In der Geschichte hat es, so u.a. das Museum für bildende Künste Leipzig, über Jahrhunderte hinweg enge Beziehungen zwischen Frankreich und Sachsen gegeben. Auf diese Tradition scheint sich die CDU-SPD-Koalition besonnen zu haben und will sich wohl vom „gouvernement de combat“, von der „kämpferischen Regierung“ des inzwischen abgesetzten Premiers Raffarin ‘ne Scheibe abschneiden.
So lassen es zumindest die Ausmaße des Angriffs vermuten, den der sächsische Kultusminister Flath auf die Arbeitsbedingungen der LehrerInnen und der SchülerInnen unternahm. Daraufhin kam es im Mai an sächsischen Schulen zu einer der größten Streikbewegungen der letzten Jahre in dieser Region.
Derzeit unterrichten 18.000 LehrerInnen an den weiterführenden Schulen des Landes. Bis 2009 sollen 4.700 dieser Stellen abgebaut werden. Die Arbeitgeberseite stützt sich dabei auf Prognosen des Statistischen Landesamtes über den Schülerrückgang der kommenden Jahre, der bei 24 Prozent liegen soll. Um Entlassungen zu vermeiden, schlug das Ministerium eine Teilzeitregelung vor, die eine Absenkung von Arbeit und Gehalt auf 62 bzw. 73 Prozent vorsah. Sollten sich die Tarifpartner nicht einverstanden zeigen, drohte das Ministerium (mit Rückendeckung von Ministerpräsident Milbradt) mit Änderungskündigungen. Daneben sollen mehr als 82 Schulen – betriebsbedingt – geschlossen werden.
Unter diesen Vorzeichen sahen sich GEW im DGB und VBE/SLV im DBB(1) am 13. Mai gezwungen, einen Warnstreik auszurufen – die Verhandlungen waren ja nur vertagt. So kam es am 17.5. (mit Schwerpunkt in Dresden) an fast 20 Schulen zum dritten Ausstand des Lehrpersonals in 15 Jahren: die ersten drei Schulstunden fielen aus. In Sachsen ist ein Lehrerstreik rechtlich abgesichert, weil allein ein bedeutender Teil der Schulleiter verbeamtet ist. Am Folgetag wurde die Aktion ausgeweitet (3.000 Streikende an 80 Schulen). Allein in Leipzig beteiligen sich, der GEW zufolge, 2.000 Lehrende aller 60 Schulen – allerdings kommen nur etwa 700 KollegInnen, und einige Dutzend SchülerInnen, am 18. Mai bei der Streikkundgebung im Stadtzentrum zusammen. In kurzen Schlaglichtern zeichnet sich ein verheerendes Bild der hiesigen Gewerkschaftsbewegung ab: zum einen verweigert die nahe gelegende Uni-Bibliothek den Streikenden einen Stromanschluss, und begründet dies mit „Loyalität zum Ministerium“; zum anderen sind die Redebeiträge zwar teils sehr kämpferisch – in dem Sinne, zur Not „nicht nur drei Stunden, sondern drei Tage, drei Wochen, drei Monate [zu] streiken“ – sie schlagen sich aber nicht auf die Stimmung nieder: die Kundgebung dauerte nicht etwa länger, sondern nur halb so lang wie angekündigt, nämlich etwa 30 Minuten. Auch die restliche Woche tourt der Warnstreik durch Sachsen, wobei etwa 500 Chemnitzer LehrerInnen von 50 SchülerInnen unterstützt werden. Die Presse raunt zwischenzeitlich von einer ersten Koalitionskrise, während in den Schulen „die Kompetenz des Kultusministeriums […] ernsthaft in Frage gestellt“ werde – eine Einigung im Tarifstreit wird erst für Anfang Juli erwartet. Die Zeichen stehen auf Sturm: die GEW-Landesvorsitzende Gerold erklärt „Der Unmut in den Lehrerzimmern ist zum Zorn gewachsen.“ Doch in ihrer Drohung einer „vollen Konfrontation“ offenbart sich das korporatistisch-institutionelle Modell der „Bonner Republik“, wenn sie damit „jahrelange Auseinandersetzungen um die Rechtmäßigkeit von Kündigungen“ meint.
Vor dem Einstieg in die 7. Verhandlungsrunde am 25. Mai wollten GEW, VBE und SLV aber noch einmal Stärke demonstrieren und riefen für den Vortag 25.000 Lehrende, also auch die der Grundschulen, zu einem ganztägigen Ausstand auf – an diesem branchenweiten Generalstreik, der auch der bisher letzte Aktionstag der Gewerkschaften gewesen sein sollte, beteiligten sich 19.000 LehrerInnen. Zu der Leipziger Kundgebung vorm „Volkshaus“ fanden sich an diesem Tag bis zu 3.000 TeilnehmerInnen ein – der Schüleranteil hatte sich im Vergleich zum 18.5. deutlich erhöht. Über Stunden blockierten sie die Straße und diskutierten in kleineren Gruppen, was die Kollektivwahrnehmung sowohl der Lehrer als auch der Schüler gewiss gestärkt hat, wenn auch niemand wirklich zuversichtlich war. In Chemnitz sollen es 4.000, in Dresden 3.000 Demonstranten gewesen sein.
Grundschulen beteiligten sich nur zu 25 Prozent. Warum? Weil sie schon seit mehreren Jahren auf 57 Prozent Teilzeit gesetzt sind, und die GEW das mittrug und also auch durchsetzte. Ebenso wird es sich mit der Einigung verhalten, die am 31. Mai offiziell bekannt gegeben wurde: Arbeitszeitreduzierung auf 85 Prozent im kommenden und 77 Prozent in den drei folgenden sowie 79 im letzten Schuljahr und entsprechende Kürzung des Gehalts sowie des Weihnachtsgeldes; Neueinstellung von jährlich 80 bzw. 50 Lehrkräften im Mittelschul- bzw. Gymnasialbereich; Kündigungsschutz bis zum Auslaufen des fünfjährigen Tarifvertrags am 31. Juli 2010. Für die GrundschullehrerInnen wird die Mindestarbeitszeit im Vertragszeitraum um 14 Prozent auf 20 Unterrichtsstunden angehoben. Die Rhetorik der GEW à la „das maximal Mögliche, freut euch“, die nun in Mitgliederversammlungen vor der Urabstimmung grassieren wird, erstickt geradezu jegliche Hoffnung und/auf Initiative heute, so wie es die im Tarifvertrag vorgesehene zweijährige Sondierungsphase für die Zukunft tut.
In die gleiche Richtung führen auch „moralisch-ethische Fragen“ über die Betreuung und Beaufsichtigung der Kinder – gerade diesen Aspekt aber hebt die OECD als besonders wirksam hervor: „Der Streik der Lehrkräfte ist als solcher für die Regierung keine Bedrohung. Er ist aber, wie bereits festgestellt, indirekt gefährlich, da er die Jugendlichen befreit und diese demonstrieren können. Diese Streiks können sich also zu Kraftproben entwickeln, die schwierig zu handhaben sind.“ (2)
Wenn es auch „nur“ ein Warnstreik war, so war die Streikerfahrung doch für viele LehrerInnen – oder gar für ganze Einrichtungen! – ein absolutes Novum. Von daher ist es nachvollziehbar, dass die empfindlichen Punkte, nämlich Betreuung und Prüfungen, unangetastet blieben – letztere wurden selbst 2003 in Frankreich nicht berührt.
A.E.
(1) Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW); Verband Bildung und Erziehung (VBE) und Sächsischer Lehrerverband (SLV); Deutscher Beamtenbund, DBB
(2) Aus: Centre de Développement (Hg.): Cahier de politique économique N° 13 – La faisabilité politique de l’ajustement. Dt.: Wirtschaftspolitisches Heft Nr.13 – Die politische Machbarkeit der Anpassung, November 2003. Eigene Übersetzung.
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