Thatcher 2.0

Repression im schottischen Fußball

Schon in der letzten Feierabend!-Ausgabe berichteten wir über die zunehmende Repression und den Sicherheitswahn in deutschen Stadien. Dass solch eine Problematik vor Ländergrenzen nicht halt macht dürfte wohl jede_r Feierabend!-Leser_in bewusst sein. Aus diesem Grund starten wir in dieser Ausgabe eine kleine Exkursion nach Schottland, wo sich zur Zeit ein ähnliches Szenario anbahnt.

Kurzer historischer Abriss

Als Ende der achtziger Jahre Margaret Thatcher (von Mai 1979 bis November 1990 Premierministerin des Vereinigten Königreichs) der englischen Fankultur den „Krieg“ erklärte, wirkte sich dies auch auf den schottischen Fußball aus. Auslöser hierfür war die sogenannte Hillsborough-Katastrophe. Im FA-Cup-Halbfinale von 1988/89 spielte der FC Liverpool gegen Nottingham Forest. Da zu viele Karten verkauft worden waren, gelangten mehr als tausend Fans zuviel in den Gästeblock. Wegen der zunehmenden Enge im Stadion versuchten sich die Liverpooler verzweifelt zu befreien. Der Ausgang, der aus einem einzigen Tunnel bestand, war daher bald völlig verstopft, weswegen die Fans versuchten, auf das Spielfeld zu gelangen. Die Polizisten im Stadion versuchten die meisten Personen wieder zurückzudrängen, und erhöhten so die Anzahl der Toten deutlich. Letztlich starben 96 Liverpool-Fans. Dies ist zumindest der heutige Erkenntnisstand. Damals jedoch schrieb das Boulevardblatt The Sun über Liverpooler Hooligans, die den Platz gestürmt, und Fans, die sich unzulässig Zugang ins Stadion verschafft hätten und über eine Prozentzahl von 96% betrunkenen Personen (eine Quote, die an Volkskammerwahlen zu DDR-Zeiten erinnert).

Dies war ein gefundenes Fressen für Thatcher. Die Vorsitzende der Konservativen Partei führte Anfang der Neunziger die sogenannten „All seaters“ ein (Stadien, in denen es ausschließlich Sitzplätze gibt), und schuf mit Kameras an jeder Ecke eine totale Überwachung. Später kam sogar noch ein Rauch- und Alkoholverbot im Stadion hinzu. Mächtig stolz war Thatcher darauf, die Gewalt aus den Fußballstadien verbannt zu haben. Dass die Schlägereien sich allerdings nur außerhalb des Stadions und nicht im direkten Umfeld abspielten, interessierte sie anscheinend nicht. Erfolgreich war Frau Thatcher allerdings damit, den englischen und schottischen Kurven den Todesstoß in Sachen Fankultur zu geben, da die neue Gesetzgebung fürs gesamte Vereinigte Königreich angewandt wurde.

Die Situation in Schottland

Die viel gelobte „englische Atmosphäre“, erzeugt durch die beeindruckende Optik und Akustik der Fankurven, verschwand damit auch aus schottischen Stadien. Um die Jahrtausendwende war das Stadionbild dann nur noch von sporadischen Fangesängen dominiert. Dann jedoch etablierten sich, wenn auch nur in kleineren Ausmaß, Ultrà-Gruppierungen auch in Schottland und sorgten für ein geringes Wiederaufleben der Fankultur. Im Vergleich zum europäischen Festland war die Bewegung zunächst nur eine kleine Minorität der Fans und blieb aus dem Blickpunkt der Politik ein „uninteressanter“ Nebenschauplatz. Doch besonders die im Jahr 2005 gegründete Green Brigade bei Celtic Glasgow wuchs ständig und gewann immer mehr Sympathien bei einem Großteil der Celtic-Fans.

So war es wohl nur eine Frage der Zeit, bis eine weitere Repressionswelle begann. Auslöser war das von den Zeitungen so genannte „Shame Game“ zwischen Celtic Glasgow und den Glasgow Rangers am 2. 3. 2011 (zur Rivalität zwischen Celtic und Rangers siehe Kasten). Bei diesem Spiel, das Celtic 1:0 gewann, gab es über 100 Festnahmen. Laut den Zeitungen prügelten sich beide Trainer, und ein Spieler der Rangers provozierte angeblich, indem er sein Trikot in den Block der Gästefans warf.

Ähnlich wie in Deutschland findet man keine genauen Daten zu den Gründen der Festnahmen. Fest steht nur, dass schon im Vorfeld des Spiels 34 Fans in Sicherheitsgewahrsam genommen wurden – anders gesagt, aus reinem Verdacht. Ein Schlingel, wer hier an Willkür denkt. Da es seit 30 Jahren in Schottland keine schwerwiegende Vorfälle mehr gegeben hatte, puschte die Presse die Zahlen bis ins Absurde z.B. „die schlimmste Ausschreitungen seit 30 Jahren“. Über die Prügelei zwischen den beiden Trainern kann sich jede_r selber ein Bild machen (1). Der letzte große Vorwurf der Boulevardpresse war die „Provokation“ von Hadji Diouf, der sein Trikot in denn Rangers-Block warf. Wenn ein_e Spieler_in ihr/sein Trikot in den eigenen Fanblock wirft, sieht man so etwas eher als Zeichen der Anerkennung gegenüber den Fans an. Wieso es in diesem Fall als Provokation galt, ist mir bis heute unbekannt. Schließlich hat er sein Trikot ja nicht in den Fanblock der Celtic-Fans geworfen.

Fans Against Criminalisation

Wurde also nur der passende Anlass gesucht, um der Gruppierung den Garaus zu machen? Das wäre jetzt wirklich zu spekulativ, darüber kann sich jede_r selbst ein Urteil bilden. Jedenfalls war der Presserummel eine Steilvorlage für Polizei und Politik. Die Polizei sah sich nun in der Lage, strengere Gesetze durchzusetzen, und stellte einen Antrag beim schottischen Parlament. Das Hauptaugenmerk des neuen Entwurfes lag auf dem Begriff des „beleidigenden Fanverhaltens“. Dies erlaubt der Polizei, bei gewaltverherrlichendem oder „sektiererischem“ (2) Verhalten, Sprüchen Spruchbändern, Transparenten usw. sofort einzugreifen. Das Problem bei diesem Entwurf ist, dass Begriffe wie „gewaltverherrlichend“ sehr schwammig sind, was wiederum bedeutet, dass das neue Gesetz der Polizei auch einen größeren Spielraum lässt, Gewalt gegen Fans anzuwenden und zu rechtfertigen. So wurden z.B. aufgrund des „Zombie-Banners“, welches zum Spiel gegen Norwich gezeigt wurde (siehe Bild), Stadionverbote an Celtic-Fans verteilt, weil dessen Symbolik sektiererisch gewesen sei.

Als Reaktion auf das Spiel gegen die Rangers und der darauf verschärften Repression gegen Fußballfans, gründet sich im Oktober 2011 das Netzwerk „Fans Against Criminalisation“. Zur Zeit sind die Celtic Supporters Association, die Green Brigade, die Association of Irish Celtic Supporters Clubs und die North American Federation of Celtic Supporters Clubs im Netzwerk vertreten. Jedoch will sich das Projekt auch vereinsübergreifend engagieren und lädt andere Gruppen ein, sich der Initiative anzuschließen, was bisher jedoch nur auf wenig Resonanz stieß. Wahrscheinlich hängt es damit zusammen, dass es in Schottland nur einen geringen Teil von aktiven organisierten Fans gibt. Das Ziel der Kampagne ist es aktuell, den 2. Teil des Gesetzes zu verhindern, der eine weitere Verschärfung der Überwachung und Repression mit sich bringen würde – so würde er etwa die Einführung von „Geisterspielen“ (Spiele komplett ohne Zuschauer) und die Einführung einer Datei ähnlich der Liste „Gewalttäter Sport“ (4) in Deutschland beinhalten. Als ersten Schritt hat die Initiative eine E-Petition erstellt, um sie beim schottischen Parlament vorzulegen und das Gesetz zu kippen. Derzeit haben 2831 (Stand 10.05.13) Personen unterschrieben – benötigt werden 5000. Mehrere öffentliche Treffen des Netzwerkes wurden abgehalten, um eine breitere Basis zu sensibilisieren. Auch einige Anwälte unterstützen das Projekt und leisten Rechtsbeihilfe für verurteilte Fans, aber hauptsächlich juristische Unterstützung, um den Gesetzesentwurf zu kippen. Außerdem gibt es das Angebot, ein Gedächtnisprotokoll an das Netzwerk zu schicken (als pdf auf der Website zu finden), damit erwähnte Anwälte sich Einblick in den Tatbestand verschaffen können. Eine Aktion erregte jedoch eine besonders große Öffentlichkeit: Am 6. April fand eine Demonstration mit über 4.000 Teilnehmer_innen statt, welche sich gegen den neuen Gesetzesentwurf richtete.

Fakt ist, dass durch die genannten Aktionen die neuen Gesetze bis jetzt nicht verhindert werden konnten. Jedoch scheint die Ausgangslage nun wesentlich günstiger zu sein, um die Verabschiedung des 2. Teils des Gesetzes zu verhindern, da mittlerweile eine breite Öffentlichkeit für das Thema sensibilisiert werden konnte. Die Hoffnung bleibt also bestehen, dass eine immense Repressionswelle wie zu Thatchers Zeiten ausbleibt.

Klaus Cancely

(1) Die sogenannte Schlägerei der beiden Trainer kann sich jede_r Interessierte_r gerne selbst anschauen (www.youtube.com/watch?v=1xkRvBJaRs8). Für mich steht allerdings fest, dass eine Schlägerei etwas anders aussieht! Ich konnte zumindest keinen Schlagabtausch erkennen. Vielleicht findet ihr ihn ja.
(2) ist eine ursprünglich wertneutrale Bezeichnung für eine philosophische, religiöse oder politische Gruppierung, die sich durch ihre Lehre oder ihren Ritus von vorherrschenden Überzeugungen unterscheidet und oft im Konflikt mit ihnen steht. Insbesondere steht der Begriff für eine von einer Mutterreligion abgespaltene religiöse Gemeinschaft. Aufgrund seiner Geschichte und Prägung durch den kirchlichen Sprachgebrauch bekam der Ausdruck abwertenden Charakter und verbindet sich heute mit negativen Vorstellungen, wie der möglichen Gefährdung von etablierten religiösen Gemeinschaften oder Kirchen, Staaten oder Gesellschaften. (Definition Wikipedia)
(3) Der Begriff Stadionverbot ist in diesem Fall allerdings nicht ganz korrekt, da es solch eine Prozedur in Schottland gar nicht gibt. Allerdings muss die betreffende Person 800 Pfund Strafe bezahlen, falls sie im Stadionumfeld erwischt wird, womit das Gesetz also ähnliche Auswirkungen wie ein Stadionverbot hat.
(4) Datei zur Datenspeicherung von Personen, gegen die im Zusammenhang mit Sportveranstaltungen wegen Straftaten ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde oder die rechtskräftig verurteilt worden sind.

Kasten: Celtic und Rangers

Das Derby Celtic gegen die Rangers erhält nicht nur dadurch seine besondere Brisanz, dass beide Vereine in Glasgow beheimatet sind, sondern auch durch viele weitere Faktoren. Der katholische Bruder Walfrid gründete Celtic Glasgow am 6. November 1887. Sein Beweggrund war, die Armut im vorwiegend von irischen Einwanderern bewohnten Glasgower East End zu bekämpfen. Die Rangers hingegen sind eher der Verein der oberen Mittelschicht, sie definieren sich als protestantisch und loyal zur Krone. Somit kommen also noch die Konfliktfelder der Konfession und der verschiedenen sozialen Schichten hinzu. Zudem sehen sich viele Celtic-Fans eher als irisch-republikanisch, fordern die Unabhängigkeit Schottlands vom Vereinigten Königreich und den Anschluss Nordirlands an die Republik Irland, wogegen sich die Rangers-Fans für den Verbleib von Schottland und Nordirland im Vereinigten Königreich aussprechen. Ein weiterer wichtiger Faktor ist, dass die Rangers bis 1989 prinzipiell nur protestantische Spieler beschäftigten, bei Celtic jedoch alle Spieler unabhängig von Religion, Hautfarbe, Konfession oder Herkunft spielen durften. Auch dies war prägend für die politische Einstellung vieler Fans besonders in der „aktiven“ Fanszene. So findet man in der Kurve von Celtic viele Personen, die Mitglieder in der Antifascist Action oder Anti Nazi League sind, und die Green Brigade definiert sich als klar antifaschistisch, während man sich bei den Rangers nicht wundern darf, wenn man einen Flyer der rechtsextremen English Defence League in die Hand gedrückt bekommt.

Repression

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