Tod der Diktatur!

Zur Situation im Iran

Die Protestbewegung im Iran hat einiges ins Wackeln gebracht. Die Anzeichen, dass ein grundlegender Wandel be­vorsteht, verdichten sich. Längst wird unter gebildeten Iraner_innen mehr oder we­niger offen über Repression, die Verwei­gerung bürgerlicher Freiheiten und die außenpolitische Isolation des Landes diskutiert. Die Bewegung stellt in vielen Bereichen die bislang in der „islamischen Republik“ herrschenden Verhältnisse in Frage.

Die Unzufriedenen

Obwohl auch Frauen im iranischen Parla­ment sitzen (allein aus dem Grund, weil die heutigen Machthaber auf ihre aktive Un­terstützung bei der Revolution ´79 an­ge­wiesen waren), hat sich die rechtliche La­ge verschlechtert. Kenner der Lage sprechen häufig von Geschlechterapartheid. So dürfen Frauen bspw. nicht einmal Fahrrad fahren. Bereits kurz nach der Vertreibung des Schahs und der Machtübernahme durch die islamische Republik unter Führung Khomeinis vor 30 Jahren gab es erste Demonstrationen gegen den Schlei­er­zwang.

Realpolitische Erfolge gegen die diskrimi­nie­rende Gesetzgebung des Regimes kann die Frauenbewegung zwar nicht vorweisen, doch konnten Aktivistinnen z.B. Steinigungen verhindern, über Folter sowie Ar­beitsverhältnisse der Frauen aufklären und diese bei Scheidungen unterstützen. Außerdem wuchsen sie, besonders durch staat­liche Repression, zu einer der zahlenmäßig stärksten Oppositionsgruppen an. Sie konnten das Thema Frauenrechte in den gesellschaftlichen Diskurs einbringen. Bei den aktuellen Protesten sind sie deshalb auf gleicher Augenhöhe mit den männ­lichen Regimegegnern. Nicht zufällig wurde die bei den Demonstrationen ermordete Studentin Neda Aghasoltan zur Symbolfigur des Protestes gegen das is­la­mistische Regime.

Anlass für die Proteste waren zwar die Wah­len im Juni, aber die wichtigsten Beweggründe sind die Unterdrückung der Frauen, verbunden mit der Pressezensur, der Einschränkung des kulturellen Lebens, der Unzufriedenheit breiter Bevölkerungsschichten mit Armut, Inflation und sozialer Unsicherheit sowie der politischen Ohnmacht.

Inzwischen haben die Proteste flexible Ak­tionsformen angenommen, statt nur noch Massendemonstrationen gibt es vermehrt kleinere, dezentrale Blockaden, die für die Machthaber nicht mehr so leicht kon­trol­lierbar sind und daher meist nur wenige Ver­haftungen nach sich zogen. Eine Stärke der Bewegung ist einerseits ihre Vielfältigkeit – Religiöse und Nichtreligiöse, Junge und Alte, Frauen und Männer – anderseits der gemeinsame Gegner, das er­starrte Regime. Bisher ist die Bewegung vor allem auf die Großstädte begrenzt. In den ländlicheren Regionen ist es dagegen bisher eher ruhig geblieben, denn dort ha­ben die Menschen größere Angst vor Re­pr­ession, da sie leichter identifizierbar sind – in den Minderheitenregionen (lediglich 58% der Bevölkerung haben Persisch als Muttersprache (1)) wie beispielsweise den Kurdengebieten im Westen des Landes, ist außerdem die Militärpräsenz sehr stark.

Die moderne Jugend

Was die aktuellen Aufstände für Ergebnisse bringen werden, hängt zum größten Teil davon ab, wie das politische Lager in den kommenden Wochen und Monaten reagieren wird. Viele Iraner_innen vergleichen die massiven Proteste mit dem Ausbruch eines Vulkans. Die Frage wäre also nicht ob, sondern wann und wie sie das Regime zum Kollabieren bringen werden. Dass das gegenwärtige System selbst in An­sätzen nicht reformierbar ist, hat die junge Generation von Iraner_innen (der Großteil der Bevölkerung ist jünger als 30 Jahre) auf die harte Tour lernen müssen. Nicht nur, dass die reformistischen Ansätze von Politikern wie Mohammed Chatami aufgrund der alles überragenden Machtposition des seit 1989 amtierenden geistlichen Führers Ajatollah Chamenei ins Leere liefen, in den letzten 20 Jahren wur­den auch alle Protestaktionen mit brutaler Repression beantwortet. Auch heute sind willkürliche Verhaftungen mit Folter und Ermordung von Systemkriti­ker_in­nen an der Tagesordnung. Die soziale Bewegung konnte dadurch zwar im Wachstum behindert, aber nicht zerschlagen werden. Somit sieht sich die iranische Führung momentan mit sehr bunten und viel­gestaltigen Gruppen und Protestfor­men konfrontiert. Denn trotz aller Ein­schüch­terungsversuche lassen sich weite Teile der Bevölkerung nicht zwingen, sich mit der theokratischen Staatsideologie zu identifizieren.

Zu großen Teilen werden die Proteste von Jugendlichen getragen, die zuvor nicht po­litisch aktiv waren, aber sich durch die Le­bensverhältnisse im Iran eingeengt fühlen. Umso mehr, als das Internet und die damit einhergehenden Möglichkeiten der glo­ba­len Kommunikation und Vernet­zung den Blick über den Tellerrand drastisch vereinfacht hat. Die westliche Wahrnehmung der Vorgänge in der islamischen Republik speist sich fast ausschließlich aus Twitter-Meldungen, YouTube-Videos und Facebook-Einträgen. Dies zeigt zum einen, dass sich unter den Regimegegnern viele jun­ge und formal gebildete Menschen be­finden, zum anderen, wie wenig sie der Re­pressionsdruck der Überwachungsorgane zu beeindrucken vermag. Immer­hin werden infolge der ersten Verhaftungswellen zumeist die Gesichter der Protestierenden unkenntlich gemacht. Auch im Iran selbst ist die Informationslage un­über­sichtlich, die Regierung lässt gezielt un­liebsame Journalist_innen und Akti­vi­st_innen verhaften oder verschwinden und nutzt die unter anderem von Nokia Siemens Networks (MSN) gelieferte Technik zur Kontrolle der Kommunikation (2).

Reformer und Revolutionäre

Die iranischen Blogger_innen, Intellektuellen, Menschenrechtler_innen und sonstigen Demonstrationsunterstützer_innen, ebenso wie die exiliranischen Organisationen sind sich weitgehend einig, dass das herrschende System dem Untergang geweiht ist. Das sicherste Zeichen dafür ist, dass die Menschen die Angst und den Respekt vor dem Regime verlieren. Als vor allem in den Großstädten Hunderttau­sende auf die Straßen gingen, skandierten sie im Überschwang der Gefühle Parolen wie „Tod dem Diktator“ und „Tod Dir!“, die sowohl auf den Präsidenten Ahmadinedschad als auch auf den geistlichen Führer Ajatollah Chamenei gemünzt waren und brachen damit ein Tabu. Offene Kritik am geistigen und faktischen Staatsoberhaupt galt bislang als kürzester Weg zur umgehenden Hinrichtung.

Die Reaktionen der iranischen Führungselite dagegen sind von Planlosigkeit und ersten Anzeichen von Panik gekennzeichnet. Große Geldsummen werden ins Ausland verschoben, auch der Umgang mit Ver­hafteten ist ein Indiz für die um sich greifende Unsicherheit: Schwiegen sich die Behörden zunächst noch über die An­zahl und Identitäten der Inhaftierten aus, wurden die Namen später doch noch veröffentlicht. Am 28. Juli schließlich wurden auf Anordnung des obersten Rechtsgelehrten Chamenei die meisten Insas­s_in­nen eines Gefängnisses, wo es zu massiven Miss­handlungen und Vergewaltigungen ge­kommen war, gegen Zahlung einer Kaution entlassen, dieses soll nun geschlossen werden. Auch einige Beamte der Sicherheitsapparate wurden ohne Angabe von Gründen ausgetauscht. Interessant ist, dass sich viele Ajatollahs, Mullahs und Parlamentarier, die in Opposition zu Ahmadinedschad stehen, entweder vollständig aus der Öffentlichkeit zurückgezogen haben oder sich zumindest vorsichtig zugunsten der empörten Masse aussprechen. Aus Protest gehen Ajatollahs ins Exil, ins irakische Nadschaf, die zweite wichtige Stadt der shiitischen Geistlichen neben Qom.

Die iranische Machtelite ist in konkurrierende Clans gespalten, die sich am ehesten mit Mafiosifamilien vergleichen lassen. Wer Schwäche zeigt, indem er von seinen Forderungen auch nur ein Stück zurückweicht, begeht damit zugleich politischen Selbstmord. Das patriarchalische System stützt sich seit Beginn der islamischen Republik auf Korruption und Gün­stlingswirtschaft. Dessen sind sich auch die Iraner_innen bewusst.

Die Diskussion wird vor allem von zwei Gruppen geprägt. Da ist zum einen der radikale Diskurs, der in der Frauen-, Studierenden- und Arbeiter_innenbewegung weit verbreitet ist. Diese fordern, dass die Bevölkerung an allen Entscheidungen teilhaben muss, soziale und politische Gleich­be­rechtigung und die Unabhängigkeit des Landes von fremden Interessen. Vor allem die Frauenbewegung vertritt, ausgehend von der Kritik an der patriarchalen Herrschaft, stark antiautoritäre Positionen. Durch die Repression haben diese Bewegungen bis jetzt keine größeren Organi­sa­tionsstrukturen bilden können – Gewerkschaften z.B. sind im Iran verboten. Dies führt auch dazu, dass der radikale Teil des Protestbewegung weniger beachtet wird als die sogenannten Reformer. Da einige von diesen selbst Teil des Machtapparats sind, haben sie auch Zugang zu den Medien. Die „Reformer“ vertreten vor allem liberale Positionen, wie sie auch von vielen iranischen Intellektuellen, Schrift­steller_innen, Journalist_innen, Wirt­schafts­wissenschaftler_innen usw. geteilt werden. Sie wollen die iranische Wirtschaft modernisieren, das Land nach außen öffnen, ein Mehrparteien-System nach westlichem Vorbild einrichten, Staat und Religion trennen – wobei es unterschiedliche Meinungen gibt, wie weit die Trennung gehen soll. Sie machen vor allem die Mißwirtschaft und Korruption der Regierung und der mit dieser verbundenen Machtcliquen für die Armut im Land verantwortlich – eine normal funktionierende kapitalistische Wirtschaft wür­de ihrer Meinung nach diese Miß­stände beseitigen. Ähnliche Positionen wer­den auch von einigen – von den USA und der EU finanziell unterstützten – exiliranischen Gruppen und über die per­sischsprachigen Sender von BBC, Deutscher Welle oder Voice Of America propagiert.

Das Verhältnis zwischen diesen Fraktionen und den „Aushängeschildern“ des Protestes, wie den bei der Wahl gescheiter­ten Kandidaten Charrubi und Mussawi ist widersprüchlich. Charrubi und Mussawi kön­nen, da sie Teil des Apparates sind, Kri­tik an der Regierung üben und den Protestierenden einen gewissen Schutz bieten. Gleichzeitig versuchen sie, den Protest für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Die Liberalen haben derzeit die Oberhand in der Bewegung, aber auch Angst da­vor, dass der Protest sich weiter radikalisieren könnte. Wenn das geschieht, könnten die Gegensätze unter den Protestierenden, die zur Zeit durch die gemeinsame Opposition gegen das Regime überdeckt werden, in den Vordergrund treten. So weit könnte es schon bald kommen, denn obwohl die Repression zunehmend brutaler wird, ist nicht zu übersehen, dass das Regime die Kontrolle über die Lage ver­liert. Die Frage ist, welche Fraktion sich durchsetzen wird, wenn das Regime stürzt, ob der regime change über die Köpfe der großen Mehrheit der Bevölkerung hinweg geschieht. In diesem Fall würde wohl der Iran in einen liberal-kapitalistischen Staat nach westlichem Vorbild umgewandelt und einige Reformen durchgeführt werden. Wenn es den „Reformern“ gelingt, die auch für sie und ihre Ziele gefährliche Situation in dieser Weise zu beruhigen, wür­de das aber auch das Fortbestehen sozialer Ungleichheiten, der Benachteiligung von Frauen ebenso wie der kurdischen, aser­baidschanischen und anderer Minderheiten bedeuten. Unter diesen Umständen dürfte es eine lange Zeit dauern, bis die sozialen Bewegungen im Iran wieder an dem Punkt stehen, an dem sie heute sind. Aber noch ist die Sache nicht entschieden: Sollte es wirk­lich zu einem Generalstreik kommen (eine Möglichkeit, über die viele Arbeite­r_innen diskutieren), könnten auch die Reformer an den Rand gedrängt werden.

Die emanzipatorischen Kräfte stehen im Iran dem Regime und den Reformern gegenüber, auch auf Hilfe von der westlichen Politik können sie nicht rechnen. Sie sind auf unsere Unterstützung angewiesen.

(waldorf & statler)

(1) de.wikipedia.org/wiki/Iran

(2) Kein Geschäft mit den Mullahs, taz vom 29.06.09

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