Das Dilemma des Datenschutzes
30 Jahre alt ist der deutsche Datenschutz dieses Jahr geworden – in Schleswig-Holstein und auf Bundesebene. Der Leiter des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz (ULD) Schleswig-Holstein und Landesbeauftragte für den Datenschutz Thilo Weichert nutzte das Jubiläum für ein vorläufiges Fazit. Dieses fiel so aus, wie man es hätte erwarten können: In Schleswig-Holstein läuft es super, auf Bundesebene nicht.
So hielte, „obwohl das Bundesverfassungsgericht (…) festgestellt hat, dass das heimliche Ausspionieren von privaten PCs nur unter engen Voraussetzungen zulässig ist“, die Bundesregierung an ihren Plänen fest. Ebenso habe das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zum KFZ-Kennzeichen-Scanning „unmissverständlich seine langjährige Rechtsprechung bestätigt“ – die anlasslose automatische Erfassung von Autokennzeichen sei verfassungswidrig. Auch die Vorratsdatenspeicherung sei vom Verfassungsgericht teilweise gestoppt worden. Dennoch hielte „die Bundesregierung trotzig und ohne Einsicht zu zeigen“ an der Umsetzung des Gesetzes fest. Und: „Sie setzt noch eins drauf, indem sie die Umsetzung eines EU-Rahmenbeschlusses weitertreibt, wonach die Passagierdaten von sämtlichen Flügen in die und aus der EU 13 Jahre lang für polizeiliche Zwecke gespeichert werden sollen.“ Dadurch würde das Vertrauen der Bevölkerung in die Sicherheitsbehörden gefährdet.
Nun ist ein gewisses Misstrauen den Behörden gegenüber wohl ohnehin nicht verkehrt. Es sei denn, man lebt in Schleswig-Holstein. Dort steht nämlich (fast) alles zum Besten, wenn man Weichert glauben will. Die Landesregierung habe zum Beispiel „signalisiert, dass sie die Rechtsprechung des Verfassungsgerichts zum KFZ-Kennzeichen-Scanning respektiert.“ Auch trage sie „die Regelungen des modernen Landesdatenschutzgesetzes Schleswig-Holstein (…) und deren Umsetzung voll und ganz mit“ und unterstütze das ULD „bei seinen Bestrebungen zur Weiterentwicklung des präventiven Datenschutzes“.
Dass es sich Herr Weichert mit seinen Arbeitgebern nicht verderben will, ist verständlich, ebenso wie sein Bedürfnis, die Erfolge der eigenen Arbeit herauszustellen. Dennoch zeigt seine Rede exemplarisch die Klemme, in der der Datenschutz steckt.
Legal, illegal… egal
Denn der Maßstab, an der sich die Arbeit der Datenschützer ausrichtet, ist nun mal das Gesetz. Kritik an neuen Überwachungsmaßnahmen ist so nur möglich, wenn diese gegen bestehendes Recht verstoßen. Das kommt oft genug vor: Neue Überwachungsmaßnahmen einzuführen, für die erst noch die rechtlichen Grundlagen geschaffen werden müssen, ist eine gängige Praxis der Behörden. So lief es etwa bei den Online-Durchsuchungen: Die wurden schon seit Ende 2005, also noch in der Amtszeit des früheren Innenministers Otto Schily praktiziert (und durch eine Dienstvorschrift des Bundesinnenministeriums ausdrücklich empfohlen). In einem Urteil vom April 2007 stellte der Bundesgerichtshof schließlich fest, dass diese Praxis rechtswidrig sei. Die Folgen sind bekannt: Derzeit bemüht sich Schilys Amtsnachfolger Schäuble eifrig (und mit Erfolg) um die Schaffung rechtlicher Grundlagen für die Online-Durchsuchungen.
In so einem Fall – wenn nicht etwa die Überwachungsmaßnahmen dem geltenden Recht angepasst werden, sondern das Recht den Überwachungsmaßnahmen – läuft der datenschützerische Protest ins Leere. Mehr noch: Die Datenschützer selbst tragen gezwungenermaßen zur Legalisierung neuer Überwachungsmaßnahmen bei, wenn sie illegale Praktiken der Behörden kritisieren.
Die ständige Berufung auf das Bundesverfassungsgericht als letzte Bastion der Rechtsstaatlichkeit ist ein Symptom für diese Hilflosigkeit. Auch wenn Datenschützer und Bürgerrechtler dessen Urteile zur automatischen Erfassung von KFZ-Kennzeichen und zur Vorratsdatenspeicherung als grundlegende Erfolge feiern, zeigt ein nüchterner Blick, dass dem nicht so ist. Das Gericht ist weit entfernt davon, diese Überwachungsmaßnahmen zu stoppen – es fordert nur klare Richtlinien für deren Anwendung. Eine generelle, verdachtsunabhängige Bespitzelung unschuldiger Bürger soll ausgeschlossen werden. Dass diese Urteile größere Konsequenzen für die Arbeit der Behörden haben werden, kann man bezweifeln. Denn ob mit klaren Vorgaben oder ohne werden sich die Beamten nur in Ausnahmefällen dafür interessieren, was der „unbescholtene Bürger“ so treibt – die Frage ist nur, wo die Grenze zwischen „unbescholten“ und „schuldig“ verläuft und wer diese festlegt.
Die üblichen Verdächtigen
Auch das ist ein Problem des institutionellen Datenschutzes: Zur Debatte stehen für diesen nur die Mittel, nicht die Zwecke staatlichen Handelns. Dass Kriminalität bekämpft werden muss, gilt als unhinterfragbare Tatsache – lediglich über die Zweck- und Verhältnismäßigkeit der dafür zum Einsatz kommenden Mittel kann diskutiert werden. Nur ist „Kriminalität“ keine feststehende Größe, sondern Ergebnis einer von vielfältigen Interessen motivierten Einteilung menschlichen Handelns in unerwünschte und erwünschte, „illegale“ und „legale“ Handlungen. Wenn mensch nicht nur in nostalgischer Manier den Gesetzen von heute die Gesetze von gestern entgegenstellen will, kommt man nicht um die Frage herum, welche Ziele hinter dieser vom Staat vorgenommenen Einteilung stehen.
Dies können die Datenschützer nicht leisten, sie sind durch ihr Amt an den Rechtsstaat gebunden und können diesen Rahmen nicht überschreiten. Problematischer ist noch, dass sie diesen Rahmen auch nicht überschreiten wollen. So ist es zumindest zu interpretieren, wenn Weichert beklagt, dass das „Vertrauen der Bevölkerung in die Sicherheitsbehörden“ durch immer mehr Überwachung gefährdet würde. Hier müsste eine außerparlamentarische Bewegung in die Bresche springen – einen „Beauftragten für Gesellschaftskritik“ wird es in absehbarer Zeit aus offensichtlichen Gründen nicht geben.
Trotz dieser Beschränktheit des institutionellen Datenschutzes sollen aber auch die positiven Aspekte nicht verschwiegen werden. Immerhin kann der Datenschutz dazu beitragen, den Forderungen nach immer neuen Überwachungsmaßnahmen die diskursive Oberherrschaft streitig zu machen. Zudem sind zwar Polizei und Geheimdienste formal dem Recht unterworfen, Gesetzesverstöße sind dabei aber schon einkalkuliert. Seien es nicht genehmigte Abhörmaßnahmen oder unbegründete Polizeiübergriffe bei Demonstrationen – der Rechtsbruch, das willkürliche Außerkraftsetzen der Regelungen, an die die ausführenden Organe des Rechtsstaates angeblich gebunden sind, ist die Voraussetzung dafür, dass diese ihre Funktion wirklich ausüben können. Eine Kontrollinstanz, die vehement auf die Einhaltung der Gesetze pocht, kann solche „Auswüchse“ vielleicht nicht verhindern. Aber sie kann den Verantwortlichen immerhin gelegentlich auf die Nerven gehen. In Anbetracht der derzeitigen Kräfteverhältnisse kann man dafür schon dankbar sein.
(justus)