30 Jahre Mitbestimmung

– eine Party in schlechter Gesellschaft

Ende August beging der DGB in Berlin das 30jährige Bestehen des „Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer“ als eine Erfolgsgeschichte. Denn, so Michael Sommer, „Mit­be­stim­mung verringert das Konfliktpotenzial, fördert Kreativität und Motivation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, bremst unverantwortliche Heuschrecken aus und ist deshalb ein Erfolgsfaktor für den Standort Deutschland.“ Auch Merkel erntete höflichen Applaus, als sie dies in ihrer Festrede unterstrich. Es dürfte ihr nicht weiter schwer gefallen sein, denn die Einflussnahme durch Mitbestimmung tut keinem Unternehmer wirklich weh, ist aber dennoch dazu geeignet, den sozialen Konsens in der Gesellschaft her­zustellen und zu bewahren.

Im Wesentlichen wird die Mitbestimmung durch Betriebs- bzw. Personalräte oder gewerk­schaft­liche Aufsichtsratsmitglieder ausgeübt. Die ihnen dafür zur Verfügung stehenden Mittel sind im „Betriebs­ver­fas­sungs­gesetz“ und im bereits angesprochenen „Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer“ niedergelegt und sehen auf dem Papier erstmal ganz gut aus. Wie ein großer Gemischtwarenladen mit den verschiedensten Werkzeugen, die nur von wenigen Menschen benutzt werden können, um ein bisschen an der Maschine herumzudrehen. Jedoch sind sie, um im Bild zu bleiben, nicht geeignet die Ma­schine auseinanderzunehmen. Ein Veto hier, ein Veto da, und immer die Versicherung, nach §2 des BetrVG das Wohl des Betriebes im Auge zu haben und den Betriebsfrieden zu sichern. So hat der Betriebsrat einen überwiegend reaktiven Charakter, seine Aktivität beschränkt sich auf die Wahrnehmung der Informations- und Vetorechte … und zwar auf dem formalen Wege, also wenn beispielsweise bestimmte Fristen nicht ein­gehalten wurden – die Arbeit der Betriebsräte ist im wesentlichen Papierkrieg.

Reicht es den etablierten Gewerkschaften, vorher gefragt zu werden, bevor sie Dinge zulassen, die sie nicht ver­hindern können? Oder heißt Mitbestimmung eher, teilzuhaben an den Spielchen und sonderbaren Ver­gnü­gungen der Manager… ? Spätestens über Sitze im Aufsichtsrat (die betriebliche Mitbestimmung im engeren Sinne) werden die Gewerkschaften in die Mechanismen der kapitalistischen Unternehmensführung einge­bun­den und ihres Zweckes beraubt, nämlich offensiv und kollektiv die Situation der Lohnabhängigen in jeder Hinsicht zu verbessern. Die Delegation einzelner weniger aus den Abläufen des Betriebes hinaus in die Betriebsräte, wie es das Stellvertreterprinzip vorsieht, entzieht diese der Kontrolle derjenigen, die sie gewählt haben. Was dabei herauskommt lässt sich, im Großen, an den Parlamenten ablesen.

Wie anders lässt sich erklären, dass Betriebsräte bei Umstrukturierungen, wie etwa neuen Arbeits­zeitregelungen, Auslagerung von Betriebsteilen, Schließung von Abteilungen – um nur einige Dinge aus dem Arsenal der „Arbeitgeber“ zu nennen – gemeinsam mit Gewerkschaftsvertretern nur noch den Verlust von Beschäftigung beklagen … als ob es alle Lohnabhängigen für gesund hielten, jeden Tag fremdbestimmt schaffen zu gehen. Auch wenn sie wissen, dass sie auf diesen Erwerb angewiesen sind. Fokussiert auf den Standort Deutschland, auf immerwährende Beschäftigung und ihre Rolle als Sozialpartner tun die Gewerkschaften und die ihnen eng verbundenen Betriebsräte so, als bräuchte es nur ein bisschen Verhandlung und Entgegenkommen von beiden Seiten und alles würde gut. Als gäbe es keinen Interessengegensatz zwischen Kapital und Lohnabhängigen! Wenn dem so wäre, wozu bräuchte man dann Gewerkschaften?

Bekanntlich wird die Notwendigkeit gewerkschaftlicher Organisierung ja von einigen Unternehmer­verbänden in Frage gestellt. Sie wollen damit verschleiern, was auch die etablierten Gewerkschaften nicht in den Vordergrund stellen: Was alle Lohnabhängigen eint, ist ihre Situation. Und was ihnen hilft ist allein ihre Solidarität. Davor fürchten sich die Unternehmen, weil so klar würde, wer auf wen angewiesen ist. Deshalb sind ihnen ihre Betriebe ganz ohne Gewerkschaften am liebsten, deshalb machen sie weiterhin Front gegen die betriebliche Mitbestimmung, ist sie heute doch das deutlichste Zeichen gewerkschaftlicher Organisation. Ein Augenzwinkern schenkte ihnen die Kanzlerin, als sie in ihrer Festrede bei allem Lob auch den Wunsch nach Veränderung der bisherigen Mitbestimmungsrechte äußerte – im November soll die Biedenkopf-Kommission einen Bericht zum Thema vorlegen.

Mögen die etablierten Gewerkschaften ihre eigene Entzauberung feiern. Doch was geschieht, wenn die Mitbestimmung umgestaltet, sprich langsam abgeschafft wird? Spanische oder französische Verhältnisse? Etwas Dynamik ist im Sinne einer Entwicklung hin zu offensiveren Positionen unabdingbar, die deutsche Streikmüdigkeit dürfte mit erlittenen Reformen allein allerdings nicht vertrieben werden. Notwendig erscheint vielmehr, dem Stellvertreterprinzip den Rücken zu kehren und die Bildung eigenständiger und handlungsfähiger Betriebsgruppen voranzutreiben. Nirgendwo, in keinem Gesetz und auch nicht im Selbstverständnis der Gewerkschaftsspitzen, sind solche selbstbestimmt handelnden Syndikate vorgesehen – ihre Legitimität und Stärke beziehen sie aus dem Willen der Lohnabhängigen selbst. Nur wer sich in seiner Organisation nicht auf unkontrollierbare Stellvertreter und dehnbare Paragraphen stützt, sondern auf Vertrauen und Aktivität, wird auf die optimale Durchsetzung seiner Interessen hoffen können. Die Zukunft liegt nicht in der politischen Verteidigung toter Mitbestimmungsrechte, sondern in der Aufkündigung der verlogenen Sozialpartnerschaft und in einer Gewerkschaftsbewegung in den Unternehmen, die Rechte sichert und erkämpft.

Oskar Pfeiffer

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