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Am 8. März erinnert man(n) sich wieder der zweiten Hälfte der Gesellschaft, um sie zu ehren. Es ist Frauentag. Und Frau darf stolz sein, wenn sie als kleine Anerkennung für ihre Arbeit in Firma, Geschäft oder Haushalt einen Blumenstrauß überreicht bekommt. Vor einigen Jahren verteilte ein Parteistand gar Mini-Kakteen an die Frauen mit dem Spruch: „Immer schön stachelig bleiben.“ Was heute zu einer seichten Zelebrierung scheinbarer Gleichberechtigung und gegenseitigem auf die Schulter klopfen für die Fortschritte im Namen der Frauenemanzipation verkommen ist, begann einst im politischen und sozialen Kampf.

Bereits im 19. Jahrhundert formierten sich im Zuge der Arbeiterbewegung Sozialistinnen zu einer Frauenbewegung. Ihr erstes Anliegen war die Beteiligung am politischen Geschehen per Wahlrecht und die Verbesserung von Arbeits- und Lebensbedingungen. Zunächst fanden in einzelnen Ländern nationale Frauentage statt, wie z.B. 1892 in Österreich. In den USA riefen seit 1909 Sozialistinnen zu einem „National Woman´s Day“ auf, um das Frauenwahlrecht zu propagieren.

Der Internationale Frauentag wurde bereits ein Jahr später auf der „2. Internationalen Sozialistischen Frauenkonferenz“ in Kopenhagen auf Initiative von Clara Zetkin beschlossen. Die Wahl des Datums fiel auf den 19. März 1911, um den Märzgefallenen der bürgerlichen Revolution von 1848 zu gedenken. Im Zentrum der großangelegten Demonstrationen in Dänemark, Deutschland, der Schweiz und Österreich stand die Forderung nach voller politischer Mündigkeit für Frauen, aber auch nach Arbeitsschutzgesetzen, dem Achtstundentag, Mutterschutz, der Festsetzung von Mindestlöhnen und dem Ende des imperialistischen Krieges. Gleichzeitig war dieser Tag ein Bekenntnis zum Sozialismus. Sein Ziel, nach Clara Zetkin, ist die Verwirklichung von „Frauenrecht als Menschenrecht“, als Recht der Persönlichkeit, losgelöst von jedem sozialen Besitztitel. Sie fordert: „Wir müssen Sorge tragen, dass der Frauentag nicht nur eine glänzende Demonstration für die politische Gleichberechtigung des weiblichen Geschlechts, sondern darüber hinaus der Ausdruck einer Rebellion gegen den Kapitalismus, eine leidenschaftliche Kampfansage all den reaktionären Maßnahmen der Besitzenden und ihrer willfährigen Dienerschaft, der Regierung, ist.“

In den folgenden Jahren wurde auch in anderen Ländern der Welt, wie z.B. Russland, China, Japan oder Rumänien, Türkei und Iran der Frauentag organisiert.

Das Elend des 1. Weltkrieges und die wirtschaftliche Depression verschlechterten die Lebensbedingungen der Menschen enorm. Die politischen Forderungen der Frauenbewegung nach Wahlrecht (1) wichen daher zunächst dem existentielleren Verlangen nach „Brot und Frieden“. In St. Petersburg demonstrierten Frauen am 23. Februar (nach altem russischem Kalender), am 3. März (nach neuer gregorianischer Zeitrechnung) 1917 gegen den Krieg. Diese Aktion verbreiterte sich zu ArbeiterInnenkämpfen und löste die Februar-/Märzrevolution aus. Als Erinnerung an dieses Ereignis wurde 1921 auf der „2. Internationalen Konferenz der Kommunistinnen“ wieder auf Initiative Clara Zetkins beschlossen, den Internationalen Frauentag in Zukunft am 8. März abzuhalten.

Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde der Frauentag verboten und durch den Muttertag ersetzt. Die Frauenbewegung sah ihre Anhänger in ein Rollenbild gedrängt, welches Selbstverwirklichung nur noch als Reproduktionsmaschine zuließ. Die „Emanzipation von der Emanzipation“, Schlagwort der Diskriminierer, beeinflusste das Frauen- und Familienbild bis in die 50er und 60er Jahre. Die Kleinfamilie als kleinste Einheit der Gesellschaft mit der Mutter am Herd und dem Vater am Malochen, entsprach dem propagierten Ideal öffentlicher Meinungsmache.

In der Nachkriegszeit wurde der Frauentag von den sozialistischen Staaten vor allem als Tag der Befreiung der Frau gefeiert. In den kapitalistischen Staaten erhielt er durch die neue Frauenbewegung der späten 60er Jahre wieder einen politischen Hintergrund mit alten und neuen Themen, wie der Kritik an geschlechtlicher Arbeitsteilung, dem Recht auf Abtreibung und der effektiven Kriminalisierung von Gewalt gegen Frauen, der Forderung nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit und gleichen Bildungschancen.

Frau sollte meinen, dass ein über 100jähriges Ringen diese Ziele durchsetzen kann. Aber die Realität sieht anders aus. Nach wie vor zählen Frauen im leistungsgesteuerten Berufsalltag meist zu einer niedrigeren Lohnklasse als ihre männlichen Kollegen (2). Der Abtreibungsparagraph 218 StGB kriminalisiert noch immer Frauen, die sich gegen eine Schwangerschaft entscheiden. Sie werden gezwungen einen erniedrigenden Hürdenlauf von Beratungsstellen zu Ärzten zu unternehmen, um über Körper und Leben auch vor dem Gesetz straffrei entscheiden zu dürfen. Auch ist es für gewöhnlich Frau, die sich entscheiden muss zwischen Kind und Beruf Gleichermaßen werden aber auch Männer benachteiligt, die typische, Frauentätigkeiten ausüben. So finden sich z.B. Babywickelräume vornehmlich in den Damenklos. Kondomautomaten aber bei den Herren. Eine der am tiefsten in der Gesellschaft verwurzelten Ebenen auf der geschlechtliche Diskriminierung existiert, ist die Sprache. Männlich ist hier v.a. stark und klug, weiblich hingegen schwach und untergeordnet. Die meisten Menschen gehen heute noch zu einem Arzt, auch wenn „er“ Heike oder Petra heißt. Bis zur Einführung des neutralen Begriffes „Reinigungskraft“ war es eine Putzfrau, die den Besen schwang, auch wenn „sie“ Vater von drei Kindern war. Gegen diese Rollenmuster, in die jeder Mensch per Geschlecht, Bildungsgrad oder Herkunft gedrängt wird und die daraus folgende Ungerechtigkeit, begehrte die damalige und heutige Frauenbewegung auf. Obwohl auf der Oberfläche der heutigen Zeit Gleichberechtigung zu herrschen scheint, hat sich doch an der grundsätzlichen Mann-isst/Frau-kocht-Denkweise nur in wenigen Gesellschaftsspektren etwas geändert. Die sowohl im privaten als auch im öffentlichen Bereich existierende Diskriminierung, die durch patriarchalische Wertmaßstäbe produziert wird, gilt es zu durchbrechen. Der Frauentag sollte daher nicht länger als Selbstbeweihräucherung verstanden werden, sondern als Kampftag aller Frauen für ein gleichberechtigtes Zusammenleben. Schluss mit den Blumensträußen, hoch die Faust.

wanst

(1) Frauenwahlrecht:
1918 Deutschland, Großbritannien
1919 USA
1944 Frankreich
1971 Schweiz (1990 Halbkanton Appenzell-Innenhoden)
(2) dazu: Statistisches Landesamt Baden-Württemberg

Zur Diskussion über Facebook und Co.

Soziale Netzwerke, auch social media genannt, können vieles sein – Nachrichtenmedium, Kontaktbörse, Visitenkarte oder einfach eine Suchmaschine, um verlorene Freund_innen wiederzufinden. Auch in politischen Zusammenhängen sind sie längst nicht mehr wegzudenken. Das liegt zum Einen sicherlich an der recht einfachen Benutzung von Chats, Blogs, Newsgroups etc. – es lassen sich schnell und unkompliziert eine Menge interessierte Menschen erreichen. Dies ist zwar für die Mobilisierung der nächsten Demo von Vorteil. Aber genau hier stellt sich für uns ein Problem: Um sich bei zahlreichen Online­portalen anzumelden, ist oft die Abgabe deiner persönlichen Daten von Nöten. Hier ist es zwar noch möglich zu tricksen, aber spätestens über deine IP-Adresse bist du dann doch zu orten. Prinzipiell gibt es zu politischen Zusammenhängen und Aktionen keine unpolitischen oder harmlosen Kommentare. In jeder Aussage stecken Informationen über einzelne Personen oder über Zusammenhänge linker Strukturen, an denen die Ermitt­lungs­behörden brennend interessiert sind.

Und selbst wenn du nichts bei Facebook und Co. über deine politischen Aktivitäten geschrieben hast, dann vielleicht deine Freund_innen, von denen dann auf dich indirekt verwiesen und damit auch über dich Auskunft gegeben wird. Und so lassen die auf den sozialen Medien kreierten Netzwerke häufig Rückschlüsse auf reale Polit­zu­sam­menhänge zu. Dazu sagt zum Beispiel Jonathan Chang, seines Zeichens Mitarbeiter der Datenfor­schungsabteilung bei Facebook: „Ist es nicht cool, dass wir die politischen Neigungen jedes Einzelnen in unserem Datensatz von 500 Millionen Personen kennen?“ Das, wofür der Verfassungsschutz sonst einige Mit­ar­bei­ter_innen benötigt, wird ihm somit auf dem goldenen Tablett serviert.

Auch die entsprechenden Fotos werden manchmal von den Nutzer_innen gleich mitgeliefert, auf denen die ganze Bande dann bei der letzten Demo zu sehen ist. In den seltensten Fällen wird sich die Mühe gemacht, diese dann zu verpixeln oder nur so rudimentär, dass es kein Computergenie braucht, um an die realen Daten heranzukommen. Viele von ihnen finden ihren Weg auch unverpixelt ins Netz. Das ist eine klare Missachtung des Schutzes der abgebildeten Personen und endet zuweilen in Strafanzeigen und Gerichtsverfahren gegen Einzelne. In Berlin wurde zum Beispiel am 10. Juni 2009 eine Person zu 15 Monaten Haft verurteilt, auf Grundlage eines bei Youtube eingestellten Videos.

Sicherlich ist ein Argument für das Filmen und Fotografieren, Übergriffe der Polizei zu dokumentieren. Doch die Bilder haben danach nichts im Netz zu suchen, sondern sollten an Soli- oder Antirepressionsgruppen weitergegeben werden, die sie sicher aufbewahren und für politische Arbeit verwenden können.

Aber auch „private“ Fotos oder Videos geben mehr über dich preis, als dir lieb sein sollte. Sie zeigen, wo du mit wem rumhängst, wie es da aussieht, wie du dich so kleidest und mit wem du vielleicht auch gemeinsam politische Aktionen machst. Möglicherweise finden sich auch Fotos von il­legalisierten Personen, die erkannt und so gefunden werden können. Die Facetten der Informationsfreigabe sind vielfältig und sehr unübersichtlich. Sind diese In­formationen aber erst einmal im Inter­net, ist es wirklich schwer beziehungsweise unmöglich, das Ganze rückgängig zu machen. Das Netz vergisst so schnell nicht.

Von diesen wahren Datenschätzen profitieren auch die Verfolgungsbehörden: So hat Facebook eine eigene Anwendung namens „Neoprint“ entwickelt, die den Behörden auf Anfrage ein handliches Informationspaket über Konten­in­ha­ber_innen zusammenstellt, das neben sämtlichen Profil- und Kontaktinfor­mationen unter anderem Mini-Feed, Notizen, Freund_innenlisten (mit sämtlichen Facebook-IDs), Gruppenlisten und Nachrichten enthält. Auch Fotos – private wie öffentliche – werden Behörden zur Verfügung gestellt.

Und so bilden insbesondere Indymedia, Facebook und Co. wahre Fundgruben für Fahndungszwecke. Bei den nächsten Vorkommnissen haben die Ermittlungsbehörden so eine hervorragende Recher­che­grundlage, um bei den „bekannten“ Leuten mal genauer nachzuschauen.

Soziale Netzwerke können hilfreich sein und auch im politischen Alltag nicht mehr wegzudenken. Umso wichtiger ist es, sich der möglichen Gefahren dieser Plattformen bewusst zu werden und gewissenhaft und sensibel mit seinen eigenen und den Daten anderer umzugehen. Das heißt konkret: Je weniger (wahre) Daten, desto besser! Machen wir es den Verfolgungsbehörden nicht unbedingt leichter als nötig!

Euer EA

Rote Hilfe

Facebook muss sterben, damit ich leben kann!

Ich bin ja nicht bei Facebook. Ich besitze auch keinen Facebook-Account. Und nein, ich mache auch nicht mit bei diesem Facebook. Dennoch bestimmt Facebook mein Leben, denn dieses Facebook begegnet mir einfach überall. Ich kann ja kaum eine Webseite mehr besuchen, ohne Facebook-Buttons betrachten und vorsichtig umgehen zu müssen. Facebook auszuweichen ist schwierig geworden heutzutage. Ist ja auch in aller Munde, dieses Facebook. Da reden die Medien jetzt schon von Facebook-Revolutionen. Auf Facebook sei mal wieder zu Aktionen aufgerufen worden. Und Facebook ist ja auch sooo praktisch, wenn’s um Mobilisierung geht, meint ein Genosse. Nur bekomme ich das meiste ja gar nicht mehr mit, wenn ich nicht bei Facebook bin. Otze feiert Geburtstag im Clara-Park und ich hätte es fast verpasst, weil ich’s nicht bei Facebook las. Ich müsste doch einfach nur bei Facebook sein, sagte er. Ich müsse ja auch keine persönlichen Informationen bei Facebook lassen. Aber ich würde eben teilhaben können und immer up-to-date sein, erst recht wenn ich die Facebook-App auf dem Smartphone hätte.

Ich hab’ nichtmal so ein scheiß Smartphone, Du verkackter Facebook-Primitivist!!!

Gut, ich sollte mich vielleicht doch nicht so über Facebook aufregen. Im Grunde ist Facebook doch nur ein Mittel zum Zweck, ein Kommunikationsmittel. Dort kommunizieren dann alle, die bei Facebook sind. Die, die nicht bei Facebook sind, kommunizieren ja auch noch. Nur eben nicht mehr mit denen von Facebook. Naja, vielleicht ist das auch die wahre Facebook-Revolution. So wie die Neandertaler damals den evolutionären Nachteil gegenüber dem Homo Sapiens hatten, so habe ich wohl einen Nachteil gegenüber den Facebooker_innen. Facebook sortiert, vielleicht ist das der Lauf der Dinge. Aber warum komme ich mir dann ausgeschlossen vor, weil ich den Facebook-Quatsch nicht mitmache? Momentchen … doch wohl, weil ich qua Facebook tatsächlich ausgeschlossen werde! OK, vor Facebook war ich auch einer der letzten, die so ein „Handy“ hatten. Aber die Informationen erreichten mich noch, es gab keinen erbarmungslosen Facebook-Filter!

Schlimmer als die DDR, dieses Facebook!!!

Was soll’s, Facebook hat sicher auch gute Seiten für die, die sich davon fernhalten, oder? Mit dem Facebook-Text hier darf ich immerhin mal wieder mehr schreiben als Justus. Junge Frauen üben sich neuerdings im Facebook-Ausdruckstanz, um mich zu inspirieren. Facebook könnte also durchaus was abzugewinnen sein. Aber wem mache ich was vor, ich hasse Facebook! Wo Hass ist, muss immer auch Liebe sein, schrieb sicher mal jemand in seinem Facebook-Status. Aber warum sollte überhaupt irgendjemand mit Restvernunft einen Fick auf etwas geben, was bei Facebook steht?! Ist Facebook nicht der globale Mülleimer menschlicher Kommunikation? Woher ich überhaupt weiß, was bei Facebook geschrieben wird? Na jeder zweite Facebook-Depp lässt doch seinen Account offen stehen, egal an welchem Rechner er sich befindet. Da komme ich gar nicht drum herum, auf Facebook-Seiten zu gucken. So blöd und blind kann eben auch nur Facebook machen. Facebook als Gradmesser für die soziale Degeneration einer Gesellschaft. Vom facebookschen Verfall der Gesellschaft … wobei, ich will Facebook mal nicht überbewerten. Facebook stinkt einfach nur. Facebook sozialpsychologisch zu betrachten hieße, sich mit dem intellektuellen Bodensatz einer eh schon abgestumpften medialen Gesellschaft zu beschäftigen. Da können Politniks noch so sehr den angeblichen Graswurzelcharakter von Facebook und Twitter beschwören, ich werde diesen Gestank einfach nicht mehr los. Facebook klebt wie eine elende Klette am mir, ist überall, Facebook nervt immer. Sich Facebook ganz zu entziehen würde bedeuten, alles hinter sich zu lassen. Eine Option, die Facebook nicht zulässt. Facebook versaut mir nicht nur das Internet; auch das Essen, Musik, Freundschaften und meine Lieblingsserie vermiest mir Facebook immer mehr!

Ja sogar der letzte Sex wäre ohne Facebook ganz OK gewesen!!!

Ach … ich bin müde, Facebook schafft mich. Warum kann nicht einfach mal irgendwo irgendetwas ohne Facebook sein?! Habe ich Facebook am Ende gar verdient? Facebook als postmoderne Erbsünde, oder was? Ich ahne schon, wodurch das Paradies sich definiert – durch die pure Abwesenheit von Facebook. Aber Träumen hilft auch nicht, das Facebook-Trauma ist zu real. Um mich herum: Facebook. In meinem Kopf: Facebook. Überall nur: Facebook!

Facebook, Facebook, Facebook.

shy

Soziale Bewegung

Neues aus der Bewegung: Mit Kommunikationsmethodik gegen kapitalistische Krise

Es soll nicht die Aufgabe dieses Artikels sein, am neuesten Beispiel einer Bewegung durchzuexerzieren, was an Gerechtigkeitsidealen oder Appellen an den Staat kritikabel ist. Es soll an dieser Stelle nur ein Aspekt unter die Lupe genommen werden, der wirklich als ein Novum der Occupy-Bewegung reklamiert wird: die neue Art der Kommunikation. Die Bedeutung dieses Aspekts für die Occu­py-Bewegung sollte nicht unterschätzt werden. Inhalte der „Occu­­panten“ können schließlich von Land zu Land, von Staat zu Staat recht stark variieren. Na klar, irgend­wie findet man Banken schon fies – aber ein US-ameri­kanischer linker Kritiker der Zentralbank hat in dem Punkt womöglich mit der dortigen Libertarian Party mehr gemeinsam, als mit der hiesigen attac oder dem DGB. Im Punkt des „Wie“ der Entscheidungsfindung scheint die Einigkeit viel größer zu sein – mit Stolz und Begeisterung wird auf die Erfahrung der spanischen „Asambleas“, also eine Art offene Versammlung, als ein Beispiel von „echter Demokratie“ verwiesen.

Das Dokument aus den spanischen 15M-Protesten mit dem Titel „Kurzanleitung: Gruppendynamiken in Bürgerversamm­lungen“ (1), auf das sich auch deutsche Occupy- bzw. „Echte Demokratie Jetzt“-Aktivisten berufen, ist zwar als methodische Anleitung geschrieben, verrät aber eine ganze Menge über die Inhalte der Proteste.

Unserem Verständnis nach steht Kollektives Denken im völligen Gegensatz zu der Art zu denken, wie sie durch das gegenwärtige System angeregt wird. Dadurch ist es schwer zu integrieren und anzuwenden. Zeit ist nötig, da dies eines langen Prozesses bedarf. Wenn eine Entscheidung getroffen werden muss, neigt das normale Gesprächsverhalten zweier Menschen mit unterschiedlichen Meinungen dazu, konfrontativ zu sein. Jeder verteidigt seine Meinung mit dem Ziel, seinen Gegner zu überzeugen, und das solange, bis die eigene Meinung gewonnen hat, oder zumin­dest ein Kompromiss erreicht werden konnte.

Das Ziel von Kollektivem Denken hingegen ist es, Neues zu erschaffen. Das bedeutet, zwei Men­schen mit unterschiedlichen Ideen arbeiten zusammen um etwas Neues zu kreieren. Die Betonung liegt also nicht auf: meine Idee oder deine; man verpflichtet sich vielmehr der Auffassung, dass zwei Ideen zusammen etwas Neues entstehen lassen können, etwas, das keiner von uns vorher ahnen konnte.“

Die neue Bewegung grenzt sich vom Rest der Politik nicht durch Inhalte, sondern durch Methode ab – aus kontroversen Positionen soll etwas Gemeinsames erarbeitet werden. Sicherlich, das gibt es, dass Diskussionen unnötig aggressiv und nicht mehr an der Sache entlang geführt werden. Soweit richtig. Aber daraus macht die Bewegung dann, dass es gar keinen Dissens geben könne, der in der Sache begründet ist. Weder die Verfasser des Papiers, noch ihre zahlreichen Anhänger und Nachahmer kommen auf die Idee, dass es Positionen geben mag, die sich wirklich gegenseitig ausschließen, dass es gute Gründe geben kann für einen handfesten Dissens.

Kollektives Denken entsteht, wenn wir verstehen, dass alle Meinungen, seien es unsere eigenen oder die anderer, berücksichtigt werden müssen um Konsens zu erzeugen, und dass eine Idee, wenn sie erst einmal erschaffen ist, uns verwandeln kann.“ Einen Dissens, der sich nicht mit geduldigem Zuhören in einen Konsens umbiegen lässt, gibt es einfach nicht. Dagegen wäre bspw. einzuwenden, dass ein Ablehnen einer Position gerade Folge aufmerksamen Zuhö­rens und Ernstnehmens des Kontrahenten sein kann (bzw. sollte). Doch auf die Frage, warum es überhaupt Dissens gibt, haben die Aktivisten der neuen Bewegung bereits eine eigentümliche Antwort gegeben:

Was ist eine Bürgerversammlung? Sie ist ein bürgerbeteiligendes Entscheidungsgremium, das Konsens anstrebt. Die Versammlung sucht nach den besten Argumenten um eine Entscheidung zu treffen, die jede Meinung widerspiegelt – nicht gegensätzliche Positionen, wie es bei Wahlen geschieht. Sie muss friedvoll ablaufen, mit Respekt für alle Meinungen: Vorurteile und Ideologien müssen zuhause gelassen werden. Eine Versammlung sollte sich nicht um einen ideologischen Diskurs drehen; vielmehr sollte sie sich mit praktischen Fragen beschäftigen: Was brauchen wir? Wie können wir es bekommen?“

Es soll also scharf zwischen „Ideologie“ (hier wohl als jedwede politische Einstellung gemeint, vermutlich auch abwertend für Menschen, die das beharrlich bzw. „penetrant“ vertreten) und praktischen Fragen (politisches Programm) unterschieden werden. Wie sich z.B. der Vorschlag „den Staat abzuschaffen“ von „anarchistischer Ideologie“ trennen lassen soll, wird zwar nicht klar – aber das neue Entscheidungsverfahren wird schon mal als eine Alternative zum Parlamentarismus präsentiert. Sonst haben die Autoren des Papiers übrigens kein Wort darüber gesagt, was sie an der bestehenden Ordnung auszusetzen haben, außer diesen einen Punkt: Bei Wahlen geht es um gegensätzliche Positionen und Ideologien.

Der Glaube an die grundsätzliche Kon­sens­fähigkeit aller Positionen kommt zustande, weil der Demokratieidealismus der neuen Bewegung völlig ohne den Begriff des „Interesses“ auskommt. Die parlamentarische Demokratie ist diesen Kritikern nicht „echt“ genug. Bei den Entscheidungen, die die per Gesetz dazu berechtigten politischen Organe treffen, fühlen sich die Teilnehmer diverser Zelt-Camps in Madrid und Frankfurt ziemlich übergangen – und das ist eine richtige Feststellung, ein wahres Moment der Forderung der Bewegung. Doch wenn es um die Benennung der Gründe dafür geht, fällt den Wutdemokraten vor allem ein, dass ja nicht alle mitentscheiden dürften und daher nicht alle vorhandenen Lösungsvorschläge für welche Probleme auch immer angehört würden. Dabei gibt es gar keine Übereinstimmung der Interessen etwa zwischen Protestlern und Regierenden in Deutschland in Sachen Hartz IV, ob die Verarmung der Arbeitslosen ein Problem darstellt oder doch vielmehr als Lösung eines Standortproblems daherkommt.

Die Stimmen aus der Bewegung verraten, dass für Occupy-Anhänger die Sache so aussieht, dass Parlamente, Parteien und Interessenverbände das Volk überhaupt erst spalten. Dass es verschiedene Parteien gibt, weil die Interessen nun mal verschieden sind, darauf werden die Verfasser folgender Zeilen wohl nicht gekommen sein:

In unserem zunehmend auseinanderfallenden Gesellschaftssystem haben wir uns an folgende Form sozialer Kommunikation gewöhnt: Berufspoliker und Vetreter von Lobby-, und Partikularinteressen nutzen die massenmediale Infrastruktur um die grundlegenden Eckpfeiler in gesellschaftspolitschen Themenbereichen abzustecken.“ (2)

Über das Auftauchen von Nazis auf ihren Demos sollten sie sich dann nicht wundern. Der Hass auf die bösen Partikularinteressen, die eine ansonsten ach so harmonische Gesellschaft (Gemeinschaft) auseinanderfallen lassen, ist ein Grundgedanke des Faschismus.

Die Occupy-Bewegung will, dass das Volk (also die „99%“) wirklich bestimmt, wo es lang geht. Der parlamentarische Weg schafft Gegensätze, in der Asamblea sei das Volk dagegen tatsächlich mal ei­ne Gemeinschaft mit gemeinsamen Interessen. „Volkswille“ ist für die Anhänger direkter Demokratie kein rhetorisches Konstrukt – den gäbe es wirklich, den unverfälschten Willen des Kollektivs, aber die egoistischen Partikularinteressen verfälschten ihn. „Findest du auch: […] dass wir nur noch von einer nicht einmal repräsentativen gesellschaftlichen Elite regiert werden?“ (3)

Wenn aber „Arbeitnehmer“ und „Arbeitgeber“ mal wieder sowas von gar keinen Konsens darüber finden, ob die Lohne erhöht oder gesenkt bzw. die Arbeitszeit gekürzt oder verlängert gehört, dann liegt es nicht daran, dass sie keine tollen „Gesten zum Ausdruck des gemeinsamen Befindens der Versammlung“ kennen! („Dein Beitrag nimmt zu viel Zeit in Anspruch“ = überkreuzte Arme. Die Unterarme kommen zusammen und bewegen sich voneinander weg, wie die Zeiger einer Uhr, so dass sich die Handflächen über dem Kopf berühren.“) In den Mitteln des individuellen Voran­kommens in der Marktwirtschaft sind nun mal ziemlich unversöhnliche Interessenwidersprüche angelegt. Die Konkurrenz der Kapitalisten um die Märkte und der Arbeiter um die Arbeitsplätze ist auch nicht gerade etwas, was sich so eben mit einer anderen Art des Kommunizierens lösen ließe. Von Konflikten zwischen den Staaten ganz zu schweigen.

In der Kommunikationsform der „Occu­panten“ kommt dagegen zum Ausdruck, dass hier Empörung mit Kritik verwechselt wird. Jeder kann aber mit seiner ganz persönlichen Betroffenheit als Betroffener vorstellig werden und mittels Demonstration seiner Empörung, die Versammlung bereichern. Es geht nicht darum, für bestimmte Interessen zu kämpfen – das würde andere ja ausschließen – sondern darum, mit der Versammlung und dem öffentlichen Campen zu zeigen, dass hier eine Mehrheit von Betroffenen versammelt ist.

Die neue Bewegung ist so offen für alles, dass sie gar nicht weiß, was überhaupt der gemeinsame Nenner zwischen all den Teilnehmern sein soll. Aber auch da sollen Kommunikationsforme(l)n helfen:

Es ist nützlich, eine Diskussion mit den Punkten zu eröffnen, die verbinden, bevor man sich den Punkten widmet, die entzweien. Beispiele:

1) „Fass diesen Hund nicht an oder er beißt dich!“ könnte formuliert werden als „Sei vorsichtig mit diesem Hund, weil er dich beißen könnte, und keiner von uns würde das gut finden.“

2) „Wenn wir hier keinen Konsens erreichen, werden alle Anstrengungen verschwendet gewesen sein!“ könnte formuliert werden als „Es ist wichtig, dass wir einen Konsens in diesem Punkt erreichen, oder es könnte uns passieren, dass wir als Gruppe an Kraft verlieren, und keiner möchte, dass das passiert.“

Jede Festlegung auf eine konkrete Analyse oder Programmatik würde der Bewegung das besondere Güterzeichen „für alles offen zu sein“ berauben – und keiner möchte, dass das passiert. Denn eine offene Bewegung zu sein scheint schon Programm genug.

Junge Linke – gegen Kapital und Nation

(1) Zit. nach: www.echte-demokratie-jetzt.de/material. Soweit nichts anderes angegeben, entstammen alle Zitate dieser Quelle.
(2) Debatte: Die Asamblea als Instrument basisdemokratischer Meinungsbildung. 06.09.2011. acampadaberlin.blogspot.com/2011/09/debatte-die-asamblea-als-instrument.html
(3) Flugblatt von „Echte Demokratie Jetzt“ – Bremen, verteilt am 15.01.2012.

Soziale Bewegung

Der Kampf geht weiter…

… um Wohnraum und Arbeit in Rio de Janeiro

Im Dezember 2003 wurde im Hafenviertel von Rio de Janeiro, Brasilien, ein mehr als zehn Jahre leer stehendes Gebäude von einer Gruppe armer Familien besetzt, organisiert vom Comitê de Resistencia Popular. Das Gebäude wurde in der Zeit, als es noch „in Gebrauch“ war, als Einnahmequelle benutzt, indem es für verschiedene Zwecke vermietet wurde. Laut einiger Nachbarn/innen diente das Gebäude zuletzt als Garage für Privatfahrzeuge.

Weniger als eine Woche nach der Besetzung beantragte die Besitzerin des Gebäudes, die Irmandade de Santissimo Sacramento da Candelária (eine Bruderschaft der katholischen Kirche), die Rückgabe ihres Eigentums. Erstaunlich, wenn man bedenkt, dass es sich um eine Bruderschaft handelt, die sagt, sie würde christliche Vorbilder predigen. Die Familien aber leisten mit Unterstützung von Organisationen aus der sozialen Basisbewegung (movimento popular) tapfer Widerstand im Kampf für ihr Recht auf Wohnraum und ein würdiges Lebens.

Die Situation der Familien, von denen viele aus allein stehenden Müttern, alten Menschen und Kindern bestehen, ist dieselbe wie die eines großen Teils der Bevölkerung des Bundesstaates und des gesamten Landes: Geschlagen durch den Anstieg der Arbeitslosigkeit bei gleichzeitigem Anstieg der Lebensunterhaltungskosten, wird ihnen das Recht auf Wohnraum und auf Arbeit verweigert. Und dafür wird sogar Polizeigewalt angewendet, wie sie eben in diesem Fall auch von der Bruderschaft beantragt wurde.

Wir wissen, dass dies das Ergebnis tief gehender sozialer Ungleichheit ist, die im Staat Rio de Janeiro als auch in ganz Brasilien vorherrscht. Die Familien, die heute das Gebäude besetzen, sind nicht schuld daran, arm geboren worden zu sein, keine Wohnung zu haben und, wie es oftmals vorkommt, Hunger zu leiden. Die Situation dieser Familien ist der hemmungslosen Ausbeutung ihrer Arbeit und ihrer Vorfahren seit 500 Jahren geschuldet. Enterbte Söhne und Töchter eines reichen Landes besitzen heute nur ihre Arbeitskraft, die von Mal zu Mal mehr entwertet wird.

Das Comitê de Resistencia Popular ist eine Organisation des armen Volkes. Es vereint die armen Bewohner/innen der Städte (Arbeiter/innen, Obdachlose, Arbeitslose, Straßenhändler/innen etc.). Ziel des Komitees ist es, für die Garantie und Ausweitung der Rechte des Volkes sowie der Eroberung der vollen Bürgerrechte zu kämpfen – beides wird dem Großteil der Bevölkerung verweigert. Das Comitê de Resistencia Popular gibt es, um an den Kämpfen des Volkes teilzunehmen und diese zu intensivieren. Es geht um den Kampf für Arbeit, Wohnung, Soziale Gerechtigkeit und Freiheit.

Bis heute ist bereits viel an dem Gebäude verändert worden. Als die Besetzer/innen es betraten, war es in einem sehr schlechten Zustand: dreckig, kaputt, ein wahrer Hort zur Vermehrung von Insekten. Heute bietet es Wohnraum für arme Familien und außerdem will das Comitê de Resistencia Popular den Raum für diverse andere Aktivitäten nutzen, die sich an die Einwohner/innen der näheren Umgebung wenden. So wollen die Familien unter anderem Raum für ein Projekt zur Alphabetisierung von Erwachsenen, für Vorbereitungskurse für die Uniaufnahmeprüfung sowie für Veranstaltungen und Versammlungen der Bewohner/innen der Umgebung und anderer Basisbewegungen zur Verfügung stellen.

Die Bruderschaft Irmandade de Santissimo Sacramento da Candelária, die eine Unmenge an Immobilien und Geschäften verwaltet, welche indirekt mit dem Erzbistum der katholischen Kirche von Rio de Janeiro verbunden sind, hat sich direkt an die Justiz gewendet, um mit diversen Rechtsanwälten/innen für ihr Recht auf Eigentum zu klagen. Die Familien wurden von Gewerkschaften, Basisbewegungen, Fachschaften, Schülervertretungen und Schüler- bzw. Studentenbewegungen unterstützt. Gegen die unmittelbare Räumung und gegen eine gewaltsame Aktion seitens der Polizei wurden bereits solidarische Öffentlichkeitsaktionen gegenüber der Kirche der Bruderschaft (Igreja Candelária) organisiert. Als verzweifelte Aktion am Vorabend einer Entscheidung seitens der Justiz im März, haben sich zwei Mitglieder des Comitê de Resistencia Popular und Bewohner des Gebäudes an die Kirche gekettet und dort einen viertägigen Hungerstreik durchgeführt. Dieser wurde nach einem teilweisen Sieg gegenüber der reaktionären Bruderschaft beendet. Die Entscheidung nämlich sah so aus: Die Familien sollten bis zum 14. April, Tag einer gerichtlichen Anhörung, nicht geräumt werden.

Während des Hungerstreiks der Genossin und des Genossen haben Student/innen und Gewerkschafter/innen und Mitglieder der Presse der Basisbewegungen das Büros des Erzbischofs von Rio de Janeiro besetzt: Damit sollte das Erzbistum aufgefordert werden, gegenüber der Bruderschaft zu intervenieren und sie dazu zu bringen, die juristische Vorgehensweise zu beenden und die Familien in dem Gebäude wohnen zu lassen. Bei dieser Gelegenheit wurde klar, dass das Erzbistum von Rio de Janeiro mit den konservativsten und reaktionärsten Sektoren der Gesellschaft verbunden ist – so steht es auf der Seite des Eigentums und nicht auf der des armen Volkes. Der Monsignore Abílio, der den Polizeieinsatz zur Räumung der Demonstranten/innen gefordert hatte, war im übrigen bereits in seiner Jugend Mitglied des „Kommando Jagd auf Kommunisten“ (Comando de Caça aos Comunistas) – eine Gruppe, die in der Zeit der Diktatur aktiv war. Heute ist er Teil der reaktionären Organisation, die sich „Tradition, Familie und Eigentum“ (Tradiçao, Família e Propiedade) nennt.

Genossinnen und Genossen, die Situation ist ernst. Es ist absolut nicht sicher, dass die Familien in dem Gebäude wohnen bleiben können – im Gegenteil. In diesem Sinne ruft das Comitê de Resistencia Popular alle Aktivisten/innen in allen Teilen der Welt auf, den Kampf auf das Recht auf Wohnraum und Arbeit dieser armen Familien zu unterstützen. Es ist notwendig, dass die Katholische Kirche unter Druck gesetzt wird, damit sie die Unterstützung, die sie der Bruderschaft bislang entgegen gebracht hat, zurückzieht. Es ist notwendig, dass Solidaritätsaktionen mit der Besetzung organisiert werden, denn letztlich kann nur der Kampf zum Sieg führen, so wie es bis zu diesem Zeitpunkt schon geschehen ist. Das Ziel bleibt weiterhin, die Kirche dazu zu bringen, eine günstige Position bezüglich der Rechte der Besetzer/innen einzunehmen.

Ebenso braucht der Kampf des Comitê de Resistencia Popular die Unterstützung aller Organisationen und Gruppen der Basisbewegung (movimento popular) sowie der Gesellschaft, um die Bruderschaft und das Erzbistum von Rio de Janeiro unter Druck zu setzen, da letztere bislang für eine gewaltsame Räumung der Familien eingetreten ist. Die Heuchelei des Kirchenklerus, der im Namen Gottes Geld verdient, steht die Solidarität von Gemeindemitgliedern gegenüber. Mehr als 600 Unterschriften zur Unterstützung des Comitês wurden in kleinen Kapellen und Kirchen gesammelt. Wir hoffen, dass die Situation noch stärker öffentlich bekannt wird. Wer kann, soll helfen, die Kirche (in Brasilien und anderswo) unter Druck zu setzen (per e-mail, Demonstrationen, Unterstützungsaktionen). Die Besetzer/innen haben versprochen, den Kampf so oder so fortzuführen und, wenn es nötig sein sollte, Widerstand zu leisten, um das Recht auf Wohnraum durchzusetzen. Sie haben versprochen, für einen Sieg im Kampf des Volkes (Luta Popular) zu kämpfen.

Um zu fordern, dass die Familien nicht geräumt werden und in dem Haus wohnen bleiben können, schreibt Protestbriefe an das Erzbistum:

Mitra Arquie-piscopal do Rio de Janeiro

Rua Benjamin Constant, nº 23

Gloria, Rio de Janeiro,

CEP: 20241-150, Brasil.

Telefon/Fax: 0055-21-2292-3132

Um eure Solidarität und Unterstützung für die Besetzung zu zeigen, tretet in Kontakt mit:

Comitê de Resistência Popular

Rua Pedro Alvares, nº 29,

Santo Cristo, Rio de Janeiro, Brasil

CEP: 20220-281 Tel: 0055-21-8834-8174

(September 2004)

Soziale Bewegung

Bordertour 04

Ein Kontakt- und Untersuchungsprojekt in Richtung Osteuropa

Bordertour 04 ist eine zweimonatige Reise vom Balkan ins Baltikum. In Zusammenarbeit mit lokalen Initiativen, Medien- und Kulturzentren, sollen die alten und neuen Grenzen des amtlichen Europa erkundet, umrundet und durchlöchert werden. Befindet sich jenseits der politischen Grenzen ein virtuelles Europa? Ein offenes Europa, dem es nicht länger um Ein- oder Ausschluss geht, sondern vielmehr um Kommunikations- und Bewegungsfreiheit?

Warschau: Angeblich lässt sich am alten Stadion, dem riesigen, täglichen Osteuropamarkt der polnischen Hauptstadt, nahezu alles kaufen, u.a. auch gefälschte Reisedokumente. Bei einer kurzen Stippvisite im Sommer letzten Jahres begegneten wir dort vor allem dem unbeschwerten Handel mit allen Varianten der Produktpiraterie, von den aktuellsten DVDs bis zu den modernsten Nike-Turnschuhen. Auffällig waren für uns insbesondere die zahlreichen Stände afrikanischer Verkäufer, die sich damit ihr Überleben organisieren bzw. das Geld verdienen, um den „nächsten Sprung“ zu finanzieren: weiter nach Westeuropa. Wir trafen welche, die hier schon einige Jahre festsaßen, ein anderer war sogar schon kurz in Deutschland, aber dann im Rahmen der sogenannten Sicheren Drittstaatenregelung von den deutschen Behörden nach Polen zurückgeschoben worden. Er wird es wieder versuchen, wie die Tausenden von TransitmigrantInnen, die nicht nur in Warschau auf ihre Chance warten …

Ushorod: Es ist ein offenes Geheimnis, dass die Grenze von der Ukraine nach Ungarn oder in die Slowakei auch deswegen von den ukrainischen Grenzsoldaten so hermetisch abgeriegelt wird, um ihr Einkommen aufzubessern. Denn vom eigentlichen Gehalt läßt sich schlecht leben, die Bestechungsgelder der Schlepper sind ein notwendiger Nebenverdienst. Daran soll, im wahrsten Sinne des Wortes, niemand vorbeikommen. Doch die Verschärfung des Grenzregimes läuft in der Ukraine auf verschiedenen Ebenen. Eine EU-Mitgliedschaft steht zwar in weiter Ferne, doch der Druck der Schengenstandards wirkt bereits. Neue Auffang- und Abschiebelager für Flüchtlinge und MigrantInnen sind in den letzten Jahren nicht nur an den Außengrenzen der neuen Beitrittsländer errichtet worden, von Slowenien über Ungarn bis ins Baltikum. Die Situation in zwei militärisch abgeschirmten Lagern in der Nähe von Mukachevo, etwa 80 Kilometer von Ushorod entfernt, in denen bis zu 1000 Menschen unter übelsten Bedingungen gefangen gehalten werden, spricht Bände …

Arad: Seit vielen Jahren kommen Frauen aus dem rumänischen Arad als Saisonarbeiterinnen nach Deutschland. Sie arbeiten z.B. in der Spargel- oder Erdbeerernte für einen für hiesige Verhältnisse geringen Lohn. Doch zwei Monate dieser Plackerei bringen – auf die rumänische Situation bezogen – mehr als einen Jahresverdienst. Wenn er denn gezahlt wird! Im Sommer 2002 wurden 18 Frauen aus Arad von einem Bauern im hessischen Lampertsheim um ihren Lohn betrogen. Doch sie wehrten sich, mit Hilfe einer Unterstützungsinitiative auch juristisch, und konnten vor Gericht ihren Lohnanspruch erfolgreich geltend machen. Die Frauen sind zwischen 40 und 60 Jahre alt und tragen mit ihrer Resolutheit bestimmt nicht dazu bei, das verbreitete Bild der armen ausgebeuteten Opfer zu bestätigen. Gleichwohl war es eher einer Kette von Zufällen zu verdanken, die es den Frauen möglich machte, ihr hart verdientes Geld noch gerichtlich einzuklagen. Im Rahmen eines Videoprojektes haben wir einige der betroffenen Frauen interviewt und auch über ihre Motivationen und Abwägungen befragt, sich auf diese harte Arbeit im Westen einzulassen…

Warschau, Ushorod, Arad …, sicherlich drei der Stationen der für kommenden Sommer geplanten „bordertour“, die sich für voraussichtlich acht Wochen entlang der neuen EU-Außengrenzen bewegen wird. Wenn alles entsprechend bisheriger Vorüberlegungen klappt, wird die Tour Mitte Juli in Slowenien losgehen und bis Mitte September im Baltikum ankommen. Auf der Strecke liegen dann mit Ungarn, der Slowakei und Polen nicht nur weitere Beitrittsländer, die ja ab 1. Mai offiziell zum EU-und Schengenclub gehören. „Exkurse“ wird es auch nach Kroatien und Serbien (u.a. zur Ende Juli in Belgrad stattfindenden Konferenz von Peoples Global Action…) geben, oder eben auch nach Rumänien und in die Ukraine. Die konkrete Ausgestaltung der Tour hängt letztlich entscheidend davon ab, in welcher Form Leute und Initiativen vor Ort die Projektidee mitaufgreifen. In den letzten Jahren haben sich vor allem über das No-Border-Netzwerk (www.noborder.org) sowie die auch in Osteuropa organisierten Grenzcamps vielfältige Kontakte entwickelt. Zum zweiten sind es osteuropäische Medieninitiativen, die zunehmendes Interesse signalisieren, und das nicht zufällig.

„Freedom of movement – Freedom of communication“ – bereits im vergangenen Jahr haben wir als „temporäre Assoziation jeder mensch ist ein experte“ versucht, die Verbindung dieser beiden Slogans in den Mittelpunkt von Debatten und Mobilisierungen zu rücken. Und auch das aktuelle Tourprojekt zielt auf eine neue praktische Umsetzung dieser Doppelparole. Denn wir halten wenig davon, zum 100sten Male die Festung Europa, nun mit ihren erweiterten Festungsmauern, anzuklagen und die neue EU allein als erweiterte Billiglohnzone zu analysieren. Und damit dann wahlweise das Leiden der gestrandeten Flüchtlinge oder der überausgebeuteten ArbeitsmigrantInnen zu bejammern. Tatsache ist doch auch, dass seit vielen Jahren TransitmigrantInnen wie ArbeitsmigrantInnen beständig die Konstruktion von Schengeneuropa und dessen Ausbeutungsgefälle unterminieren und herausfordern. Die Autonomien der Migration konnten und können nicht gebrochen werden. Die sogenannte

Osterweiterung kann insofern auch als Reaktion darauf gelesen werden, dass die bisherigen Kontroll- und Steuerungsmechanismen nur unzureichend funktionierten. Die unmittelbare Einbeziehung in EU- und Schengenstandards als Versuch, den Durchgriff neu zu organisieren. Und ob bzw. inwieweit das hinhaut, ist doch eine mehr als offene Frage.

Jedenfalls stellen wir das Tourprojekt in diesen Kontext, ein (freilich bescheidener) Versuch, an der weiteren Unterminierung der konstruierten Grenzen Europas mitzuwirken. Die Tour wird dementsprechend weniger auf spektakuläre Protestformen setzen, als auf Kontakte und Untersuchungen auf der Alltagsebene. Im Gepäck haben wir nicht nur einen internetfähigen Kleinbus sowie Dokumentationstechnik. sondern auch diverses Ausstellungs- und Videomaterial für Workshops und kleinere Vorführungen.

Warschau, Ushorod, Arad…, einige thematische Schwerpunkte der Tour waren nicht zufällig in den genannten Beispielen angesprochen. Die Vorverlagerung des Grenzregimes aber vor allem die Art und Weise, wie (Transit-)MigratInnen damit umgehen, sich dennoch in ihren Netzwerken durchschlagen.  Die Ausbeutung in Niedriglohnsektoren, aber vor allem die Umgangsformen und Erfahrungssuche der osteuropäischen SaisonarbeiterInnen.

Erweiterte Ost-West wie auch Ost-Ost-Kontakte, Zugang zu Wissen über Asyl-, Heirats- oder Arbeitsmigration, Austausch über verschiedenste Erfahrungen der Saisonarbeit, Lohn- und Sozialstandards, die Zirkulation von Kampferfahrungen, individuellen wie auch kollektiven … all das interessiert uns, da haben wir viel zu lernen, gleichzeitig weiterzuvermitteln, zu kommunizieren, wenn es uns ernst ist mit Schritten in Richtung einer Globalisierung von unten. Der Bezug auf Bewegungs- und Kommunikationsfreiheit halten wir in diesem Spannungsfeld jedenfalls für zentral, damit verwoben die Frage nach transnationalen Austausch- und Organisierungsformen. Und das Tourprojekt soll in dieser Richtung als weiterer Katalysator wirken.

Wir hoffen, dass sich weitere Interessierte für diesen Ansatz vor allem in Ost-, aber auch in Westeuropa finden. Jetzt in den kommenden Wochen der Vorbereitung, aber auch dann unmittelbar in und während der Tour. Kaum jemand wird acht Wochen dabei sein, doch das Projekt soll so strukturiert sein, dass auch eine Beteiligung für eine oder zwei Wochen durchaus Sinn macht. In voraussichtlich fünf mehrtägigen „meetingpoints“ entlang der Route wird es Bilanz- und Vorbereitungstreffen für die nächsten Tourabschnitte geben, die einen Neueinstieg bzw. ein temporäres Assoziieren erleichtern sollen.

Doch wie erwähnt: die konkrete Umsetzung der Tourplanungen ist in vielerlei Hinsicht noch offen. Bei anstehenden Treffen Anfang Mai in Warschau und Novisad sowie auf der neueingerichteten Mailinglist wird das Projekt in den kommenden Wochen hoffentlich zunehmend Gestalt annehmen.

Wer Interesse an Mitarbeit und Beteiligung hat, kann sich über info@border04.org an uns wenden.

h. (everyone is an expert)

Soziale Bewegung

JUKss – Experimente der Selbstorganisation

Der Jugendumweltkongreß ist, nach dem großen Jugendumweltfestival ‚Auftakt‘ im Sommer 1993 in Magdeburg, aus den Bundeskongressen von der Naturschutzjugend und der BUNDjugend hervorgegangen. Dabei hat er sich im Laufe der Jahre einiger institutioneller Fesseln entledigt, die ihm von den großen Umweltverbänden auferlegt wurden und wird seit dem 6. JUKss 1999 in Göttingen von einer offenen und ehrenamtlichen Vorbereitungsgruppe organisiert. Auch der Umweltbegriff hat sich verschoben. Denn Umwelt ist im derzeitigen Verständnis die Welt um Dich herum, also nicht nur Natur, sondern auch Soziales, Ökonomisches, etc. Eine folgenschwere Verschiebung, öffnet sich doch so der Fokus auf eine gesamtgesellschaftliche Misere, die sich in verschiedenen Problemfeldern ausdrückt. So gerieten, neben der Umwelt im engeren Sinne, dieses Jahr vor allem Bildung und Selbstorganisation in den Blickpunkt.

Diesmal wurde der JUKss von einer auf zwei Wochen verlängert und fand vom 25.12. bis 7.1. im Oberstufenkolleg in Bielefeld statt, einer Experimentalschule aus den 70ern. Deren Aktionsfläche besteht aus verschiedenen Ebenen, die über „Wälle“ von einander abgegrenzt und mittels Treppen miteinander verbunden sind. Eine der Ebenen besteht aus fünf Glasräumen in denen viele Workshops stattfanden und auch die „ökologische Plattform“ beheimatet war. Auf einem Plateau wurde ein Chill-Out- und Sorgencafe eingerichtet, sowie ein Basteltisch und die „bildungskritische Plattform“, auf der Ausstellungen und Materialien zu Schule und Erziehung und beständig Arbeitskreise zu selbstorganisiertem Lernen, Schulkritik, oder auch ein Workshop zu Anarchosyndikalismus und Bildung stattfanden. Auf einem anderen Plateau fand sich die „antispeziesistische Plattform“, Infostände und ein Postkartenbasteltisch. Auf der dritten Plattform konnten Jonglierbälle gebaut und eigene Buttons hergestellt werden. Daneben gab es die große Cafeteria, in der das Kochkollektiv „Rampenplan“ dreimal täglich veganes Essen ausgab und auch Kaffeepausen eingelegt werden konnten. Zudem gab es ein Areal für Infostellwände, einen Computerpool im Flur, einen Hör- und Kinosaal und last but not least vier Turnhallen zum Übernachten und Duschräume mit „Duschampeln“, wo der/die BenutzerIn einstellen konnte, ob allein geduscht werden wollte, oder nur „männliche“, nur „weibliche“ Personen oder ganz egal wer reinkommen durfte. Es ist naheliegend, dass Menschen da in den Konflikt mit eingeschliffenen Normen kommen. Aber es bietet zumindest die Möglichkeit Verhaltensformen zu ändern und Kategorisierungen ganz praktisch zu überdenken.

Das Spannende am Jukss sind neben der Selbstorganisation und der Inhalte, die kulturrevolutionären Keime, die dort Raum haben zu wachsen. was bedeutet, daß auch die Art des Zusammenlebens ins Zentrum rückt und öfter auch Beziehungen und tieferliegende persönliche Verwerfungen und Funktionsweisen der Beziehungsökonomie in unserer sozialen Umwelt thematisiert werden. Nicht die zehntausendste Kampagne oder das „Militanz-Checkertum“ führt zu Emanzipation, sondern Solidarität in der Lohnarbeit, Erfahrung in Selbstorganisation und die Befreiung vom Beziehungsängstekorsett dieser Gesellschaft, wobei mit Beziehungen nicht nur traditionelle Zweierbeziehungen gemeint sind, sondern die unterschiedlichen und mannigfaltigen Formen sich aufeinander zu beziehen, die Menschen eingehen und die durch die Dominanz der „Komplettpakete“* ihrer Spannung beraubt werden.

Der JUKss bzw. auch die anderen Projekte und Initiativen, die einen ähnlichen Ansatz verfolgen, sind für mich sehr spannende mit anarchistischen Ansätzen erfüllte Organisierungsversuche, auch wenn der Anarchismusbegriff in der Eigendefinition nicht vorkommt. Das macht aber nix. So hat sich der Anspruch ein Offener Raum, ein Freiraum zu sein, erfüllt, jede und jeder hatte die Möglichkeit das JUKss zu gestalten. Wie hoch der Selbstorganisationsgrad war, darüber dürften die Meinungen auseinandergehen. Zwar löste sich die Orgagruppe zu Beginn auf, dafür übernahmen dann die bekannteren Jukssis die (unfreiwillige) Orga-Funktion, indem sie als AnsprechpartnerInnen hergenommen wurden. Nach der Abschaffung des Plenums auf dem letzten JUKss in Magdeburg, wurde dann von manchen das Fehlen von Möglichkeiten bemängelt, mal alle ansprechen zu können. Hier kommt zum Tragen, daß, wenn das Plenum abgeschafft wird, nicht nur die zentrale Entscheidungsfindung wegfällt, sondern auch der Inforundlauf. Dafür gab es dann die vielen Info-Stellwände und Interessentreffen, die das zentrale Plenum ersetzen sollten. Diese wurden nicht in dem Maße ins Zentrum gerückt, wie das für einen stärkeren Selbstorganisationsgrad wünschenswert gewesen wäre, sind sie doch wichtig um das Jukss als Rahmen aufrecht zu erhalten und allgemeine Interessen zu artikulieren, Grenzüberschreitungen anzusprechen, die Reinigung oder das Kochen zu organisieren, finanzielle Engpässe zu diskutieren. Ist natürlich immer die Frage was bleibt: Beziehungen, die Menschen eingegangen sind, manche Lösungsansätze für Probleme, die Erfahrungen, die es weiterzutragen gilt.

Es lohnt sich die Ergebnisse und die Auswertung zu Gemüte zu führen und andere Sichtweisen zum gelaufenen JUKss kennenzulernen, schließlich waren insgesamt um die 400 Leute vor Ort, die die sozialen Dynamiken und Selbstorganisationsprozesse unterschiedlich wahrgenommen haben.

kater francis murr

www.jukss.de
* festgezurrte„Komplettpakete“ aus Reden, Kuscheln, Sex – Drei Dinge in einem, das geht nun wirklich nicht, wobei bei der Abkehr von solchen Normierung die Kommunikation darüber sehr wichtig ist; mehr dazu u.A. auf www.beziehungsweise-frei.de.vu

Utopie & Praxis

Aufruf zur 3. Europäische Konferenz des Peoples´ Global Action (PGA)-Netzwerks

Belgrad 23.-29. Juli 2004

Was ist Peoples´ Global Action?

PGA ist ein globales Netzwerk lokaler Kämpfe, dass auf eine dauerhafte politische, soziale, grenzenlose und basisdemokratische Alternative zum Kapitalismus hinarbeitet. Es richtet sich gegen alle unterdrückerischen Systeme, weit weg von der Logik von Parteien und Staaten (staatlich orientierten Gewerkschaften, NGOs usw.). PGA ist Werkzeug zur Koordination, keine Organisation. PGA hat keine Mitglieder und ist keine juristische Person, keine Organisation, keine Person repräsentiert PGA alleine.

Ziel des PGA-Austausches und des PGA-Netzwerks ist es, verschiedene lokale Gruppen zu verbinden, die mit folgenden Grundsätzen übereinstimmen: Eine klare Ablehnung von Kapitalismus, Imperialismus und Feudalismus; und aller Handelsabkommen, Institutionen und Regierungen; die Ablehnung aller Formen und Systeme von Herrschaft und Diskriminierung; die Bejahung der Direkten Aktion und zivilem Ungehorsam und des Aufbaus von lokalen Alternativen zum Kapitalismus; Dezentralisierung und Autonomie.

Warum in Belgrad?

* um in Zeiten militärischer Interventionen und wachsendem Militarismus eine alternative europäische Konferenz radikaler politischer Netzwerke zu organisieren.

* aufgrund der derzeit in Ost-Europa stattfindenden politischen Kämpfe. PGA-orientierte osteuropäische Gruppen sind bisher kaum vernetzt. Es ist an der Zeit, „Gipfel-Hopping“ hinter uns zu lassen und globale Vernetzung und lokale Kämpfe zu verbinden.

Ex-Jugoslawien ist heute ein Land mit 250.000 Kriegstoten (von 1991 bis heute), eineinhalb Millionen Menschen sind im Inneren des Landes umgesiedelt und können nicht zurückkehren, ihre Rückkehr bleibt politisch unmöglich. Die Zahl von EmigrantInnen ist annähernd genauso hoch und steigt immer weiter. Jeden Tag bereiten sich Menschen vor, die Grenze der „neuen Berliner Mauer“ in die Schengen-Staaten zu überwinden, die das (neue) „römische Imperium“ von der neuen „barbarischen Bedrohung“ trennt. Die Zahl der Verschwundenen verändert sich täglich durch die Aushebung von Massengräbern und die Überreste von unidentifizierten Opfern in Leichensäcken, die von einer Verwaltung an die nächste geschoben werden, um ihre „Fälle abgeschlossen“ zu bekommen (Tuzla).

Die wichtigsten Nachrichten sind nicht auf den Titelseiten der Zeitungen zu finden, sondern stehen versteckt zwischen „Sport“ und „Feuilleton“ bei den Kleinanzeigen: legale und illegale Visa, Menschenhandel, Arbeitslose, die jeden verfügbaren Job akzeptieren, Leiharbeit, genauso wie Angebote menschlicher Organe (oftmals bieten Unsichtbare ihre Nieren zum Verkauf an, um z.B. die Ausbildung ihrer Kinder zu sichern) – ein Wirtschaftszweig, der in Jugoslawien noch verboten ist.

Der Kapitalismus hat „Frieden“ gebracht. Die westlichen Medien und die internationale Gemeinschaft haben selbstverständlich großen Aufwand betrieben, das liberal-kapitalistische Modell zu präsentieren – und während dessen fanden der große Raub des öffentlichen Eigentums, die Privatisierung und die Anhäufung von Vermögen statt. Der Umsturz Slodoban Milosevics, als „dem letzten Kommunisten des Jahrhunderts“ ist verbunden mit der Einführung der liberalen Demokratie, eben mit dem Abwurf von Bomben.

Bürgerkrieg, militärische Aggression (des eigenen Militärs im eigenen Land), Embargo, NATO-Aggression und -Besatzung, Parlamentarismus, tobender Kapitalismus, Ethno-Faschismus, völlige Armut der Bevölkerung (der schlimmste Alttraum seit dem Zweiten Weltkrieg) sind nur einige Gründe, warum sich die Menschen in Jugoslawien vom Rest der „normalen Welt“ missverstanden fühlen, der nicht die Erfahrung von Bürgerkrieg und vom restlichen aufgelisteten politischen Unsinn der letzten 10 Jahre teilt.

Wir finden es extrem wichtig, direkte Demokratie und Selbstorganisation als legitimen Widerstand und mögliche „alternative Wege und Richtungen“ darzustellen, um der Bevölkerung eine Idee davon zu geben, dass hinter der Propaganda noch andere Seiten des Kapitalismus lauern. Unser Land steht zum Verkauf und wir sehen der massenhaften Deregulierung von Arbeitsrechten entgegensehen, was paradoxerweise die Menschen in westeuropäischen Staaten genauso beunruhigen müsste.

Es ist höchste Zeit ist, dass die radikale Bewegung in Europa sich weniger auf die Orte gelegentlicher Siege konzentriert (Bolivien, Mexico, Argentinien, Brasilien…) und statt dessen zurückkehrt zum Ort der totalen Niederlage: Ex-Jugoslawien.

Wann und wo?

23.-29. Juli 2004 in Resnik, Rakovica, Industriegebiet rund um Belgrad, Ex-Jugoslawien.

Brauchen wir eure Beteiligung?

Oh ja! Wir können die Konferenz nicht alleine machen.

Wer sind „wir“?

Einberufender Gastgeber ist diesmal „Drugaciji Svet je Moguc!“ DSM! ist ein Kollektiv von Kollektiven, die sich unter dem Slogan „Drugaciji Svet je Moguc“ sammeln. Zusammen bemühen wir uns neue politische Räume zu eröffnen, die nicht an politische Parteien oder NGO`s angegliedert sind. Diese neuen Räume ziehen dem akzeptierten Rahmen von Mitbestimmung, wie Lobby-Arbeit oder Wahlen, direkte politische Aktion vor. Wir bestehen auf einen sozialen Dialog, der sich von dem, was uns die Regierung und das NGO-Umfeld anbietet, unterscheidet. Der horizontale, soziale Dialog, dessen Teil wir sein möchten, schließt sozial marginalisierte Gruppen mit ein, die systematisch daran gehindert werden, ihre grundlegenden Rechte wahrzunehmen.

Obwohl DSM! eine relativ junge Bewegung ist, hat sie es geschafft, eine bedeutende Anzahl von Menschen mit verschiedenen sozialen Hintergründen anzuziehen. Unsere Verschiedenheit sorgt für einen beständigen Strom von Ideen, die wir durch kurze und lang angesetzte Projekte und Aktivitäten zu verwirklichen begonnen haben. Unser Land war eine sehr lange Zeit in der Isolation und was die Menschen am meisten brauchen ist ein Weckruf.

Und das ist es, was wir tun und auch weiter tun wollen – indem wir Informationen liefern, direkte Aktionen machen und durch eine offene Herangehensweise, die unser Versuch sind, die Menschen zu überzeugen, mit uns eine neue Welt zu schaffen, anstatt sich um die Krümel zu streiten, die ihnen von der herrschenden Oligarchie hingeworfen werden.

DSM! schätzt die Rolle des Balkans als filternder Korridor und Hinterhof vor den Toren Schengen-Europas ein. Nach der letzten UNHCR-Statistik ist die Bevölkerung von Serbien und Montenegro weltweit auf Platz drei der Asylsuchenden. Aus diesem Grund ist der Ort der diesjährigen Konferenz ein adäquater Ort, die entscheidende Frage von Migration in Angriff zu nehmen, die ja für Ost und West wichtig ist.

Alles in allem hoffen wir, dass alle, die betroffen und interessiert sind, unseren Anreizen und positiven Plänen zur Aktion vertrauen können und sich einbringen, um eine erfolgreiche Konferenz in unserem Ex-Zukunfts-Land zu organisieren.

Mailt an: drugacijimejl(at)yahoo.com
weitere ausführlichere Informationen rund um PGA und die Konferenz in Belgrad unter: www.pgaconference.org

Soziale Bewegung

Schill ist weg – Bambule comes back

Schill muss weg! – mit dieser Parole zogen im vergangenem Jahr Tausende Menschen über Monate mehrmals pro Woche durch Hamburg um den Fortbestand des beliebten Wagenplatzes Bambule zu fordern – mithin das Recht aller Menschen, so zu leben, wie sie wollen. Der Senat ließ mit Knüppeln und Wasserwerfern antworten. Schill ist weg! hieß die triumphierende Parole, am Abend des 19.08.2003. Die Polizei reagierte mit Knüppeln und Wasserwerfern.

Ihr letzter Gruß galt dem Mann, der vor zwei Jahren angetreten war die Stadt zu säubern: von Chaoten, Obdachlosen, Verbrechern, Dealern, DrogenkonsumentInnen, Bettlern, gewalttätigen Jugendlichen. Verlässlich produzierte dieser Innensenator Schlagzeilen, von denen man nicht immer wusste, ob sie einen erschrecken oder amüsieren sollten. Deshalb ist es kein Wunder, dass man den rechten Politnarren irgendwann fallen ließ und er nur wenige Wochen nach seinem Rausschmiss bereits vergessen ist.

Am 27.9. besetzten die Bambulistas jetzt einen neuen Platz in der Harkortstraße. 300 Leute zogen daraufhin durch die Innenstadt und forderten Freiraum für alle und den Sturz des Senats im allgemeinen. Natürlich kam es zu Polizeikesseln und die Gefängnisse waren wieder überfüllt. – Und es geht weiter. Erwarten wir in Hamburg einen heißen Herbst – und hoffentlich nicht nur dort!

soja

www.bambule.de, de.indymedia.org

Zum Zug kommen!

Voraussichtlich für die zweite Novemberwoche hat das „Bundesamt für Strahlenschutz“ (BfS) den nächsten CASTOR-Transport ins wendländische Gorleben angesetzt und wieder einmal heißt das: Ausnahmezustand. X-Tausende AtomkraftgegnerInnen werden zumeist gewaltfrei versuchen, den Transport zum Stehen zu bringen und 18.000 Einsatzkräfte werden mit Gewalt und aller zur Verfügung stehenden Technik versuchen, dies zu verhindern.

Im Wendland werden Lager errichtet: Kräne stapeln Container aufeinander, Leitungen werden verlegt und außenrum kommt ein Zaun. Kein Ort um sich wohl zu fühlen. Aber darum geht es bei Lagern ja auch nicht. 18.000 Menschen sollen hier wochenlang auf engstem Raum zusammengepfercht leben und die meiste Zeit auch noch mit harter Arbeit in den umliegenden Wäldern und Landstraßen verbringen. Fast können sie einem Leid tun, die vielen Mitglieder des Bundesgrenzschutz, der Bereitschaftspolizei, der SEK’s (Sonder-Einsatzkommandos), der BFE’s (Beweis-Festnahme-Einheiten) und der vielen anderen Exekutivorgane die im November wieder einmal im Wendland zusammengezogen werden um die Staatsinteressen im Sinne der „wehrhaften Demokratie“ zu verteidigen.

Die Internierungslager für Demonstrierende, die Platz für bis zu 2000 Leute bieten sollen, sind sogar noch unkomfortabler. Nach der Neuauflage des „Niedersächsischen Gefahrenabwehrgesetzes“ (NGefAG) durch die rechte Koalition können unliebsame PassantInnen nun bis zu zehn Tage weggesperrt werden.

Auf juristischer Ebene ist die derzeitige Polizeipraxis der Massenverhaftungen auf Verdacht aber durchaus problematisch. „Ein Freiheitsentzug stelle die letzte Stufe einer Polizeimaßnahme dar“, sagt XTausendmal-Quer-Rechtsanwalt Plener. Während der Castor-Tage stehe sie jedoch an erster Stelle. Und das alles könne nur passieren, weil die Gerichte nicht funktionieren – „oder nicht funktionieren wollen“. Denn „unverzüglich“ seien Gefangene einem Richter vorzuführen, der darüber entscheiden müsse, ob der Freiheitsentzug auch gerechtfertigt sei. Doch zum einen „blockiert die Polizei das Verfahren“, zum anderen seien nicht genügend Richter vorhanden. Folge: DemonstrantInnen werden unrechtmäßig stunden- oder tagelang weggesperrt. Für rechtswidrig hält Plener auch, dass Castor-Gegner wegen bloßer Verdächtigungen inhaftiert würden. Die Polizei müsse nämlich die Straftat benennen, die durch den Freiheitsentzug verhindert werden sollte. Plener: „Mir ist kein Fall bekannt, in dem die Polizei die Ingewahrsamnahmen begründet hätte.“ Hoffnung saugen die Castor-GegnerInnen nun aus mehreren Gerichtsentscheidungen. Folge daraus: Jederzeit, rund um die Uhr, müssten Richter beim Castor-Transport erreichbar sein. „Die Gerichte müssen schneller ran“, sagte Plener. Und „die Polizei muss dafür sorgen, dass das auch passiert“.

Nach den Erfahrungen der letzten Transporte erscheint es allerdings illusorisch zu glauben, Polizeigewalt lasse sich durch Gerichte zügeln – im Zweifelsfall zählt eben das Recht des Stärkeren. Welche Seite dies aber nun ist, lässt sich im Fall des Castor-Widerstands allerdings nicht zweifelsfrei sagen, immer wieder gelang es Menschen während der letzten Transporte zum Zug zu kommen. Durch Kreativität, Phantasie und „kriminelle“ Energie jedes/-r Einzelnen kann es immer wieder klappen, die hochgerüstete Polizeiarmee auszutricksen, die durch ihr starres Kommandosystem viel schwerfälliger ist. O-Ton eines Beamten beim letzten Transport: „Wir sind zwar stärker, aber irgendwie ganz schön blöd.“ Und so rufen auch diesmal Kreativ-Gruppen wie der „Verein für Weichtierkunde“ zum heiteren Widerstand auf:

Es könne „nicht ausgeschlossen werden, dass es aufgrund der nervlichen Anspannung ausgerechnet auf vielbefahrenen Strecken zu ungeschickten Rangiermanövern, zum versehentlichen Verlust von Ladung infolge von Fahrfehlern oder zu Kollateralschäden beim Ausbringen von Mist und Gülle“ komme. X-Tausendmal-Quer bereitet wieder eine Großblockade vor und viele autonome Grüppchen werden versuchen das ihrige zum diesjährigen Novemberspektakel beizutragen. Also: Das Wendland ruft!

soja

www.castor.de

Die Atommüllberge wachsen . . .

– Bleibt es bei den jetzigen Restlaufzeiten, wird sich die tödlich strahlende Atommüllmenge seit dem Stillhalte-Atomkonsensvertrag noch verdreifachen.

– Weltweit gibt es kein sicheres Endlager, das auch nur annähernd dazu in der Lage wäre den Strahlenmüll für Millionen von Jahren von der Biosphäre abzuschließen.

– Bereits durch den Uranabbau entstehen strahlende Abraumhalden und verseuchen und zerstören die Lebensgrundlagen rechtloser indigener Gemeinschaften.

– Bei der Wiederaufarbeitung deutscher Brennelemente in den Plutoniumfabriken La Hague (F) und Sellafield (GB) wird Strahlenmüll ins Meer gepumpt und über Kamine in die Umgebung geblasen.

– Für die Französische Regierung ist die Anti-AKW-Bewegung mittlerweile so gefährlich, dass sie CASTOR-Transporttermine seit dem 9.August als „Militärisches Sicherheitsgeheimnis“ einstuft. Bei Bekanntmachung drohen 5 Jahre Gefängnis.

Bewegung