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Zucker, Brot und Peitsche

Zucker II

Nachdem ich euch im letzten Heft gezeigt habe, was Zucker alles mit dem Körper anrichtet, möchte ich mich in diesem Heft mit der Geschichte des Zuckers beschäftigen. Wo kommt Zucker eigentlich her? Wann kam er nach Europa? Wie kam er?

Der Weg nach Europa

Schon immer galt Süßes als etwas Besonderes. Anfangs griff der Mensch nach Honig, um Speisen zu süßen. Er wurde außerdem zur Heilung eingesetzt und bis heute wird daraus Met gewonnen. In unseren Breitengraden war er bis ins Mittelalter die einzige bekannte süße Leckerei.
Die ältesten Belege für Zuckerrohr wurden in Melanesien (Südostasien) gefunden und sind 10.000 Jahre alt. Vor 8.000 Jahren gelangte das Zuckerrohr von dort nach Indien und später Persien, wo die eigentliche Zuckergewinnung entwickelt wurde. In der Antike gelangte Zuckerrohrsaft als Luxusgut ins römische Reich.
Im 4. Jahrhundert v. Chr. brachte Alexander der Große die Neuigkeit vom Zuckerrohrsaft aus Ostindien mit. Er wurde anfangs als „Honig ohne Bienen“ oder „indisches Salz“ beschrieben, bis die Römer die Bezeichnung „Saccharum“ prägten. Da nur winzige Mengen importiert werden konnten, wurde Zucker zu einem Luxusprodukt, das sich nur sehr wenige, sehr reiche Menschen leisten konnten. Erst 600 n. Chr. konnte Zuckerrohrsaft kristallisiert werden. Damit wurde der Zucker haltbar und der Handel über weite Strecken möglich.

Zucker – Ein Handelsgut

Mit dem Islam kam nach dem Ende des persischen Reiches der Zucker und damit die von Sklaven bestellten Zuckerrohrplantagen in den südlichen Mittelmeerraum. Die Araber haben das Wissen der Perser übernommen und verfeinert – Süßigkeiten aller Art wurden nun hergestellt und an den herrschaftlichen Höfen gab es Zucker im Überfluss.
In den Norden gelangten die Süßigkeiten über Spanien. Auch die Kreuzfahrer brachten den „Sukhar“ (arab.) mit. Der Handel begann. Venedig – wichtiger Handelsort für viele Produkte – wurde im 12. Jahrhundert auch wichtigster Umschlagplatz für Zucker. Von dort gelangte er über die Alpen. Anfangs konnte Zucker in Apotheken gekauft werden und galt als Medizin. Im 14. Jahrhundert entstanden dann die ersten Zuckerbäckereien.
Der sächsische Händler Konrad Roth II. (1530-1610), der bei den Welsern eine kaufmännische Ausbildung u.a. im Zuckerhandel bekam, unterhielt in Lissabon eine Faktorei. Er brachte Kupfer, Saflor und Waffen nach Portugal und auf den Rückreisen Zucker nach Sachsen. 1573 ließ er in Augsburg eine der ersten Zuckerraffinerien nördlich der Alpen errichten. (1)
Nach der Vertreibung der Araber von der iberischen Halbinsel durch die Christen kontrollierten bald die Portugiesen und Spanier den Zuckerhandel. Sie unterhielten große Zuckerrohrplantagen, die von afrikanischen Sklaven bewirtschaftet wurden.
1493 brachte Kolumbus das Zuckerrohr in die „Neue Welt“. Das subtropische Klima war ideal für reiche Ernten. Wälder wurden gerodet, Plantagen vergrößert – größer wurde auch in Europa die Lust nach Kaffee, Tee und Kakao und damit die Lust auf Zucker.
Doch auch die Plantagen in Amerika wurden von Sklaven unterhalten. Die amerikanische Urbevölkerung war schnell „aufgebraucht“ – das war der Beginn des transatlantischen Sklavenhandels. 1530 arbeiteten bereits 30.000 afrikanische Sklaven auf San Domingo – hauptsächlich auf Zuckerrohrplantagen. Der Dreieckshandel war in vollem Gange und die europäischen Herrschaftshäuser und Händler schwelgten im Wohlstand. Dass tausende von Menschen in dieser Zeit ihr Leben verloren, ist weit bekannt und muss hier nicht im Detail besprochen werden. Doch neben Tabak, Kaffee, Kakao und Tee ist es auch der Zucker, der diese grausame Geschichte teilt. Neben Spanien und Portugal waren auch die Niederlande, Frankreich, England und Deutschland an dem Handel beteiligt. Heutzutage ist es kaum vorstellbar, welch gewaltige Umsätze damals erzielt wurden, die die Grundlage für die industrielle Revolution in Europa waren.
Im 18. Jahrhundert wurden kritische Stimmen in Europa immer lauter und der Sklavenhandel geriet in Verruf. 1791 kam es zum großen Sklavenaufstand von San Domingo, der am Ende zur Unabhängigkeit von Haiti geführt hat. Auch auf Kuba, danach größtes Anbaugebiet für Zuckerrohr, kam es immer wieder zu Aufständen, bis Kuba 1902 formal selbstständige Republik wurde. (2)

Zucker als Gemeingut

Zucker galt, wie ich schon ausführte, lange als Luxusmittel. Für „normale“ Menschen war Zucker eher Medizin. Er wurde benutzt um Arzneien wie Sirup anzurühren oder Pillen herzustellen. Zuckerprodukte konnten in Apotheken gekauft werden, die mit dem Zuckergeschäft gute Einnahmen machten.
Doch schon im 16. Jahrhundert gab es kritische Stimmen, der Zucker sei schädlich. So beschreibt zum Beispiel ein Besucher 1598 die Zähne der Königin Elisabeth I. als „schwarz, weil sie zu viel Zucker isst“. (3) Allerdings gab es auch zahllose Loblieder auf den süßen, lieblichen Zucker.
Mit der massenhaften Produktion in Amerika fiel der Zuckerpreis im 17. und 18. Jahrhundert und Zucker hielt Einzug in die Alltagsküchen. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts lag der Pro-Kopf-Jahresverbrauch allerdings erst bei 2 Kilo – es war nach wie vor ein Gewürz für besondere Anlässe und wurde außerdem zum Haltbarmachen verwendet. (4)

Die Entdeckung der Rübe

Mit den Sklavenaufständen stieg der Zuckerpreis wieder und die Suche nach lokalen Alternativen begann. 1747 entdeckte der Chemiker Andreas Sigismund Marggraf (1709-1782) aus Berlin bei seiner systematischen Suche nach zuckerhaltigen Pflanzen, dass er aus der Runkelrübe Kristalle gewinnen konnte, die identisch mit den Zuckerrohrkristallen waren. Seinem Schüler Franz Karl Achard gelang später die Produktion von Zucker. Er ließ 1802 in Schlesien die erste Rübenzuckerfabrik bauen. So wurde Preußen unabhängig vom englischen Zuckerimport.
Auch Frankreich förderte die Produktion von Zucker aus der Rübe. Die politische Lage zwischen England und Frankreich war angespannt: die Briten belieferten die Franzosen nicht mehr mit Zuckerrohr, wodurch die Raffinerien in Frankreich zum Stillstand kamen. Der Zuckerpreis stieg. Napoleon erließ darauf eine Kontinentalsperre für britische Schiffe. Die Zuckervorräte gingen zur Neige und die Menschen wurden unzufrieden. Darauf beschloss Napoleon per Dekret den Anbau der Zuckerrübe und deren Verarbeitung. Durch Steuerfreiheiten in Frankreich aber auch in Deutschland wurde die Zuckerindustrie unterstützt und bald gab es genügend Zuckerrübenfabriken, um die Nachfrage zu stillen.
Nach dem Verbot der Sklaverei in britischen Kolonien 1834 brach der Handel mit dem Rohrzucker endgültig zusammen und der Rübenzucker ist zum „Zucker“ geworden. Auch jetzt wird er selten als Rübenzucker bezeichnet, wohingegen der Rohrzucker als solcher betont wird.

Die Zuckersteuer

Nicht nur Händler und Industrielle, auch der Staat verdiente gut am Zucker. Anfangs wurden Zölle auf den Import von Rohrzucker erhoben und später auch auf den Rübenzucker.
1764 erließ das britische Parlament ein Zuckergesetz („Sugar Act“), das vorrangig die Staatskasse nach dem Siebenjährigen Krieg (1756-1763) wieder füllen sollte. Es regelte vor allem den Handel von Zuckerrohrmelasse in den Kolonien. Die allgemeine Steuerpolitik des British Empire stieß in den Kolonien auf Widerstand. Höhepunkt der Proteste war die „Boston Tea Party“ am 16. Dezember 1773. Der Tee stand dabei nur symbolisch für viele Handelsgüter – es hätte genauso gut Zucker sein können und damit „Boston Sugar Party“ geheißen. (5)
1841 wurde in Preußen die Zuckersteuer eingeführt, die anfangs nur den Handel, später auch den Verbrauch betraf. Da damals schon Rübenzucker in rauen Mengen hergestellt wurde, kann von einer Luxussteuer keine Rede sein. Sie war eine reine Verbrauchersteuer, die erst 1993 abgeschafft wurde und bis dahin dem Fiskus einiges einbrachte.
Nachdem lange Zeit Rohrzucker nach Europa importiert wurde, galt Zucker im 19. Jahrhundert als Exportgut in Europa. Zucker war endlich zur Massenware geworden und der Kilopreis wurde in Pfennigen berechnet.
1953 wurde dann das erste Zuckerabkommen der Vereinten Nationen beschlossen, das u.a. Quoten regeln und Lagermengen bestimmen sollte. Es folgten darauf verschiedene Abkommen, die stets erweitert, aber auch eingeschränkt wurden. Das jüngste Abkommen wurde am 20. März 1992 mit der Gründung der „Internationalen Zucker-Organisation“ mit Sitz in London beschlossen. (6) Diese Organisation greift nicht regulierend in die Märkte ein, sondern fördert lediglich den Handel und den Konsum von Zucker und soll neue tolle Produkte erforschen, in denen möglichst viel Zucker enthalten ist. Voll gut.

Im nächsten Heft werde ich euch noch einiges zu Nestlé, Ferrero und Co. berichten, welchen Einfluss die Zucker-Lobby auf die Politik hat und wie staatliche Förderung und wissenschaftliche Studien den Verkauf von zuckerhaltigen Produkten ankurbeln.

Übrigens: Falls ihr mal wieder in Kreuzberg seid und noch mehr zur Geschichte von Zucker erfahren wollt, könnt ihr ja mal im Zuckermuseum vorbeischauen (Trebbiner Straße).

mv

(1) www.deutsche-biographie.de/sfz108370.html
(2) Dass die USA noch heute ein Interventionsrecht besitzen (siehe Guantánamo Bay), steht allerdings auf einem anderen Blatt.
(3) Franz Binder/Josef Wahler, Zucker – der süße Verführer (Freiburg 2004) 42.
(4) Zur Erinnerung: zurzeit beträgt er ca. 36 Kilo.
(5) Hans-Ulrich Grimm, Garantiert gesundheitsgefährdend. Wie uns die Zucker-Mafia krank macht (München 2013) 22.
(6) www.isosugar.org