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Anträge, Anwälte & Aktionen

Tausende zukünftiger Bezieher des Arbeitslosengeldes II – 66.000 sollen es allein in Leipzig sein – haben in jüngster Zeit persönliche Einladungen der Bundesagentur für Arbeit (BA) erhalten. Das Behördenschreiben ist allerdings genau zu lesen! Fehlt die Rechtsfolgenbelehrung, oder soll es nur um den Antrag gehen, muss man den Termin nicht wahrnehmen. Ansonsten ist man aufgrund der „Mitwirkungspflicht“ gezwungen, im Amt aufzukreuzen … den Antrag muss man aber bis 3. Januar nicht abgeben. Wenn man dann im Büro steht und sie nur eines wollen – die Daten – dann gibt es allerlei Möglichkeiten: man habe noch ein paar offene Fragen; einige Belege würden noch fehlen; oder aber der Antrag liegt zwecks Prüfung noch bei meinem Anwalt – je nachdem, wie man dem/der Sach­bearbeiterIn (SB) gegenüber auftreten will. Ratsam ist es, als Zeugen eine Begleitung mitzunehmen, etwa falls der/die SB mit Sanktionen oder Verschleppung droht… „Sollten Sie diesen Termin nicht einhalten wollen, oder zeitlich verschieben wollen, kann seitens der Agentur für Arbeit Leipzig möglicherweise eine rechtzeitige Auszahlung der zustehenden Leistungen ab Januar 2005 nicht gewährleistet werden. Darüber hinaus werde ich Ihre Arbeitslosenhilfe einstellen, solange Sie Ihre Antragsunterlagen nicht eingereicht haben.“ (Einladung der BA)… solche Maßnahmen haben keine rechtliche Grundlage und dienen allein der Einschüchterung! Sie geben im übrigen auch genügend Stoff für eine Klage wegen Nötigung.

Wenn sich solch sinnlose Vorladungen häufen, ist davon auszugehen, dass die SB noch freie Ressourcen haben – also ruhig noch ein paar Einmalbeihilfen beantragen, dann erledigt sich das „Problem“!

Zudem kann eine übereilte Antragsabgabe mehr schaden als nützen: Ändern sich Einkommens-, Vermögens- oder Wohnverhältnisse bis Anfang 2005, so ist jeder Antragsteller verpflichtet, der BA das unverzüglich mitzuteilen. Wird dies versäumt, bekommen die Betroffenen die starke Hand der Agentur zu spüren – von Kürzungen bis hin zu Betrugsanzeigen. Erfahrungen zahlreicher Erwerbsloseninitiativen zeigen, dass die BA anzweifelt, dass das aktenkundig gewordene Geld aufgebraucht wurde, und Betrug unterstellt, d.h. Sanktionen verhängt. Das ist umso gravierender, da die aufschiebende Wirkung eines Widerspruchs ab 1.1.2005 gesetzlich abgeschafft wird!

Wer meint, der frühe Vogel kriegt zuerst den Wurm, mache sich klar oder frage noch mal beim „Fallmanager“ nach: die heute abgegebenen Anträge sind nicht etwa bearbeitet worden, sondern landeten erstmal auf Halde, Schicht um Schicht. Denn die Software war erst Ende Oktober einsatzbereit – Ende September (LVZ, 29.9.) hatte es noch der 18. sein sollen, Ende August war der 4. Oktober geplant! Der Druck zur Abgabe, den die BA jetzt per Vorladung und über die Medien ausübt, dient der planmäßigen Umsetzung von Hartz IV.

Dem Vorschlag des Arbeitslosensyndikats Köln zu folgen, die Anträge erst am 6.12. abzugeben – und zwar gemeinsam! – wäre eine politische Demonstration und würde klarmachen, dass auch die Erwerbslosen keine bloße Verschiebemasse sind. Ziviler Ungehorsam als Ausdruck des Widerwillens, eine erste kollektive Aktion der Betroffenen, der weitere folgen könnten. Genau das scheint die BA mit den sinnlosen Vorladungen verhindern zu wollen – und das Muffensausen scheint groß zu sein, denn zu einem Treffen des „Erwerbs­losen­syndikats Leipzig“, für das auch vor dem Arbeitsamt Flugblätter verteilt wurden, gesellte sich am 5. Oktober auch der Pressesprecher der BA Leipzig, Hermann Leistner!

Erst versuchte er, sich einzuschmeicheln, denn er habe ja nichts gegen die Aktion und: „Ich wäre der Erste, der den Laden [die Arbeitsagentur] dicht macht.“ Aber die BA sei ja nur Organ der Politik und habe für einen reibungslosen Ablauf zu sorgen – das ist der Kern der Panikmache, die auch von der LVZ getragen wird! In unserem Interesse ist es nicht, dass die Reform glatt durchgeht – und wenn die Regierung sich selbst ein Bein stellt (Software), wie können wir da abseits stehen? Stellen wir ihr das zweite! Lassen wir uns nicht kirre machen, eine „verspätete Abgabe“ (BA-Chef Leipzig Meyer, LVZ, 6.10.) ist nicht die Abgabe im Dezember. Nicht wir schaden uns mit einer späten Abgabe, sondern die BA gerät in Zugzwang sobald ihr die Notlage bekannt wird – dazu reicht auch ein formloser Antrag. Interne Arbeitsanweisungen geben jedenfalls an, dass im Januar „Abschlagszahlungen“ geleistet werden sollen, wenn die Anträge nicht bearbeitet werden können. Das bestätigte BA-Chef Weise auch gegenüber der Süddeutschen Zeitung. Es liegt nicht im Ermessen der Agentur, wann sie das Geld auszahlt. Nicht vergessen sollten wir, dass es auch Ziel des Antrags ist, Leute aus der Stütze zu drängen!

Informiere Dich gut, was Du ausfüllen musst – nur das nötigste! (z.B. nicht Telefon/Email) – und was datenschutzrechtlich umstritten ist. Prinzipiell gilt: so wenige Infos wie möglich rausrücken, und: alles schriftlich.

A.E.

Infos im Netz: www.fau.org, www.bag-shi.de (Frankfurt), www.harald-thome.de (Wuppertal), www.machtlos.org (Leipzig)

sozialreform

Aufruf „Agenturschluss“

Wenn am 1. Januar 2005 die neuen Hartz-Gesetze in Kraft treten sollten, rufen wir dazu auf, die »Arbeitsagenturen« und »Personal Service Agenturen« (PSA) bundesweit zu schließen. Am ersten Werktag des neuen Jahres, am Montag, den 3. Januar 2005, werden wir den Start von »Hartz IV« stoppen.

Wir werden in Form von Besetzungen, Blockaden oder Versammlungen in den Ablauf der Erwerbslosenbürokratie eingreifen. Wir wollen die Nötigung und Beschneidung unseres Lebens anhalten und einen Raum schaffen für den Ausdruck unserer Ängste, unserer Wut und unserer eigenen Vorstellungen von einem würdigen Leben. Ob wir mit den jetzt stattfindenden Demos, Kundgebungen und Aktionen die notwendige gesellschaftliche Kraft entfalten, damit die Regierung die »Hartz-Gesetze« zurücknimmt, wissen wir nicht. Unsere Wut und unsere Phantasie sind aber noch lange nicht aufge­­braucht. Wir rufen besonders zur Teilnahme an der Arbeitsagentur-Aktions­woche vom 2. bis 5. November und zur bundesweiten Großdemon­stration an der Zentrale der »Bundesagentur für Arbeit« am 6. November in Nürnberg auf.

Selbst wenn die »Hartz-Gesetze « Alltag werden, wird der soziale Protest und Widerstand dagegen nicht zu Ende sein. Es sind schon andere Gesetze wieder gekippt worden. Weisen wir das gesellschaftliche Elend, das uns jetzt versprochen wird, zurück. Erinnern wir uns an die erfolgreichen Proteste gegen die Einführung einer Kopf-Steuer in England Anfang der 90er Jahre. Die massenhafte Aufkündigung des »sozialen Friedens« brachte das Gesetzesvorhaben seinerzeit zu Fall.

Viele Menschen begreifen, dass der Angriff auf uns und unsere Bedürfnisse gleichermaßen für Erwerbslose wie für Lohnarbeitende gilt.

Für diejenigen, die lohnarbeiten, als Erpressung zu Mehrarbeit und Lohnverzicht.

Für diejenigen, die erwerbslos sind, als Leistungskürzung und Zwang in Billigjobs. Immer mehr Aufwendungen für Renten- und Krankenversicherung kommen für alle dazu. Dass ausgerechnet die großen Sozialverbände wie Caritas, Diakonie oder AWO von der Einführung der nur symbolisch entlohnten Zwangsarbeit für »Arbeitslosengeld-II-BezieherInnen« profitieren wollen, macht sie zu klaren Gegnern im Widerstand gegen die »Hartz-Gesetze«. Im gemeinsam und gleichzeitig erlebten Alltag der Bedrohung mit Arbeit und Arbeitslosigkeit gibt es keinen Unterschied mehr zwischen Erwerbstätigen und Erwerbslosen. Darin liegt aber auch die Möglichkeit, im Protest und Widerstand, nicht nur gegen die »Hartz-Gesetze «, zusammen zu kommen.

Im aktuellen Umbau des Sozialstaates verschiebt sich die Aufgabe der neuen »Agenturen für Arbeit«. Im Leitbild der »Verfolgungsbetreuung« tritt die Zielrichtung der Kontrolle und Ausübung von Zwang gegenüber den erwerbslosen »KundInnen « deutlich hervor und die Förderung und Beratung in den Hintergrund. Wenn die »Arbeitsagenturen« zur »Arbeitspolizei« werden, stellen wir ihre Existenzberechtigung in Frage.

In diesem Sinne soll die Schließung der »Arbeitsagenturen« durch unsere Aktionen auch die Forderung nach der Auflösung dieser Behörde ausdrücken. Was konkret am 3. Januar 2005 in den »Arbeitsagenturen« und »PSAs« passieren wird, ist abhängig von den Menschen vor Ort, von ihrem Zorn und von dem, was sie sich zutrauen. Unser Ziel ist es, uns in den Ämtern zu versammeln, den Betrieb lahm zu legen und dort zu protestieren und zu diskutieren. Dabei können die Beschäftigten der Arbeitsämter mit einbezogen werden. Sollten wir vor verschlossenen Türen stehen, haben wir ein Teilziel erreicht und können uns überlegen, ob und wie wir uns Zutritt verschaffen. Wir haben mehr vom Leben – als von der Arbeit!

www.labournet.de

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