Weder Spiel noch Ritual

Streiks gibt es viele verschiedene: Wildcat-Strike (wilder Streik), Solidaritätsstreik, Lucky-Strike (Spaß-Streik), Flexi-Streik (wandernder Streik), schließlich der schon konventionelle Warnstreik. An dieser Stelle wird von einem Indy-Strike berichtet.

In Deutschland erlebten wir zuletzt die neue Form des Flexi-Streiks. Das war die „Waffe“ der IGM in den Tarifauseinandersetzungen des Frühjahrs 2002 und stellte sich wie folgt dar: Großspurig wird der Ausstand angekündigt, dank der Leitlinienkompetenz oder Weisungsbefugnis der Gewerkschaftsspitze sah der dann aber ganz drollig aus: gestern wurde in Wolfsburg gestreikt, heute streiken die Belegschaften in Augsburg, und morgen wird Zwickau bestreikt … teilweise legte nur eine Schicht eines Werks die Arbeit nieder! Solch‘ flauschige Samthandschuhe hatte wohl selbst die Arbeit„geber“schaft nicht erwartet. Das Ergebnis war denn auch eine gütliche Einigung: die FunktionärInnen bekamen ihre Vier vor dem Komma, und die Arbeit„geber“ Innen kamen günstiger weg als erwartet (1).

Zuvor erblickte 1998 der Lucky-Strike der Studierenden das Licht der Öffentlichkeit: viele Demonstrationen und einige Institutsbesetzungen, um ein generelle Absage an Studiengebühren durchzusetzen. Wirtschaftlichen Druck aber, denn allein darauf kommt es in dieser Gesellschaft an, haben diese Proteste nicht ausgeübt. So dienten sie denn als Vorlage für den Wahlkampf der damaligen Opposition (SPD & Grüne), doch bis heute sind die Forderungen der damals Protestierenden nicht umgesetzt.

Leider völlig unbekannt scheinen hierzulande inzwischen der wilde und der Solidaritätsstreik zu sein, beide sind nämlich nicht gesetzlich gedeckt. Ganz anders verhält es sich in Frankreich: die durchschnittlich 70 Streiktage (pro Jahr und Tausend ArbeiterInnen; zum Vergleich: etwa 14 Streiktage in der BRD) sind lustig und flexibel nämlich, ohne Vorwarnung und „wild“ … und von vergleichsweise wenigen Streikenden geführt, die unabhängig (independent, daher Indy-Streik) von großen Gewerkschaften ihren Kampf beginnen. Von einem Beispiel sei im Folgenden berichtet:

ARCADE

Arcade ist ein Subunternehmen der Hotelgruppe Accor – dazu gehören unter anderem Ibis und Mercure – und versieht die Reinigung der Hotelzimmer. Die Angestellten von Arcade sind Immigrantinnen aus der sog. „Dritten Welt“ … die meisten können oftmals gar nicht lesen oder schreiben. Dementsprechend leicht war es auch, harte Arbeitsbedingungen bei geringer Entlohnung durchzusetzen. Das Arbeitsverhältnis ist in Teilzeitverträgen geregelt, häufig aber erreicht die tatsächliche Arbeitszeit glatte 35 Stunden pro Woche – die Überstunden werden nicht bezahlt. Und das läuft so: es besteht ein Quotensystem, nachdem für die Reinigung eines Zimmer exakt 17 Minuten vorgesehen sind. Wer also 3,2 Zimmer reinigt erhält 7,16 Euro als Bruttostundenlohn – 33 Cent mehr als der gesetzlich festgelegte Mindestlohn. Um den äußerst peniblen Kontrollen aber gerecht zu werden, braucht es schon mehr als ’ne Viertelstunde.

Im Frühjahr dann brachte die Entlassung von acht Angestellten das Faß zum Überlaufen. Aus Protest gegen die Arbeitsbedingungen und den Arbeitsrhythmus und für die Wiedereinstellung den Kolleginnen befinden sich seit dem 7. März 2002 dreißig der 800 Zimmerfrauen von Arcade im Streik – und kein Gewerkschaftsvorstand kann hier intervenieren, es gilt die Entscheidung der Beteiligten! Die Frauen fordern die Einhaltung der vertraglich vereinbarten Arbeitszeiten und Vollzeitverträge sowie eine Jahresendprämie von 305 Euro für alle Angestellten. Nach ihren Vorstellungen soll der Arbeitsrhythmus verringert werden auf 2,5 Zimmer pro Stunde in Drei-Sterne- und auf 3 Zimmer in Zwei-Sterne-Hotels. Des weiteren beharren sie auf der Rücknahme der Sanktionen (und besonders der acht Entlassungen).

Dieser spontane Streik in der Region Paris wäre wohl bereits in den ersten Wochen zusammengebrochen, weil die Streikenden nicht gewerkschaftlich organisiert sind und also auf ihre eigenen Ressourcen (falls vorhanden) zurückgreifen müssen. Doch in jenen ersten Wochen, die nun schon mehr als 6 Monate zurückliegen, fand sich eine Solidaritätsbewegung zusammen (darunter auch AktivistInnen der Gewerkschaften "Propreté & Service" in der SUD und "Nettoyage" in der CNT sowie Sektionen der parteikommunistischen CGT). Zusammen mit den Streikenden sorgten sie mit Protestaktionen in den Accor-Hotels für einiges Aufsehen. Besonders wichtig aber war und ist die finanzielle Unterstützung durch die alternative SUD und die Spendensammlungen der Solidaritätsgruppe.

Sollte dieser Streik Erfolg haben, hätte das nicht nur Signalwirkung auf die Angestellten von Arcade, sondern würde auf den gesamten Reinigungssektor ausstrahlen … gegen Subverträge, mittels derer sich die Arbeit„geber“ juristischer Verantwortlichkeit entziehen und Lohnsenkungen erwirkt werden können. Beispiele für das Wirken von Subverträgen finden sich auch vor Ort: die Umstrukturierung des Busverkehrs der LVB (siehe Feierabend! Nr. 2); die Unternehmensgruppe Schubert, Betreiberin der Mensa der medizinischen Fakultät (Universität Leipzig), beschäftigt nach der Entlassung von fünf Fahrern nun Zeitarbeiter zu deutlich schlechteren Bedingungen. Der Streik bei Arcade zeigt aber auch, daß es zur Auseinandersetzung keiner großen Organisation bedarf, sondern vielmehr der Entschlossenheit der Beteiligten und Betroffenen.

A.E.

(1) vgl. „Direkte Aktion“, Juli/August 2002. Näheres zu Arcade im Wildcat-Zirkular, Juli 2002; aktuelles unter www.ras.eu.org/arcades; verwandtes im Kino: „Der Glanz von Berlin“.

Streik

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