Freie Träume für off‘ne Räume
Nein, das Haus in der Merseburger Straße 17 in Plagwitz ist kein gewöhnliches Wächterhaus, sagen die NutzerInnen selbstbewusst (1). Denn schon 2005 und unabhängig vom HausHalten e.V. waren drei von ihnen auf der Suche nach einem geeigneten Objekt gewesen und hatten mehrere Hausbesitzer zwecks Nutzung kontaktiert. Doch ohne den Wächterhausverein, geben sie zu, wären die Verhandlungen viel schwieriger gewesen. Sowohl die NutzerInnen selbst als auch der HausHalten e.V. hätten auch lieber einen direkten Vertrag zwischen Vermieter und NutzerInnen gesehen, aber der Besitzer eben nicht. Er vertraute eher auf die doppelte Vertragsstruktur, die der Verein zaudernden Immobilienbesitzern anbietet (2). So konnte im September 2006 alles für sieben Jahre unterschrieben werden. Betriebs- und Nebenkosten für den Vermieter und 15,- pro Monat und Person als Fördermitgliedsbeitrag an den Verein bedeutete ein ganzes Haus für die NutzerInnen. Das frischgebackene Hauskollektiv war glücklich. Dadurch dass man schon vorher eine feste Gruppe gewesen war, ließ ihnen der Verein die sonst unübliche Freiheit, selbst über die genaue Zusammensetzung der NutzerInnen zu bestimmen und unterstützte die notwendigsten Aufbaumaßnahmen mit Material und Know How. Dementsprechend gab es auch von Anfang an einen festen Zusammenhalt unter den neun BewohnerInnen im ganzen Haus und die späteren NutzerInnen wie der Tischtennisverein BumBum, die Nähwerkstatt Total Vernäht und ein kleines Hörspielstudio wurden per Unternutzungsverträge eingebunden und de facto im Stimmrecht gleichgestellt. Die Mit- und Selbstbestimmung bei der kollektiven Verwirklichung des Hausprojektes wird ernst genommen und jedeR ist bemüht, im Konsens zu entscheiden, Veto zu berücksichtigen und nur im Ausnahmefall einen Mehrheitsbeschluss herbeizuführen.
Zwei große WGs, eine Werkstatt und ein Studio – damit ist das an sich relativ kleine Haus zwar schon ziemlich voll, trotzdem will man in der Merseburger 17 in Zukunft noch stärker nach außen treten und in den Parterre-Räumen regelmäßig Kulturveranstaltungen anbieten, die auch Menschen ansprechen, die nicht unbedingt aus dem ‚üblichen Klüngel‘ stammen. Eine offene Küche ist ebenfalls für jede zweite Woche geplant. Zwar gibt es weiterhin noch einen lauschigen und geräumigen Hinterhof, aber der kann aufgrund der schlechten Nachbarschaft nur sehr eingegrenzt genutzt werden. Neben offen ablehnenden Spießbürgern zählen dazu auch eine Gruppe Faschisten, die nachts des öfteren Fahrräder vor dem Haus demolieren oder ihre widerlichen Parolen brüllen. Abgesehen von solchen Problemen in der konkreten Nachbarschaft, sehen die NutzerInnen ihre Ausstrahlung durchaus positiv, insbesondere auf ein jüngeres und mehr in der „Szene“ zwischen Schreibmaschinencafé und Zollschuppen verortetes Publikum.
Der Kontakt zu den anderen Wächterhäusern läuft zwar schleppend, aber gerade über die Projekte und Freunde ist man untereinander verbunden und tauscht auch schon mal Material oder Werkzeuge aus. Zudem hat der HausHalten e.V. aktuell eine neue Vernetzungsinitiative gestartet, um die internen HaussprecherInnenstrukturen zu stärken und den Informations- und Erfahrungsaustausch zwischen den Häusern zu erhöhen. Alles in allem scheint man in der Merseburger Straße 17 zufrieden mit dem Engagement des Vereins, geschätzt wird die Zuarbeit auf der einen und die gewährte Selbstbestimmung auf der anderen Seite. Der Eigentümer vertraut langsam den regelmäßigen Zahlungen und hält sich ansonsten zurück. Da er weder über das genügende Kleingeld verfügt noch das Haus verkaufen kann (3), geht das Hauskollektiv optimistisch von einer langfristigen Perspektive für das Projekt aus. Über die noch verbleibenden fünf Jahre des Nutzungsvertrages hinaus denkt jedoch kaum jemand. Gerade wegen der durch den Arbeitsmarkt geforderten Flexibilität sind die meisten mit der Situation zufrieden, auf lange Sicht nicht wirklich zu wissen, wo und wie es für jedeN EinzelneN weitergeht und ob dies auch gleichzeitig eine Zukunft mit und in dem Haus in der Merseburger Straße 17 bedeutet.
Möglichkeiten, um in das Projekt hinein zu schnuppern, gibt es derzeit vor allen Dingen über persönliche Kontakte und den regelmäßigen Sportlertreff des Tischtennisclubs jeden Freitag ab 21 Uhr. Wer Interesse am Kochen hat oder eine Veranstaltung organisieren will, kann sich auch per Mail (siehe unten) melden. Außerdem ist für nächstes Jahr ein großes Hausfest geplant, für welches weiterhin noch Leute gesucht werden, die Lust oder/und kreatives Potential mitbringen.
bonz & clov
Kontakt über:
Merseburger17@web.de
(1) Vgl. hierzu FA! #29 „Ist Lindenau denn noch zu retten“
(2) Das Modell des Haushalten e.V. sieht eine Gestattungsvereinbarung „Haus“ zwischen dem Verein und dem Besitzer und eine Gestattungsvereinbarung „Raum“ zwischen den NutzerInnen und Haushalten vor, um die Interessen beider Parteien miteinander zu vermitteln. Diese Struktur wurde insbesondere für die Revitalisierung von Häusern entwickelt und soll dann langfristig durch einen direkten Mietvertrag ersetzt werden.
(3) Das Haus gehört eigentlich einer Erbengemeinschaft. Allerdings ist die andere Partei derzeit nicht ermittelbar, weswegen dass Haus rein rechtlich nicht so einfach verkauft werden kann.