The European Nightmare

Schengen Information System, repressive Asylpolitik und Kontrollstaat

Mit dem Abbau von Grenzkontrollen und freiem Reiseverkehr innerhalb der EU ist keineswegs ein neues liberales Zeitalter angebrochen. Im Gegenteil! Der Nationalstaat musste den Souveränitatsverlust über sein Territorium wieder ausgleichen. Er brauchte einen Ersatz für die stationären Grenzkontrollen. So wurden auf einem 30km-Grenzstreifen „Schleierfahndung“ und damit verdachtsunabhängige Kontrollen möglich. Des weiteren wurde engere polizeiliche und geheimdienstliche Zusammenarbeit beschlossen und mit der Zunahme der technischen Möglichkeiten des Staates nahm und nimmt auch die Überwachung und Erfassung von Personendaten zu.

Dabei kommt dem Schengen Information System eine besondere Rolle zu. Bestehend aus der zentralen Komponente in Straßburg, von dem aus die Daten mit den nationalen Komponenten abgeglichen werden, ging das SIS am 1995 mit den Benelux, Frankreich, BRD, Spanien und Portugal ans Netz. 1997 kamen dann Österreich, Italien und Griechenland hinzu, 2001 Dänemark, Schweden, Finnland, Norwegen und Island. Großbritannien und Irland wollen sich partiell beteiligen.

1998/89 erreichte das SIS ein Volumen von 8,6 Millionen Datensätzen, davon die meisten zu Eigentum (Autos, Banknoten, Waffen etc.) und 795.000 personenspezifische Daten übrig. Und hier zeigt sich das SIS als Instrument einer repressiven Migrations- und Asylpolitik: 88 % aller ausgeschriebenen Personen waren „DrittausländerInnen“, die abgeschoben oder an der Grenze zurückgewiesen werden sollen (Art.96 SDÜ). Dabei tut sich vor allem Deutschland hervor, das mit 350.000 nicht nur die größte Anzahl von Personendatensätzen, sondern auch mit 98% auch den höchsten Anzahl „Drittausländer“ speichern ließ. Daneben sind im SIS 8.600 Daten zur „Festnahme mit dem Ziel der Auslieferung“ (Art.95 SDÜ), 37.000 zur Aufenthaltsermittlung von (nicht beschuldigten) Zeugen und Personen, die wegen geringerer Straftaten gesucht werden (Art.98 SDÜ), und 12.000 Personen, die polizeilich beobachtet werden sollen (Art.99 SDÜ). Die oben erwähnte Grenzpraxis wurde damit auf das ganze Inland ausgeweitet, denn es reicht nun das Vorhandensein eines Abfrageterminals und entsprechendes äußeres Aussehen (der rassistische Charakter fällt im Falle von MigrantInnen sofort ins Auge) um kontrolliert zu werden. Ein konkreter Verdacht ist nicht nötig.

Da das SIS ursprünglich nur für acht Länder ausgelegt war, wurde eine zweite Generation beschlossen. Und die soll nicht nur quantitativ, sondern auch inhaltlich anders werden. Die Speicherdauer von Daten nach Art. 96 (Zurückweisung/Abschiebung von Nicht-EU-Staatsangehörigen) und Art.99 SDÜ (polizeiliche Beobachtung) soll verlängert werden. Bisher waren das drei bzw. ein Jahr. Bei letzterem muss im übrigen kein Beweis für kriminelle Tätigkeiten vorliegen, es reicht der Verdacht auf zukünftiges Verhalten.

Des weiteren sollen Datensätze verknüpft werden z.B Personen mit Autos, oder ganze Personengruppen, so daß der Computer gleich eine ganze Fülle von Daten ausspuckt und Beziehungen zwischen Personen nachvollzogen werden können – eine Rasterfahndung auf europäischer Ebene. Bisher waren die Datensätze auf Fahndungszweck, ausschreibende Stelle und allenfalls Merkmale wie „bewaffnet“ beschränkt. Auch das soll anders werden. „Identifikationsmaterial“ über die betreffende Person kommen hinzu: Fotos, Fingerabdrücke, DNA-Profile, biometrischeDaten. (Da passt es doch daß die Mitgliedstaaten 1997 aufgefordert wurden kompatible DNA-Datenbanken aufzubauen und ein EU-weites Fingerabdrucksystem im Aufbau ist.)

Doch auch der 11.September ist nicht spurlos am SIS vorbeigegangen: Die EU plant den Ausbau des Informationssystems um neue Funktionen. Es soll eine Art europaweiter „Hooligan“-Datenbank angelegt werden. „Gewalttätige Unruhestifter“ sollen gegebenenfalls von Reisen in bestimmte Gegenden abgehalten werden. Eine „Demonstranten-Datenbank“ soll ausgegebene und verweigerte Visa führen. Des weiteren soll das SIS eine Terroristen-Datenbank (auf die auch der Inlandsgeheimdienst zugreifen können soll) führen und eine neue Kategorie für „Leute, die daran gehindert werden, den Schengen-Raum zu verlassen“

Neben Europol (EU-Polizei) und Eurojust (EU-Justiz) sollen „auch Behörden, die für Asylbewerber […], sowie Einwohnermeldeämter, die für die Ausgabe von Identitätsausweisen zuständig sind, […] auf SIS II zugreifen können, genauso wie auch Kraftfahrzeugämter und Kreditanstalten im Zuge der grenzüberschreitenden Betrugsbekämpfung.“ (www.heise.de)

kater murr

SDÜ = Schengener Durchführungsübereinkommen
Quellen: www.cilip.de, www.heise.de, www.noborder.org

Grenzenlos

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