Überwachung im Fußball

Zahlenspielereien und Politiker_innen mit Überwachungsfetisch

Der Staatsanwalt gehört ins Stadion und nach meiner Ansicht nach auch der Richter. Damit es so schnell wie möglich zu Verurteilungen und Stadienverboten kommt“ – Uwe Schünemann (CDU).

7.298 Verhaftungen, 8.143 Strafverfahren, 1.142 verletzte Personen: dies sind die Angaben der Zentralen Informationsstelle für Sport (ZiS) aus dem Jahr 2012 im Bezug auf Gewalt und Straftaten in und um Fußballspieltage. Wenn man die reinen Zahlen betrachtet, sind dies zum Vorjahr alles Negativrekorde. Doch beschäftigen sich Politiker_innen kaum oder gar nicht damit, wie diese Statistiken entstehen und welche Grundlage sie haben.

Nach Ansicht von Benjamin Hirsch, Mitglied der AG Fananwälte, sind diese Zahlen ein reines Konstrukt: „Jeder Empiriker würde sich die Hände über den Kopf zusammenschlagen“. Eine Ursache dafür ist z.B. der deutliche Anstieg von Polizeieinsätzen im abgelaufenen Jahr, der unweigerlich zu einer höheren Verbrechensaufklärung führt. Durch den angestiegenen Zuschauerdurchschnitt kommt es weiter­hin zu einem höheren Durchschnitt an Verletzten in Bezug auf die absoluten Zahlen. Seit dem Abbruch des Dialogs der Deutschen Fußball-Liga (DFL) mit verschiedenen Fangruppierungen zur Lega­lisierung von Pyrotechnik setzt die Polizei außerdem einen besonderen Fokus auf die Aufklärung von „Vorfällen mit Pyrotechnik“. Mehr als die Hälfte aller eingeleiteten Strafverfahren sind auf den Gebrauch von pyrotechnischen Erzeugnissen zurückzuführen, der vor zwei Jahren noch toleriert wurde. Dies führt unweigerlich zu einer Erhöhung der Zahlen.

Wenn man die absoluten Zahlen, mit welchen Politiker_innen, ZiS und DFL argumentieren, in relative Prozentzahlen umwandelt, wird ihnen schnell die Dramatik genommen. Der Anteil von fest- oder in Gewahrsam genommenen Fans liegt bei 0,035 Prozent. Damit ist er, trotz des höheren Zuschauerdurchschnitts, im Vergleich zum Vorjahr (0,039 Prozent) sogar gesunken. Trotz der Kriminalisierung von Pyrotechnik ist die Anzahl von eingeleiteten Strafverfahren nur von 0,031 Prozent auf 0,043 Prozent gestiegen. Pro Spieltag gab es durchschnittlich 1,6 Verletzte* (im Vergleich dazu: in 16 Tagen Oktoberfest wurden pro Tag ca. 525 Personen verletzt). Da „Verletzte“ ein sehr schwammiger Begriff ist, darf man diese Zahlen natürlich auch nicht über­inter­pretieren. Aber es zeigt auf, wie übertrieben die Diskussion von Seiten der Politi­ker_innen und Polizei geführt wird, dass der Fußball ein Sicherheitsproblem hätte. Es bleibt weiterhin offen, wodurch jene Fans verletzt wurden, denn die ZiS gibt an, dass 393 „Unbeteiligte“ verwundet wurden. Dadurch ist nicht auszuschließen, dass diese Personen durch polizeilich eingesetztes Pfefferspray zu Schaden gekommen sind, wie z.B. am 15. Spieltag der Partie TSG Hoffenheim gegen den SV Werder Bremen, bei dem mehrere Bremer Fans verletzt wurden.

Vor allem Lorenz Caffier, Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern und Vorsitzender der Innenministerkonferenz, bemüht sich, aus den oben erwähnten absoluten Zahlen ein fiktives Sicherheitsproblem zu konstruieren. Seine Forderung: Gesichtsscanner am Stadioneinlass! „Mir geht es allein darum, dieses Gefahrenpotenzial durch den Einsatz moderner Technik zu verringern, zum Nutzen der übergroßen Mehrheit der Besucher“, so Caffier. Wo er ein solches Gefahrenpotential sieht, bleibt schleierhaft. Aber wahrscheinlich ist Herr Caffier selbst kein Stadionbesucher. Für die große Mehrheit der Besucher_innen würden solche Ge­sichts­scanner nicht nur eine weiter verstärkte Überwachung bringen. Auch die – bei sogenannten „Risikospielen“ – ohnehin schon übertrieben langen Einlasszeiten ins Stadion würden sich durch solche Kontrollen, bei jeglichen Witte­rungs­be­din­gun­gen, nur noch weiter erhöhen.

Wäre Caffier selbst schon einmal bei einem „Risikospiel“ dabei gewesen, wäre ihm zudem bestimmt aufgefallen, dass die emotionale Lage der Zuschauer_innen, je länger der Einlass ins Stadion dauert, sich immer weiter hochputscht und die Bereitschaft zu Gewalt, in diesem Fall z.B. zum Stürmen des Stadioneingangs, steigt. Seine Inkompetenz im Bezug auf die Thematik Fußball und Gewalt beweist er außerdem mit der Aussage, dass er „Gewaltchaoten“ aus dem Stadion fernhalten möchte. Hätte der CDU-Abgeordnete sich mit dem Thema befasst, wäre ihm sicher aufgefallen, dass die Gewalttaten in und um Fußballspiele sich schon seit Ende der achtziger Jahre hauptsächlich außer- und nicht innerhalb des Stadions zutragen. Bezeichnend ist auch, dass selbst die Gewerkschaft der Polizei (GdP) die Pläne Caffiers ablehnt. So erklärte GdP-Chef Bernhard Witthaut in einem Interview mit der TAZ: „Es ist Irrsinn, ein Sicherheitssystem aufzubauen, das nur über totale Überwachung funktioniert, insbesondere wenn eine Rechtsgrundlage fehlt.“

Nun kann man aber nicht bei allen Politiker_innen davon ausgehen, dass sie sich zu wenig mit der Thematik befasst haben. Wenn es aber kein Sicherheitsproblem gibt, worin liegt dann der Zweck der Debatte? Zwei Thematiken, welche sich gegenseitig bedingen und in diesem Zusammenhang häufig von Kriti­ke­r­_innen genannt werden, sollen hier noch näher beleuchtet werden. Politiker_innen versuchen erstens durch Massenmedien ein Angstgefühl zu erzeugen, um sich so ein künstliches Problem zu schaffen. Damit sie, zweitens, im Fußball ein Testfeld finden, um Überwachungsmöglichkeiten auszutesten, um sie später gesamtgesell­schaftlich einsetzen zu können.

Ein typisches Bild wird häufig in den Massenmedien gezeigt, um die angebliche „Gewaltproblematik“ im Fußball optisch zu untermalen: Vermummte Personen mit bengalischen Feuern. Unklar bleibt dabei jedoch, was dieses Bild mit Gewalt zu tun hat. Wie bereits erwähnt war Pyrotechnik bis vor kurzer Zeit, auch wenn nicht legal, zumindest eine tolerierte Ordnungswidrigkeit in den Fankurven. Was ein Vermummen beim Abbrennen von bengalischen Feuern relativ überflüssig machte, außer man wollte den Rauch nicht direkt einatmen. Durch die Kriminalisierung von Pyrotechnik in den letzten Jahren, die verstärkte Überwachung mit Kameras im Stadion und damit die Kenntlichmachung der „Straftäter“ wird es also unvermeidlich sich zu ver­mum­men, wenn man Pyrotechnik zünden möchte, ohne danach strafrechtlich verfolgt zu werden. Auch wenn dies vielleicht bedrohlich aussieht, hat es nichts mit einer Gewaltausübung zu tun. An­sonsten wäre jede_r, der oder die zu Silvester Feuerwerk zündet, ein_e Gewalt­täter_in. Weiterhin ist es bemerkenswert, was für eine Doppelmoral einige Kom­men­tator_innen zu dieser Thematik an den Tag legen. So ist es nichts Außergewöhnliches, wenn am Dienstag bei einem Champions League Spiel einer italienischen Mannschaft der_die Kom­men­tator_in sagt:“ Was für eine Atmosphäre, der Hexenkessel brennt“ und am Samstag bei einem Bundesligaspiel: “Die Chaoten können es einfach nicht lassen.“ Das allein zeigt schon die Absurdität, Pyrotechnik mit Gewalt gleichzusetzen. Wenn man jedoch von der Fragestellung ausgeht, ob man durch Massenmedien, auch ohne objektive Fakten zu haben, ein Angstgefühl bei einem Großteil der Bevölkerung erzeugen kann, um damit immer neue Über­wachungs­maß­nah­men zu begründen, hat sich das Experiment „Fußball und Massenmedien“ bis jetzt als voller Erfolg für Politiker_innen erwiesen.

Dieses medial erzeugte Angstgefühl ermöglicht es Politiker_innen somit das Stadion­umfeld als Testfeld für neue Über­wa­chungs­techniken zu missbrauchen, um sie später, wenn sie “salonfähig“ gemacht wurden, auch in anderen Feldern oder sogar gesamtgesellschaft­lich zu nutzen. Die mittler­weile in allen Medien angekommene Droh­nen­überwa­chung wird im Fußball schon längst praktiziert. Von der Landespolizei Sachsen schon 2008 an Spieltagen angewendet, wurde später z.B. auch der Castor-Transport 2010 mit dieser Technik überwacht. Erst 2012 hat die Bundesregierung das Luftfahrtgesetz geändert, um unbemannte Flugobjekte zu Überwachungszwecken zu legitimieren. Dies ist nur ein Beispiel dafür, wie die Politik juristische Grauzonen nutzt, um neue Kontrolltechniken im Fußball zu testen. Später werden diese Techniken häufig mit Gesetzen „legitimiert“, um sie dann in der ganzen Gesellschaft anzuwenden, wie oben genanntes Beispiel zeigt.

Man kann also nicht nur davon ausgehen, dass Politiker_innen eine künstliche Sicherheitsproblematik aus Unwissenheit erschaffen, sondern mit voller Absicht, um den Fußball als Testfeld für neue Über­wachungstechniken zu nutzen, die später in der Allgemeinheit Anwendung finden können (vgl. dazu auch den Artikel S. 12ff.). Vielleicht sollte die Staatsanwaltschaft wirklich ihren eigenen Bereich im Stadion bekommen und sich intensiver mit den Zahlen der ZiS auseinandersetzen. Sie könnten sich dadurch selbst davon überzeugen wie absurd diese Panikmache ist und wie nutzlos Vorschläge wie die Einführung von Gesichtsscannern wirklich sind.

Klaus Canzely

Das Hauptaugenmerk des Textes wurde mit Absicht auf den Politsektor gelegt, da dieser Bereich nur unzureichend von vielen Fangruppierungen analysiert wird. Wem die aktuelle Thematik um das DFL-Sicherheitspapier zu kurz kommt die oder der sei auf folgende Stellungnahme hingewiesen: www.profans.de
*Verletzte werden bei der ZiS unabhängig von der Ligazugehörigkeit des Vereins aufgenommen

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