Vom Amt zur Agentur

Vermittlung ist alles. Will heißen: nicht auf den Inhalt, auf die Verpackung kommt’s an (das hat die rotierende Führungsriege der SPD Anfang Februar oft genug betont). Müntefering könne die Politik besser an die Basis verkaufen, ändern werde sich daran nichts. Bei soviel Wertschätzung, die man der Propaganda angedeihen läßt, nimmt es nicht Wunder, dass deren Mutationen auch in anderen Bereichen zu spüren ist. Seit Anfang des Jahres heißt die „Bundesanstalt“ nun „Bundesagentur für Arbeit“. Zum Hauch der Veränderung gehört natürlich auch ein neuer Internet-Auftritt! Dazu gehört auch die Kampagne des „TeamArbeit für Deutschland“ des Bundeswirtschaftsministeriums. Zur Plakatwerbung für das Projekt gaben sich in der Vergangenheit zahlreiche „Promis“ her, die um der Beseitigung der Arbeitslosigkeit willen an die Initiative und Kreativität der StaatsbürgerInnen appellieren. Nun, wir kennen das bereits im seit 1996 jährlich ausgeschriebenen „Innovationspreis“ der Stadt Leipzig. Innovation ist Trumpf beim Aufschwung.

Unberührt von diesem „ehrenamtlichen Engagement“ für Deutschland und für den Verwertungskreislauf, bleiben indes die Maßnahmen, auf die sich Regierung und Opposition Ende Dezember verständigten: sie sind/werden Gesetz. Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zum Arbeitslosengeld II (ALG II) wurde vom 1. Juli 2004 auf 1. Januar 2005 verschoben. Damit wurde auch die neue Zumutbarkeit um ein Jahr verschoben. Es gelten also noch die alten Zumutbarkeitsregelungen des § 121 SGB III: die Sperrfrist bei der ersten Arbeitsablehnung beträgt drei Wochen (§ 144). Die Sperrfrist für die Ablehnung einer zweiten angebotenen Arbeit liegt ab dem 1.1.2004 bei sechs Wochen, bei „unzureichenden Eigenbemühungen“ bei 2 Wochen und bei einem Meldeversäumnis bei 1 Woche. Nach 21 Wochen Sperre entfällt der Anspruch auf Stütze ganz. Ab Januar nächsten Jahres sollen die anderthalb Millionen „Langzeitarbeitslosen“ (jene, die länger als ein Jahr erwerbslos sind) jede Arbeit zu jeder Entlohnung annehmen, die ihnen das Amt, ’tschuldigung: die Agentur natürlich, anträgt. Die totale Streichung des ALG II kann für drei Monate verordnet werden; bei einer Kürzung um mehr als 30 Prozent der Regelleistung können „in angemessenem Umfang ergänzende Sachleistungen oder geldwerte Leistungen“ – also Lebensmittelgutscheine – ausgegeben werden (§ 31, SGB II) (1). Und zwar eindeutig nur während einer Kürzung, nicht bei der Streichung! Beim dreimonatigen Wegfall des ALG II besteht „kein Anspruch auf ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt“ (§ 31, SGB II). Sogar SPD-Abgeordnete fürchten nun einen „staatlich subventionierten Niedriglohnsektor“ (Schmidtbauer), da der Tendenz gegen Null kaum mehr Grenzen gesetzt sind. Unser allerliebster Ministerpräsident Milbradt forderte ja in diesem Zusammenhang: ein Euro pro Stunde! Rainer „Zuckerbrot“ Wend, Vorsitzender des Bundestagswirtschaftsausschusses, will sich nicht so weit aus dem Fenster lehnen, weil durch „unerwünschte Reformhärten“ die Agenda 2010 selbst gefährdet werden könnte: „Wenn man Leute dazu zwingt, jede Arbeit aufzunehmen, dann muss man ihnen auch einen Lohn zahlen, der über der Sozialhilfe liegt.“ Tatsächlich ist die BRD einer der wenigen Staaten, der keinen Mindestlohn festschreibt – in den Niederlanden erhält man, laut Gesetzestext, mindestens 7,80 Euro die Stunde.

Die Grünen versuchen indessen abzuwiegeln: man erwarte, dass sich das Lohnniveau zwischen fünf und zehn Prozent unter Tarif einpendele. Schließlich würden auch die Gerichte darüber wachen, dass es nicht zu „sittenwidrigem“ Lohnwucher komme. Leicht läßt sich ermessen, wie viel es bringt, sich an die bürokratischen, chronisch überlasteten Strukturen der Gerichtsbarkeit zu wenden. Die Realität im Reinigungssektor, zum Beispiel, spricht eine andere Sprache: Gerichte sahen, laut DGB, kein Problem darin, den Tarif von 7,94 um 30 Prozent zu unterschreiten. Schon in diesen Tagen greift allerdings die Zusammenlegung von Strukturanpassungs- (SAM) und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM). Auch hier verschiebt sich das Augenmerk von der vorgeblich menschenfreundlichen „Verbesserung der Eingliederungsaussichten der Arbeitnehmer“ ganz offen zur Zwangsarbeit: alle Arbeiten sind nun als ABM förderungswürdig, die sonst „nicht in diesem Umfang“ durchgeführt würden. Außerdem kann die „Agentur“ dem Chef bis zu 300 Euro pro Zwangsverpflichteten zuschießen, als Entschädigung für die entstehenden Kosten. Gleichzeitig sind ABM nicht mehr beitragspflichtig zur Arbeitslosenversicherung und können somit keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld begründen (2).

Immerhin begründet sich nach aktueller Regelung für die derzeit 28.405 ZwangsleiharbeiterInnen in den 968 Personal-Service-Agenturen (PSA) Anspruch auf Arbeitslosengeld. Das ist bitter nötig, denn von den knapp 40.000 in PSA „beschäftigten“ Arbeitslosen – mit dieser Zahl verfehlt die BA übrigens ihr Ziel um 20 Prozent (FA! #9, Arbeitende Arme) – wurden nur 4.135 durch einen sagenumwobenen „Klebeeffekt“ „in Arbeit vermittelt“; 4.859 Menschen hingegen wurden noch während der Probezeit entlassen.

Der Renner scheinen die PSA also nicht zu sein, obwohl die BA pro „eingestelltem“ Erwerbslosen 1000 Euro Kopfgeld überweist, und nochmal 2000 Euro, wenn der/die nun ehemals Erwerbslose von einem Betrieb übernommen wird – dafür werden bundesweit 600 Millionen Euro bereitgestellt. Die Bundesregierung scheint mit 200.000 PSA-vermittelten „Langzeitarbeitslosen“ zu rechnen. Da tut sich einiges an Einsparpotential!

Vor diesem Hintergrund wird Schröder Ende März eine Regierungserklärung abgeben, in der er das Programm bis 2006 umreißt. Begründet hatte der Kanzler diese junge Tradition mit der Rede vom 14.3.2003, als er die Agenda 2010 vorstellte. Gestützt wird er dabei vom designierten SPD-Parteivorsitzenden Müntefering, der am 15.2. eisern, doch unter Applaus erklärte: „Ich werde die Partei nicht gegen die Regierung führen.“ Da kann man ihm schlecht reinreden. Wenn Müntefering allerdings behauptet, nichts vom Beschlossenen könne zurückgenommen werden, haben wir doch ein Wörtchen mitzureden … da es uns betrifft. Zu diesem Zwecke rufen Initiativen aus dem Rhein-Main-Gebiet, InitiatorInnen der Demonstration vom 1. November, für Freitag, den 2. April 2004, zu Aktionen in Betrieben („bis hin zu Streiks“) und auf der Straße, und für Samstag, den 3.4., zu Demonstrationen in Berlin, Köln und Stuttgart auf. Auf drei „Aktionskonferenzen“ nach dem 1.November wurde dieses Vorhaben am 13.12., 17./18.1. und 1.2. bestätigt. Nur die erste allerdings war auf Initiative der Basis zusammengekommen, die anderen hatte der DGB einberufen – ein „Bündnis auf gleicher Augenhöhe“. Denn nachdem die politische Unterstützung seitens der SPD weggebrochen sei, müssten die Betriebe – mit Hilfe von Basisinitiativen – repolitisiert werden, so IGMetall-Funktionär Schmitthenner. Einsamer Rufer in der Wüste … der DGB-Bundesvorstand beansprucht in seinem Aufruf zur Demo (3) den Führungsanspruch, und untermauert ihn mit 3,5 Millionen Euro (4). Davon werden nicht nur „Teilnehmertransfers“ mit Autoland-Deutschland-Bussen und „zentrale Materialien“ finanziert; besonders wichtig ist, dass die Bühnen „ein mediengerechtes Aussehen haben und einheitlich gestaltet“ sind. Die Rolle der Medien für den DGB (wie für die übrige Politik) ist eminent, will man sich doch an die Spitze einer aufkeimenden Bewegung setzen, damit sie keinen tatsächlichen, sondern nur diskursiven Druck ausübt. Daher findet der potentiell extra-legale Aktionstag am Freitag, zum dem sich die Radikalen sogar „Streiks“ wünschen, beim DGB keinerlei Erwähnung.

A.E.

(1) Vielleicht sollten sich Betroffene mit MigrantInnen in Verbindung setzen, die haben Erfahrung! Das „Asylbewerberleistungsgesetz“ schreibt in §3 fest, dass es abgesehen von 40 Euro Taschengeld nur „Sachleistungen … Wertgutscheine … unbare Abrechnungen“ gibt – das Modell macht Schule.
(2) Interessantes auch unter www.chefduzen.de
(3) Aufruf im Netz unter: www.dgb.de/themen/europa/aktionstag/dgb_aufruf.pdf – auch die FAU mobilisiert: www.fau.org
(4) Protokoll der Telefonkonferenz von Bundes- und Bezirksvorständen des DGB und seiner Einzelgewerkschaften am 12.2.2004, liegt dem Autor vor.

Sozialreformen

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