Vom Widerspruch einer Idee

Das Einheits- und Freiheitsdenkmal in Leipzig

Dieses Jahr sollte das Einheits- und Freiheitsdenkmal auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz zum 25. Jubiläum der gewaltlosen Proteste am 9. November 1989 in Leipzig eingeweiht werden – als bunter Platz der 70.000, als bunte Bodengrafik mit den Errungenschaften der Proteste oder als Herbstgarten „Keine Gewalt“ mit Apfelbäumen.(1) Letztendlich wird nichts gebaut. Die Nerven auf der politischen Ebene liegen blank. Das Interesse in der Bevölkerung am Bau eines derartigen Denkmals ist so niedrig wie nie zuvor.
Im November 2007 beschloss der Bundestag, ein sogenanntes „Einheits- und Freiheitsdenkmal“ in Berlin zu errichten.(2)
Linke und Grüne stimmten dagegen. Den Grünen fehlte eine gesellschaftliche Debatte. Sie sahen in dem Beschluss staatlich verordnete Erinnerungskultur. Die Linke kritisierte darüber hinaus die geschichtspolitische Verschmelzung von „friedlicher Revolution“, deutscher Einheit und deutschen Freiheits- und Einheitsbewegungen im 19. und 20. Jahrhundert. Leipzig war schon damals in der Diskussion, wegen seines symbolischen Gehalts als Schauplatz der Proteste. Der Beschluss wurde im Dezember 2008 konkretisiert.(3)
Leipzig wurde paralleler Gedenkort. Der Anspruch: Ein Erinnerungsort, nicht so bedeutungsschwanger wie die Idee für Berlin, kein klassisches Denkmal auf einem Sockel, aber viel Bürgerbeteiligung. Der Bund, der Freistaat Sachsen und die Stadt Leipzig gaben gemeinsam mehr als 6 Millionen EUR frei, um parallel zum geplanten Einheits- und Freiheitsdenkmal in Berlin einen Erinnerungsort in Leipzig zu errichten.(4)
Davon wurden bis jetzt rund 450.000 EUR ausgegeben.(5) Umfragen, Workshops, Foren und Onlineplattformen wurden organisiert und eingerichtet, um Bürger_innen und Expert_innen aus unterschiedlichen Bereichen in die Entscheidungsprozesse einzubeziehen. Ein internationaler Wettbewerb mit Teilnehmendenhonoraren und Preisgeldern wurde ausgeschrieben. Der ersten Wettbewerbsphase mit drei Preisträger_innen folgte eine Weiterentwicklungsphase, die anfangs nicht geplant war. Die vormals Drittplatzierten gingen als Sieger hervor, die vormaligen Sieger als Drittplatzierte. Letztere klagten. Das Oberlandesgericht Dresden gab der Klage im Februar diesen Jahres Recht und erklärte die Weiterentwicklungsphase für ungültig. Daraufhin verlangte die Bürgerinitiative „Einheits- und Freiheitsdenkmal Leipzig“ in einem offenen Brief den Abbruch des Wettbewerbs und einen kompletten Neuanfang.(6) Und auch der Stadtrat zog nach. Das Wettbewerbsverfahren um den Bau des Denkmals zur Erinnerung an die „friedliche Revolution“ 1989 auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz solle beendet, der Neuanfang verschoben werden. Auf 2039 zum Beispiel, den 50. Jahrestag. Die Linke wirbt nun für ein Bürgerbegehren zur Frage als Teil ihres Wahlkampfes zu den anstehenden Kommunalwahlen.
Zeit für Schuldzuweisungen aus allen politischen und gesellschaftlichen Ecken. Schuld sei die Stadt mit ihrer intransparenten und amateurhaften Verfahrensplanung. Schuld sei die frühe Entscheidung für den Wilhelm-Leuschner-Platz als Erinnerungsort, der völlig ungeeignet sei, weil er keine Rolle bei der „friedlichen Revolution“ gespielt hätte. Die Stadt wolle die zugesagten Fördergelder nutzen, um die Brachfläche ohne große Eigeninvestitionen zu gestalten. Eine städtebauliche Entwicklung dieses Ortes sei aber derzeit wichtiger als ein Denkmal. Schuld seien die Agenturen, die mit ihren Entwürfen zur Gestaltung des Erinnerungsortes einem würdevollen Gedenken nicht gerecht würden, oder zumindest ihre Ideen der Bevölkerung nicht genügend erklären konnten. Schuld seien die lokalen Medien, die zur Polarisierung der Bevölkerung und damit negativen Stimmung gegen das Denkmal beigetragen hätten. Schuld sei die Zeit, die einfach noch nicht reif für ein derartiges Denkmal sei.

Die derzeitige Situation als Ausdruck für den Widerspruch zwischen Erinnerungspolitik von oben und der Mitsprachemöglichkeit der Gesellschaft von unten. Wer Verfahren festlegt, bestimmt maßgeblich das Ergebnis. Wer Regeln für Mitsprachemöglichkeiten festsetzt, schließt bestimmte Akteure an bestimmten Stellen ein, andere aber auch aus. Das politische Gedenken an die Macht der Gesellschaft über die Politik, gescheitert an der Gesellschaft. In diesem Sinne kann man der derzeitigen Situation sogar etwas Positives abgewinnen. Vielleicht sollte man ein Denkmal zur Erinnerung an den Prozess errichten.
Vielmehr ist die verfahrene Lage aber Ausdruck der realitätsfernen Idee, es gäbe eine gesamtgesellschaftlich geteilte Interpretation sowie Repräsentation der Ereignisse im November 1989. Eine solche große Erzählung kann von oben vorgegeben werden. Wünschenswert ist das nicht, wie das Einheits- und Freiheitsdenkmal in Berlin eindrücklich zeigt: Eine begehbare Schale auf dem Sockel Kaiser Wilhelms I. auf der Berliner Schlossfreiheit, eingeordnet in eine lineare und zielgerichtete historische Erzählung des Strebens der Deutschen nach Einheit und Freiheit.(7) Die Vielfalt an Interessen- und Deutungsmustern von Geschichte in der Gesellschaft kann ein einzelner Erinnerungsort nicht widerspiegeln. Die Frage ist also nicht, wie alle Stimmen mit der Schaffung eines Erinnerungsortes zufriedengestellt werden können, sondern wie alle Stimmen Gehör finden können.
Der Prozess ist ein Erinnerungskonflikt geworden, in dem unterschiedliche Akteure mit unterschiedlichen Interessen und Einstellungen um Deutungen, Anerkennung und Ressourcen streiten. Die Stadt, das Land wie auch der Bund sind Akteure in diesem Konflikt, und können diesen daher nicht regeln, geschweige denn lösen. Derzeitige Vorschläge von Abbruch, Neuanfang und Verschiebung werden diesem Sachverhalt nicht gerecht. Die Konflikte werden weiterbestehen und sollten als solche in ihrem konstruktiven Potential verstanden werden.
Ein Erinnerungsort sollte Ort für Diskussionen sein, nicht Diskussionen zum Abschluss bringen. Und das hat nichts mit Zeit zu tun. Nichts mit den Entwürfen. Nichts mit dem Ort. Aber mit dem Verfahren, welches auf unbrauchbaren Konzepten von gesellschaftlicher Mitsprache und Erinnerungskultur basiert.

tung

(1) www.denkmaldialog-leipzig.de
(2) dipbt.bundestag.de/doc/btd/16/069/1606974.pdf
(3) dip21.bundestag.de/dip21/btp/16/16193.pdf
(4) www.leipzig.de/buergerservice-und-verwaltung/unsere-stadt/leipziger-freiheits-und-einheitsdenkmal/schritte-20092010/
(5) Quelle: facebook-Auftritt „Freiheitsdenkmal Leipzig“; Antwort des Beigeordneten für Kultur der Stadt Leipzig auf eine Anfrage der CDU-Fraktion
(6) www.l-iz.de/html/downloads/Einheitsdenkmal-Offener-Brief.pdf
(7) Der Siegerentwurf des Freiheits- und Einheitsdenkmals in Berlin trägt den Titel „Bürger in Bewegung“. Auf einer begehbaren Schale, die sich wie eine Wippe mit dem Gewicht der Wippenden bewegt, ist der Schriftzug platziert: „Wir sind das Volk – Wir sind ein Volk“. Mehr dazu: www.freiheits-und-einheitsdenkmal.de

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