Schlagwort-Archive: Uebrigens

Auf zur zentralen Einheitsgemeinde!

Klage gegen Gemeindegebietsreform in Sachsen-Anhalt endgültig gescheitert

Dass der deutsche Bundesstaat vom Prinzip des Föderalismus und damit von einer Mitbestimmung durch die Betroffenen nicht viel hält, sieht mensch schon an dem Fakt, dass immer mehr Entscheidungskompetenzen auf die nächst höhere, europapolitische Ebene verschoben werden, anstatt die Autonomie und Selbstbestimmung auf den unteren Ebenen sicherzustellen. In Sachsen-Anhalt geht Staat nun exemplarisch noch einen Schritt weiter. Was hier bisher freiwillige Verhandlungssache zwischen den kommunalen Gemeinden war – der Zusammenschluss in größere Verwaltungseinheiten – wird nun per Dekret durchgesetzt. Die juristische Zwangsmaßnahme heißt Gemeindegebietsreform (2007/08), nach der eine kommunal organisierte Gemeinde mindestens 10.000 EinwohnerInnen (!!!) umfassen muss, um überhaupt so etwas wie Selbstverwaltung ausüben zu können, und wurde maßgeblich von der SPD vorangetrieben. Fast 200 Gemeinden hatten dagegen vor dem Landesgericht Sachsen-Anhalts geklagt. Doch ohne Erfolg. Richter Schubert verkündete am 21.04. 2009, dass der Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit des Landes ausreichend wäre, um so massiv in die Selbstverwaltung der Kommunen einzugreifen. Er berief sich dabei auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von 1988. Mensch könnte diese einheitliche deutsche Rechtsprechung auch so lesen: Da es billiger ist, wenn weniger mehr entscheiden, darf prinzipiell immer zentralisiert werden. Ob solche Einsparungen dann auch wirklich den Betroffenen dienen, prüft freilich kein Gericht der Welt und darf getrost bezweifelt werden.

Fakt ist: Gemeinden, die sich nun bis Ende Juni keiner größeren Verwaltungseinheit anschließen, werden dann zwangsangegliedert. Schöne neue Welt! Der historische Trend könnte eindeutiger nicht sein. Denn nicht nur in Deutschland wurden seit 1945 tausende von Gemeinden aufgelöst und zentralisiert, die Mitbestimmung von unten beständig beschnitten. Drastischstes Beispiel ist Dänemark. Hier schrumpfte die Anzahl der Gemeinden von 1400 (1950) auf sage und schreibe 98 (2007). Dass solche Zwangsmaßnahmen zur Zentralisierung von Entscheidungen in den Händen weniger mit einer föderal organisierten Mitbestimmung von unten nach oben wenig zu tun haben und letztlich der transparenten Kontrolle von Gemeindebudgets entgegenarbeiten, sollte jedem vernünftigen Mensch einleuchten. Deshalb: Ein Hoch auf die EinwohnerInnen des unterfränkischen Ermershausen, die 1978 Widerstand gegen ihre Auflösung leisteten, das Rathaus besetzten und Barrikaden errichteten. Mehrere Hundertschaften der Bereitschaftspolizei mussten das 800-Seelen-Dorf damals erstürmen, um die Gemeinde zu entmachten. Dass der Mut der Betroffenen in Sachsen-Anhalt ähnlich groß ist, bleibt nur zu hoffen.

(clov)

Dem Schwabenhass entgegentreten!

Als gute(r) Linke(r) ist mensch immer auf der Suche nach Ungerechtig­kei­ten, die es anzuprangern gilt, nach diskriminierten und geknechteten Minderheiten, die man bemitleiden kann. Da gibt´s jetzt Grund zur Freude, denn unlängst wurde eine neue Diskriminierungsform ent­deckt: der Antisuevismus! Leider ist die­ses von der Boulevardpresse auch popu­li­stisch „Antischwabismus“ genannte Phänomen bisher nur auf Berlin beschränkt.

Da grassiert die antisuevistische Seuche aber geradezu. „Eine neue Welle des Schwabenhasses“ sah ein Autor der Berliner Zeitung über die Stadt hereinbrechen. So seien zu Pfingsten 2008 im Stadtteil Prenzlauer Berg Plakate mit folgender Aufschrift aufgetaucht: „Schwaben in PRENZLAUER BERG. Spießig, über­wachungs­wütig in der Nachbarschaft und kein Sinn für Berliner Kultur. Was wollt ihr eigentlich hier?“ Heftig, heftig. Auch der Spiegel und die Frankfurter Rundschau sprangen umgehend auf den Zug auf und berichteten über das neue Phänomen. Statt „Was wollt ihr eigentlich hier?“ könnte man aber genauso gut fragen „Was habt ihr eigentlich gegen die Schwaben?“ Sicher, das schöne Schwabenländle hat auch so unschöne Erscheinungen wie Jürgen Klinsmann und den deutschen Idealismus (in Form der Herren Schelling und Hegel) hervorgebracht… Aber andere Leute haben auch unschöne Sachen erfunden – die Berliner zum Beispiel die Berliner Luft! Der Schwabe an sich ist also auch nur ein Mensch wie du und ich (vom Dialekt jetzt mal abgesehen).

Bei genauerem Nachforschen wird klar: Die Prenzelberger und sonstigen Ureinwohner Berliner Kieze haben Angst vor der Überfremdung durch „Yuppies“ und zugezogene „Porno-Hippie-Schwaben“ (O-Ton Berliner Zeitung). Dabei galt vor ein paar Jahren noch die Devise, dass man einen echten Berliner daran erkennt, dass er nicht in Berlin geboren ist (für echte Berlinerinnen gilt natürlich dasselbe). Und bei „Porno-Hippies“ denkt man eher an die Leute von Fuck For Forest (siehe FA!# 33) und nicht an Schwaben.

Noch komplizierter wird die Affäre, weil scheinbar gerade die ortsansässigen Linken den Schwabenhass propagieren. Der Autor der Berliner Zeitung schreibt sogar: „In der ´autonomen´ Linken wird der Antikapitalismus inzwischen als Antischwabismus buchstabiert“. Mit dieser Umdeutung der sozialen zur ethnischen Frage würden sich die Autonomen als Ge­dan­kenge­schwister des Neofaschismus zeigen. Das ist nun doch etwas hart gesagt. Okay, eine Gemeinsamkeit gibt es: Auch die Nazis kämpfen eifrig gegen DAS BÖSE in der Welt. Während für Nazis die Sache aber klar ist (im Zweifelsfall sind immer die Juden schuld), herrscht bei den Autonomen mitunter Verwirrung darü­ber, was genau denn nun DAS BÖSE ist.

Es ist wohl etwa so gelaufen: Ein verrauchtes Hinterzimmer. Ein paar Typen sitzen um einen Tisch herum, trotz der miesen Lichtverhältnisse haben alle noch ihre Sonnenbrillen auf. Ein Flugblatt muss verfasst werden. Aber gegen was? „Die Bullen?“, schlägt einer vor. Allgemeines Kopfschütteln. Es muss auch mal was Neues her. Und dann ruft einer: „Ich hab´s! Die Schwaben!“ Das finden alle gut. Und so schreibt man flugs: „Der Schwabe ist schuld an der Gentri­fizierung!“

Zur Erklärung für alle, die das Wort nur aus Bekennerschreiben der militanten gruppe kennen: Gentrifizierung bezeichnet die Aufwertung von Stadtvierteln. „Aufwertung“ klingt vielleicht erstmal ganz drollig, gemeint ist damit aber bloß der Marktwert. D.h. die Mieten steigen, etwa weil Wohnungen saniert und nicht mehr per Kohleofen, sondern mit Fernwärme beheizt werden. Oder die Miet- werden gleich zu Eigentumswohnungen gemacht. Wenn der Yuppie-Schwabe sich die leisten kann, hat er natürlich gut lachen: Er kann sich in´s gemachte, fernwärmebeheizte Nest setzen. Für die Eingeborenen ist das aber blöd: Sie müssen in andere Viertel umziehen, wo noch mit Kohle geheizt wird und überall Hundescheiße und Obdachlose auf der Straße liegen.

Aber liebe Leute: Dafür kann doch der Schwabe nix! Sogar die fiesen Immo­bilienhaie können da nix für! Auch Immobilienhaie wollen nicht, dass Menschen weinen. Nein: Den Immobilienhaien geht es nur um´s Geld! Auch ein Immo­bilienhai muss schließlich Gewinn machen, um sich von der so erwirtschafteten Kohle Kokain, Sportwagen und neue Sonnenbrillen kaufen zu können. Das kostet ja alles heutzutage… Ergo: Weder der Yuppie-Schwabe noch der Immo­bilienhai macht den Markt, sondern der Markt macht den Immobilienhai und den Yuppie-Schwaben. Es kann also Entwarnung gegeben werden: Alles halb so wild mit den Schwaben! Statt „Schwaben raus!“ können aufrechte Linke wieder „Kapitalismus abschaffen!“ unter ihre Flugblatt­texte schreiben.

Außerdem sollten sie sich einen Ruck geben und dem Antisuevismus auch in den eigenen Reihen entschlossen entgegentreten. Auch wir in Leipzig sollten da nicht abseits stehen: Denn zumindest in seiner strukturelle Form ist der Antisuevismus auch hier zu beobachten. Dass bei dem vor einiger Zeit am Wiedebachplatz im Leipziger Stadtteil Connewitz erbauten Supermarkt wiederholt die Scheiben eingeschmissen und gegen die Kiez-Eindringlinge gerichtete Parolen an die Wände gesprüht wurden, sollte zu denken geben. Den darin kundtuenden Ressentiments muss entschieden entgegengewirkt werden. Die Devise kann nur lauten: Handeln, bevor der antisuevistische Mob die Oberhand gewinnt!

(justus)

Abwertung für alle!

Das Thema der Gentrifikation (die Aufwertung von Stadtviertel und daraus folgende Verdrängung der Einwohner_innen) beschäftigt uns beim Feierabend! schon seit einiger Zeit. Dabei stießen wir auch auf Kritik: So wurde uns vorgeworfen, wir würden keine konkreten Handlungsmöglichkeiten anbieten (siehe FA! 35). Diesen nicht ganz unberechtigten Vorwurf wollen wir natürlich nicht auf uns sitzen lassen. Zum Glück gibt es auch andere Menschen, die sich Gedanken zum Thema machen. Die Hamburger Kampagne Es regnet Kaviar zum Beispiel, die eine Reihe praktischer Tipps hat, wie man auf ganz legale Weise zur Abwertung des eigenen Viertels beitragen kann! Aber lest selbst…

 

Mit wenigen Handgriffen lässt sich das Erscheinungsbild Ihrer Wohnung nach außen verschlechtern. Schon bald setzt der Broken-Windows-Effekt (1) ein: Wohlhabende ziehen weg, Wohnungen sind nur noch schwer zu vermieten, die Preise purzeln in den Keller. Und so geht’s:

 

1. Das gewöhnliche Unterhemd – im englischen Sprachraum „wifebeater“ genannt – wirkt asozial, besonders wenn Sie es zum Trocknen vor’s Fenster hängen! Verstärken lässt sich der Effekt durch an Balkon oder Fenster montierte Wäscheständer. Da bekommt jeder Investor das Fürchten!

2. Sicher ist auch Ihnen schon aufgefallen, dass in Gegenden mit niedrigen Mieten viele Satellitenantennen die Fassaden schmücken, während in wohlhabenden Vierteln derartiges nicht zu sehen ist. Machen Sie sich diesen Umstand selbst zunutze – montieren Sie eine Sat-Antenne an Ihre Fassade (oder drei oder vier). Faustregel: Je mehr Satellitenantennen, desto besser die Wirkung!

3. Was könnte besser den Broken-Windows-Effekt auslösen als ein zersplittertes Fenster? Nichts verbreitet eine so effektive Atmosphäre der Verwahrlosung und der Heruntergekommenheit. Gut für Sie – denn das hält Investoren fern!

4. „It looks ghetto-rigged“ sagt der Amerikaner, um nachlässig durchgeführte Montagen und Reparaturen zu beschreiben. Verbreiten auch Sie eine Atmosphäre der Unsicherheit durch wild zugetapte Fenster, Mauern, scheinreparierte Rohrleitungen etc. Aber aufgepasst: Nicht zu kreativ werden – denn wo Kreative arbeiten, steigen die Mieten!

5. Die SAGA (2) vermietet in St. Pauli fast nur noch an Menschen mit deutschem Nachnamen. Ausländer – ob mit oder ohne deutschen Pass – bekommen immer schwerer oder gar keine Wohnung mehr. Das lässt sich zwar nicht beweisen, findet aber statt, viele Familien sitzen in zu klein gewordenen Wohnungen fest, wenn sie nicht bereit sind, St. Pauli Richtung Stadtrand zu verlassen. Bei dieser Politik scheint die SAGA davon auszugehen, dass ausländische Namen am Klingelschild sich negativ auf den zu erzielenden Mietertrag auswirken. Machen Sie sich diesen Effekt zunutze – und fügen Sie ausländische Namen auf Ihrem Klingelschild hinzu (oder auf dem Ihrer Nachbarn).

6., 7. und 8. Besonders wenn Sie im Erdgeschoss wohnen: Lassen Sie Ihre Wohnung aussehen wie einen 55-Cent-Laden – oder noch besser: wie einen gescheiterten Discounter! Denn: Keine militante Demo ruiniert das Image einer Nachbarschaft so effektiv wie ein 55-Cent-Laden.

9. Nichts ist asozialer als eine Lidl-Tüte! Stellen Sie die auf den Balkon oder hängen Sie sie aus dem Fenster! Die Menschen werden denken, Sie hätten die Stromrechnung nicht bezahlt oder Sie könnten sich keine Kühlschrankreparatur leisten! Auch gut: Ware aus teuren Läden in Tüten vom Billig-Discounter nach Haus tragen.

Konsequent und von vielen Mietern angewendet, löst das alles eine Preisspirale nach unten aus: Die Reichen verlassen den Stadtteil und ziehen zurück in ihre angestammten Siedlungsgebiete am Stadtrand, Nobelrestaurants senken die Preise – und schon bald können Sie in eine größere, billigere Wohnung umziehen. Und am Ende des Monats liegt eine fette Ersparnis in Ihrem Portemonnaie.

 

Den dazugehörigen original Abwertungskit™ und weitere Informationen findet ihr unter www.es­regnetkaviar.de!

 

(1) Die Broken-Windows-Theorie behauptet, dass an sich harmlose Phänomene (eingeschlagene Fensterscheiben an leerstehenden Häusern, Graffiti) zu Kriminalität und schließlich zur völligen Verwahrlosung bestimmter Stadtteile führen können, da sie die Hemmschwelle für abweichendes Verhalten herabsetzen würden.

(2) Hamburger städtische Wohnungsgesellschaft, die derzeit vor allem wegen ihrer Rolle bei der Umstruk­turierung des Stadtteils St. Pauli in der Kritik steht.

Zwischen Farbkacke und Stahlgewittern

Der „deutsche Maler“ Neo Rauch wird 50

50 Jahre alt ist er geworden, Neo Rauch, der erfolgreichste noch lebende Maler Deutschlands. Zu seinem Geburtstag werden ihm derzeit gleich zwei Ausstellungen gewidmet, eine in München, eine im Leipziger Museum der Bildenden Künste. In seiner Eröffnungsrede bedankte sich OBM Burkhard Jung bei Rauch, dass dieser trotz seines Erfolges der Stadt u.a. mit seiner Lehrtätigkeit an der Hochschule für Grafik und Buchkunst treu geblieben sei. Aus gutem Grund: Rauchs Bilder erzielen Preise von bis zu 680.000 Euro, werden weltweit ausgestellt und gekauft. Als Aushängeschild der Neuen Leipziger Schule (1) hat Neo Rauch damit fast im Alleingang den Kunststandort Leipzig als global player auf die Landkarte gerückt.

Rauchzeichen

Die Leipziger Ausstellung macht die Entwicklung Rauchs in den letzten 17 Jahren nachvollziehbar. Vom Abstrakten ausgehend nähert sich seine Malerei stetig einer surreal getönten Neoromantik an. Die betont sachlichen Motive der frühen Arbeiten werden dabei zunehmend von ausufernder Symbolik verdrängt, die monochromen Erdtöne treten zugunsten leuchtender Farben zurück, Bildraum und Figuren gewinnen an Tiefe. Die verödeten urbanen Räume werden durch Wald- und Berglandschaften ersetzt und füllen sich zusehends mit Personal. Feuerwehrmänner und Bergsteiger stehen da neben Gestalten, die Grimms Märchen oder den Bildern des Biedermeier-Malers Spitzweg entsprungen sein könnten – eine Motivwahl, die oft den Eindruck erweckt, als solle hier ein imaginäres Deutschland heraufbeschworen werden.

Rauch würfelt Versatzstücke verschiedener Zeiten durcheinander, das frühe 19. mischt sich mit dem 20. Jahrhundert (warum dort der Soldat in historischer Uniform einen Schlagbohrer in der Hand und Turnschuhe an den Füßen hat, weiß wohl nur der Künstler selbst). Anklänge an die romantische Malerei Caspar David Friedrichs lassen sich ebenso finden wie Anleihen beim sozialistischen Realismus und der Pop Art. Wo aber die Pop Art sich munter aus dem kapitalistischen Warenkatalog bedient, sind Rauchs Bilder meist von schwermütigem Pathos gefärbt, das Spiel mit den Zitaten hat hier wenig Spielerisches an sich. Anflüge von Humor lassen sich zwar erahnen (etwa in dem Bild „Versprengte Einheit“, wo Männer in verschneiter Landschaft mit übergroßen Silvesterböllern herumhantieren), durch unklare Lichtverhältnisse und Perspektiven werden sie aber sofort wieder in eine bleischwere Atmosphäre getaucht. Die Art, wie Rauch seine Bilder mit „archetypischen“ Figuren vollpackt, verstärkt diese Stimmung noch – der Maler scheint geradezu eine Strategie der Überwältigung durch Redundanz zu verfolgen.

Da wirken gerade die Momente wohltuend, in denen er den Zeichen Luft zum Atmen lässt. In dem Bild „Das Gut“ (2008) gleitet er glatt ins Groschenromanhafte ab: Zwei altertümlich gewandete Herren kämpfen mit Degen und Messer um eine in der Mitte stehende Dame, einer der beiden liegt halb auf der Motorhaube eines Sportwagens. Im Hintergrund ein düster beleuchtetes Haus, in der geöffneten Garagentür sieht man die gleiche Szene ein paar Sekunden später: Die Dame und der Typ mit dem Degen beugen sich über den Messerstecher, der tot am Boden liegt. Wenn Rauch solcherart in Trash macht, die Messerkämpfe aus den Geschichten von Jorge Luis Borges mit Schiller-Drama und billigen Kriminalromanen verrührt, um am Ende ungefähr bei David Lynch herauszukommen, hat das durchaus Stil – selbst wenn der Maler es sich nicht verkneifen kann, noch eine Portion Symbolik oben drauf zu packen und dem Kerl mit dem Messer Fischschwänze an Stelle der Beine zu malen. Vermutlich würde Rauch mehr solche Bildern zustande bringen, wenn ihm nicht ständig der Wille zum Kunstwerk dazwischen käme.

Große Geister

Dieser Wille kann dabei durchaus zu beeindruckenden Ergebnissen führen (solch komplexe, großformatige Kompositionen wollen schließlich erstmal bewältigt werden), aber auch fatale Folgen haben: So fällt z.B. der LVZ-Reporter Meinhard Michael mit Rauchs Bildern konfrontiert sofort ins Delirium und beginnt in fremden Zungen zu sprechen: „Kafkaeskes Grauen und die Schrecken der Sciencefiction entstehen als malerischer Genuss. Farbkacke muss sich überall hindrücken. Teigig labert sich manch andrer Stoff, die Bäume krümmen sich nach dem psychischen Bedarf des Regisseurs. Licht gleißt von fern, es bewegt sich, Horror-Schlinger steigen auf ins friedliche Land, und Gnome aus der Parawelt kommen zu Besuch.“ So kann man es natürlich auch ausdrücken: Rauchs Malerei regt nicht gerade zu sinnvollen Gedanken an.

Auch der Maler selbst ist offenbar der schlechten Angewohnheit verfallen, jeden Gedanken für tief zu halten, wenn er nur diffus genug daherkommt. Das beweist er z.B. im Interview mit der LVZ, wenn er meint, die Entwicklung seiner Malerei scheine „einem Magnetberg“ zuzuströmen, „den ich, der ich mich selbst im Dickicht meiner Verfänglichkeiten aufhalte, nicht sehen aber spüren kann.“ Rauch wähnt sich also von nebulösen kosmischen Kräften gelenkt. Seine Verbundenheit mit Leipzig erklärt er z.B. so: „Mir wachsen hier die besten Einfälle zu“ – nicht Rauch selbst hat Einfälle, sondern diese wachsen ihm zu. Darum sind die so zahlreich in seinen Arbeiten auftauchenden Zitate für ihn eben keine Zitate, die sich von benennbaren Quellen herleiten ließen, sondern das sichtbare Endprodukt unsichtbarer „Materialströme“, die von ihm nur ausgelichtet werden müssten. Dass er schon mal irgendwo Feuerwehrmänner und Motorradfahrer gesehen hat, diese Figuren also aus seiner Erinnerung den Weg in seine Bilder gefunden haben könnten – diese Möglichkeit will Rauch offenbar nicht in Betracht ziehen.

Sein Image als von kosmischen Kräften gelenktes Genie kultiviert er auch in seiner Malerei, etwa in dem Bild „Morgenrot“ von 2006. Die Komposition wird von einer in Rot gekleideten, großen weiblichen Engelsfigur beherrscht. Zu deren Füßen hat Rauch sich selbst porträtiert, als Schmied mit Zange und Amboss hantierend – der Künstler als Diener höherer Mächte. Auch alchemistische Motive klingen an, der Schmelztiegel des Schmiedes als symbolische Gebärmutter und Ort der Wiedergeburt (Rauch hat wahrscheinlich Mircea Eliade und C.G. Jung gelesen (2)). Anderswo zeigt er sich selbst im Bett liegend, an dessen Fußende drei Männergestalten wild gestikulierend den „Aufstand“ (so der Titel des Bildes) proben. Den Seinen gibt´s der Herr bekanntlich im Schlaf, oder wie Rauch selbst es sagt: „Ich bin zwar Regisseur mit stählerner Faust, aber bis ich die zum Einsatz bringe, bin ich ein Somnambuler. Einer, der eher gleitet und schwebt, als dass er energisch dazwischenfährt.“

Ein deutscher Maler

Dieser Tonfall entspricht perfekt einem Denken, das sich tatsächlich weitgehend im Modus des „Ahnens und Wähnens“ (O-Ton Meinhard Michael) bewegt, es also gar nicht für nötig hält, sich seinen jeweiligen Gegenstand mal genauer anzuschauen. Die Selbstironie eines Sigmar Polke (3), bei dem der angebliche Kontakt mit höheren Wesen nur dazu führte, dass der Künstler statt Blumen doch lieber Flamingos malte, ist Rauch schon darum fremd, weil er tatsächlich an solche Wesen glaubt. Rauch meint es völlig ernst, wenn er z.B. erklärt, als Konservativer orientiere er sich weniger am „ewig Gestrigen“ als vielmehr am „ewig Gültigen“.

Dieser Glaube ans „ewig Gültige“ verbindet den Maler mit seinem Idol und „väterlichen Freund“(4) Ernst Jünger. Aus seiner Verehrung für diesen Autor, der in den „Stahlgewittern“ die Blutbäder des I. Weltkrieges bejubelte und in den 20er Jahren als nationalistischer Freischärler das deutsche Vaterland vorm Niedergang bewahren wollte, macht Rauch kein Geheimnis. Dass es der Schriftsteller Uwe Tellkamp in seiner Rede zur Ausstellungseröffnung für nötig hielt, seinen Freund Rauch u.a. gegen den Vorwurf des Faschismus zu verteidigen, kommt also nicht von ungefähr – wobei Tellkamp selbst sich redlich bemühte, das eigentliche Problem zu umgehen, indem er Rauch gegen einen Vorwurf in Schutz nahm, der von niemandem ernsthaft erhoben wird.

Nicht umsonst zählt Rauch gerade „Auf den Marmorklippen“ (das Buch, mit dem Jünger auf Distanz zu den Nationalsozialisten ging, nachdem er zuvor einiges dazu beigetragen hatte, sie an die Macht zu bringen) zu seiner Lieblingslektüre – O-Ton Rauch: „diese Aufwirbelung der Pöbel-Massen, die schauderhaften Vorgänge im Unterholz menschlicher Perversionen, denen er [Jünger] sein parfümiertes Zurückgezogensein auf die Marmorklippe und in die darunterliegenden Sedimente der Kultur und des Wissens entgegensetzte“. Rauch ist also schon deshalb kein Faschist, weil ihm Hitler und die Nazis viel zu ordinär sind. Er steht eher dem späten Jünger nahe. Wie dieser ist Rauch ein „unpolitischer Rechter“: Eben weil er an eine natürliche Ordnung der Welt glaubt, hält er es nicht für nötig, etwas ändern zu wollen – wo ewige Gesetze walten, ist Politik (und überhaupt alles menschliche Handeln) ohnehin sinnlos.

Wie Jünger kann Rauch sich Ordnung nur als Über- und Unterordnung denken: Wenn die „Pöbel-Massen“ gegen die natürliche Ordnung aufbegehren, dann kann daraus eben nur Chaos folgen – die wahre geistige Elite schaut dem barbarischen Treiben derweil aus der Ferne kopfschüttelnd zu. Indem er das NS-Regime so als Naturereignis interpretiert, kann sich Rauch eine politische Kritik z.B. an Ideologien wie Antisemitismus und Nationalismus sparen.

Stattdessen hält er dem Nazi-Pöbel die „wahre“ deutsche Kultur entgegen, die er auch in seiner Malerei beschwört – auch die Nation ist für ihn eben nur als Naturgegebenheit denkbar. So hat er auch kein Problem mit seinem Image als „deutscher Künstler“, wie er in einem Spiegel-Interview erklärt: „Ich würde mich jedenfalls nicht dagegen wehren, weil ich glaube, dass die Welt nur dann wirklich farbig ist, wenn es stark ausgeformte Regionalismen gibt, auf hohem Niveau. Im Gegensatz zu irgendeinem kulturellen Esperanto.“ Dem künstlich-grenzüberschreitenden kulturellen Esperanto stellt Rauch hier implizit die Nation als naturwüchsige, abgegrenzte Kulturregion entgegen – wobei er freilich von den Nationalstaaten, die Grenzen und nationale Monokulturen erst produzieren, nicht reden will.

Dieses Weltbild schlägt sich auch in Rauchs Kunst nieder. Die „Rätselhaftigkeit“ seiner Bilder zielt weniger darauf ab Fragen aufzuwerfen, sondern vielmehr darauf, ein kritisches Hinterfragen unterbinden – die Fülle an Symbolik soll die Betrachter_innen überwältigen, nicht zum Denken anregen. Ein paar zündende Ideen würden auch seiner Malerei nur gut tun.

(justus)

 

(1)    Im Gegensatz zur vom sozialistischen Realismus geprägten „Alten Leipziger Schule“ der u.a. Maler wie Wolfgang Mattheuer, Bernhard Heisig und Arno Rink zugerechnet werden.

(2)    Mircea Eliade, rumänischer Religionswissenschaftler und Schriftsteller, politisch aufgrund seiner zeitweise sehr ausgeprägten Sympathie für die faschistische „Eiserne Garde“ eine eher zwielichtige Gestalt. Zu Jung siehe FA! 34.

(3)    Neben Martin Kippenberger, Albert Oehlen und Gerhard Richter einer der wichtigsten (und besten) deutschen Pop-Art-Künstler.

(4)    www.zeit.de/2005/49/Titel_2fRauch_49

Propaganda der geistigen Niederkultur

Das exzentrisch schillernde Wesen, einem Großteil der Leipziger Szene bekannt wie ein bunter Hund unter dem Namen „Haschke“, ist nicht nur Musiker bei einem gefühlten Dutzend Bands, Krachklangkünstler, Barmensch, Gelegenheitsmoderator, Plagwitzer Original, Kneipenschreck, Quasi-Lokalpolitiker (Die PARTEI) und Lebenskünstler, sondern auch seit neuestem Herausgeber von MÜeLL. Dies ist ein Heftchen im A5-Format, angefüllt mit, wie es im Untertitel bedrohlich dräut „literatur und klolektüre“. Wir haben dieses formatsprengende Ausnahmetalent in seinem natürlichen Habitat aufgespürt und den glücklichen Umstand genutzt, dass er zwischen zwei Wrestlingkämpfen auf dem Gieszerfest eine kleine Verschnaufpause brauchte, um dem nach Atem ringenden Freizeitlyriker paar Fragen zu stellen.

Feierabend!: Zum Einstieg erstmal was einfaches: Gibt es einen Sinn des Lebens und falls ja, was?

Haschke: Sinn des Lebens findet jeder selber raus … und die andere Sache: Ich bin kein Plagwitzer Original, sondern ich habe in Grünau gewohnt und danach in … (unverständliches sächsiches Gebrabbel). Außerdem, wenn ich mich umgucke – (dramatische Pause) vielleicht ist ja doch gar nicht alles so sinnlos wie es immer scheint.

FA!: Aha. Zweite Frage: Der MÜeLL, was soll das?

H: Das soll eine Profilierungserscheinung sein, die einfach von meiner Person ausgeht. Eine Art Propaganda der geistigen Niederkultur und, solange es sich hundertmal verkauft… ich denke, ich werde eine zweite Nummer machen.

FA!: Wieso weist der MÜeLL so viele Ähnlichkeiten zum upsetter auf?

H: (grinsend) Weil der upsetter geil ist!

FA!: Jetzt mal im Ernst: Was soll der Scheiß? Geht es in Deinen Texten nicht nur um Penisse, Erregung von Ekel und zwanghaftes Kacken auf vermeintliche und tatsächliche Tabuthemen?

H: (sichtlich irritiert ob der entlarvenden Direktheit) Dann übersetze Deine Frage einfach nur mit: Ja, es muss einen Penis geben, der kackt und irgendwas anderes noch macht. Also übersetze die Frage einfach nur mit nem normalen Satz. Junge, das Heft heißt MÜeLL!

FA!: Das heißt, es dient wirklich nur der Befriedigung Deines eigenen Egos?

H: In gewisser Weise schon, in einer anderen nicht. Weil ich ständig gefragt werde: „Kannst Du mir mal einen Text geben oder irgendwas?“ Da gebe ich die Scheiße halt eben heraus. Natürlich freue ich mich, dass ich da meinen Scheiß mehr ´reinbasteln kann.

FA!: In Deiner Nullnummer hast Du auch Texte von zwei Gastautorinnen, Sandra und Johanna, die sind ja richtig gut gelungen. Beabsichtigst Du, in Zukunft weitere externe Autor_innen zu gewinnen oder diesen mehr Platz einzuräumen?

H: Ich versuche, dass das Label „literatur und klolektüre“ zusammen bleibt.

FA!: Aha… wie geht´s weiter? Hast Du schon einen Zeitplan?

H: Vielleicht im Winter… (triumphierend) Vorher ficke ich allen libertären Arschlöchern in den Arsch!

FA!: In den Arsch?

H: Naja, gut, ich fick dran vorbei. Oder ich stecke denen den Besenstiel so ein bisschen rein, dass es sich wenigstens so anfühlt, als ob es echt wäre.

FA!: Großartig. Würdest Du Dich als Fäkalfetischisten bezeichnen?

H: (genervt) Ich bin kein Fäkalfetischist, ich bin KOTPHILOSOPH! Das könnt ihr auch bei wikipedia eingeben. (stolz wie Bolle) Bei „Haschke“ kommt „Kotphilosoph“ raus.

FA!: Hast Du den wikipedia-Artikel selber geschrieben?

H: Halt Deine Fresse und verpiss‘ Dich!

Ich bedanke mich bei Haschke daraufhin noch recht herzlich für dieses Gespräch und entferne mich unauffällig, um nicht der nächste Ringgegner des angriffslustigen Bohemien zu werden. Denn obgleich er bei so ziemlich jedem Kräftemessen an diesem ausgelassen lustigen Sonntagnachmittag den Kürzeren zieht, wird das drahtige Energiebündel trotz zahlreicher Schürfwunden, in denen sich dunkle Batzen von Asphaltstaub, Hundehaar und Asche sammeln, des Kämpfens nicht müde. Dafür kennt und schätzt, ja verehrt mensch ihn hier geradezu: Dass er sich in allem versucht, dabei meistens scheitert und doch stets eine beachtlich gute Figur abgibt und damit andere inspiriert, es ihm nicht gleich zu tun und dennoch niemals aufzugeben. Oder, um es mit den Worten von Chuck Palahniuk in Fight Club zu sagen: Wir sind der singende, tanzende Abschaum der Welt. Als muttitauglicher Schwiegersohn oder gar Chef der Deutschen Bank hat er sich längst selbst ausgebootet, aber als solcher könnte er sich ja auch nicht die Freiheit nehmen, an einem sonnenverwöhnten Nachmittag in die Mitte der Gieszerstraße zu kotzen und dann auch noch die Befriedigung geniessen, dass zwei Punks auf die Knie fallen um den Kotzfleck anzubeten. Vielleicht ist ja doch nicht alles so sinnlos wie es immer scheint.

(Anmerkung: die deutsche wikipedia kennt die Begriffe „Kotphilosoph“ und „Haschke“ nicht.)

(bonz)

Denken und Dübeln

„Verdammte Scheiße!“ Du fluchst, während du dich durch diesen Haufen rostigen Metalls wühlst. Wenn du geahnt hättest, wie viel Arbeit es ist, sich eine Identität zusammenzuzimmern… Aus dem Ideologieschrott, der sich über die Jahrhunderte angesammelt hat, ein halbwegs schlüssiges Weltbild zusammenzulöten, ist gar nicht so einfach. Zumal du keine Zeit hast zu überprüfen, wo die Einzelteile herkommen und ob sie wirklich zusammenpassen. Dort ein paar Stücke christliches Gedankentreibgut, schon leicht angegammelt. Ein Brocken Sozialdarwinismus, eingewickelt in einen Rest Sozialdemokratie. Einige Floskeln aus dem Sozialkundeunterricht, damit der Wind nicht durch die Lücken pfeift. Einige Fetzen fernöstlicher Weisheit zur Zierde an den Helm getackert. Noch etwas hemdsärmeliger Rationalismus, damit du nicht vergisst, wo hinten und vorne ist. Passt, wackelt, hat Luft.

Du jagst hier und da noch ein paar Dübel durch, damit dein Kostüm nicht schon bei den ersten Schritten auseinanderfällt, und stiefelst los. Hinaus in eine Welt, von der du bis dato nur weißt, dass sie dir Angst macht. Wichtig ist, dass du selbst an das glaubt, was du da mit dir rumschleppst. Das bist schließlich DU SELBST, das ist deine Identität. Darum geht es: mit irgendwas identisch zu sein. Wenn du das nicht bist, bist du ein Nichts. Und nichts sein willst du nicht, das macht noch mehr Angst als die Welt da draußen. Deine Rüstung klappert laut und quietscht auch ein wenig. „Ich quietsche, also bin ich“, denkst du, auch wenn es nur am Materialverschleiß liegt. Und weiter denkst du: „Aber bin das wirklich ich, der quietscht?“ Dann denkst du lieber nicht mehr weiter.

Denn was käme wohl unter dem vielen Schrott zum Vorschein, wenn du mal nachschauen würdest? Ein lebendes Wesen, mit Augen zum Gucken und einem Hintern zum Kacken? Vielleicht steckt da statt eines Ichs auch nur eine Gasblase, die zischend entweichen würde, wenn du nachguckst. Oder unter dem Schrott verbirgt sich nur noch mehr Schrott, rostige Assoziationsketten, verbogene Zahnräder, die knirschend ineinandergreifen… Manches will man lieber nicht so genau wissen. Das Leben ist eh schon gefährlich genug!

Wenn die Rüstung bloß nicht immer so jucken und kneifen würde… Im Schritt ist sie zu eng (da hat sich ein hartnäckiger Katholizismus festgesetzt), um die Brust herum auch. Oben, wo der Geist sein soll, zieht es unangenehm kühl. Die Beine sind unterschiedlich lang, du humpelst die ganze Zeit. Und bei der Schuhgröße passt auch etwas nicht. Aber nun setzen sich die Zahnräder in deinem Kopf wieder in Bewegung: „Das fühlt sich zwar nicht gut an“, denkst du, „ist aber trotzdem gut so!“ Schließlich wolltest du doch immer etwas Besonderes sein. Ein Original, oder wenigstens was halbwegs Originelles. Und das bist du jetzt ja wohl. Aber hallo!

Der Gedanke hält dich davon ab, unter dem Gewicht zusammenzubrechen oder wahlweise wenigstens mal den Helm abzunehmen und nachzuschauen, was da eigentlich die ganze Zeit so juckt. Man muss zu seinen Idealen stehen, selbst wenn man sie leider an der falschen Stelle festgenietet hat. Und umfallen geht nicht, auch wenn´s bequemer wäre. Die Konkurrenz schläft schließlich nicht. Links und rechts von dir quietscht und klappert es wie wild. „Dabei sein ist alles!“, denkst du verbissen. „Ein Mann muss tun was ein Mann tun muss. Auch wenn´s wehtut!“ Von denen willst du dir doch nicht die Butter vom Brot nehmen lassen!

Dann stößt du mit jemandem zusammen. Ausweichen ist schwer mit diesem Gewicht am Leib, und feige wäre es vermutlich auch. Also scheppert es und setzt Beulen. „Dir ham sie wohl ins Gehirn geschissen!“, fluchst du. „Aus der Bahn, du Vogel!“ Das ist unhöflich, aber du willst ja nach vorne kommen. Optional auch nach oben, zur Sonne, zur Freiheit. Irgendwohin, wo die Luft besser ist. Dumm nur, dass alle anderen da auch hinwollen und somit im Weg stehen.

„Kopf zu, du Krüppel!“, schallt es dir blechern entgegen. „Der Wille zur Macht ist´s, der den wahren Menschen von der Masse unterscheidet!“ Verdammt, ein Nietzscheaner! Da heißt es schlagfertig sein. Du fummelst an deiner Rüstung herum und suchst nach einem geeigneten Brocken, den du dem Typen an den Kopf werfen kannst: „Wer oben oder unten steht, entscheidet man doch nicht selbst! Das ist alles vom karmischen Gesetz geregelt! Und das steht ganz klar auf MEINER Seite!“ Ha, das hat gesessen!

Leider wird der Übermensch jetzt wirklich wütend. „Pah, karmisches Gesetz!“, blökt er zurück. „Das wollen wir doch mal sehen, du Hippie!“ Und schon springt dir der Typ dahin, wo er die Gurgel vermutet. Der Rest versinkt in lautem Geschepper und dem Ächzen geschundenen Metalls. Dieser schlagenden Argumentation hast du wenig entgegenzusetzen. Am Ende ächzt nicht mehr das Metall, sondern du selber, hilflos am Boden liegend. Dein Gegner rammt dir noch einen letzten Aphorismus in die Weichteile, dann hat auch er genug und trollt sich. Du selbst bleibst rücklings hingestreckt, alle Viere in der Luft. Eine peinliche Lage… Hoffentlich sieht dich jetzt keiner! Aber nun setzt sich dein Gehirn mühsam wieder in Bewegung. Da war doch noch was… Genau, das karmische Gesetz! Darauf ist Verlass. Irgendein göttlicher Reparaturdienst ist bestimmt schon unterwegs, um die Dellen in deinem verbeulten Ego auszubügeln und dich wieder auf die Beine zu stellen. Der Gedanke baut dich auf, zumindest innerlich. Alles wird gut! Du bist nicht vergessen. Still schmunzelst du in dich hinein. Wenn du könntest, würdest du dir sogar die Hände reiben. Die ganzen Idioten da draußen… Die werden sich noch wundern, wenn du im Triumph an ihnen vorbeiziehst und nur eine Staubfahne zurücklässt.

(justus)