…und wofür war der ganze Zirkus?

Ein Bericht über die Ereignisse um das Europäische Wirtschaftsforum vom 28.- 30. April in Warschau

 

Das EWF-Treffen ist ein europäischer Ableger des jährlich in Davos stattfindenden Weltwirtschaftsforums. Nachdem es in Dublin aufgrund akuter Protest-Gefahr nicht stattfinden konnte, bewarb sich Warschau um das prestigeträchtige Event, um seinen EU-Beitritt gebührend feiern zu können. Dabei wurde speziell auf eine schwache, örtliche KritikerInnenszene verwiesen, der es wohl kaum gelänge, eine ausreichende Mobilisierung zur Behinderung des Gipfel hinzukriegen bzw. daß man der Sache schon Herr würde.

Mißtrauische und neugierige Blicke in der U-Bahn. Diese Mischung aus abgetragener, meist dunkler Kleidung, vielleicht noch ein paar Piercings und eine exotische Frisur, machen es klar: dies ist kein(e) normale(r) Warschau-TouristIn. Wahrscheinlich ist dies jemand von diesen „Globalisierungsgegnern“, über welche schon seit Wochen so viel geredet und gewarnt wird. Als klar wurde, daß Polen auch in dieser Hinsicht langsam in Europa angekommen ist, und daß auf alle Fälle auch ungeladene KritikerInnen anreisen würden, wurde in den polnischen Medien eine massive Hetzkampagne gegen die „Antyglobalisci“ losgetreten. Wochenlang vorher wurden die Bilder von Genua und Göteborg hervorgekramt und als Horrorszenario für Warschau reproduziert. Daß letztendlich nichts außer einem weniger beachteten Gegengipfel mit einer großen kapitalismuskritischen Demo in Partystimmung passierte, hat der polnischen Regierung einmal mehr einen großen Imageverlust in der eigenen Bevölkerung eingebracht.

Nachdem sich Warschau so sehr um die Austragung des EWF gerissen hatte, mußte man nun zeigen, daß man die Sache auch im Griff hat. Eine von einem globalisierungskritischen Mob verwüstete Innenstadt konnte man sich auf keinen Fall leisten. Also ging man lieber auf Nummer ganz-ganz-sicher. Als der 28. April und der Beginn des Forums immer näher rückten, wurden auch im Straßenbild von Warschau die Auswirkungen der seit Wochen geschürten Panik spürbar. Immer mehr Banken, Restaurants, Geschäfte und sogar die kleinen Kioske und Arbeiter-Kantinen verbarrikadierten ihre Scheiben. Schulen und Universitäten blieben geschlossen und den EinwohnerInnen Warschaus wurde geraten, für den Zeitraum des EWF möglichst die Stadt zu verlassen. Nach und nach verschwand die Innenstadt hinter Spanplatten, Fangnetzen und Metallzäunen. Neben ständig steigender Polizeipräsenz, wurden vermehrt Personenkontrollen durchgeführt und „einschlägig bekannte Personen“ belästigt. In einem Vorort von Warschau wurde eine linke Wohngemeinschaft, welche TeilnehmerInnen aus anderen Städten beherbergte, durchsucht und die darin befindlichen Personen mit Handfesseln auf dem Boden abgelegt, bedroht und mißhandelt. Auch an den Grenzen wies man vermehrt Leute zurück. Einige ältere Leute meinten, das Ganze erinnere sie stark an die Zeit des Ausnahmezustandes Anfang der 80er.

Das Hauptinteresse der Medien lag natürlich auf der am 29.04. stattfindenden Demonstration, durch die verbarrikadierte Innenstadt. Die OrganisatorInnen der Demo waren die polnischen AnarchistInnen. Es wurde jedoch sehr darauf geachtet verschiedene Bevölkerungsgruppen zu involvieren. Neben Arbeitslosen und Bauern im allgemeinen, gehörten dazu die Bieda Szyby-Bergleute aus Schlesien (siehe FA!#12) und Leute vom Kabelwerk Ozarow (siehe FA!#4 2003), sowie der bei solchen Veranstaltungen unvermeidliche Mix aus verschiedensten links orientierten oder auch nur angehauchten GlobalisierungskritikerInnen. Auf der Route, welche überraschend nah an der, für die Öffentlichkeit gesperrten, Roten Zone vorbeiführte, wirkte alles wie ausgestorben. Die vereinzelten mutigen Cafés, welche sich nicht eingeigelt hatten, machten Rekordumsätze und schauten etwas verdattert die nach der Toilette fragenden DemonstrantInnen an. Als dann klar war, daß auch die Demo nicht die erhofften Gewaltbilder bringen würde, zog sich ein Großteil der JournalistInnen zurück und bei einer anschließenden Pressekonferenz waren nur eine handvoll Interessierte anwesend.

Die Angaben, wie viele Leute teilnahmen, gehen weit auseinander. Die staatliche Seite, welche sonst immer dazu neigt, die Beteiligung bei solchen Protesten herunterzuspielen, sah sich diesmal genötigt zur Rechtfertigung ihres Sicherheitsaufwandes ins Gegenteil zu verfallen und gab die Beteiligung mit annähernd 10.000 an. Die Hälfte war sicher realistischer.

Am Tag nach der Demonstration war die Stimmung deutlich entspannter. Das EWF war zwar noch nicht vorbei, aber da die Voraussagen für die Demo nicht eintrafen, glaubte niemand mehr so richtig, daß hier noch irgend etwas passieren würde. Die ersten Läden nahmen ihre Spanplatten herunter und in den um ihre Gewaltbilder betrogenen Zeitungen wurde die erste Empörung über die enormen Kosten laut, die „dieser Zirkus“ gekostet hat. In der Walpurgisnacht des 30. 04. gab es dann ein etwas müdes „In-die-EU-Reinfeiern“, welches akustisch gestört wurde, als Präsident Kwasniewski sich in einer euphorischen Rede zum Beitritt übte.

Daß zeitgleich zum Europäischen Wirtschaftsforum ein Alternativgipfel stattfand, interessierte die Medien weniger. Trotz massiver organisatorischer Probleme – wie Verlust der Räumlichkeiten durch Druck der Polizei auf die Vermieter – konnte nach einem kurzfristigen Umzug in die Konferenz- und Hotelräume eines Hallenbades, das Treffen der Alterglobalisten (1) stattfinden. Viele Vorträge mußten zwar aufgrund der veränderten Situation gekürzt werden, im Großen und Ganzen wurde das Treffen jedoch als Erfolg eingeschätzt. Es wurden Themen wie die Auswirkungen von ungehemmter wirtschaftlicher Globalisierung auf z.B. jahrhundertelang gewachsene Strukturen, ethnische Minderheiten und Umwelt diskutiert und u.a. Strategien zur Selbstorganisation und alternative Globalisierungsmodelle erläutert. Als ein besonderer Erfolg wurde das große Interesse aus Teilen der Bevölkerung gewertet, die nicht unbedingt einer politischen Szene zugerechnet werden können.

Das EWF konnte nicht verhindert werden, allerdings ist es gelungen einen Gegenakzent zu setzen. Wie relevant dies für die kommenden Jahre sein wird, ist noch nicht klar. Interessant, wenn man bedenkt, daß das EWF nun jedes Jahr in Warschau stattfinden soll. Vielleicht werden es nächstes Mal die BürgerInnen von Warschau selbst sein, die diese Gelegenheit ein paar Worte mitzureden nutzen werden, wenn über ihre Zukunft entschieden werden soll.

 

lydia

(1) siehe nachfolgendes Interview

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