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„Die allerletzte Härte sind Oberlippenbärte!“

Gedanken zum Schnauzbart

Ich weiß ja nicht, ob es Euch schon aufgefallen ist – der Schnauzbart ist wieder da. Schon eine ganze Weile. Zuerst in Berliner Szeneclubs, aus denen alles Schlechte in die Welt hinausstrahlt, dann in Musikvideos, auf Studentenparties und letztlich von all diesen Devotionalien prangend: auf Jute-Beuteln, T-Shirts, Postkarten und sogar duftend an Rückspiegeln hängend.

Freilich kein deutsches Phänomen, auch Hollywood-Stars tragen ihn wieder, den Moustache. Brad Pitt und George Clooney dienen damit ebenso als Trendsetter wie trashige Kunstfiguren á la Icke & Er {1}. Angeblich als Zeichen der „neuen Männlichkeit“, mit kosmopolitischer Note und wahnsinnig viel Intellekt. Offen bleibt dabei, ob letzterer ironisch gemeint ist und sog. Hipster angetreten waren, ihre Oberlippenpracht im Kontrast zu all den glattrasierten Langweilern hervorzutun. Doch Retro ist es allemal, sei es als Hommage an Magnum und Schimanski oder ironisches Rekurrieren auf den „White Trash“, wie Kurt Cobain ihn sah.*

Immer wieder auftauchende Gemeinsamkeit ist dabei das Sinnbild autoritärer Männlichkeit. Wer kennt sie nicht, die US-amerikanischen Cops mit ihren vor [Autorität] strotzenden Schnurrbärten, den sogenannten Copstache Standards. In Polizeiserien wie [Chips] und später in Musikvideos von NWA oder den Beastie Boys sehen wir die Copstaches als klare Symbole staatlicher Gewalt und Autorität.

Bei weniger Informierten lässt diese Scheinkausalität gerade anhand von Beispielen wie Stalin, Hussein oder Charles Bronson {2} den Eindruck entstehen, Rotzbremsen wären die haargewordene Autorität, ihre Träger per se männlich dominant und Schnauzbärte an sich ein Unterdrückungsinstrument.

Im Rahmen meiner Forschung zeigte sich jedoch, dass Schnurrbärte einfach nur weniger mit Friedensbewegten wie Mahatma Gandhi, Albert Schweitzer oder Martin Luther King in Verbindung gebracht werden. Es zeigt sich hier allerdings eher die tendenziöse Wahrnehmung der meist unbehaarten Bevölkerungsmehrheit. Es liegt außerdem die Vermutung nahe, dass Friedensbewegte hierzulande bewusst auf diese Bärte verzichten, während sie in anderen Kulturkreisen unbeschwert getragen werden können. Und auf die vielen Unterschiede von Anker- bis Zwirbelbart, die dieser Autoritätstheorie ebenfalls widersprechen, möchte ich an dieser Stelle gar nicht eingehen.

Denn nicht Autorität ist in Wirklichkeit das Wesen des Schnurrbarts, sondern pure, ungehemmte Männlichkeit. 70er-Jahre-Pornogott John Holmes dürfte zurecht als derjenige gelten, der maßgeblich den Begriff Pornstache prägte, auch wenn Ron Jeremy vielen von Euch eher ein Begriff sein wird. Oberlippenbärte in der Pornoindustrie kamen auch nicht von ungefähr. In abgeschwächter Form wird bei Cunnilingus-Freunden auch Lovestache {zu deutsch etwas ordinärer Muschibürste} verwendet, welcher den Mythos Schnurrbart in sexueller Hinsicht weiter anfacht. So ist es hier die unbedingte Männlichkeit, die ebenso wie bei den Fußballern der 70er und 80er Jahre in den Vordergrund gerückt werden sollte. Genau diese Überbetonung des starken Geschlechts ließ den Pornobalken in Zeiten des aufkommenden Feminismus dann auch wieder schnell in Verruf geraten. Trugen 1985 ganze 162 Fußballspieler einen Oberlippenbart, so waren es drei Jahre später nur noch 125, 1996 lediglich vierzehn und ab 2001 gab es der Wochenzeitung Die Zeit zufolge keine einzige Rotzbremse mehr in der Bundesliga. Doch der Trend kehrt sich um. 30 Jahre später holt uns noch jede Retro-Welle ein und so lief vor einem halben Jahr der Schalke04-Profi Tranquillo Barnetta mit einem Schnauzbart auf’s Spielfeld, was für ein ordentliches mediales Echo sorgte. Das war bewusst kalkuliert, denn Tranquillo warb für die jährliche weltweite Spendenaktion Movember {3}, im Kampf gegen Prostatakrebs. Und er wurde so zum Teil des erkennbaren Trends, der den Schnurres wieder salonfähig macht. Wobei auch der trashig in Subkulturen getragene Moustache es in den Mainstream schaffte und mittlerweile Modemagazine ziert.

Schlecht finden muss man diesen Trend, der anhält und nicht aufzuhalten scheint, nicht allein aus Hipsterfeindlichkeit. Auch aus ästhetischer Sicht gilt es, diesem populären Gesichtswahn erbitterten Widerstand zu leisten. Zu harmlos erscheinen die Schnauzbärte heutzutage, wenn junge freiheitsliebende Menschen sie tragen, als dass sie noch den nötigen Respekt und die Angst hervorrufen, die zu empfinden einst der Selbstschutzmechanismus der Gesellschaft war.

shy

PS: Für alle, die meinem Beitrag nicht genügend Godwin-Punkte zugestehen, sei der Verweis auf den Hitlerbart freilich noch nachgeliefert. Wer wusste schon, dass diese Bartmimik als offizielles Brokerhandzeichen die Deutsche Bank (und früher auch die D-Mark) symbolisiert. {4}

{1} Richtig-geil-Video
{2} Großbritanniens berühmtester Häftling noch mehr als der Schauspieler
{3} Wortschöpfung aus Moustache und November
{4} tradingpithistory.com/gallery/20/participants/cme/152/brokerage_deutsche_bank

Uebrigens

Antispe Reloaded?!

Flanierte mensch am 25. Januar diesen Jahres die Grimmaische Straße entlang, so bot sich dort ein fast schon vergessenes Protestbild. Blutverschmierte Pelze und Kreidezeichnungen mit dem hervorgehobenen „MORD“ zeigten dem_der interessierten Stehenbleiber_in, dass Galeria Kaufhof wieder in den Pelzhandel eingestiegen war.

Die Offensive gegen die Pelzindustrie (OGPI) hatte zu bundesweiten Aktionstagen aufgerufen und auch etwa 15 Personen aus Dresden und Leipzig beteiligten sich. Sie zeigten Transparente, verteilten Flyer und verspritzten fleißig Kunstblut. Ähnlich zu sehen war dies in Leipzig 2005/06 vor Peek & Cloppenburg und 2008/09 vor Breuninger. Bei letzterem blieb die regionale Kampagne erfolglos, was am allgemeinen Nachlassen des Widerstandes gelegen haben dürfte. Nicht nur das aktionistische Element verschwand. Nach den teils heftigen Debatten der Vorjahre innerhalb der linken Szene um die (Un)Sinnhaftigkeit antispeziesistischer Kritik, also die Kritik an der Ungleichwertigkeit zwischen Menschen und (anderen) Tieren, war es still um die „Bewegung“ geworden. Die jungen idealistischen Aktivist_innen der Antispeziesistischen Aktion und (anderer) Tierrechtsgruppen schienen dem Diskurs entwachsen, entpolitisiert, in materialistische oder esoterische Gefilde entschwunden.

Aber ob nun Nachwuchs oder wieder entflammte alte Hasen, der Widerstand gegen Tierausbeutung war nie ganz fort und erschöpft sich nicht im Konsumieren bei veganen Voküs, Brunches und in veganen Fressläden. Neben Kaufhof in Leipzig waren der Zirkus Aeros in Mag­deburg und die Messe „Reiten, Jagen, Fischen“ in Erfurt Ziele anti­spe­ziesistischen tier­rechts­fokussierten Pro­testes. Ein ostdeutscher Start in ein womöglich wärmeres Jahr des stellvertretenden Widerstandes.

Auch auf theoretischer Ebene tat und tut sich etwas. Im Lesecafé der Gieszer16 stellte die Leipziger Gruppe alfred* zusammen mit dem FSR Soziologie der Uni Leipzig das Buch „Human-Animal Studies – Über die gesellschaftliche Natur von Mensch-Tier-Verhältnissen“ vor. Und am 4. April hält der Psychologe und Tierrechtler Dr. Colin Goldner im Rahmen der Ringvorlesung „Wo steht der Mensch?“ an der HTWK Leipzig einen Vortrag zum Thema „Unsere haarige Verwandtschaft: Zum Verhältnis Mensch-Menschenaffe“. Über Sinn und Unsinn des Antispeziesismus gestritten wird also weiterhin. Jedenfalls solange, bis in Leipzig der erste vollvegane Supermarkt eröffnet, dann wird erstmal eingekauft.

shy

Lokales

Queer-feministische Kneipenkultur (Teil 1)

Dass gerade die zwei Feierabend!-Autor_innen mit der kleinsten Trink- und Rauchpraxis in die Tiefen Lindenauer Schankwirtschaften eintauchten, passt zu den scheinbaren Widersprüchen einer dort aufblühenden antisexistischen Kneipenkultur. Zwei Betreiber_innen luden zum Gespräch und so entstanden im Abstand von drei Monaten folgende Gespräche zu den zwei jungen, vielversprechenden Projekten – der queer-feministischen Wochenkneipe joseph_ine und der Kneipe Skorbut. Anfang Dezember nahmen wir im entstehenden Leseraum des Hausprojekts Casablanca Platz und fragten drauf los …

FA!: Könnt Ihr Euch mal kurz mit Buchstaben vorstellen und erklären, was Ihr so bei der joseph_ine macht?

M.: Ich bin M. und so richtig so was wie Arbeitsgruppen oder so gibt es bei der joseph_ine nicht. Irgendwie wird beim Treffen soweit es geht besprochen wer gerade Kapazitäten wofür hat, ob irgendwelche Sachen organisiert werden müssen, ob irgendwelche Veranstaltungen gemacht werden oder so, zum Beispiel ‘ne Barschicht oder was auch immer. Das wird immer ganz spontan entschieden, je nachdem, wer gerade wofür Kapazitäten hat.

A.: Ich bin A. und mach’ vor allem den Kontakt zum Haus, weil ich selber drin wohne, so als die Schnittstelle und für Getränkebestellung und so Zeug.

FA!: Was ist die joseph_ine eigentlich? Wie würdet Ihr das definieren?

M.: Ich glaub‘ ganz zu Beginn war es schon wie so ‘ne Kneipe angedacht, im queer-feministischen Kontext. Und wo ab und an mal ‘ne Veranstaltung ist, aber so ganz zu Beginn war es einfach nur als Treffpunkt, Treffort angedacht. So nach und nach hat sich ein Programm entwickelt. Dann gab es natürlich irgendwie den Anspruch, einen Politsalon zu machen, dann gab’s noch die Idee, einmal im Monat einen Film zu zeigen. Das alles mit so einem queer-feministischen Anspruch. Was vielleicht noch wichtig zu sagen ist, dass es ‘ne Kneipe ist, die von den Leuten, die dort mitmachen wollen, lebt. Sprich, wer kommt und welche Kapazitäten hat, das kann man dann darin verarbeiten.

A.: Ja, und entstanden ist es aus dem großen, queer-feministischen Vernetzungstreffen, was Anfang Mai 2010 war; wo so 60, 70 Leute aus Leipzig da waren, die in verschiedenen Projekten aktiv sind. Und da gab es dann fünf Arbeitsgruppen, von denen glaube ich keine andere mehr existiert außer die Ladyfestgruppe, die ja dann auch das Ladyfest gemacht hat. Und eine Gruppe war die Raumgruppe, mit diesem Anspruch: „Wir brauchen Räume für uns – und am liebsten gleich mit ‘nem Infoladen, der jeden Tag geöffnet hat und mit Kneipe dran und so. Aber bis wir das schaffen, nehmen wir erstmal einen anderen Raum, um den zu besetzen, um sich einmal die Woche zu treffen und Kneipe zu machen.“

FA!: Wann war dann der Startschuss?

A.: Einen Monat später hat die joseph_ine dann angefangen. Das war ganz gut weil wir mit dem Haus gerade so weit waren, dass die Räume nutzbar waren und es jetzt auch nicht Räume waren, die so vorbelastet sind, die schon zehn Jahre in der linken Szene existieren und wo verschiedene Sachen scheiße gelaufen sind oder so. Und dann war die joseph_ine auch die erste Gruppe, die das Casablanca richtig genutzt und gerockt hat, ganz viel mit gebaut hat. War gut.

FA!: Wie war so die Resonanz am Anfang? Wie hat sich das entwickelt? Wer waren die Leute, die kamen, und die, die mitgemacht haben?

A.: Am Anfang war ‘ne ganz schöne Dynamik. Also so Juni/Juli, dann bis November Pause und dann ging’s quasi so richtig los. Es war schon voll – und es kamen sogar Leute aus Connewitz.

FA!: *lach*

M.: Das ist ja ‘n ganz schöner Weg, den man da zurücklegen muss… Ja, es wurde zu Beginn ganz schön gut angenommen und wahrgenommen – was aber damals schon immer ein bisschen schwierig war und immer noch schwierig ist, sind so Leute, ich glaube die haben so’n bisschen das Gefühl, dass wir als geschlossene Gruppe funktionieren. Und dann kamen immer mal wieder so welche an und meinten „Na… ich würd‘ ja auch gern‘ mal ‘ne Barschicht machen…“ Und wir waren alle immer total froh, wenn jemand ankam, aber so diese Idee dahinter, dass hier halt alle, die irgendwie eine Idee haben, mitmachen können, kam jetzt nicht so deutlich rüber.

FA!: Ist das dann weniger oder mehr geworden, gleich geblieben?

A: Also ja, es wird weniger gerade. Aber das liegt vielleicht auch daran, dass das Programm gerade manchmal so unklar ist oder dass es auch einfach mal spontan ausfällt. Dass halt nicht mehr diese verbindliche Struktur ist: „Mittwochs kann man da hingehen.“ Manchmal ist, wenn keine_r Bock hat, dann halt auch um Zehn oder Elf schon zu, das passiert auch. Über’n Sommer war’s immer ziemlich voll.

FA!: Mal eine praktische Frage: Wenn jetzt kein Programm war, sondern nur Bar – wie kann ich mir das vorstellen? Was ist queer an einer Bar?

M.: Also für mich persönlich ging es gar nicht darum, dass jetzt irgendetwas so ganz besonders ist, sondern darum, dass es ein Gedankengut gibt, das in dem Raum geteilt wird. Gewisse Standards, die für mich nicht erst diskutiert werden müssen. Grad hier im Westen ist die joseph_ine einfach ein super Ort zum Ausgehen.

FA!: Was war denn so die Laufkundschaft? Konntet Ihr die einordnen? Kam die aus dem queer-feministischen Kontext?

A.: Am Anfang war das schon ganz schön viel die Zielgruppe, die dann auch direkt gekommen ist. Jetzt wird es zunehmend zu so einer Kiezveranstaltung – klar, weil Leute aus Connewitz ja auch nicht jede Woche hier herkommen. Dann waren es viel Leute aus Lindenau, die Mittwochabend ein Bier trinken wollen und vielleicht gar nicht so viel mit queer zu tun haben. Es kommen relativ wenig Leute zufällig vorbei. Von der Straße direkt rein, das passiert eigentlich nicht.

FA!: Ihr hattet vorher gesagt, dass es irgendwelche Standards gibt, derer man sich sicher sein kann. Hattet Ihr innerhalb der Gründungsgruppe mal drüber gesprochen, was für euch queer ist, oder was denn so das Mindeste ist, der kleinste gemeinsame Nenner von Euch?

M.: Es ist bei uns immer schon ganz schön fraglich, wer die Kerngruppe ist und mit wem trifft man sich, um darüber zu sprechen? Wir haben das zu Beginn bei uns gemacht, in der Orgagruppe – und dann hatten wir irgendwann auch einen Salon dazu, wo wir mit den Leuten, die hier herkommen/sind, darüber gesprochen haben. Es gab auch mehrere Theorieveranstaltungen dazu.

A.: Wir sind halt nicht so eine inhaltliche Gruppe, sondern mehr eine Orgagruppe. Wir managen irgendwie diese Kneipe und stellen das bereit und wer Bock hat, mal einen Film zu zeigen oder so, kann halt herkommen und das machen. Das ist aber leider nicht so gut rübergekommen – offensichtlich.

A.: Am Anfang war es wirklich auch mehr Kneipe. Oder so gedacht. Als Raum, wo man hinkommen und sich treffen kann und nicht immer ‘ne Veranstaltung ist oder immer irgendwas oder wo man immer zuhören oder gucken muss.

FA!: Wie lange gibt es Euch jetzt ungefähr? Ein Jahr und ein bisschen, oder?

A.: Ja. Bis zum Sommer lief’s ganz gut – dann war Sommerpause und danach ist es nicht mehr so richtig in die Gänge gekommen.

FA!: Und das habt Ihr dann versucht wiederzubeleben mit den festen Terminen?

A.: Joa. Dann diese akute Schwierigkeit, dass viele von uns gerade ‘ne andere Kneipe aufmachen. Das zieht dann halt auch Kapazitäten ab – ganz massiv. Da bleiben dann halt nur noch drei Leute übrig in der joseph_ine – und die können das dann natürlich nicht schmeißen.

FA!: Wie groß ist denn eure Kerngruppe?

A.: Sieben, acht Leute?

M.: Maximal. Vielleicht kann man das gerade bei der Gelegenheit nochmal sagen: Wir hatten mittlerweile so’n bisschen die Überlegung, ob wir es nicht einfach sein lassen. Da gibt es Stimmen, die sagen: „Einfach sein lassen“, so aus einem Frust heraus. Dann gibt es aber auch Stimmen, die sagen: „Nein eigentlich nicht so, auch wenn es gerade nicht so gut angenommen wird, aber es ist einfach ein Ort.“ Ich glaube aber, um das weiterhin irgendwie stemmen zu können brauchen wir mehr Leute. Wer da Lust hat, soll gerne dazu stoßen, oder neue Energie und Inputs bringen. Wir sind da sehr dankbar.

FA!: Wie können sich dann die Leute bei Euch melden? Wann ist das Plenum? Während der joseph_ine oder am Nachmittag?

M.: Das ist schon an einem Mittwoch, wann genau, das kann auf unserer Homepage nachgelesen werden. Ansonsten kann man auch einfach zur joseph_ine vorbeikommen.

FA!: Wie viele Leute kommen denn durchschnittlich?

A.: Das ist total verschieden, auch ganz schön wetterabhängig.

M.: Das ist überhaupt nicht abzusehen. Neulich war ich hier, da saßen ganz viele Leute hier, die habe ich noch niemals vorher gesehen. Das freut mich natürlich, aber das war überhaupt nicht zu erklären, es war total voll – und gerade sonst ist das nicht so.

A.: Vorletzte Woche waren wir zu zweit bis um Elf rum und dann kamen plötzlich 20 Leute. Manchmal ist es auch total voll.

M.: Wie kamt Ihr eigentlich dazu, uns zu interviewen?

FA!: Das kam – glaube ich – über mich, weil ich jetzt neu zum Feierabend! kam, da ich mein Studium endlich soweit fertig habe, dass ich dafür Kapazitäten frei habe. Und ja, mir war der Feierabend! ein bisschen zu wenig queer und außerdem gehört es zu den wenigen Themen, über die ich schreiben kann. Ich fand das Konzept sehr interessant, aber finde, dass man viel zu wenig darüber stolpert, wenn man sich in Leipzig bewegt. Da es meines Wissens nach nicht sonderlich viele queere Veranstaltungen gibt in Leipzig – wenn man mal schwullesbische Diskotheken, die sich queer nennen, ausschließt – fänd‘ ich es schön, wenn es die joseph_ine länger gäbe und sie mehr Leute kennen lernen würden. Queere Örtlichkeiten in und um Leipzig – was fällt Euch denn dazu noch ein? Mir fällt halt nicht so viel ein, was noch bestünde.

M.: Ich denke gerade an tipkin.

FA!: Das ist die queere Radiosendung auf Radio Blau?

M.: Genau.

A.: Dann gibt es halt schon noch viel so Partysachen. Queerparties gibt es schon immer mal wieder. Und es gab dieses Paranoid Paradise – das queere Filmfestival. Wenn man’s mit Berlin vergleicht, ist es ein Witz – aber wenn man es mit Halle vergleicht, ist’s schon viel.

M.: Ich wollte drauf hinaus, dass es immer schon Querverbindungen gab, dass es wohl schon so etwas wie eine Gruppe gibt, die so etwas regelmäßig macht.

A.: Es gibt immer mal wieder solche Veranstaltungen, ne? Es gibt diese „Gender Kritik“-Reihe von der Uni, dann gibt es immer wieder mal Veranstaltungen vom Institut für Frauen- und Geschlechterforschung.

M.: Es gab‘ irgendwann mal von der Do-It-Herself-Gruppe diese Visual-Crew, die sich queer-feministisch tituliert hatte, dann allerdings ein bisschen Schwierigkeiten hatte, das über Visuals in die Praxis umzusetzen. Aber ich glaube, die haben zumindest so eine Denke dahinter.

A.: Wir hatten ein queeres Fußballteam beim Ataricup!

M.: Oh yeah! Wir waren das bestgelaunteste Team.

FA!: Ihr wollt also sagen Ihr habt haushoch verloren?

M.: Ja. (lacht)

A.: Wir hatten viel Spaß.

M.: Noch mehr Fragen?

FA!: Ja, ich hatte noch irgendwo eine… genau! Ich würde gerne noch mal was zur Zukunft fragen. Es scheint ja gerade so, als wäre die Zukunft der joseph_ine fragwürdig… Gibt es irgendwelche großen Konzepte, was Ihr euch für die Zukunft vorstellen könntet?

M.: Ich glaube, das ist ganz schön abhängig davon, wen du gerade fragst. Also für mich zum Beispiel steht es überhaupt nicht zur Diskussion, dass die joseph_ine schließt. Große Konzepte gibt es nicht, aber Fakt ist, dass es irgendwie weitergeht. Und wenn man es auch einfach erst mal so macht, dass es nur alle zwei Wochen öffnet oder so. Also große Zukunftskonzepte nicht, Schließen aber auch nicht!

FA!: Okay, und wie sieht es bei Dir aus, A., wie würdest Du das Ganze einschätzen?

A.: Ich weiß es nicht, ich kann’s gerade nicht so einschätzen. Ich glaube, es sind schon alle total gewillt, da weiterzumachen, aber dann ist es halt so wie gestern, wo dann plötzlich niemand kommt, keine Tresenschicht kommt und dann fällt es einfach aus. Klar, dann machen viele von uns jetzt die andere Kneipe da drüben auf, was eine kommerzielle Kneipe ist.

FA!: Welche Kneipe? Wo?

A.: Skorbut am Lindenauer Markt. Im ehemaligen „Schotten“.

FA!: Es heißt noch „Schotte“?

M.: Nein! Es heißt Skorbut! Heute hat die Frau von unserer Müllabfuhr angerufen und meinte: „Ich würde Euch nächste Woche Dienstag mal die Mülltonne vorbeibringen, was soll ich’n da drauf schreiben?“ Und dann meinte ich: „Na, da steht Skorbut drauf!“ Also die Kneipe heißt schon Skorbut, „Schotte“ muss gestrichen werden!

A: Es kennen halt alle noch als den „alten Schotten“. Das machen schon die meisten Leute aus dem joseph_ine-Spektrum und das merkt man schon, wie sich das gegenseitig ein bisschen behindert. Aber ich fänd‘ es schade, wenn die kommerziellen Strukturen die nichtkommerziellen fressen würden – wie so oft. Das fänd‘ ich ganz schön scheiße.

M.: Ja.

FA!: Das heißt also: Die joseph_ine braucht dringend noch Unterstützung, weil von Euch jetzt ‘n bisschen Kräfte abgezogen werden. Wo können sich die Leute jetzt direkt melden, wie sollte man am besten vorgehen, wenn man helfen möchte?

M.: Ich würde sagen: Bei Bedarf einfach mal vorbeikommen!

A.: Oder beim Plenum mal vorbeikommen. Oder Mittwochabends einfach mal die Tresenleute ansprechen.

FA!: Hmm, also irgendwie fehlt mir noch Tiefe.

A.: Tiefe.

FA!: Hättet ihr eine Anekdote, so aus dem Stegreif?

A.: Vielleicht diese Queerparty, wo wir diese paar Leute rausgeschmissen haben? [Gelächter]

FA!: Ooh, jetzt wird’s interessant. Wen habt ihr rausgeschmissen?

M.: Ziemlich viele. [Klingt wie ein abgeklärtes Cowgirl] Harte Tür. Gute Tür.

A.: Naja, wir haben zwei Leute rausgeschmissen oder so. Den mit dem Deutschlandtrikot und den, der die ganze Zeit Leute angefasst hat auf der Tanzfläche. Beides war nicht schön.

M.: Nee.

A.: Es verirren sich schon, gerade bei den Tanzveranstaltungen, doch mal Leute hierher, die denken es wäre eine ganz normale Disko und sie könnten sich benehmen wie in einer ganz normalen Disko. Und das ist dann wahrscheinlich der Unterschied – dass wir da ein bisschen aufmerksamer sind. Und dann relativ zügig auch Leute rausschmeißen. Na klar, erst ansprechen und diskutieren, aber dann irgendwann auch aufhören mit Sprechen und rauswerfen.

M.: Jetzt überleg‘ ich die ganze Zeit wegen einer Anekdote.

A.: Es ist jetzt auch alles einfach nicht so spektakulär. Rumsitzen, Bier trinken, ein bisschen Kickern …

FA!: … und dabei nicht blöd von der Seite angemacht werden.

A.: Manchmal kommt ein Film… total langweilig das Konzept. Aber eigentlich auch ganz gut so. Manchmal gibt es dann auch Themen und Diskussionsrunden.

M.: Und da hatte ich in diesem Rahmen auch schon echt nette Unterhaltungen. Die so in einem anderen Kontext einfach nicht stattgefunden hätten. Ich habe jetzt gerade an diesen einen Politsalon gedacht, wo wir gar nicht so groß und breit über so einen theoretischen Rahmen gesprochen haben, sondern darüber, was wir unter queer-feministisch verstehen und wie wir so zueinander stehen und das war irgendwie ziemlich gut. Ich brauch immer diese vertraute Atmosphäre dafür, um einfach so ein bisschen Tiefgang zu haben und dafür ist die joseph_ine – also für mich zumindest – schon ganz schön gut.

… an dieser Stelle blenden wir aus und bedanken uns herzlich für das Gespräch. Eine Fortsetzung war abzusehen und folgte Monate später. Blättert einfach um …

Die joseph_ine im Netz: josephine.blogsport.de/
Und (fast) jeden Mittwoch ab 20 Uhr in der Josephstraße 12.

Lokales

Queer-feministische Kneipenkultur (Teil 2)

Anfang März 2012 im gemütlichen Hinterzimmerchen einer Eckkneipe am Lindenauer Markt. Wir freuten uns auf ein Wiedersehen mit den zwei redseligen Kneipenmacher_innen und wurden nicht enttäuscht …

FA!: Es sind seit unseren Interview jetzt drei Monate vergangen. Wie hat sich das entwickelt mit der joseph_ine?

M.: Es hat eine Transformation stattgefunden, wir haben noch nicht zugemacht. Dadurch, dass die Gruppe relativ verkleinert ist, war das Problem, dass so etwas wie eine Kerngruppe nie so wirklich vorhanden war. Und jetzt haben sich nochmal ein paar Leute zusammengesetzt und es ist relativ klar, dass es schon irgendwie weitergeht, allerdings nicht mit regelmäßigem Jeden-Mittwoch-Betrieb. Sondern immer nur wenn Veranstaltungen sind, werden die gemacht. Im Moment werden immer so Veranstaltungen gemacht, so wie gerade Bedarf, Ideen da sind. Was jetzt nicht jeden Mittwoch ist, aber der März war schon ganz gut gefüllt. Und immer nur bis zwölf; wenn Kneipenbetrieb gewünscht ist, dann können die ja einfach nebenan in’s Skorbut kommen. Aber aufgelöst noch nicht. Noch nicht!

A.: Aber es war schon kurz davor. Die letzten Treffen, wo wir dann zu dritt waren; gemerkt haben, dass es einfach nicht mehr geht. Haben wir auch gedacht, machen wir jetzt nur noch bei Bedarf und Veranstaltungen und setzten nochmal einen Hilferuf aus. Und es sind ja jetzt plötzlich auch vier, fünf neue Leute aufgetaucht, die Bock haben, da auch verbindlich regelmäßig Tresen zu machen oder irgendwas. Und damit läuft das jetzt wieder.

FA!: Zumindest Du warst beim letzten Mal nicht so gut drauf, bist Du jetzt besser gelaunt?

A.: Ich hab’ mich einfach ein bisschen rausgezogen, ne? Also ich bin da selten, mache nächste Woche da ‘ne Veranstaltung, ok. Also ich find’s super, wenn neue Leute kommen. Gucken, wie’s wird ….

M.: Und ich mag’s auch sehr. Grade in so ‘nem Kontrastprogramm zu einem Skorbut-Kneipenabend finde ich joseph_ine immer sehr warm und sehr leicht. Kann ruhig noch weiter geh’n.

FA!: Ich frage mich, wie’s kommt, dass die joseph_ine nicht ganz so gut besucht ist, im Gegensatz zum Skorbut. Liegt das am Angebot – hier ist ‘ne richtige Kneipe und dort ist mehr so … naja, nicht so ‘ne richtige Kneipe? Also wollen die Leute sowas hier?

M.: Also ich glaube, das zieht nochmal ganz andere Zielgruppen an. Joseph_ine war ja schon immer ziemlich so Szenepublikum. Also wenn’s jetzt um so Hausprojekte ging oder halt wirklich um diesen queer-feministischen Anspruch, der dahinter steht. Und hier sind halt einfach auch so ziemlich viele, die halt nicht unbedingt sich in solchen Szenen bewegen, sondern eher hier in der Kuhturmstraße aktiv sind und so Ausstellungen machen oder viele aus dem Theater der jungen Welt, viele junge Schauspielende sind da und so. Ist einfach nochmal ein ganz anderer Anreiz.

A.: Normale Leute einfach aus dem Kiez. Die mal gucken kommen, was hier so in ihrer alten Stammkneipe wieder los ist. Was ich auch glaube, ist jetzt nur ‘ne Vermutung, es ist einfacher hierher zu kommen, weil es hier so klar ist – hier bezahl’ ich Geld und krieg’ dafür was. Das ist so ‘ne klare Aufgabenverteilung. Und in der Bäckerei [Anm.: Synonym für Casablanca] ist es ja schon immer so, eigentlich soll ich dann auch noch da was mithelfen. Und am Ende mit aufräumen und dann soll ich noch mein Geld selber einschätzen, ist schon anstrengender. Da wird von den Leuten einfach mehr erwartet. Mich verantwortlich zu fühlen für den Raum – das ist hier überhaupt nicht.

M.: Ich weiß noch grad zu Beginn, dass viele Leute so ein bisschen ängstlich, unsicher waren, ob sie jetzt einfach so reinkommen dürfen in diese Kneipe da unten, also in die joseph_ine. Ist halt einfach einfacher, in eine Kneipe zu gehen.

A.: Hier machen wir auch größere Veranstaltungen, da kommen auch viel mehr Leute. ‘Ne Kneipe, die sechs Tage offen hat, ist auch einfacher hinzugehen als … mittwochs und dann vielleicht auch nicht jeden Mittwoch. Und dann regnet’s und dann geht man doch nur einmal im Monat hin.

FA!: Ich wüsste gerne zur „Türpolitik“ was. Ihr hattet ja beim letzten Mal so schön davon erzählt, dass es hier anders sein soll als in anderen alternativen Kneipen und Ihr selbst bei der joseph_ine schon Leute vor die Tür setzen musstet. Wie hat sich das hier ergeben?

A.: Ist schon auch passiert, aber wenig. Der Typ mit dem Deutschlandtrikot, den ich bei der joseph_ine rausgeschmissen hab’, der war hier und redete nur Scheiße.

FA!: Aber diesmal war er ohne Deutschlandtrikot da?

A.: Ja, aber ich hab’ ihm trotzdem gleich gesagt, er soll gehn. Hatt’ ich kein Bock. Nee ach … was haben wir für ‘ne Tür? Erstmal isses offen und Leute können erstmal kommen und wenn sie anfangen, sich daneben zu benehmen, dann fliegen sie halt raus oder dann passiert irgendwas. Hier herrscht so ‘ne höhere Sensibilität dafür, was passiert hier grad im Raum und wie gehen Leute grad miteinander um.

M.: Wir haben nicht in der Gruppe so eine Art Checkliste, die erfüllt werden muss, bevor man rausschmeißt.

A.: Das andere ist halt auch, wenn Leute besoffen sind, grad am Wochenende und zu später Stunde, dann reden die halt auch einfach Müll. Ich nehm’ das mittlerweile auch alles nicht mehr so ernst, aber da kommt schon immer mal irgendso ein blöder rassistischer Spruch. Klar, dann kann ich hingehen und sagen: Hey, reiß Dich mal zusammen! oder so, aber dann fange ich nicht mehr irgendwelche Diskussionen an. Aber da gehe ich davon aus, die sind betrunken und am nächsten Tag ist es ihnen peinlich und dann ist auch wieder gut so.

FA!: Die unglückliche Zukunftsfrage …

A.: Aktuell ist, wir sind bis Ende Mai auf jeden Fall hier und danach ist es total unklar, was passiert. Es kann sein, dass wir in irgendeiner Form hier bleiben. Es kann sein, dass wir woanders hingehen. Und es kann sein, dass wir überhaupt nicht mehr existieren danach …

M.: Das glaube ich aber nicht! Also für mich ist das überhaupt kein Ende. Es gibt mal wieder ‘ne Transformation und vielleicht sowas wie: Wer ist eigentlich Skorbut, bitteschön? Und das mit noch ein bisschen mehr Verantwortung.

FA!: Nochmal zum Selbstverständnis: Ihr findet’s nicht wichtig zu postulieren, was die Kneipe für einen Anspruch hat, oder?!

A.: Ich glaube, es wurde schon ziemlich schnell durch die Eröffnung, durch ganz viel Hörensagen ziemlich klar, wie wir ticken und aus welchen Kontexten wir kommen. Ist ja auch nicht so, dass das alles gänzlich unbekannte Leute hier hinter dem Tresen sind. Dadurch ist schon ein bisschen klar, in welche Richtung das geht und welchen Anspruch wir haben. Vielleicht muss man auch seinen Gäst_innen manchmal ein so bisschen Eigenverantwortung zutrauen und muss die nicht die ganze Zeit mit irgendwelchen Verboten oder Ansprüchen in irgendwelche Richtung weisen. Wenn’s Probleme gibt, sind wir schon da und haben schon eine Meinung, für die wir einstehen können und die auch argumentieren können.

FA!: Seht Ihr da die Gefahr, dass es sich durch die alltägliche Praxis, den Trott, den Alltag doch einschleicht, dass Ihr weniger sensibel werdet?

A.: Ich denk’ jetzt nicht in Jahren, nicht? Ich glaub’s eigentlich nicht, weil wir alle schon ziemlich klar haben, was so unsere politischen Vorstellungen und Ansprüche sind. Und dann gibt’s vielleicht Momente, wo’s mir zu anstrengend ist, dazwischen zu gehen oder sowas. Allein auch durch die Auswahl der Veranstaltungen und was da für Plakate drinhängen oder die Bierdeckel oder so … es zieht sich ja durch, ohne dass es jetzt total plakativ überall dran steht.

FA!: Was unterscheidet die Veranstaltungen zu den Veranstaltungen, die in anderen alternativen Kneipen sind?

M.: Ich glaub’, wir haben schon intern so ganz viel auf dem Schirm, dass wir versuchen, so ein Geschlechterverhältnis zu halten. Dass einfach nicht so Typenbands die ganze Zeit auftreten, sondern auch gerne mal ein Abend, wo zwei Frauenbands spielen. Gibt solche Diskussionen innerhalb, kriegt man nach außen gar nicht so mit.

A.: Auch was wir für Musik spielen, die ganze Zeit. Fällt vielleicht gar nicht so auf, aber da haben wir uns auch viel drüber unterhalten, dass es nicht nur quotiert ist, also paritätisch, sondern dass eher mehr Frauenbands spielen. Und dann gibt’s so Polit­veranstaltungen, wie diese Buchvorstellung zum Beispiel, zur Knastkritik. Das sind halt so linke Sachen, demnächst gibt’s wahrscheinlich so ‘ne Trans*-Buchvorstellung … halt so Zeug.

M.: Morgen ist zum Beispiel ‘ne Veranstaltung, wo einfach klar war, dass das irgendwie unterstützt wird. Vom Ladyfest, die einfach einen Raumausweich brauchten. Margret Steenblock, die vorher irgendwo im Süden auftreten wollte und da ging’s dann spontan nicht und bei solchen Sachen ist dann klar, dass das irgendwie unterstützt wird, auch ohne großartig erstmal durch’s Plenum sprechen oder so.

FA!: Wie ist eigentlich Eure ökonomische Situation gerade? Wo geht’s finanziell hin? Immerhin habt Ihr auch ganz moderate Preise.

A.: Da müssen wir eventuell auch nochmal was dran drehen, an den Preisen. Wir zahlen uns bisher keine Löhne aus, weil wir ja noch die Schulden zurückbezahlen. Ist also quasi ehrenamtlich grade, was eigentlich auch ein bisschen krass ist.

FA!: Aber in absehbarer Zeit soll’s mal …

A.: Also vielleicht nicht, dass zehn Leute davon komplett leben können. Aber irgendwie … nach Bedarf.

FA!: Aber dass der Stundenlohn schon ein adäquater ist. Also wenn man hier 30, 40 Stunden arbeiten würde, dass man dann davon leben könnte …

M.: Wenn man wöllte, ja. Ich glaube, hier will niemand 40 Stunden die Woche arbeiten. Das ist ja die ganze Sache, deswegen …

A.: Ist schon kein Wunder, warum hier überall fünf Euro Stundenlohn gezahlt wird. Also die Gewinnspannen sind einfach ziemlich niedrig. Und die Nebenkosten sind enorm hoch. Und dann bezahlen wir noch die ganzen Steuern und das ganze Zeug und da bleibt echt nicht viel übrig.

M.: Ey, habt Ihr jetzt noch irgendwas wichtiges? Ich hab’ nämlich total Hunger.

FA!: Ja … wir auch, dann mal los. Vielen Dank, daß Ihr das heute noch einrichten konntet, und lasst Euch nicht unterkriegen!

shy & gundel

Lokales

Facebook muss sterben, damit ich leben kann!

Ich bin ja nicht bei Facebook. Ich besitze auch keinen Facebook-Account. Und nein, ich mache auch nicht mit bei diesem Facebook. Dennoch bestimmt Facebook mein Leben, denn dieses Facebook begegnet mir einfach überall. Ich kann ja kaum eine Webseite mehr besuchen, ohne Facebook-Buttons betrachten und vorsichtig umgehen zu müssen. Facebook auszuweichen ist schwierig geworden heutzutage. Ist ja auch in aller Munde, dieses Facebook. Da reden die Medien jetzt schon von Facebook-Revolutionen. Auf Facebook sei mal wieder zu Aktionen aufgerufen worden. Und Facebook ist ja auch sooo praktisch, wenn’s um Mobilisierung geht, meint ein Genosse. Nur bekomme ich das meiste ja gar nicht mehr mit, wenn ich nicht bei Facebook bin. Otze feiert Geburtstag im Clara-Park und ich hätte es fast verpasst, weil ich’s nicht bei Facebook las. Ich müsste doch einfach nur bei Facebook sein, sagte er. Ich müsse ja auch keine persönlichen Informationen bei Facebook lassen. Aber ich würde eben teilhaben können und immer up-to-date sein, erst recht wenn ich die Facebook-App auf dem Smartphone hätte.

Ich hab’ nichtmal so ein scheiß Smartphone, Du verkackter Facebook-Primitivist!!!

Gut, ich sollte mich vielleicht doch nicht so über Facebook aufregen. Im Grunde ist Facebook doch nur ein Mittel zum Zweck, ein Kommunikationsmittel. Dort kommunizieren dann alle, die bei Facebook sind. Die, die nicht bei Facebook sind, kommunizieren ja auch noch. Nur eben nicht mehr mit denen von Facebook. Naja, vielleicht ist das auch die wahre Facebook-Revolution. So wie die Neandertaler damals den evolutionären Nachteil gegenüber dem Homo Sapiens hatten, so habe ich wohl einen Nachteil gegenüber den Facebooker_innen. Facebook sortiert, vielleicht ist das der Lauf der Dinge. Aber warum komme ich mir dann ausgeschlossen vor, weil ich den Facebook-Quatsch nicht mitmache? Momentchen … doch wohl, weil ich qua Facebook tatsächlich ausgeschlossen werde! OK, vor Facebook war ich auch einer der letzten, die so ein „Handy“ hatten. Aber die Informationen erreichten mich noch, es gab keinen erbarmungslosen Facebook-Filter!

Schlimmer als die DDR, dieses Facebook!!!

Was soll’s, Facebook hat sicher auch gute Seiten für die, die sich davon fernhalten, oder? Mit dem Facebook-Text hier darf ich immerhin mal wieder mehr schreiben als Justus. Junge Frauen üben sich neuerdings im Facebook-Ausdruckstanz, um mich zu inspirieren. Facebook könnte also durchaus was abzugewinnen sein. Aber wem mache ich was vor, ich hasse Facebook! Wo Hass ist, muss immer auch Liebe sein, schrieb sicher mal jemand in seinem Facebook-Status. Aber warum sollte überhaupt irgendjemand mit Restvernunft einen Fick auf etwas geben, was bei Facebook steht?! Ist Facebook nicht der globale Mülleimer menschlicher Kommunikation? Woher ich überhaupt weiß, was bei Facebook geschrieben wird? Na jeder zweite Facebook-Depp lässt doch seinen Account offen stehen, egal an welchem Rechner er sich befindet. Da komme ich gar nicht drum herum, auf Facebook-Seiten zu gucken. So blöd und blind kann eben auch nur Facebook machen. Facebook als Gradmesser für die soziale Degeneration einer Gesellschaft. Vom facebookschen Verfall der Gesellschaft … wobei, ich will Facebook mal nicht überbewerten. Facebook stinkt einfach nur. Facebook sozialpsychologisch zu betrachten hieße, sich mit dem intellektuellen Bodensatz einer eh schon abgestumpften medialen Gesellschaft zu beschäftigen. Da können Politniks noch so sehr den angeblichen Graswurzelcharakter von Facebook und Twitter beschwören, ich werde diesen Gestank einfach nicht mehr los. Facebook klebt wie eine elende Klette am mir, ist überall, Facebook nervt immer. Sich Facebook ganz zu entziehen würde bedeuten, alles hinter sich zu lassen. Eine Option, die Facebook nicht zulässt. Facebook versaut mir nicht nur das Internet; auch das Essen, Musik, Freundschaften und meine Lieblingsserie vermiest mir Facebook immer mehr!

Ja sogar der letzte Sex wäre ohne Facebook ganz OK gewesen!!!

Ach … ich bin müde, Facebook schafft mich. Warum kann nicht einfach mal irgendwo irgendetwas ohne Facebook sein?! Habe ich Facebook am Ende gar verdient? Facebook als postmoderne Erbsünde, oder was? Ich ahne schon, wodurch das Paradies sich definiert – durch die pure Abwesenheit von Facebook. Aber Träumen hilft auch nicht, das Facebook-Trauma ist zu real. Um mich herum: Facebook. In meinem Kopf: Facebook. Überall nur: Facebook!

Facebook, Facebook, Facebook.

shy

Soziale Bewegung

Legends of Leaks

Sommerlöcher haben ja die Angewohnheit, letztlich doch immer irgendwie gefüllt zu werden. In der Netzcommunity besorgten das diesen Sommer zwei alte Bekannte, die mit WikiLeaks im letzten Jahr in aller Munde waren. Ihr mediales Comeback erlebten sie nun im „Zickenkrieg“ (Fefe) und mit dem „Depeschen-Desaster“ (das ehemalige Nachrichtenmagazin). Doch der Reihe nach …

 

Herbst 2010: Die Internet-Plattform WikiLeaks machte mit immer skan­dal­trächtigeren Enthüllungen auf sich aufmerksam. Gründer Julian Assange geriet unter Vergewaltigungsverdacht, während sich der deutsche Sprecher Daniel Domscheit-Berg mit Kritik an Assanges autokratischem Stil und einer Festplatte ungeleakter Daten aus dem Staub machte. Diese hinterlegte er vertrauensvoll beim deutschen Chaos Computer Club (CCC), der sich um eine Übergabe kümmern sollte, sobald Assange die Sicherheit der Enthüllungsplattform wiederhergestellt hatte. Dazu kam es bis dato nicht, jedoch fanden sich kurz darauf die Daten im Internet wieder. Julian und Daniel beschuldigten sich gegenseitig des Vertrauensbruchs (und gerüchteweise der Ge­heim­dienstzusam­menarbeit) und ließen sich von den Medien in eine regelrechte Schlammschlacht treiben, aus der beide nur als Verlierer herausgehen konnten.

Während Assange sich wegen der Ver­gewaltigungsvorwürfe nach wie vor in britischem Auslieferungs-Hausarrest befindet, arbeitet Domscheit-Berg fieberhaft am neuen „Open­Leaks“ (eine Art toter Briefkasten, durch den Whistle­blower Dokumente direkt bei Open­Leaks nutzenden Medien anonym einreichen können). Das stellte er beim Chaos Communication Camp 2011 vor und rief die Hakcker_innen zum Testen auf. Im Grunde business as usual, jedoch war der CCC-Vorstand der Ansicht, Domscheit-Berg habe damit den Eindruck erweckt, der CCC würde mit „eine[r] Art Sicher­heits­über­prü­fung“ ein „CCC­­­­­-Gütesiegel“ vergeben und schloss ihn per Mehrheitsbeschluss vom Club aus, da Ansehen und Glaubwürdigkeit des CCC bedroht seien. Es bleibt zu vermuten, daß dies nur der sprichwörtliche Tropfen war, der das Fass des WikiLeaks-OpenLeaks-Zanks, in die der CCC mit hinein gezogen wurde, zum Überlaufen brachte. Doch mit soviel Zoff und Klatsch um die hochsensiblen Whistle­­­blower-Plattformen und deren Programmierer nicht genug, leckte auch WikiLeaks selbst und liefert Kri­ti­ker_innen neue Munition.

Beim „Leck im Leck“, dem (wahrscheinlich) unfreiwilligen Zugänglichmachen der US-Diplomaten-Depeschen, mangelte es den Enthüllern nämlich ziemlich an Professionalität. Julian Assange hinterlegte vor etwa einem Jahr für den Kontakt-Journalisten vom Guardian, David Leigh, eine Datei auf dem öffentlichen Wikileaks-Server, versteckt unter all den veröffentlichten Daten. Dazu gab er ihm ein Passwort, welches es um ein bestimmtes Wort an einer bestimmten Stelle zu ergänzen galt. Bei der Datei handelt es sich um die kompletten und unredigierten US-Depeschen, die von WikiLeaks und Medienpartnern wie dem Guardian in Auszügen schon veröffentlicht wurden. Die von Julian hinterlegte Datei enthält jedoch das gesamte Rohmaterial, u.a. die Daten von Infor­man­t_innen und anderen potentiell gefährdeten Personen. Die verschlüsselte Datei wurde im Zuge der Spiegelungen der Seite im November 2010 durch Wiki­Leaks-Sym­pa­thi­sant_in­nen (zum Schutz vor Attacken gegen die Plattform) weltweit mit verteilt und ist seitdem für jeder­mensch er­reich­bar. Aller­dings wusste bis En­de August 2011 niemand in der Öffentlichkeit, was sich in dem komprimierten Datenhaufen verbarg. Dann aber gab die Wochenzeitung der Freitag (Domscheit-Bergs Open­Leaks-Medienpartner) das Leck bekannt und setzte Hinweise auf das Passwort. Dieses wurde in kompletter Form vom Guardian-Journalisten in einem Buch als Kapitelüberschrift verwendet, offenbar in dem Unwissen darüber, daß es noch gültig war. Seitdem kann jede_r mit etwas For­schungswillen und Google-Kenntnissen die ehemals geheime, mit sensiblen Daten bestückte Datei auslesen. Darauf ging WikiLeaks in die Offensive und leakte seinerseits die unredigierten Depeschen, mit der Begründung, daß diese ja nun sowieso für jedermensch zugänglich seien und gefährdete Personen Monate Zeit hatten, sich in Sicherheit zu bringen. Die Interpretationen, wie genau und warum es zu dieser Panne kam, ob (verschwörungstheoretisch gesehen) Absicht dahintersteckte oder es sich tatsächlich nur um eine Verkettung unglücklicher Unfähigkeiten handelte, bleiben dem geneigten Auditorium überlassen.

Und die Moral aus der Geschicht? Hacker und Kämpfer für die Informationsfreiheit, die sich in einem von den Medien angefachten Zickenkrieg gegenseitig denunzieren und diskreditieren, sorgen für einen Vertrauensverlust von – für diese Verhältnisse – epischem Ausmaß. So wie Wiki­Leaks für potentielle Geheimnis­ver­räter_innen nun passé ist, wird auch OpenLeaks mit Daniel Domscheit-Berg an der Spitze auf keinen grünen Zweig kommen. Glaubwürdigkeit bleibt auch im professionellen Geheimnisverrat das A und O. Doch es wird weitergehen mit dem Whistleblowing. Solange Regierungen versuchen, Geheimnisse zu wahren, solange wird es auch engagierte Menschen geben, die ans Tageslicht bringen, was wirklich auf den Etagen der Herrschaft passiert.

shy

Skandal.global

Extrem demokratisch

Es dürfte sich langsam rumgesprochen haben, daß Vereine in Sachsen eine sogenannte „Extremismusklausel“ unter­zeichen müssen, wenn sie Fördermittel von einigen landes- und bundes­wei­ten Förder­programmen nutzen möchten (siehe FA! #39). Damit ver­­pflichten sie sich, nur mit demokratisch integeren, also garantiert un­ex­tremistischen Personen und Vereinigungen zusammenzuarbeiten. Als Maßstab gilt dabei die äußerst umstrittene Extremismus-Definition des Verfassungsschutzes (und dessen jeweilige Erkenntnisse), die zum Schutz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung Abweichungen definiert und als demokratiefeindlich bewertet.

Verweigern die Vereine jedoch die Unter­zeichung dieser (neuerdings euphemistisch so genannten) „Demokratieerklärung“, können sie bewilligte Fördermittel nicht abrufen. Das AKuBiZ Pirna wollte der geforderten Bespitzelung seiner Part­ner_in­nen nicht Folge leisten und verweigerte im November 2010 öffentlichkeitswirksam die Unterschrift. Es lehnte so den mit 10.000 Euro dotierten sächsischen De­mo­kra­tiepreis ab und wurde Wegbereiter einer wachsenden „Extremismusstreik“-Bewegung. Neben vielen Solidaritäts­be­kun­dungen, Protestschreiben, einem bundesweiten Aktionstag, einer einzigartigen Vernetzung und unerwartet großem Medienecho folgt nun weiterer Widerstand.

Zwei bedeutende Vereine Leipzigs haben kürzlich angekündigt, ihre Unterschrift unter die Extremismusklausel zu verweigern, auch wenn sie dadurch die gerade bewilligten Fördermittel für Projekte nicht bekommen. Der Projekt e.V. des Conne Island und das soziokulturelle Zentrum Die VILLA gehen in die Offensive und erfahren von einer sich solidarisierenden Öffentlichkeit und auch Teilen der Politik recht breite Unterstützung. Bei Grünen, Linken und SPD lässt sich allerdings das parteipolitische Kalkül nicht ausschließen, während sich solidarisierende Vereine, Initiativen und Privatpersonen zu jener „Zivilgesellschaft“ zählen, deren Unabhängigkeit sie als unabdingbar für die Demokratie propagieren. Sie seien es, die dort wichtige Arbeit gegen Fremdenfeind­lichkeit und Neonazismus leisten, wo der Staat sich schon seit langem zurückgezogen hat. Wobei sie oft vergessen, daß der Staat selbst durch seine Sortierung in Staatsvolk und Ausländer das Fremde erst hervorbringt und durch die Konkurrenz zu anderen Staaten Nationalismus und Fremdenfeind­lichkeit befördert.

Das Conne Island übernimmt in seiner Presseerklärung zur Ablehnung der Klausel (1) auch die viel bemühte Phrase der Verteidigung demokratischer Werte, die sich neben dem Antifaschismus aber nur in der Unterstützung von „Meinungsvielfalt und demokratische[n] Aus­hand­lungsprozesse[n]“ zu erschöpfen scheint. Im Unterschied zur Landesregierung bemüht der Verein dabei nicht den Verfassungsschutz, um zu definieren, was demokratisch ist und was nicht. Der gesellschaftliche antifaschistische Konsens höchstselbst ist es, der hier die Grenzen eines der holden demokratischen Werte, der so genannten Meinungsfreiheit, setzt. Faschismus ist eben keine Meinung, sondern ein Verbrechen (2), da gehen Staat und Conne Island völlig überein. Der Kritikpunkt der Extremismusstreik-Bewegung ist also weniger das Setzen eines Meinungsrahmens und damit das Ausschließen von allen, die sich nicht innerhalb dessen zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennen, sondern die Gleichsetzung linker und rechter antidemokratischer Bestrebungen in Form der Extremismustheorie, sowie die Befürchtung, aus dem Bekenntniszwang folge ein „Klima des Misstrauens“ und es sei „fast eine Aufforderung zu Spitzeltätigkeit“. Was auch nicht falsch ist, allerdings tragen auch viele staatliche und auch städtische Institutionen zur demokratischen Normierung der Gesellschaft bei, nicht nur der Verfassungsschutz. Dies gilt es zu kritisieren und skandalisieren, statt sich wie im Fall des Conne Island an die „weltoffene, liberale Stadt Leipzig“ anzubiedern. Jene Stadt, welche ihre Mittel für derartige soziale, kulturelle und politische Projekte konsequent zusammenstreicht, daß Häuser wie das Conne Island und Die VILLA nicht nur einmal von der Schließung bedroht waren und sein werden. Jene Stadt, die Asyl­bewerber_innen nicht dezentral in Wohnungen wohnen lässt, sondern sie lieber am Stadtrand in ein Containerlager stecken würde. Jene Stadt, die mit ihrer Ver­drängungspolitik gegen Drogenabhängige und andere vermeintlich asoziale Elemente das weltoffene und liberale Stadtzentrum für Tourismus und Konsum säubert. Bei allem Verständnis für die Abhängigkeit von städtischen Geldern darf die notwendige Kritik an den Verhältnissen nicht einem Demo­kra­tieidealismus weichen, der blind ist für die Ursachen und Wir­kungen der „Gesamtscheiße“ und nur der jeweiligen Projektkohle hinterher rennt.

Hoffen wir also, daß unter den existierenden demokratischen Bedingungen Projekte wie das AKuBiZ Pirna, Die VILLA und das Conne Island weiterhin ihrer Arbeit nachgehen können, sich dabei jedoch nicht auf Werte und Vorstellungen stützen müssen, die einer Herrschaft als Legitimation dienen. Die Verweigerung der Unterschrift ist dabei ein wichtiger Schritt, aber der Protest und die Diskussion um die Demokratie und ihre grundlegenden Fehler ein noch viel wichtigerer.

 

shy

(1) www.conne-island.de/news/86.html
(2) siehe auch: „Warum Demokraten (Neo-)Faschisten nicht kritisieren, sondern nur verbieten können“ (Freerk Huisken) nachzulesen unter: www.fhuisken.de/DemFasch.htm

Lokales

Zinsknechtschaft abschaffen!

Die Illusion vom monetären Widerstand

Aus dem wohl sozialkämpferischsten Land Europas, nämlich Frankreich, hört mensch ja immer wieder von außergewöhnlichen und drastischen Kampfmitteln des Proletariats. Auch dort gibt es allerdings Menschen, die sich nicht am Eigentum an den Produktionsmittel oder der „normalen“ Ausbeutung durch Arbeitgeber stören, sondern an der falschen Verwendung ihres Geldes Anstoß nehmen. Statt Streiks und „Bossnapping“ als geeignete Mittel des sozialen Kampfes zu nutzen, setzen sie dann Ideen wie die des „Bank Run 2.0“ in die Welt.

Die Initiative Stopbanque rief seit Oktober 2010 mit Slogans wie „Bankencrash 2.0 – Jetzt kommen die Bürger!“ dazu auf, am 7. Dezember 2010 gleichzeitig und massenhaft Geld abzuheben und Sparkonten zu schließen. Nach Angaben der Initiatoren sollten Banken in die Zahlungsunfähigkeit getrieben und so der entscheidende Anstoß zu einer Bankenkrise gegeben werden, die schließlich im Fall des gesamten Systems enden sollte. Ins Leben gerufen von drei Franzosen, verbreitete sich die Idee recht schnell. So wurden in kurzer Zeit über Facebook-Gruppen, Ketten-Emails, Blogbeiträge und einige Zeitungsberichte in 15 europäischen Ländern geschätzte 480.000 Menschen angesprochen und von den Initiatoren direkt als potentielle Bankencrasher_innen gezählt.

Am Stichtag war jedoch weit und breit nichts von einem Bankensturm zu sehen. Die heißersehnte Befreiung von der „Sklaverei des Großkapitals“ blieb aus. Es kam erwartungsgemäß zu keinen nennenswerten Liquiditätsengpässen bei europäischen Banken. Nur symbolisch lässt sich hier und da Erfolg verbuchen. Dies bleibt weit hinter den Erwartungen des populärsten Fürsprechers der Aktion, dem französischen Ex-Fußballstar und Schauspieler Éric Cantona, zurück, der von drei Millionen Teilnehmern allein in Frankreich sprach, die so die Revolution „ganz einfach umsetzen“ sollten. Doch was ist grundsätzlich dran an der Idee, durch massenhaftes Abheben von Sparguthaben Banken in die Insolvenz zu treiben und sich so der „reale[n] Macht […] internationaler Banken und Konzerne“ zu entledigen?

Die Ideologie

Bei den Aktionisten von Stopbanque liegt zunächst einmal das altbekannte Bild des guten schaffenden und schlechten raffenden Kapitals zugrunde. Das Geld, als Zahlungsmittel, mit welchem wir einen kleinen Teil der Waren erwerben können, von denen wir qua Eigentumsordnung zunächst ausgeschlossen sind, ist für die Leute von Stop­banque erstmal kein Problem. Auch die Aus­beutung durch Lohn­arbeit, das einzig verwertbare Eigentum der meisten Menschen, durch welches sie erst an dieses Mittel kommen, bleibt unbeachtet. Gegenstand der Kritik sind hingegen die Banken und die „Sklaverei, die uns vom Gross­kapital auferlegt wurde“. Geld wird also erst dann zum Problem, wenn es in den Händen einer „staatenlosen und egoistischen Elite“ nicht zum Wohle des „recht­mässigenVolkes“ verwendet wird, sondern „allein aus kapitalistischem Interesse heraus“. Woraus dieses kapitalistische Interesse genau besteht, außer aus Geld mehr Geld machen zu wollen, so wie jede_r gemeine Zinsparer_in, das wird hingegen verschwiegen. Die „abgehobenen Eliten“ jedoch haben laut Stopbanque „die reale Macht“ und raffen mit ihrem Bankensystem, was das Zeug hält. Geld sollte also moralisch verantwortlich im Sinne der Gesellschaft verwendet werden, nicht von einigen Habgierigen egoistisch und gesellschaftsschädlich. So moralistisch wie die Kritik an der Raffgier ist (Gewinn ist ok, aber doch bitte nicht zuviel!), so wenig taugt sie zur Analyse und schließlich zur Bekämpfung „des Systems“. Diese Personalisierung des Problems ist ein altes und schwer zu beseitigendes Problem einer Ka­pi­tal­ismuskritik, die sich mehr aus den vermeintlichen Verfehlungen Einzelner speist, als aus einer Kritik an den strukturellen Gegebenheiten der kapitalistischen Ökonomie. Das Eigentum (an Produktionsmitteln), mit dem große Kapitalmengen erst möglich wurden, bleibt als Grundlage des Kapitalismus von den Aktionisten unangetastet. Mit Aussagen wie, der „Finanzmarkt dien[e] lediglich noch dem Abzug von Geld aus der Realwirtschaft“ und würde nur der Bereicherung Einzelner dienen, konstruiertStopbanque auf der Suche nach Schuldigen eine geheime, herrschende Elite und das von ihnen geschaffene aus­beuterische (Geld)System. Bei solch platten Schuldzuweisungen ist es freilich auch kein Wunder, daß zu den Unterstützern der Aktion gerade namhafte Ver­schwörungsblogs wie Infokriegernews, Alles Schall und Rauch und Seelenkrieger zählen.

Der Bankensturm

Die Vorstellung des „Bank Run“ und der darauffolgenden Bankenpleite ist erfolgversprechend, doch die zu erwartetenden Folgen sind realistisch betrachtet alles andere als revolutionär. Angenommen, durch Massenabhebungen an einigen Banken kommt es tatsächlich zum Herdenverhalten der restlichen Anleger, nicht revolutionsbestrebten Kund_innen, also zu einem echten Bank Run in Milliardenhöhe und folglich der Zahlungsunfähigkeit der Banken. Was dann passiert, ließ sich 2008 als Auswirkung der weltweiten Finanzkrise beispielhaft beobachten.

Wenn keine Käufer für die insolventen Banken gefunden werden können, springt der Staat selbst ein und sorgt für die (zumindest teilweise) Deckung der Einlagen. Als letztes Mittel werden die Unternehmen verstaatlicht, wie es 2008 der Northern Rock in Großbritannien und der IndyMac Bank in den USA geschah. Der deutschen Hypo Real Estate griff der Staat mit insgesamt gut 102 Milliarden Euro unter die Arme, da eine Verstaatlichung wahrscheinlich noch weitaus teurer gekommen wäre.

Damit wirtschaftswichtige Banken vor dem Zusammenbruch bewahrt werden können, schuf man 2009 hierzulande die gesetzliche Grundlage für die Notverstaatlichung, die im sogenannten „Finanzmarktsta­bi­li­sierungsergänzungsgesetz“ festgeschriebene Enteignung der Aktionäre. Zudem gab die Bundesregierung schon 2008 eine Staatsgarantie auf Spareinlagen von privaten Anlegern (in der Summe immerhin 568 Milliarden Euro), um nervöse Sparer vom Bank Run abzuhalten. Viel Geld und ein wenig Marktfreiheit lässt die Politik es sich also kosten, damit alles so weiterläuft wie bisher. Kosten, die im Fall einer Krise schließlich auf die gesamte Bevölkerung umgelegt werden und Verstaatlichung, die keineswegs ein Schritt Richtung Sozialismus ist. Nach der Sanierung maroder Banken werden diese wieder privatisiert, was letztlich ein Gewinngeschäft für die Banker darstellt, für alle anderen jedoch mit finanziellen Einschnitten verbunden ist.

Der Aktivismus

Die Stopbanque-Aktion ist übrigens nicht die erste und einzige „ökonomische Kriegsführung“ dieser Art. Immer mehr Menschen sehen in ihrem Geldvermögen das einzige Mittel, um etwas gegen die Großen, von de­nen sie geschröpft werden, zu unter­nehmen.So etwa Jean Anleu aus Guatemala, der zum Geldabheben gegen die seiner Meinung nach korrupte Bank Banrural aufrief. Anleu wurde prompt wegen subversiver Tätigkeit verhaftet, ihm drohten wegen Untergrabung des öffentlichen Vertrauens in das Bankensystem Guatemalas bis zu fünf Jahre Haft. Er kam zwar dank mangelnder Beweisführung wieder frei, doch zeigt dieses Beispiel, wie entschlossen ein Staat auch gegen solche Aktivisten vorgehen kann, fühlt er Teile der kapitalistischen Ökonomie bedroht.

Auch Max Keiser, der die Kampagne „Crash JP Morgan, buy silver“ initiierte, hat ein Problem mit unlauteren Geldinstituten. Um gegen die Spekulationen und offensichtlichen Silberpreis-Manipulationen großer Banken wie JPMorgan Chase & Co. zu kämpfen, ruft der ehemalige Broker zum Kauf physischen Silbers auf. Silber ist einer der wichtigsten global gehandelten Rohstoffe und eignet sich aufgrund seiner Knappheit hervorragend zur Spekulation, zumal JP Morgan ca. 90% dieses Marktes kontrolliert.

„Der Kauf von Silber ist der Weg, wie die Welt ihre Wut gegen die Banken mone­tarisieren kann, die ihr das Vermögen gestohlen haben“, so Keiser in seinem 8-Punkte-Manifest. Kaufen sehr viele Menschen sehr viel Silber, so geriete die Großbank in einen „kolossalen Lieferengpass“ und würde ohne ihren Spekulationsrohstoff „crashen“. Vergessen wird auch hier allerdings wieder die staatliche Intervention, die dann höchst­wahrscheinlich für systemrelevante Unternehmen ins Spiel kommt.

Doch treibt die meisten Aktionist_innen gar nicht eine Analyse des kapitalistischen Marktes zum widerständigen Silberkauf oder der Kontoräumung als Mittel der Revolution. Dem monetären Aktivismus liegt vielmehr die einfach gestrickte Feindschaft zum besonders unmoralischen Verhalten der Banker oder der verteufelten Funktion des Zinses zugrunde und weniger die Ablehnung von Geld und Eigentum bzw. dem daraus resultierenden Kapital(ismus) an sich.

Daß die überwiegend Geld- und Machtlosen dieser Gesellschaft, das klassische Proletariat, für ihre Befreiung gerade zum Geld greifen, wirkt da schon fast satirisch. Ist dieses doch genau das Mittel, das ihre Ausbeutung funktionieren lässt und die Verhältnisse von Arm und Reich manifestiert. So betrachtet wirken Aufrufe wie Stopbanque eher wie der Hilfeschrei einer sich selbst unbewussten Klasse. Unbewusst ihres eigenen, tatsächlich vorhandenen, sehr viel mächtigeren Machtmittels – ihrer Arbeitskraft. Denn nicht das Geldabheben bringt das System zu Fall … sondern nur der gute alte Streik.

(shy)

No Name, No Fame, No Game?

Über den Leipziger Krieg der Farben

Leipzig hat einen neuen Aufreger – Graffiti. Jetzt werdet Ihr sagen: Aber das ist doch nicht neu! Graffiti gibt es in Leipzig schon ewig, jeder Hampelmann schmiert hier die Wände mit unverständlichen Kürzeln voll! Aber dann habt Ihr wahrscheinlich nicht mitbekommen, dass jetzt in Leipzig Krieg herrscht. Ein Graffiti-Krieg. Graue Wände zu bemalen war ja schon immer schlimm, aber nun zittert die ganze Stadt unter den rücksichtslosen Aktionen der Sprüher-Crews. Die neue Qualität zeichnet sich jedoch nicht durch Mord- und Totschlag aus, wie man es von einem Krieg erwarten könnte. Nein, schlimmer. Hier zählt doch tatsächlich, wer wo das extremste Bild macht. Die Größe und Lage der be­malten Flächen ist derart alarmierend, dass die üblichen Verdächtigen aus Stadt, Wirt­schaft und Medien panisch aufschreien.

Die sich laut SpiegelTV bekriegenden Crews sind die Radicals alias RCS und die ORG-Crew. Manch Witzbold behauptet ja, ORG – das stehe für „Organisierte Radicals Gegner“. Und die Radicals – das sind laut den Witzbolden von SpiegelTV ja wieder­um die Gegner der ORG-Crew im „Graffiti-Krieg“ Leipzigs. (1)

Seit Jahren bestimmen sie mehr und mehr das Stadtbild – die Bombings der sich battlenden Crews in Burner Chrom mit Bitumen-Black-Outlines aus den 600er Cans der Underground-Writer, die an den Walls der LE-City swaggen, ohne jedoch eine Message zu spreaden, die conscious wäre.

Oder für die Nicht-HGB-Student_innen unter Euch: Gemeint sind die übergroßen Kürzel der klandestinen Künstlerkollektive in meist minimalistischem Silberchrom mit pechschwarzen Außenlinien, aus den genau auf illegale Bedürfnisse abgestimmten Fabrikaten spezialisierter Sprühdosenhersteller, gesprüht auf den Wänden der Kulturstadt Leipzig mit der eindeutigen Botschaft: Ich hab’ den Größten.

Gemeint sind eben nicht die „Tags“, die kleinen Filzstiftschmierereien, die Szenekneipen ihren alternativen Charme verleihen, sondern die richtig großen, nicht einfach dahingeschmierten, eben „gebombten“ Kürzel. Wobei die laut SpiegelTV „sich bekriegenden Crews“ oft peinlich darauf achten, die Bilder der „Gegner“ nicht zu crossen, zu übersprühen. (2) Was für Außenstehende wie die Genfer Konventionen des Graffiti erscheinen mag, ist jedoch wichtiger Bestandteil des hochkriminellen Wettstreits um die Vorherrschaft auf Leipziger Straßen. Nach unzähligen Bombings an immer prominenteren Stellen eskalierte der Krieg vor einigen Wochen. Das mehrere Jahre eingerüstete Ring-Messehaus gegenüber der Blechbüchse sollte wieder im morbiden Charme seiner unsanierten Fassade erstrahlen. Zum Vorschein kamen jedoch drei riesige chromfarbene Buchstaben – RCS. (3) Darüber noch ein zweistöckiges SNOW. Gemalt über die Weihnachtszeit kam es nun plötzlich zum Vorschein. Die Entrüstung des Hauses führte so freilich zur größeren selbigen von Medien und städtischen Vertretern. Nur ORG nahmen die Radicals-Kriegserklärung wirklich ernst und schlugen erbarmungslos zurück – zwei Wochen später prangte am nicht weit entfernten und ebenso zentral gelegenen Robotron-Haus ein noch riesigeres ORG-Bombing. (4)

Damit nahm der „Krieg um das größte Graffiti“ in Leipzig sein vorerst schreckliches Ende. Die Kriegsparteien allerdings laufen weiter unbehelligt auf den Straßen herum und nutzen die Zeit zur Aufrüstung. Und so bleibt die Angst vor dem, was da kommen mag.

Historischer Exkurs

Dabei war es nicht immer so gefährlich auf Leipzigs Straßen. Noch in letzten Jahrtausend standen Sprüher_innen Schulter an Schulter bspw. in Plagwitz und malten im friedlichen Wettstreit. Nachdem im Oktober 2003 mit der „Streichung“ dieser größten geduldeten „Wall of Fame“ die neue harte Linie der Stadt gegen Graffiti begann, änderte sich einiges. Der Verlust der über 250 Meter langen Wand machte Leipzigs Sprüher_innen derart traurig, dass sich etwa 200 von ihnen knapp einen Monat später in einem Trauerzug am Ort des Geschehens einfanden und Blumen und Kränze niederlegten. Die Trauer jedoch wandelte sich schnell in Wut und die Stadt wurde in einer ersten Welle mit tausendfachen „Meine Wand?“-Schriftzügen zugebombt. Die Botschaft und der dahinterstehende Diskurs wurde unübersehbar – Wem gehören eigentlich die vielen Wände? Den Eigentümer_innen oder denen, die sich das Recht heraus nehmen, ihre Umwelt so zu gestalten, wie sie es wollen? Die Frage konnte nicht abschließend geklärt werden und so verbreitete sich der Slogan in den folgenden Monaten bis nach Halle und dank Zug-Kultur weit in die deutsche Graffitilandschaft.

Peter Sodann – Hallenser Theaterinten­dant, ehemaliger Tatort-Kommisar und Spießbürger erster Güte – ließ es sich damals nicht nehmen, die Graffitikultur als „ganz normalen Faschismus“ zu bezeichnen und wurde in der Folge mit Hitlerbärtchen per Schablonengraffiti selbst als Faschist verunglimpft. Auch sonst gab es allerlei kreative Aktionen der Sprüher_innen, die im Kontext der Leipziger Olympia-Bewerbung (siehe FA! #12) und der Fast-Aberkennung der Gemeinnützigkeit des Conne Island den Diskurs um illegale und alternative Jugendkultur vs. sauberes Stadtimage antrieben.

Flatrate für den Frieden

Treibende Kraft hinter den damaligen städtischen Säuberungen war ein „Zusammenschluss von Leipziger Unternehmen, Immobilieneigentümern, Stadtverwaltung, der Sparkasse, den Verkehrsbetrieben, Gebäudedienstleistern, Handwerkern, und zahlreichen Privatpersonen“, das im März 2003 gegründete Aktionsbündnis STATTbild e.V., oder auch „Das Bündnis gegen illegale Graffiti in Leipzig“. (5)

Der Verein hat mit Institutionen wie dem Bundesgrenzschutz Leipzig und der Bundespolizei höchst sympathische Partner, betreibt in Zusammenarbeit mit dem Regionalschulamt und der Bildungsagentur Leipzig „Aufklärungsarbeit“ unter Schüler_innen und veranstaltet allerlei Fachberatungen mit Immobilienfirmen und Gewerbetreibenden rund um das Thema illegale Graffiti.

Neuerdings bietet der STATTbild e.V. zusammen mit Graffiti-Reinigungsfirmen, die selbst Mitglieder des Vereins sind, eine selbstentwickelte „Graffiti-Flatrate“ an. Hausbesitzer_innen zahlen einen monatlichen Pauschalpreis für die stete Beseitigung ungewünschter Farbe. Dass das die Sprüher_innen eher weiter anstachelt, als im Zaum hält, könnten die Wächter der Reinheit dabei sehr wohl im Hinterkopf haben. Mehr Graffiti bedeutet schließlich auch mehr Reinigungsaufträge, Profilierungsmöglichkeiten und CDU-Wählerstimmen. Nach außen hin geben sie sich aber nach wie vor naiv. Dass bspw. die Zahl der illegalen Graffiti in Leipzig maßgeblich durch ihre Initiative in der Zeit seit 2003 über 50% anstieg, während sie in anderen ostdeutschen Städten teilweise stagnierte, davon lassen sich die Flitzpiepen nicht beirren.

Aber ob durch Kalkül oder bürgerliche Naivität befördert – der Krieg um Leipzigs Wände geht weiter. RCS, ORG, SNOW, und wie sie sonst noch alle heißen, werden sich mit ihren eigenen Graffiti-Flatrates am Stadtbild beteiligen. Und so bleibt wohl vorerst alles, wie es ist. Schwarz und Chrom. Und manchmal bunt.

(shy)

 

(1) youtube/HQ8MwlyVZ_c

(2) ilovegraffiti.de/blog/2010/09/17/determined/

(3) www.welikethat.de/2012/04/18/einfach-mal-800-quadratmeter-illegal-bemalen/

(4) streetfiles.org/photos/detail/1412367/

(5) www.stattbild.de/

Nach der Kampagne ist vor der Kampagne

Die antifaschistische Kampagne Fence Off gibt es nicht mehr. 16 Monate lang organisierten Leipziger Anti­fa­schist_innen den Widerstand gegen das sog. Nazizen­trum in der Odermannstraße. Das Lin­denauer Bürgerbüro der NPD existiert seit nun­mehr fast vier Jahren. Unzählige Störak­tionen, Kundgebungen und Demonstrationen konnten jedoch nicht verhindern, dass die Odermannstraße 8 wei­ter­hin als überregionalen Veranstaltungsort und Treffpunkt von Nazis genutzt wird.

Die Kampagne zieht also eine durchwachsene Bilanz. Obwohl sehr erfolgreich in der Mobilisierung und einzelnen Aktionen, wurde das versprochene Hauptziel leider verpasst.

Nach dem Tod des NPD-Landtagsabgeordneten Winfried Petzold, der die Odermann 8 als Bürgerbüro eröffnete, sah es Anfang des Jahres für einen Moment so aus, als würde sich das „Nationale Zentrum“ selbst abwickeln. Doch die NPD mochte ihren Sitz im Leipziger Westen nicht aufgeben, und so nutzen die beiden Leipziger Stadträte Rudi Gerhard und Klaus Ufer das Objekt jetzt of­fi­ziell als Stadt­ver­ord­ne­tenbüro. Wie es her­innen jedoch um die Kräf­te­verteilung aussieht, ist weiter­hin recht unklar. Dem Streit der straff organisierten NPD-Leute mit den Freien Kräften folgte angeblich ein Rauswurf der jungen autonomen Meute. Fakt jedoch ist, dass weiterhin Musik- und Vortragsveranstaltungen mit hochkarätigen Gästen stattfinden, zu denen die äußerst rechte Szene in der ganzen Bandbreite anrückt. Sänger wie Frank Rennicke, SS-Veteranen oder gestandene Holocaustleugner_innen wie Ursula Haverbeck-Wetzel ziehen Hooligans und NPD-Kader gleichermaßen an. Wobei letztere nicht zu ihrem Vortragstermin am diesjährigen Führergeburtstag erschien.

Das könnte durchaus an den massiven Störungen von Antifaschist_innen gelegen haben. Diese und anderes Aktionen werden nun ebenso wie das gesamte Kam­pag­nenkonzept von den Akteuren noch ein­mal näher unter’s Licht genommen. Es war neu in Leipzig, sich auf ein konkretes Ziel zu konzentrieren und so auch Leu­te einzubinden, die sonst eher faul sind, wenn es um antifaschistisches Engagement geht.

Die Reflexion soll neue Möglichkeiten eröffnen, wie Kritik an und Widerstand gegen die Nazis aussehen kann, soll und erfolgsorientiert auch sein muss. Denn das Nationale Zentrum gibt es immer noch.

(shy)