Die „Ich-AG“ und ihre Spätfolgen
Als Instrument zum Abbau der Arbeitslosigkeit von der Bundesregierung gepriesen und von der Bundesagentur für Arbeit an den Mann gebracht, soll die „Ich-AG“ offenbar Wunderwaffenwirkung haben. Wir sind sicher, dass sie in Bezug auf die Arbeitslosenstatistik abbauend wirkt. Wichtig ist nur das Wie.
„Lohnnebenkosten“ sind der allgemeinen Meinung nach die Ursache für die schlechten Arbeitsmarktdaten und die schlechte Konjunktur. Die Grundidee der Förderung der „Ich-AG“ ist, diese Lohnnebenkosten für solche Arbeitslosen zu senken, die ihre wirtschaftliche Selbstständigkeit als Minifirma begründen. Diese Entlastung wirkt bis zu zwei Jahre und soll für den nötigen Anschub der Firma sorgen. Bis hierhin ist nur der Name AG des Projektes unklar. Denn was diese Förderregelung mit einer Aktiengesellschaft, also der Herausgabe von Aktien zum Zwecke der Kapitalbeschaffung, dem damit verbundenen Börsengang und dem Handel mit den Anteilsscheinen zu tun hat, mag nur einem Politiker einleuchten.
Die Anschubfinanzierung einer Selbstständigkeit ist eine gute Sache, auch wenn der Name vielleicht aus „Marketinggründen“ etwas verunglückt sein mag. Aber es gibt einen Haken, das dicke Ende sozusagen. Der AG-Gründer bekommt nämlich kein Startkapital, es wird ihm nur weniger abgenommen, als dem normalen Selbstständigen. Das passiert in den ersten zwei Jahren, nennen wir sie mal der Einfachheit halber Schonfrist. Um abzuschätzen, ob der Erfolg von Dauer sein kann, ist es unbedingt nötig, sich mit dem Leben danach zu beschäftigen. Und hier greifen alle die Gesetze, Verordnungen und Regelungen, die den Arbeitsmarkt zu dem gemacht haben, was er heute ist.
Zunächst ist da die Krankenversicherung.
Anders als bei abhängig Beschäftigten gilt für Selbstständige eine Bemessungsgrundlage. Dieser nette Begriff drückt aus, dass die Krankenversicherung berechtigt ist, die Beiträge nicht vom tatsächlich erzielten Einkommen, sondern von der genannten Bemessungsgrundlage zu berechnen. Noch mal: Der Staat als Gesetzgeber unterstellt dem Selbstständigen ein Mindesteinkommen und erlaubt den Krankenkassen, auf dieses fiktive Einkommen Beiträge zu erheben. Gegen diese Praxis wurde von den Gewerkschaften geklagt, doch von der Vorsitzenden des Bundesverfassungsgerichtes, Jutta Limbach, als letzter Amtsakt bestätigt.
Für das Jahr 2004 beträgt diese Beitragsbemessungsgrenze 1811,25 EUR und die damit monatlich fälligen Krankenkassenbeiträge je nach Krankenkassenbeitragssatz ca. 250,00 EUR. Das ist genau der Betrag, den der ehemalige Bundespräsident Roman Herzog (ja, der mit dem Ruck!) als Pauschale für alle Krankenversicherten vorschlug. Das wäre der ultimative Ruck für alle Minijobbesitzer.
Damit ist natürlich nur das Minimum an gesundheitlicher Versorgung gesichert. Krankengeld ist da nicht drin, denn Firmengründer wollen ja nicht krank werden.
Bemerkenswert ist, dass die Bemessungsgrenze der neuen Bundesländer in den letzten Jahren auf das Niveau der Altdeutschen Länder angepasst wurde, bei der Vergütung der Ärzte aber ein niedrigeres Ostniveau verrechnet wird. Die daraus resultierenden Praxisschließungen im Osten sind offenbar ein willkommener Kostendämpfungsfaktor für die Kassen. Kostendämpfung ist die Losung dieser Tage. Leistungen werden eingespart, und der eintretende Versorgungsmangel kann durch Zusatzversicherungen abgedeckt werden. Nein, wir schweifen nicht ab, wir sind immer noch bei der „Ich-AG“, denn eine Zusatzversicherung schlägt monatlich mit ca. 70,00 EUR bis 100,00 EUR zu Buche, je nach dem, wie deutlich der Versicherte seine finanzielle Lage zeigen will. Unterprivilegierte werden wir in Zukunft an unsanierten Zähnen erkennen können. Rechnen wir also im Schnitt mit 80,00 EUR Zusatzversicherungskosten, wenn alle eingesparten Leistungen zusatzversichert werden sollen. Genaueres wird momentan von den Versicherungen erarbeitet.
Der Wechsel zu einer Privaten Krankenversicherung mit günstigeren Beiträgen hilft auch nur vorübergehend. Generell passen die Privaten die Beiträge dem Lebensalter an. Gute Berater empfehlen daher, die gesparten Beiträge für die Zeiten mit hohen Beiträgen zu sparen. Das Problem wird also nur auf später verschoben. Das ist auch nur logisch, denn eine Private Krankenversicherung ist ein Unternehmen mit dem Ziel, Gewinne zu erwirtschaften. Die Phantasiepreise der Pharmaindustrie für Medikamente gehen letztlich immer zu Lasten der Versicherten. Und noch etwas: Aus der Privaten gibt es keinen Weg zurück in die gesetzliche Krankenversicherung, es sei denn mit der Aufnahme einer Arbeit als normaler Arbeitnehmer oder der Arbeitslosigkeit. Nun, dieses Problem hatten wir ja gerade beseitigen wollen.
Und dann gibt es noch den Rentenbeitrag. Aus dem Merkblatt zur Versicherungspflicht der Handwerker, V016 entnehmen wir unter dem Punkt Regelbeitrag:
Nach Ablauf der ersten drei Kalenderjahre … zahlen pflichtversicherte Handwerker grundsätzlich ohne Rücksicht auf die Höhe ihres Einkommens einen Regelbeitrag. Für das Jahr 2004 beträgt der Regelbeitrag monatlich 395,85 EUR. Dieser Beitrag bezieht sich auf eine Bezugsgrösse von 2030.00 EUR, das Durchschnittsentgelt der gesetzlichen Rentenversicherung.
Hier besteht allerdings die Möglichkeit, einen einkommensgerechten Beitrag nach dem Arbeitseinkommen entsprechend des Einkommenssteuerbescheides zu zahlen.
Aber bleiben wir beim Durchschnitt, beim Regelfall. Bei der Addition der Sozialabgaben nach der Schonzeit ergeben sich:
250,00 EUR Krankenkassenbeitrag
80,00 EUR Zusatzversicherungen
395,85 EUR Rentenversicherung
725,85 EUR Gesamt
Diese Beiträge beziehen sich auf einen Gewinn von ca. 2000 EUR.
Hier ist der „Ich-AGler“durch die Förderung zunächst im Vorteil, aber um einen solchen Gewinn zu erreichen, muss einer schon eine ungewöhnlich gute Ausnahmeidee haben. So viele Ideen, um damit den Arbeitsmarkt spürbar zu entlasten, gibt es gar nicht. Der Gewinn von 2000,00 EUR ist das, was übrigbleibt, wenn alle Betriebsausgaben gezahlt sind. Und die Einkommenssteuer gibt es auch noch.
Die Sozialabgaben im Regelfall betragen also ca. 36%. Damit könnte man leben, vorausgesetzt, dieser Gewinn wird erreicht. Wir schätzen den nötigen Umsatz auf mindestens 4000,00 EURO, um nach der Abrechnung aller Aufwendungen wie der eventuellen Einkaufspreise der Materialien, dem Abzug der Geschäftsmieten und der Fahrzeugkosten den beschriebenen Gewinn zu erreichen.
Läuft es aber nicht so gut, ändert sich das Verhältnis dramatisch. Die Rentenversicherungsbeiträge sinken zwar in gewissem Maß proportional, die Krankenversicherungsbeiträge bleiben aber konstant! Bei 1000,00 EUR Gewinn ergibt sich folgende Rechnung:
250,00 EUR Krankenkassenbeitrag
80,00 EUR Zusatzversicherung
197,93 EUR Rentenversicherung
527,93 EUR Gesamt
Das sind 52%! übrig bleiben ca. 470,00 EUR. Der Sozialhilfesatz liegt bei knapp 400,00 EUR.
Die genauen Zahlen ergeben sich erst im Einzelfall und auf den Cent genau können wir das nicht ermitteln, dazu gibt es zu viele verschiedene Einflussfaktoren. Aber der Trend bleibt: Unter 2000,00 EUR Gewinn ist auf Dauer kein Überleben möglich. Das belegen die vielen leeren kleinen Läden in unseren Straßen. Der Traum von der eigenen kleinen bescheidenen Existenz endet zu oft im Alptraum mit Schulden aus laufenden, vertraglich langfristig gebundenen Ausgaben, wie hohen Mieten und fehlenden Einnahmen. Ursache ist u.a. die hohe Abgabenlast der Sozialabgaben, deren Gegenwert in Form von Sozialleistungen in der Krankenversorgung und der Rente immer fraglicher wird. Was bedeuten aber 2000.00 EUR Gewinn? Zur Veranschaulichung: Im Monat lassen sich ca. 20 Arbeitstage nutzen, denn 4 Wochen mit 5 Arbeitstagen ergeben ungefähr die gesetzliche Arbeitszeit. Den Rest des Monats kann man im Durchschnitt des Jahres als Urlaub, Krankheit, Feiertage oder andere Ausfälle rechnen. Daraus errechnet sich ein notwendiger minimaler Tagesgewinn von 100,00 EUR. Darunter wird es echt eng! Gelegenheitstapezieren oder Schnürsenkelverkaufen bringen es nicht wirklich. Dialer und 0190-er Nummern sind auch nicht mehr das, was sie mal waren. Wie wär’s mit einem Fernsehsender und kostenpflichtigem Telefonquiz? – oder gleich Berlusconi. Alle haben mal klein angefangen.
In den Anfängen der Langstreckenflüge wurde ein wichtiger Streckenpunkt errechnet: der Point of no Return. Ab hier ist keine Umkehr mehr möglich, weil die Treibstoffreserve nicht mehr bis zum Ausgangspunkt reicht. Diesen Punkt gibt es auch beim Aufbau der eigenen Selbstständigkeit. Es ist wesentlich, ihn rechtzeitig zu erkennen, er kann schon mit einem Bankkredit mit dem eigenen Haus als Sicherheit erreicht sein. Spätestens nach dem Ablauf der Schonfrist, wenn alle Abgaben anfallen, gibt es kein Zurück mehr. Ob mit oder ohne Ich- AG, diesen Punkt richtig zu erkennen ist existenzentscheidend. Wenn hier die Mindesteinnahmen noch nicht erreicht sind, sollte man die ganze Aktion ernsthaft überdenken. Wozu dann aber überhaupt das Ganze? Die „Ich-AG“-ler sind nicht mehr arbeitslos und das nachhaltig. Bei den oben angeführten Kosten fehlt die Arbeitslosenversicherung. Nach der Schonfrist der „Ich-AG“, in der ganz normalen Selbstständigkeit gibt es keine Arbeitslosenversicherung – nicht einmal freiwillig. Eine gescheiterte Selbstständigkeit endet somit immer beim Sozialamt. Wer im entscheidenden Moment die Gewinnerwartungen falsch und zu optimistisch einschätzt, spielt mit seiner wirtschaftlichen Existenz. Aber wenigstens sieht die Arbeitslosenstatistik besser aus.
Fakt ist: Der Teufelskreis aus Arbeitslosigkeit, staatlicher Intervention und freier Marktwirtschaft, wird mit dem Instrument „Ich-AG „ jedenfalls nicht durchbrochen.
ies.
Sozialreformen