gezielt auf die Interessenlage der Arbeitsagentur (und die entsprechenden Geldmittel) hin konzipiert wurde.

Das Wer und Wo wäre damit geklärt – widmen wir uns also der Frage nach dem Warum und Wozu, nach Motiven und Zielen der beteiligten Instanzen, allen voran der Arbeitsagentur als zentralem Akteur. Diese hat beim Erwerbslosentheater nun nicht einfach ihre kulturelle Ader entdeckt. Die aus solchen „kreativen“ Maßnahmen folgende Imageverbesserung nimmt das Amt als Bonus allerdings gerne mit – auch daraus dürfte sich die vor allem in der Chefetage der Leipziger ARGE gepflegte theaterfreundliche Haltung erklären. Dem steht bei den  Arbeitsvermittler_innen das Interesse zur Seite, die eigenen „Klienten“ nicht unnötig zu dequalifizieren – die Theatermaßnahmen dienen dazu, die eigene Angebotsvielfalt zu erhöhen und auch solchen Erwerbslosen Beschäftigung anbieten zu können, die künstlerisch höher gebildet und/oder kreativ veranlagt sind, denen man einförmiges Unkrautzupfen folglich nicht zumuten will.

In erster Linie verfolgt das Amt also auch hier das übliche Ziel, die Erwerbslosen in den Arbeitsmarkt zu reintegrieren. So sollen die Teilnehmer_innen wieder an Verbindlichkeiten wie pünktliches Erscheinen und Entschuldigung im Krankheitsfall gewöhnt werden. Auch werden Verwaltungs- und sozialpädagogische Betreuungsaufgaben an die Projektträger ausgelagert, was eine erhebliche Entlastung für die ARGE darstellt. Über die geforderte Teilnehmerbeurteilung werden zudem persönliche Daten der Erwerbslosen (vorhandene Qualifizierungen, Begabungen und allgemeine Arbeitseinstellung) für das Amt erhoben, die von diesem selbst nicht erschlossen werden könnten. Die theaterpädagogische Betreuung soll den Zielvorgaben der ARGE nach u.a. dazu dienen, Selbstbewusstsein und Auftreten der Erwerbslosen und damit ihre Chancen bei Bewerbungsgesprächen zu verbessern.

Die künstlerischen Inhalten, die produzierten Stücke selbst sind für die meisten Bürokrat_innen dagegen nur als Mittel zum Zweck interessant. Positiver Nebeneffekt dieser Ignoranz ist immerhin, dass den diversen Theaterprojekten in ihrer kreativen Tätigkeit weitgehend freie Hand gelassen wird und so auch sehr kritische Äußerungen zur Realität der Institution ARGE auf die Bühne kommen.

Für die Träger dagegen sind die Theaterprojekte nicht nur eine Möglichkeit, sich in der öffentlichen Wahrnehmung zu profilieren, sondern sich auch der ARGE als verlässliche Partner anzudienen. Eben das ist für viele Einrichtungen überlebenswichtig, bekommen sie dadurch doch nicht nur praktisch kostenlose Arbeitskräfte, sondern auch zusätzliche finanzielle Mittel vom Amt. Ohne solche Unterstützung müssten einige soziokulturelle Zentren in Leipzig schlicht dichtmachen.

Dabei können die verschiedenen Einrichtungen auf ganz verschiedenem Wege zum Theater kommen. Im Fall der Gruppe DramaVision ging die Initiative von dem Dramaturgen und Theaterpädagogen Matthias Schluttig aus, der schließlich in der VILLA einen geeigneten Träger fand, um 2005 das erste Erwerbslosentheater in Leipzig auf die Bühne zu bringen. Dagegen entstand beim Agricola-Institut die Idee eines eigenen Theaterprojekts daraus, dass im Rahmen des Aus- und Weiterbildungsbetriebes auch Bühnenkulissen gebaut wurden. Hier suchte man sich also einen Theaterpädagogen, um quasi ein passendes Stück zu den Kulissen zu inszenieren. Diesen verschiedenen Ausgangspunkten entsprechen auch in ihrer künstlerischen Qualität sehr unterschiedliche Ergebnisse.

Blick von unten

Die beteiligten Erwerbslosen sollen dabei nicht vergessen werden. Die jeweiligen Gruppen sind anfänglich meist kaum mehr als ein bunter Haufen von Anfänger_innen, Laien mit Theatererfahrung und (ehemaligen) Profis, von irgendwie am Theatermachen Interessierten oder auch gänzlich Uninteressierten, die nur aufgrund des von ARGE-Vermittler_innen ausgeübten Drucks oder des zusätzlichen Verdienstes dabei sind.

Das sind nicht gerade günstige Startbedingungen für einen produktiven gruppendynamischen Prozess, wie ihn Theaterarbeit im besten Fall darstellt. Künstlerischer Anspruch (sofern vorhanden) und institutioneller Rahmen gehen also nicht reibungslos zusammen. Denn die Schwierigkeiten der Theaterarbeit mit Laien potenzieren sich natürlich, wenn mensch nicht nur unausgebildete, sondern auch unmotivierte Schauspieler_innen zu vorzeigbaren Leistungen bringen soll. Mangelnde Motivation macht es auch schwierig Kontinuität aufzubauen, und darunter leidet wiederum die Qualität. Nicht umsonst verzeichnet z.B. das Theaterprojekt des Agricola-Instituts eine Abbrecherquote von knapp 50%. Und so verständlich das Bedürfnis ist, die ARGE-Vorgaben zu erfüllen um die finanzielle Förderung nicht zu gefährden, so unsinnig ist es andererseits, wenn etwa der Hauptdarsteller eines Stücks wegen wiederholten Zuspätkommens gekündigt wird (wie beim Theater des Mischhaus e.V. einen Tag vor der Premiere geschehen) – immerhin wird damit auch die bereits investierte Arbeit zunichte gemacht.

Anders bei DramaVision, wo ein zum Großteil aus Teilnehmer_innen früherer Projekte gebildetes stabiles Ensemble entstanden ist. Motivierte Mitwirkende, die zudem schon über Theatererfahrung verfügen, ermöglichen weitgehend selbständige Arbeit an mehreren Stücken gleichzeitig, ein Umstand, der diese Gruppe auch künstlerisch auszeichnet. Es wäre den Leiter_innen der einzelnen Erwerbslosen-Theaterprojekte also generell größerer Mut bei der Durchsetzung ihrer Interessen gegenüber der Arbeitsagentur anzuraten – dies würde auch der Qualität der eigenen Arbeit nur dienlich sein.

Dabei sind sie natürlich auf das (längst nicht selbstverständliche) Wohlwollen der jeweiligen Sachbearbeiter_innen angewiesen. Dabei können gerade die „unkonventionellen“ Theaterprojekte einen realen Zugewinn an Selbstbewusstsein und Kompetenzen, Erfahrungen und persönlicher Reife bedeuten, also womöglich auch im Sinne der ARGE mehr erreichen als bloße Beschäftigungstherapie. Mehr noch: Eine gute Theaterarbeit kann Lernprozesse anstoßen, die nicht nur dafür taugen, die eigene Haut möglichst gewinnträchtig zu Markte zu tragen. Theater und lebendiges, überzeugendes Schauspiel braucht schließlich mehr als das widerspruchslose Erledigen von Vorgaben – es erfordert die Auseinandersetzung mit sich selbst, das Einbringen und Austauschen eigener Erfahrungen, Kommunikation und vielfältige Aushandlungsprozesse zwischen den Teilnehmer_innen. Auch um solche Lernprozesse zu ermöglichen, wäre es nötig sich nicht umstandslos den Vorgaben der ARGE zu beugen, sondern solche Theatermaßnahmen als (wenn auch prekäre) Freiräume zu begreifen, die nach ihren eigenen (von allen Beteiligten mitbestimmten) Regeln funktionieren. Das setzt natürlich voraus, dass es Trägern und Projektleiter_innen um mehr geht als nur den Zugriff auf staatliche Finanzmittel.

Anschauen!

Trotz aller Reibungsverluste, die zwischen Kunst und institutionellem Rahmen auftreten, ist es beachtlich, was das Leipziger Erwerbslosentheater in den letzten Jahren hervorgebracht hat. Es ist eben die besondere Möglichkeit des Theaters, Öffentlichkeit herstellen, Geschichten erzählen zu können, ein Publikum zu berühren. Vielleicht ist dies einer der letzten Orte, wo ein politisches Theater, das diesen Namen verdient, noch stattfinden kann. Ein Theater, das soziale Wirklichkeit nicht nur abbildet, sondern ein stückweit auch real verändert, das nach Innen Freiräume zur Selbstentfaltung schafft und nach Außen zur Selbstermächtigung anregt.

Es dürfte also lohnen, sich das bunte Programm der Ensemble im Sommer mal genauer anzuschauen – umso mehr, da die Zukunft der Erwerbslosentheater eher ungewiss aussieht. Der Etat der Bundesagentur für Arbeit weist riesige Löcher auf und die schwarz-gelbe Regierung plant massive Einschnitte gerade bei Bildungs- und Qualifizierungsmaßnahmen. Ob wir also gerade den letzten großen Sommer des Leipziger Erwerbslosentheaters erleben, bleibt abzuwarten. Bis dahin lautet die Parole: Erwerbende und Erwerbslose aller Länder, auf ins Theater!

(justus & clov)

 

(1)  AGH heißt aus dem Amtsdeutsch übersetzt „Arbeitsgelegenheit“. Die AGH MAE (Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung), volkstümlich auch „Ein-Euro-Job“ genannt, ist dabei die unterste Stufe in der Pyramide staatlich gestützter Teil- und Vollzeitjobs, deren höchste Stufe die AGH Entgelt darstellt, bei der 1400,- Euro brutto monatlich verdient werden können.

Jugendkultur? Aber bitte mit Sahne!

Vom Kampf um ein Alternatives Jugenzentrum in Wittenberg

Echte Probleme erkennt mensch oft daran, daß (vermeintlich) Ungewöhnliches geschieht. Hausbesetzungen von Jugendlichen, die so ihren Bedarf nach kulturellem, sozialem und politischem Wirkungs- und Selbstverwirklichungsraum hinausschreien, gehören „hier­zulande“ definitiv dazu. Nach dem Niedergang eines dieser Räume, des Topf Squat in Erfurt (FA! #32, #33), und der kurzen Geschichte zum Magdeburger besetzten Haus (FA! #34) widmen wir uns heute einer Luther­stadt und ihrem Problem mit der (fehlenden) Jugendarbeit.

Wie viele Städte in Ost­deutschland ist Wit­ten­berg dabei zu überal­tern und bietet seinen Ein­wohner_innen kaum mehr als eine Tourismusindustrie rund um Martin Luther, Philipp Me­lanch­thon und Lucas Cranach; mit vielen Sehenswürdigkeiten vor allem für Reformationstouristen, die täglich von 9 bis 6 durch die Stadt gejagt werden, bevor die Bordsteine wieder hochgeklappt werden können. So ist für Engagement und Investitionen in Kultur und bitter notwendige Jugendarbeit in der knapp 50.000-Ein­wohner_innen-Stadt im östlichen Zipfel Sachsen-Anhalts eher wenig Platz. Die wenigen übriggebliebenen Einrichtungen Wittenbergs, in denen noch Jugendarbeit stattfindet, bangen regelmäßig um ihre Existenz. Doch trotz ihrer Dienste haben viele junge Menschen keine Räume um kulturellen und sozialen Aktivitäten nachzugehen bzw. welche zu entfalten. Kein Wunder also, daß es Leute gibt, die diese Arbeit in die eigenen Hände nehmen, Orte des Miteinanders und der politischen Betätigung etwas abseits staatlicher und städtischer Strukturen schaffen wollen.

So hatte sich der Verein Kultur mit Sahne (KumS) schon 2004 die Aufgabe gestellt, Wittenbergs Jugendlichen ein alternatives Jugendzentrum zu besorgen und trat im letzten Jahr verstärkt in Verhandlungen mit dem Stadtrat, dem Jugend­hilfe­aus­schuß und dem Bürgermeister Wit­tenbergs. Es handelt sich bei dem Verein um eine „alternative Jugendgruppe, in der sich Menschen im Alter von 16 bis 30 Jahren bewegen“, die sich „für mehr Toleranz und Aufklärung jeglicher Art im Landkreis Wittenberg“ einsetzen. Um solch hehre Ziele verwirklichen zu können, bedarf es allerdings einer geeigneten Immobilie mit genügend Platz für Konzerte, Kreativwerkstätten, einen Infoladen und was es eben sonst noch so alles braucht für ein selbstverwaltetes soziokulturelles Zentrum.

Um dies zu verwirklichen, ging der Verein den Weg durch die Instanzen – wurde nach Selbstauskunft von der Stadt letztlich aber nur „verarscht“. Die Jugendlichen, für welche Kultur mit Sahne mühselig den Amtsschimmel ritt, nahmen die Sache schließlich in die eigenen Hände und besetzten am 14. August kurzerhand das ehemalige Gesundheitsamt in der Wallstraße, eine schöne, seit drei Jahren leerstehende Immobilie in Stadteigentum, nicht mal 5 Minuten vom Marktplatz entfernt. Die Besetzer_innen bezeichneten sich als solidarisch zu KumS und wollten diesem so ein Objekt beschaffen bzw. die Mitwirkung der Stadt und des Kreises ein wenig vitalisieren. Oberbürgermeister Naumann (SPD) signalisierte auch sofort Verhandlungsbereitschaft und hielt die Polizei im Zaum; stellte allerdings von Anfang an klar, daß es Regeln gäbe, an die sich auch die ja illegal handelnden Jugendlichen zu halten hätten. So war auch diese Besetzung nur eine auf Zeit, die Räumung von Vorherein absehbar. Es galt nur Aufmerksamkeit zu schaffen und mit dieser illegalen Aktionsform auf die Dringlichkeit des lobenswerten Anliegens in möglichst breiter Öffentlichkeit hinzuweisen. Und so wurde sich von Seiten der Besetzer_innen auch redlich um ein medientaugliches Bild ihres kulturellen und politischen Engagements bemüht. Von Beginn an gewaltfrei und auf Dialog bedacht, präsentierten sie schon vom Abend der Inbesitznahme an aufgeräumte Gemeinschafts- und Partyräume, einen Infoladen mit kleiner Bibliothek sowie eine provisorisch eingerichtete Küche für den „Mampf zum Kampf“.

Am 18. August kam es im Neuen Rathaus der Lutherstadt zu Verhandlungen zwischen Vertreter_innen der Besetz­er_in­nenfraktion, des Vereins Kultur mit Sahne und der Stadt Wittenberg. An diesen seitens der Stadt von Ausreden und Lavieren geprägten Gespräche war das einzig Greifbare die Aussage, daß das Haus so schnell wie möglich geräumt werden müsse, um „eine verfassungskonforme Situation“ zu erhalten. Und natürlich der Clou: Die Stadt schloß mit dem Verein einen „‘moralischen’ Vertrag“ ab, in der eine intensive Suche nach Räumlichkeiten seitens der Stadt Wittenberg zugesichert wurde. Weiterer Inhalt war aller­dings, daß sowohl die Stadt als auch KumS die Besetzung missbilligten. Mit dieser Klausel machten die Vertreter_innen der Stadt wiederum deutlich, wer in den Verhandlungen das Sagen hat. Zusätzlich setzten sie den Hausbesetzer_innen ein Ultimatum zum „freiwilligen“ Verlassen bis zum 25. August (also eine ganze Woche) und drohten KumS mit der Einstellung aller sonstigen Verhandlungen, sollte es zu einer gewaltvollen Räumung kommen müssen. In den Augen mancher Besetz­er_innen vielleicht eine Art Verrat am Kampf um das Squat in der Wallstraße, sahen die Vertreter_innen von Kultur mit Sahne jedoch nur durch die abgepresste Distanzierung die Möglichkeit, sich langfristig einen Weg zu einem alternativen Zentrum in der Lutherstadt offen zu halten.

Die anfängliche Zusage Naumanns am Besetzungstag („Wir veranlassen hier keine Räumung, solange alles normgerecht läuft.“) löste sich so nur vier Tage später in Luft auf, als er direkt nach den Verhandlungen die Räumungsaufforderung verschickte. Freilich wie immer mit der Zusicherung der Gesprächsbereitschaft.

Am Abend des 25. dann verließen die Besetzer_innen „heimlich“ das Haus, um sich der drohenden Räumung sicher zu entziehen. Das alte Gesundheitsamt wurde nur Stunden später von der Polizei wieder in den Stadtbesitz zurückgeführt, dezente Hinweise auf Besetzungsaufgabe bekamen sie dabei durch ein paar um­ge­stoßene Mülltonnen und einen an­gezündeteten Papierkorb rund um den geschichtsträchtigen Marktplatz.

Genau dort zog einige Wochen später, am 19. September, eine Freiraumdemon­stration an den Denkmälern Luthers und Melanchthons vorüber. Allerdings völlig ohne den Verein Kultur mit Sahne, der sich weder als Veranstalter, Teilnehmer noch Supporter dieser Demo die „gute Ver­handlungsbasis mit der Stadt“ verderben wollte. Worüber mensch nun denken kann wie mensch will.

Was blieb übrig von einer kurzen, aber ereignis- und hoffnungsreichen Zeit im ersten offiziell besetzten Haus Wittenbergs des neuen Jahrtausends? Sieben Anzeigen wegen Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung zum Beispiel, entgegen dem Versprechen OB Naumanns, bei Aufgabe der Besetzung auf diese zu verzichten. Oder unzumutbare Ersatzobjekte, die die Vereinsmitglieder besichtigen durften. Die Krönung jedoch waren wohl die Erfahrungen vor’m Jugendhilfeausschuß im Landratsamt am 8. Oktober. Dort mussten sich die Vereinsmitglieder sagen lassen, daß finanzielle Unterstützung für ein Zentrum gerade sowieso nicht drin sei, die Stadt im Jugendbereich eher einsparen muss als neue Mittel freizumachen für „Dilletanten“, die eh keine Jugendarbeit machen und nur ihre Szene ansprechen würden. Freilich wie immer mit der Zusicherung von Bürgermeister Zugehör, daß sich schon irgendwie eine Möglichkeit finden werde.

Eine Lösung für ein alternatives Jugendzentrum in Wittenberg fanden die engagierten jungen Menschen aber wahrscheinlich in Eigenregie. Die Zeichen stehen allerdings gut, daß die Verhandlungen um das alte Kreiswehrersatzamt mit seiner den Anforderungen mehr als entsprechenden Lage* von Erfolg gekrönt sein wird. Als „Traumobjekt“ bezeichneten sie das Haus und das dazugehörige Grundstück schon, erschwingliche 99.000 Euro (plus Maklercourtage) soll es kosten und so hat Kultur mit Sahne die Kampagne „Zwölf + Zwei = Wir ziehen in unser Haus“ gestartet. Zwölf Bürgen werden noch gesucht, um die vom Eigentümer geforderte Kaution von 25.000 Euro aufzubringen, und – vorrangig um die monatlichen Kosten zu decken – zusätzlich zu den schon vier Mieter_innen noch zwei Personen, die gerne einziehen möchten in’s neue alternative Zentrum.

Bleibt KumS und allen Mitstreiter_innen noch zu wünschen, daß diese Bedingungen bald erfüllt sind und der Unterzeichnung des Kaufvertrages auch sonst nichts im Wege steht. Nicht zu wünschen ist ihnen nach all den Erfahrungen allerdings jegliche Abhängigkeit von Stadt oder Land, denn nur so werden sie es noch weit schaffen, die sympathischen Akti­vist_in­nen rund um den Verein Kultur mit Sahne.

shy

 

* Fast direkt gegenüber befindet der ehemalige berüchtigte „Schweizer Garten“, das besetzte Haus und Autonome Zentrum Wittenbergs in den 90ern. Weichen musste es schlussendlich u.a. wegen dem Neubau der Hauptsparkasse und anderen Aufwertungsprozessen im unmittelbaren Umfeld des rauhen „Zeckenhauses“. Auch wenn sich die Menschen um das neue Alternative Zentrum um einiges moderater darstellen, birgt diese „exponierte“ Lage evtl. doch Zündpotenzial …

Roter Stern Leipzig: Umzingelt!

Nach den beiden Spielabbrüchen in Brandis und Mügeln ist klar geworden: Das Leipziger Umland dominieren die Faschisten. In Brandis stürmte ein brauner Mob gleich nach Anpfiff das Spielfeld und griff Spieler und Fans der Fussballmannschaft des Roten Stern Leipzig (RSL) tätlich an. In Mügeln brach der Schiedsrichter kurz vor Ende ab: Die rassistischen und antisemtischen Sprechchöre der „heimischen Fans“ waren selbst dem Unparteiischen zu viel geworden. Die Stadtoberen schweigen sich aus. Beim Roten Stern muss mensch sich derweil auf weitere Übergriffe einstellen. Der Feierabend! sprach mit einem aktiven Vereinsmitglied über die gegenwärtige Situation in und um den Verein.

„Roter Stern“ – Steht das eigentlich für mehr als für unterklassigen Fußball auf Stolperplätzen? Und was verbindet Dich mit dem Verein?

Unbedingt! Sonst würden wir ja kaum soviel Aufmerksamkeit erregen. Zuerst einmal haben wir von anderen Vereinen völlig verschiedene Strukturen. Bei uns kann jedes Vereinsmitglied mitmachen, mitgestalten. Die Diskussionen während des wöchentlichen Plenums stoppen uns zwar manchmal, weil jede/r Anwesende etwas beizutragen hat. Die flachen oder nicht vorhandenen Hierarchien machen aber Themenauswahl und Diskurs unheimlich interessant. Auch wenn wir zur Zeit aus aktuellem Anlass kaum andere Themen besprechen als unsere Auswärtsfahrten.

Auch ein im alternativen Milieu angesiedelter Fußballverein, der dazu noch am aktiven Spielbetrieb des DFB teilnimmt, ist wohl (leider und noch) recht einmalig in diesem Land. Es gibt zwar noch einige weitere „Rote Sterne“, in Halle, Altenburg, Berlin oder Lübeck etwa, aber wir sind auch sportlich recht erfolgreich.

Als die Fußballer letzte Saison von der Stadtliga in die Bezirksklasse aufgestiegen sind, war die Euphorie ja groß. Wie ist das derzeitige Stimmungsbild innerhalb und um die Mannschaft, im Verein, nach den faschistischen Übergriffen und Spielabbrüchen in Brandis und Mügeln?

Schwierig zu sagen. Natürlich machen die Fahrten ins Leipziger Umland zur Zeit keinen Spaß. Das geht den Spielern und den Anhängern so. Du kannst im Rückblick quasi spüren, wie schön es in einer Stadt wie Leipzig ist. Trotz aller Probleme. Ich möchte nicht mit unseren Fans in Mügeln tauschen (ja, auch dort gibt es Lichtblicke), die täglich durch Nazis angegriffen werden können. Passiert ja leider auch ab und an.

Fast noch schlimmer als die Übergriffe ist aber die kaum vorhandene Unterstützung in der Stadt. Ich meine nicht linke Gruppen oder engagierte Einzelpersonen. Hier klappt die Vernetzung recht gut. Aber im Fußballverband, bei gegnerischen  Spielern und „dem Bürger“ weht uns ganz schön der Wind entgegen. Die machen uns ernsthaft mit für die Ereignisse von Brandis und Mügeln verantwortlich. „Links ist das gleiche wie Rechts“, und „Ihr tragt doch die Politik ins Stadion!“. Auch von den Parteien kommt außer von der sächsischen Linken und den Grünen recht wenig. Vor allem auf städtischer Ebene hat sich kaum jemand geäußert. Man muß sich das nochmal bewußt machen: Faschisten begrüßen uns in ihren Dörfern und Städten mit rassistischen, homophoben und antisemitischen Sprüchen oder wollen uns gleich „platt machen“. Der gesunde Menschenverstand sollte das sofort unterbinden. Antifaschismus scheint aber nicht mehr Grundüberzeugung einer großen Anzahl von Menschen zu sein. Traurig, traurig.

Inwieweit waren sich die „Roten Sterne“ über die politische Bedeutung des Aufstieges bewußt? Gab es da Vorkehrungen oder stand nur das Sportliche im Vordergrund?

Wir haben schon mit Problemen gerechnet. Aber in diesem Ausmaß konnte das keiner vorhersehen. Wir haben natürlich überlegt, wie wir gefahrlos zu den Spielen kommen, deshalb gibt es die ganze Saison schon gemeinsame An- und Abreise von Spielern und Fans. Der Weg ist dadurch nicht das Problem, sondern das Verhalten der gegnerischen Fans bei den Spielen.

Mittlerweile begleitet uns eine Hundertschaft Polizei zu den Spielen. Die behandeln uns aber eher wie gewaltbereite Fußballfans und tun alles, um uns als das Problem darzustellen. Das wurde nach dem Überfall in Brandis sehr deutlich. In der ersten Presseerklärung behauptete die Polizei, sie hätte die Gewalttäter getrennt, woraufhin sich Nazis und Sterne gegen die Polizei zusammengeschlossen hätten. Zum Glück hatten wir genügend Video- und Fotomaterial, um diese Behauptung zu widerlegen. Bedenklich stimmt das dennoch.  
 
Gibt es schon Strategien, wie man den Problemen im Leipziger Umland in Zukunft begegnen will? Bewußter Abstieg etwa? Und wie können andere Projekte, Gruppen und Individuen den Roten Stern dabei unterstützen?

Ein bewußter Abstieg wird natürlich nicht kommen. Das wäre niemandem zu vermitteln. Man könnte es so sagen: Das Projekt „Roter Stern Leipzig“ ist in Phase zwei eingetreten. Lustig war gestern, jetzt machen wir ernst. Es ist ja nicht so, dass wir die Probleme machen, die sind schon da! Und, wie ein Radiomoderator des MDR es so schön sagte, der Rote Stern leuchtet jedes Mal rot auf, wenn es in den Städten und Dörfern östlich von Leipzig faschistische Umtriebe gibt. Das (noch nicht offizielle) Urteil von Mügeln kommt uns auch entgegen. Obwohl wir bei Spielabbruch mit 0-2 hinten lagen, bekommen wir die Punkte aufgrund der dort gerufenen Parolen und der gezeigten Hitlergrüße. Wenn das Schule macht, achten die Vereine in Zukunft sicherlich ein wenig mehr auf „ihre“ Jungs und Mädels. Eine erste Reaktion eines anderen Vereins gibt es auch schon. Tresenwald Machern überlegt, gegen uns auf ihr Heimrecht zu verzichten und das Spiel im Dölitzer Sportpark auszutragen. Haben wohl ein wenig Angst vor der eigenen Courage.

Wo siehst Du den Roten Stern in 10 Jahren? In der Ersten Bundesliga? Oder etwa im Stadtrat?

Keine Ahnung. Wirklich. Unsere Jugend wird immer besser. Wenn die alle im Verein bleiben, sieht es gut aus, dass wir uns im Bezirk etablieren. Von den Zuschauern her sind wir schon höherklassig. Türkiyemspor oder Tebe Berlin sind da eher Gradmesser. Aber ich will darüber gar nicht nachdenken. Wichtig ist eben nicht nur auf dem Platz. Wenn wir es schaffen, den alternativen Charme zu behalten, feiern wir 2019 20 Jahre RSL. Das wäre ein gutes Zeichen, auch gegen die Nazis!

Danke Dir für die ausführlichen Antworten. Der Feierabend! drückt den Roten Sternen selbstverstandlich die Daumen.
Venceremos!

Alle Räder stehen still…

Eine Fortsetzung des Leipziger Fahrradpolitik-Diskurses

Wer kennt es nicht? – Da setzt sich mensch als umweltbewusste Erwerbslose auf seinen soeben vom Schnee der letzten Nacht befreiten Drahtesel, will keinesfalls die letzte Aufführung von „Das Licht am Ende des Tunnels“ verpassen und  … findet den Radweg nicht. Nein, nichtmal unbedingt weil viele Verkehrswege Leipzigs einfach keinen besitzen, obwohl sie bitter nötig wären. Sondern weil die wenigen vorhandenen Radwege und Radfahrstreifen dermaßen von Schnee und Eis bedeckt sind, daß nicht einmal Reinhold Messner sie bezwingen könnte.

Grund hierfür ist freilich die schon im letzten Heft beanstandete Fahrradpolitik der Stadt Leipzig. Dagegen fand eine studentisch initiierte Fahrraddemo statt, in deren Anschluß ein offener Brief mit Anregungen und 10 konkreten Forderungen dem Stadtrat übergeben wurde. Oberbürgermeister Jung verteidigte daraufhin die Leipziger Fahrradpolitik in einem sechsseitigen Brief. Daran wiederum hatten Alexander John vom Referat für nachhaltige Mobilität des StudentInnenRat der Uni Leipzig und StuRa-Sprecher Simon Schultz von Dratzig viel Kritik, z.B. an der automobilzentristischen Winterdienstsatzung, die Straßen zugunsten von Autofahrer_innen und zu Lasten von Radfahrer_innen beräumt.

Dieses deutliche Beispiel setzten sie Jungs eingängiger Behauptung entgegen, es „werden die Interessen der Radfahrer gleichberechtigt mit den Belangen und Anforderungen der Menschen in anderen Verkehrsmitteln, Auto und ÖPNV, oder auch zu Fuß sowie den Anliegern abgewogen“. Die Kritik an OB Jungs Brief enthielt neben dem Auseinandernehmen der Argumente leider auch viele (durchaus rhetorische) Nachfragen. Ob der Oberbürgermeister auf diese jedoch noch eingehen wird, bleibt fraglich. Übrigens auch, weil die Radlobbyisten in punkto Logik & Recht manchmal  nicht ganz mithalten.

Zum skandalträchtigen sogenannten „Innenstadtverbot für Fahrräder“ merkt der OB bspw. völlig korrekt an, daß es sich beim Regelungsinhalt eher um eine „Erlaubnis“ denn ein „Verbot“ handelt, da in Fußgängerzonen laut § 76a StVO der Fahrzeugverkehr zunächst generell nicht zugelassen ist (mit Ausnahmen für Lieferverkehr und ÖPNV). Stellt sich also die Frage nach gegensätzlichen Interessen: „Die Umwege, die Radfahrern zwischen 11:00 h und 20:00 h entstehen, sind im Verhältnis zum gefühlten Sicherheitsgewinn in den Fußgängerbereichen aus meiner Sicht vertretbar.“ Den Aspekt, daß dieser „Sicherheitsgewinn“ vor allem im Interesse der Innenstadt-Gewerbetreibenden liegt, blenden die Kritiker der Leipziger Fahrradpolitik wieder einmal aus. Stattdessen kommen sie mit einem lapidaren Allgemeinplatz: „RadfahrerInnen erkennen sehr schnell, ob sie absteigen müssen oder ob eine Strecke befahrbar ist.“ Hmm… stimmt. Für mich allerdings ist die Strecke nur dann nicht befahrbar, wenn die Büttel des Systems mir den Weg versperren.

Beim großen Streitpunkt Karl-Liebknecht-Straße, vehement als Fahrradstraße gefordert und vom OB alsgleich mit dem Terminus „Radialstraße des Hauptstraßennetzes“ abgewatscht, zeigt sich wunderbar wie Leipziger Verkehrspolitik theoretisch als auch ganz praktisch aussieht. Die Fahrradstraße sei „kein Instrument zur Führung des Radverkehrs im Hauptstraßennetz“ … und basta. Da wird auch die Forderung nach einer längst überfälligen Radverkehrszählung nichts nützen. Selbst wenn wirklich mehr Räder als motorisierte Gefährte die Karli befahren, wird dies an der Haltung der Stadt nichts ändern. Und so werden schon mal indirekt Tatsachen geschaffen, indem die Radstreifen zuparkenden Fahrzeuge gar nicht mehr abkassiert (1) und die Menschen so auf die unausweichliche Zukunft vorbereitet werden: Auf eine rund um den Südplatz viel zu enge Radialstraße mit rechtlich abgesichertem Platz für Straßenbahn, PKW-Verkehr und „Parkflächen [ohne die] man in diesem Straßenteil auch nicht agieren [könne]“ (2). Was bedeutet, daß „der Radweg, der jetzt am Südplatz endet, […] dann über einen Streifen des jetzigen Fußweges geführt“ würde. Es ist jedoch trotzdem zweifelhaft, ob die Gewerbetreibenden der florierenden Geschäftsstraßen ihre wertvollen Stellflächen für Auslagen der Geschäfte so einfach aufgeben. Die Kritiker affirmieren dabei immer wieder die Standortlogik der Stadt, deren Interessensvertretung des Kapitals aber gar nicht mit den Interessen der radfahrenden Klasse konvergiert. Die Studenten sind jedoch nicht die einzigen, die sich an die Stadt bzw. den Oberbürgermeister richten. Der offene Brief (3) des  ADFC Leipzig (4) bspw. kommt mit einer nüchternen Feststellung der katastrophalen Winterzustände der Radwege, aber auch seichten Bitten in Richtung des Stadtobersten aus. Eventuell gar die bessere Taktik, mit Argumenten allein ist bei Jung schließlich schwer zu punkten.

Viele Radfahrer_innen jedoch interessiert das ganze Hin und Her überhaupt nicht und sie fragen sich eher, ob mensch unter diesen sibirischen Umständen den Fußweg oder die Straße benutzen darf, ohne sich nach der Staatsgewalt umschauen zu müssen. Da ist die Rechtsprechung uns tatsächlich einmal gnädig, im Falle unbezwingbarer benutzungspflichtiger Radwege bzw. Radfahrstreifen dürfen wir Radfahrer_innen nämlich auf die geräumte Straße ausweichen. Was in den meisten Fällen auch sicherer ist als auf dem Fußweg gequetscht noch eine Front zu den schwächsten aller Verkehrsteilnehmer_innen aufzumachen. Mit den Fußgänger_innen nämlich eint uns vieles im Kampf gegen die motorisierte Hegemonie. In diesem Sinne:

Venceremos!

shy

 

(1) www.l-iz.de/Politik/Brennpunkt/2009/09/Investitionsstau-auf-der-Karli-Park-Provisorium.html

(2) Edeltraut Höfer, Leiterin des Verkehrs- und Tiefbauamtes (ebda.)

(3) www.adfc-leipzig.de/cms/index.php/politikverkehr/fahrrad/216-briefanobm

(4) Ortsverband des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs e. V.

Die Antworten der Stadtratsfraktionen auf den offenen Brief werden hier zu finden sein: www.stura.uni-leipzig.de/1594.html

Ausbeutung als Alltag

NS-Zwangsarbeit in Leipzig (Teil1)

Über die Geschichte Leipzigs im Nationalsozialismus wird zwar nicht grundsätzlich geschwiegen, sie ist aber dennoch, bis auf wenige Schlaglichter, kaum bekannt. Diese Schlaglichter beschränken sich, wie z.B. in der Online-Chronik der Stadt, auf das Jahr 1933, als die Nazis kamen, 1938, als die Reichspogromnacht „für über 13.000 jüdische Bürger der Stadt den Anfang vom Ende“ bedeutete, den schwersten Luftangriff am 4. Dezember 1943 und dann das Ende 1945 mit dem Einmarsch der amerikanischen Truppen. Dass Leipzig ein sehr funktionstüchtiges Rädchen in der NS-Maschinerie war, unter anderem als ein Zentrum der Kriegswirtschaft und Arbeitsort für annähernd 100.000 ZwangsarbeiterInnen, geht hieraus jedoch nicht hervor.

Während des Zweiten Weltkriegs wurden in Deutschland mehr als zehn Millionen Fremd- und ZwangsarbeiterInnen in nahezu allen Wirtschaftszweigen und Bereichen des öffentlichen Lebens beschäftigt – ausländische ZivilarbeiterInnen, Kriegsgefangene, KZ-Häftlinge. Bis zu ihrer Deportation wurden auch noch im großen Umfang die jüdische Bevölkerung sowie „Zigeuner“ zur Zwangsarbeit herangezogen. Die sogenannten ZivilarbeiterInnen kamen sowohl aus den verbündeten als auch aus den besetzten Ländern zum Arbeitseinsatz nach Deutschland. In den ersten Kriegsjahren konnten diejenigen, die den Versprechen von Lohn und Arbeit aus eigenem Antrieb, wenn auch nicht immer frei von äußeren Zwängen, folgten, den Bedarf an zusätzlichen Arbeitskräften zunächst noch decken. Durch den zunehmenden Wegfall deutscher Arbeitskräfte zugunsten des Fronteinsatzes und die gleichzeitig steigende Kriegsproduktion, wurde bald auf Maßnahmen der Zwangsrekrutierung von ZivilistInnen zurückgegriffen. Es gab in den besetzten Ländern repressive Sondergesetzgebungen, die den Einsatz im Reich erzwangen, es kam aber auch überall zu Verschleppungen, Deportationen nach spontanen Razzien usw. Einer der Verantwortlichen für diese brutale Form der Arbeitsmarktregulierung, Fritz Sauckel, der „Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz“ erklärte 1944: „Von den 5 Millionen ausländischen Arbeitern, die nach Deutschland gekommen sind, sind keine 200.000 freiwillig gekommen“ (1).

Bei Stellung und Behandlung der Zwangs- und FremdarbeiterInnen wurde nach Status, zivil oder kriegsgefangen, nach Herkunftsland und ganz deutlich nach den im NS geltenden rassisch-ideologischen Kriterien unterschieden. So galten „ausländische Arbeitnehmer aus den besetzten Gebieten im Westen und Norden des Reiches germanischer Abstammung“, d.h. niederländischer, dänischer, norwegischer und flämischer Herkunft, als den Deutschen gleichberechtigt. Das bedeutete auch, dass sie Einfluss auf ihre Arbeits- und Aufenthaltsbedingungen hatten und nach Ablauf ihrer Arbeitsverträge in ihre Heimat zurückkehren konnten. Dies galt auch für ArbeiterInnen aus den verbündeten Staaten. Deutlich schlechter gestellt waren ZivilarbeiterInnen aus besetzten Ländern sowie Kriegsgefangene. Unabhängig vom Grad der Freiwilligkeit ihres Arbeitsaufenthalts in Deutschland unterstanden sie einer Dienstverpflichtung, in der sie wenig bis keine Freiräume hatten, die sie nicht auf eigenen Wunsch beenden oder ändern konnten. Alle diese Menschen waren gezwungen bis zum Kriegsende in Deutschland zu bleiben. Auf der untersten Stufe der ZivilarbeiterInnen standen diejenigen aus dem Generalgouvernement Polen und die „Ostarbeiter“ aus der Sowjetunion. Sie waren starken Diskriminierungen ausgesetzt, mussten sich in der Öffentlichkeit mit einem Aufnäher kennzeichnen und unterlagen extremen Beschränkungen. So war den polnischen ZivilarbeiterInnen in Leipzig nach einem Beschluss aus dem Jahr 1941 die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel, der Besuch von Gaststätten oder kulturellen Einrichtungen und das Betreten des Stadtzentrums untersagt. Eine ähnliche Stellung in der Hierarchie nahmen die polnischen Kriegsgefangenen ein, sowie die nach 1943 hinzukommenden italienischen Militärinternierten. In Folge des Waffenstillstandes Italiens mit den Alliierten wurden große Teile der italienischen Armee entwaffnet und zur Arbeit in Deutschland gezwungen. Eine letzte Gruppe, bei der in neueren Darstellungen mitunter nicht von Zwangsarbeit sondern von Sklaverei gesprochen wird, bildeten die sowjetischen und polnisch-jüdischen Kriegsgefangenen, Konzentrations- und Arbeitslagerhäftlinge, sowie „Arbeitsjuden“ aus Zwangsarbeiterlagern und Ghettos. Die Ausbeutung ihrer Arbeitskraft diente den Deutschen als willkommenes und effektives Mittel zur Vernichtung dieser als „unwert“ erachteter Menschen.

Wirtschaft und Zwangsarbeit in Leipzig

In ganz Sachsen waren zu Kriegsbeginn noch verhältnismäßig wenige ZwangsarbeiterInnen im Einsatz (2). Anfangs wurden diese vor allem in der Landwirtschaft und somit im Umland eingesetzt. Das Einbinden ausländischer Arbeitskräfte war in der Region jedoch nicht unumstritten. Gerade der sächsische Gauleiter Manfred Mutschmann äußerte Vorbehalte und forderte, das deutsche Dorf müsse frei von nichtdeutschstämmigen Arbeitskräften bleiben. Nichsdestotrotz wurden aufgrund des wachsenden Bedarfs aber schon 1939 mehrere hundert polnische ZwangsarbeiterInnen, vornehmlich Kriegsgefangene, im Leipziger Umland eingesetzt. Ab 1940 begann das Interesse an ZwangsarbeiterInnen auch in der Leipziger Industrie zu wachsen und dies schlug sich ab 1942/43 auch in den Zahlen nieder. Bei der Heranziehung von ZwangsarbeiterInnen taten sich vor allem die etablierten Rüstungsunternehmen hervor, aber auch diejenigen, welche ihre Produktionspaletten im Sinne der Kriegswirtschaft umstellten oder als Zuliefererbetriebe für andere Firmen fungierten. Als Beipiel zu nennen wäre an erster Stelle die Hugo Schneider AG (HASAG), das größte sächsische Rüstungsunternehmen, das neben der Munitionsherstellung vor allem mit der Produktion der Panzerfaust eine wichtige Stellung einnahm. Die Erla-Maschinenwerke, die Allgemeine Transportanlagen GmbH (ATG) und die Junkers Flugzeug- und Motorenwerke produzierten das Messerschmidt-Jagdflugzeug Bf109 sowie die Ju 88, das Standard-Kampfflugzeug der Deutschen Luftwaffe. Die Christian Mansfeld GmbH stellte erst Werkzeug- und Druckereimaschinen her, dann Raketenteile für die „V2“, die Rudolf Sack KG ergänzte bereits 1933 die Herstellung von Bodenbearbeitungsgeräten um die Produktion von Bomben und Granaten. Die Pianofortefabrik Hupfeld-Zimmermann konzentrierte sich auf die Produktion von Militärbedarf für die Luftwaffe. Unterschiedlichen Zählungen und Listen zufolge beläuft sich die Zahl der Rüstungsbetriebe in der Stadt im Jahr 1939 auf fast einhundert (3). Gleichzeitig gab es eine Reihe von Unternehmen, die, wenn auch nicht direkt an der Rüstungsproduktion beteiligt, als kriegswichtig galten. Während das Gros der ZwangsarbeiterInnen in dieser Branche verpflichtet wurde, waren auch in allen anderen noch aktiven Bereichen der städtischen Wirtschaft, vom Druckerei- und Verlagswesen, über Gärtnereien, den Einzelhandel, das Handwerk, bis hin zur Hauswirtschaft ausländische Arbeitskräfte beschäftigt. Die Leipziger Verkehrsbetriebe, die Deutsche Reichsbahn und die Post griffen zur Aufrechterhaltung ihres Betriebs ebenfalls auf ZwangsarbeiterInnen zurück. Ein sehr großer Anteil wurde zudem im kommunalen Dienstleistungs- und Versorgungssektor, wie dem Vieh- und Schlachthof, der Müllabfuhr und in der Stadtverwaltung eingesetzt. Gefährliche und schmutzige Arbeiten fielen vor allem jüdischen ArbeiterInnen und Kriegsgefangenen zu. Letztere wurden in Folge der Luftangriffe auch für Räumungsarbeiten herangezogen. Die weit verbreitete Vorstellung, dass sich Zwangsarbeit allein in der Kriegs- und Rüstungsindustrie abspielte, ist daher Illusion. Das „So einen hatte doch jeder“ (4), was in der Landwirtschaft galt, lässt sich auch für die Leipziger Wirtschaft anbringen.

Unterbringung

Die Unterbringung der ZwangsarbeiterInnen erfolgte auf ganz unterschiedliche Weise. Da Bestimmungen der Deutschen Arbeitsfront (DAF) zufolge „sowohl aus völkischen, sicherheitsmäßigen wie auch kriegswichtigen Gründen eine Unterbringung in Privatquartieren nicht möglich“ war, wurden an allen möglichen Plätzen Wohnlager errichtet. Es gab Firmenlager, die den ArbeiterInnen auf dem Betriebsgelände als Unterkunft dienen mussten. Waren diese Möglichkeiten nicht gegeben oder bereits ausgeschöpft, griffen viele Betriebe darauf zurück, Räume in der Umgebung in Lager umzuwandeln. Sie erhielten dabei, vermutlich aus städtischem Interesse am Wirtschaftsstandort und den zusätzlichen Einnahmen aus der Gewerbesteuer, Unterstützung von der Stadtverwaltung, die Gebäude und Grundstücke zur Verfügung stellte. Das waren unter anderem Gaststätten, wie z.B. das „Waldcafé“ in Connewitz, Kleingartenanlagen, wie beim Lager „Am Entenweiher“ in der Gartenanlage am Prießnitzbad. Ungenutzte Schulen und Turnhallen wurden genauso zweckentfremdet wie fremde oder auch stillgelegte Betriebsgelände und enteignete Gebäude. Das Brausebad Connewitz wurde zum Lager „Südbrause“, in der Zentralstraße 12 entstand das Gemeinschaftslager „Loge“. Es gab Lager mit anheimelnd klingenden Namen wie „Vogelsang“ oder „Schwarze Rose“. An verschiedenen Orten der Stadt, so auch auf Sportplätzen, wurden außerdem in großem Umfang Barackenlager errichtet. Viele der Lager waren überwacht und eingezäunt, insbesondere bei Kriegsgefangenen und den ZivilarbeiterInnen, bei denen aufgrund der Lebens- und Arbeitsbedingungen Fluchtgefahr bestand. Bei einer neueren Untersuchung des Leipziger Stadtarchivs konnten ca. 700 Sammelunterkünfte ermittelt werden, von denen 400 im Stadtgebiet lagen. Sie befanden sich sowohl in Wohn- als auch in Industriegebieten. In der Braustraße 28, Ecke Adolf-Hitler-Straße (heute Karl-Liebknecht-Straße und Feinkostgelände) befand sich beispielsweise das Lager Südbräu, welches von der Wirtschaftskammer betrieben wurde. Hier waren über hundert Menschen untergebracht, die in fast 70 Firmen arbeiteten, die über die ganze Stadt verteilt waren. Ein städtisches Kriegsgefangenenlager befand sich in der Gießerstraße 66 im auch heute noch existierenden Ballhaus Mätzschkers Festsäle. Von hier aus erfolgte der Arbeitseinsatz für Hafen-, Tiefbau- und Stadtreinigungsamt. Auch auf dem Hafengelände entstanden Gemeinschaftslager und Lager für Kriegsgefangenenarbeitskommandos.

Ab 1943 wurde in Leipzig zudem mit der Einrichtung von insgesamt acht Außenlagern des KZ Buchenwald begonnen. Die hier untergebrachten Häftlinge waren bei der HASAG, in den Erla-Werken, bei Junkers, ATG und Mansfeld beschäftigt (5).

Die nahezu flächendeckende Ausbreitung, sowohl was Arbeitsorte als auch Unterkünfte für die ZwangsarbeiterInnen betrifft, macht deutlich, wie selbstverständlich die Ausbeutung „nichtdeutschstämmiger Arbeitskraft“ in Leipzig war. Zwangsarbeit fand in der Nachbarschaft, im eigenen Betrieb, vor den Augen und im Beisein der Bevölkerung statt.

In der übernächsten Feierabend!-Ausgabe wird der Artikel fortgeführt und auf die Lebens- und Arbeitsbedingungen der ZwangsarbeiterInnen und das Schicksal der KZ-Häftlinge eingegangen. Abschließend sollen einige erinnerungskulturelle Aspekte angesprochen werden.

(teckla)

 

(1) siehe Mark Spoerer, Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz, Stuttgart 2001, S. 36.

(2) siehe auch im Folgenden: Thomas Fickenwirth/Birgit Horn/Christian Kurzweg, Fremd- und Zwangsarbeit im Raum Leipzig 1939-1945. Archivalisches Spezialinventar. Hrsg. v. Stadtarchiv Leipzig, Leipzig 2004, S. 5-26.

(3) siehe Klaus Hesse, Rüstungsindustrie in Leipzig, Leipzig 2001.

(4) Roland Werner, „So einen hatte doch jeder im Dorf“ – Zwangsarbeiter in der Landwirtschaft Thüringens 1939-1945, Erfurt 2006.

(5) siehe Wolfgang Benz/Barbara Distel: Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager. Bd. 3, Sachsenhausen, Buchenwald, München 2006.

Kein Containerlager!

Noch Ende letzten Jahres wurde es amtlich: Das in Thekla geplante Containerlager (siehe FA! #34) für Leipzigs Asylbewerber_innen ist offiziell vom Tisch. Praktisch erst einmal ein Grund zur Freude, der die vielen Initiativen und Einzelpersonen, die engagiert gegen die Umsiedlung in die Wodanstraße gekämpft hatten, aufatmen ließ. Doch bleibt auch bei dieser politischen Entscheidung der bittere Nachgeschmack, daß es sich nicht um eine Vernunftentscheidung zugunsten der Asylbewerber_innen handelte, sondern eine zugunsten der städtischen Finanzlage. Um die steht es angeblich nie besonders und so ist auch die Idee der Umsiedlung auf das abseits an der A14 gelegene Gelände hauptsächlich aus finanziellen Überlegungen entstanden, da die beiden derzeit genutzten Heime nur jeweils zur Hälfte ausgelastet sind. Im Falle der Wodanstraße jedoch war der finanzielle Rahmen der Stadt dem einzigen Bewerber um einen Betreibervertrag des Lagers viel zu eng bemessen. Dieses Scheitern wiederum ist vielleicht die Kerbe, auf die die Gegner der Leipziger Asylpolitik nur gewartet haben und spornt sie nun an, kräftig in selbige hineinzuschlagen. So konstituierte sich auf Betreiben des im Juni 2009 gegründeten „Initiativkreis für die Integration von AsylbewerberInnen in Leipzig“ im Januar 2010 das „Bündnis für ein menschenwürdiges Wohnen im Asyl“, welches aus einem guten Dutzend regionaler Vereine und Initiativen besteht. Erstes Ergebnis ist ein Positionspapier (1), welches sich klar gegen die Unterbringung von Asylsuchenden in Sammellagern ausspricht und der Stadt aktive und langfristige Unterstützung auf dem Weg zu selbstbestimmterem Wohnen der Flüchtlinge zusichert. Damit dieser beschritten werden kann, muss jedoch erst über die genau dies forcierenden Anträge der Fraktionen DIE LINKE und Bündnis 90/Die Grünen, die sich seit Dezember im Stadtratsverfahren befinden, positiv abgestimmt werden. Dessen bisherige Entscheidungen lassen allerdings wenig Grund zur Hoffnung, denn selbst die offensichtlichen finanziellen Vorteile sind dort oft kein Argument gegen bürgerlich-rassistische Ressentiments, wie sie auch in Leipzig an der Tagesordnung sind. So bspw. das Klischee vom qua ethnischer Herkunft drogenhandelnden Ausländer, der weit weg von Schulen und Kindergarten ghettoisiert gehört, anstatt durch ein intaktes soziales Umfeld integriert zu werden. Doch daß Aufklärung auch die bürgerliche Mitte noch einmal erreicht, diese Hoffnung aufzugeben sind wir nicht gewillt!

(shy)

 

(1) Nachzulesen unter: initiativkreisintegration.blogsport.de/2010/02/05/buendnis-fuer-ein-menschenwuerdiges-wohnen-im-asyl-veroeffentlicht-positionspapier/