Uruguay: Da bewegt sich was…

Treffen autonomer Basisbewegungen aus Lateinamerika im Februar 2006

Was passiert eigentlich gerade in Lateinamerika? Das öffentliche Interesse ist größer geworden, in den Medien wird wahlweise von progressiven, kommunistischen oder auch diktatorischen Staatschefs berichtet und Begriffe wie Armut, Militarisierung oder Freihandelsabkommen tauchen immer wieder auf. Doch wie wird damit vor Ort umgegangen? Wo steht die Basis, welche Möglichkeiten und Notwendigkeiten sehen sie und wie läuft die Vernetzung? Anlässlich des 4. lateinamerikanischen Treffens autonomer Basisbewegungen soll hier nun kurz über die Ergebnisse berichtet werden:

So facettenreich wie die Landschaft ist wohl auch die ökonomische, soziale und politische Situation der einzelnen Länder und Regionen. Allerdings gibt es, neben den von Armut begrenzten Lebensumständen, auch gemeinsam zu bewältigende Probleme, wie zum Beispiel die fortgeführten Privatisierungen von Grundgütern wie Wasser und andere so genannte „Strukturanpassungsprogramme“ (1). Aber auch die Schuldenbezahlung und Gespräche über das Frei­handels­abkommen ALCA (2) sowie bilaterale Vereinbarungen stehen auf der politischen Tagesordnung in Lateinamerika. Linke Basiskräfte sehen sich zudem mit der stetig zunehmenden innerstaatlichen Mili­tarisierung und einer Kriminalisierung so-zialer Proteste konfrontiert. So genannte „progressive“ Regierungen haben ebenfalls keinen Para­digmen­wechsel herbeigeführt, selbst wenn es dort vereinzelte soziale Kampagnen gibt, welche die Lebensumstände der armen Bevölkerung verbessern. Mit großen Versprechungen wird so auf die Unterstützung „des Volkes“ gebaut, während man sich doch gleichzeitig mit dem neoliberalen Modell arrangiert, wie zum Beispiel in Brasilien, Argentinien, Chile oder Bolivien. Eine zunehmende Institutionalisierung sozialer Bewegungen und die Bürokratisierung der Gewerkschaften wird hierbei zum Problem, da sich die Linke am fehlenden „klaren Feindbild“ zersplittert.

Mit diesen Problemen konfrontiert, trafen sich 65 verschiedene autonome Basisgruppen aus Uruguay, Argentinien, Chile, Brasilien und Bolivien, um sich über die Situation und die Perspektiven des sozialen Kampfes auszutauschen. Die Gruppen aus dem vornehmlich libertären und kommunistischen Spektrum, die sich NGO- und parteiunabhängig organisieren, diskutierten über Selbstorganisation, Klassenkampf und den möglichen Aufbau von „poder popular“ („Volksmacht“). Sie entwickelten dabei sowohl abstraktere als auch konkrete Hand­lungsstrategien. Die wichtigsten Eckpunkte sind die Organisierung der Unorganisierten, die Zusammenführung der zersplitterten „Linken“ an gemeinsamen Zielen und Projekten, der Aufbau von unabhängigen Partizipationsbereichen und die Unterstützung autonomer sozialer Bewegungen. Der „ideelle Kampf der sich erkennenden Klasse“, und die Stärkung sozialer Werte wie Solidarität sind weitere Anknüpfungspunkte, um den kapitalistischen Verhältnissen mit einer vereinten Gegenmacht der Basis entgegen zu treten. Als konkrete Mittel wurden hierbei die direkte Aktion, direkte Demokratie und solidarische, gerechte, hierarchielose Zusammenschlüsse festgehalten.

Neben dem regelmäßigen Austausch von Informationen und Besuchen beschlossen die Gruppen auch, gemeinsam gegen die Vereinbarungen zu dem Freihandelsabkommen mit Europa im Mai zu mobilisieren, da es sich um ein Problem mit großer Tragweite handelt.

Das nächste Treffen findet voraussichtlich Ende Februar 2007 in Chile statt und hat seinen Sinn vor allem in der Stärkung und Vernetzung der Beteiligten, denn man ist sich über die Komplexität des Aufbaus einer lateinamerikanischen, starken und bewussten Basisbewegung durchaus im Klaren.

Die gesellschaftlichen Verhältnisse und die Probleme der compañeros auf der anderen Seite des großen Teiches sind zwar räumlich weit entfernt, unterscheiden sich von den unserigen jedoch nur marginal. Voneinander lernen, sich informieren, neue Denkansätze und Anknüpfungspunkte finden oder solidarische Aktionen starten, kann eine Waffe sein. Dort wie überall.

momo

Der Text ist eine Zusammenfassung aus den veröffentlichten Ergebnissen des 4. lateinamerikanischen Treffens autonomer Basisbewegungen. Da kaum davon berichtet wurde, weil es außerhalb des öffentlichen Interesses stand, könnt ihr unter feierabendle@web.de detailliertere Infos (auf spanisch) bekommen.
(1) IWF („Internationaler Währungsfond“) und Weltbank binden Kreditvergabe oder Schuldenausgleich weitgehend an die Durchführung liberaler Reformen, Privatisierungen und Handelsöffnungen; so genannte „Strukturanpassungsprogramme“. Die lateinamerikanischen Länder haben sich fast alle in den 70er Jahren durch Kredite bei IWF und Weltbank verschuldet, sind aber durch die hohen Zinsen theo­re­tisch immer noch an die Verträge gebunden, obgleich sie z.T. inzwischen das 20-fache eingezahlt haben.
(2) ALCA ,spanisch: Àrea de libre Comercio de las Américas (englisch: FTAA; Free Trade Area of the Americans), ist eine gesamt­amerikanische Frei­handelszone die alle 34 Staaten in Nord-, Süd- und Mittelamerika umfassen soll. Planungen dazu existieren seit 1991, die Verhandlungen sind jedoch noch nicht abgeschlossen.

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