Albrecht Paluttke – Folge 3

Block-Schnäppchen

Puh – das wär’s. Jetzt noch den Krempel zur S-Bahn und dann geht’s ab. Früh um 5 is ja auch wirklich ne blöde Zeit um in Urlaub zu fahren, aber ich bin froh, daß wir überhaupt noch ´nen Flieger gekriegt haben. Bulgarienurlaub – Mann, wenn ich mir das früher nur vorgestellt hätte! Da hätt´ ich doch´n Jahr lang Sonderschichten schieben müssen. Heutzutage ist das ja der Billigurlaub schlechthin und dabei gar nicht mal schlecht. Ich krieg´ ja immer feuchte Augen, wenn ich seh´ wie da unten teilweise noch der Osten pur herrscht. Dass die das nicht aus Spaß machen, ist natürlich noch ne ganz andere Geschichte; da geht’s uns noch richtig gut, im Vergleich zu denen. Da würde sogar Dieter das Jammern vergehen. Aach, jetzt bloß nicht mehr an Dieter denken. Da kann ich ja gleich hier bleiben! Was mich das beschäftigt hat die letzte Zeit – und schlafen konnt ich auch wieder nicht! Alles fing an, als wir letzte Woche im Garten saßen. Ich hab ja gleich gemerkt, dass mit dem Dieter was nicht stimmt. Wenn man so lange zusammen den Leipziger Nahverkehr bedient hat, merkt man doch gleich, wenn einer was aufm Herzen hat. Nicht dass ihm das Bier nicht geschmeckt hätte – da war er wie immer Top in Form. Aber ziemlich abwesend und wortkarg halt, und trotzdem, als ob er mir irgendwas zu sagen hätte. Irgendwann als er dann seine Kippe im Geranientopf ausdrückte, ist mir der Geduldsfaden gerissen: „Mensch Dieter hör auf – die Rita macht mich doch rund! …und jetzt lass endlich mal die Katze aus´m Sack – was is´n heute mit dir los?!“

Na ja“, fing er an zu stammeln, „Palluttke, ich wollt´s dir ja schon lange mal erzählen, aber ich weiß ja gar nich´ wie ich’s dir erklären soll – du wirst das eh nich´ so gut finden. Ich kenn ja deine Meinung zu solchen Gegenden. Aber es gibt nun mal driftige Gründe… Na jedenfalls ziehen wir um! Natürlich in was Billigeres – was richtig Billiges. Inge und ich ham´s satt ständig immer nur mit so paar Kröten in der Tasche rumzuhängen und ab nächstes Jahr soll´s ja noch enger werden mit der Stütze. Natürlich sind wir dann nicht mehr in Stötteritz, sondern… in Grünau halt. So, jetzt isses raus Pallutke… jetzt kannste von mir denken, was de willst, aber wir geh´n demnächst in einen von diesen Billigblöcken, die erst abgerissen werden sollten und jetzt unsaniert angeboten werden.“

Ich dacht ja erst mir bricht der Gartenstuhl weg, (nun gut, die alten Alu-Teile sind zwar noch ausreichend, bei solchen Hiobsbotschaften, kann man aber mittlerweile schon mal kurz die Orientierung drin verlieren) „Mensch Dieter“, fing ich an zu stammeln, „doch nicht etwa diese ollen Blöcke, wo die LWB jetzt an sozial schwachen Leuten Kohle verdienen will, wenn nächstes Jahr mit dem Hartz IV, dieses Arbeitslosengeld 2 eingeführt wird. Da kommt doch nichts Gutes bei raus – das wird doch´n einziges Elends-Getto! …und da wollt ihr hin?“

Problemkind war er ja schon immer unser Dieter. Aber bei uns in der Brigade war das damals nie´n Thema; der Dieter der gehört zu uns, haben wir letztendlich immer gesagt, wenn´s mal wieder schlecht lief mit ihm. Irgendwie haben wir´s immer geschafft ihn mit durchzuschleifen und seine kleinen und großen Eskapaden zu deckeln. War ja auch sonst ´n feiner Kollege und irgendwie hat er´s ja fast immer wieder ausgebügelt. Klar war´n wir manchmal sauer, aber wer konnte dem schon lange böse sein? Wenn ich nur an Geschichten, wie Dieter als steppender Straßenbahn-Entertainer, denke… Der hat´s mal drauf gehabt, mitten in der Hauptverkehrszeit total besoffen die Fahrgäste mit Showeinlagen zu Klassikern aus dem Kofferradio zu unterhalten, anstatt die verdammte Bimmel endlich Richtung Taucha zu bewegen. War natürlich nicht so toll für den Fahrplan…, aber die Massen haben getobt und geklatscht und so mancher hat dabei seinen Alltagsstress vergessen und mitten im öden Feierabendtrott mal wieder ein Leuchten in die Augen gekriegt.

Ich meine, er hat sich ja nun ganz schön gefangen im Laufe der Jahre. Vor allem Inge hat da auch ´ne große Rolle gespielt. Aber von diesem schmalen Grat kurz vorm sozialen Absturz, da isser irgendwie nie ganz weggekommen. Die letzten Jahre, nachdem wir alten Säcke alle abgewickelt worden waren, ging’s ihnen dann wohl eh ´ne Weile nicht so gut, aber dass es schon so weit ist, hätt ich ja nun nicht gedacht. Und wenn gerade der jetzt noch in so ´ne Gegend kommt… Vor allem ist ja dann abzusehen, dass dann dort massenhaft richtig verkrachte Existenzen landen – da kriegt der doch gar nichts mehr auf die Reihe!

Ich hab ihm dann versucht klar zu machen, dass ich ja nicht grundsätzlich gegen Grünau bin. Klar, wer dort wohnen möchte – wäre ja auch blöd, wenn alle nach Stötteritz gehen würden. Aber ich weiß doch auch, dass er sich dort auf keinen Fall wohlfühlen würde und letztendlich werden ihm die paar gesparten Kröten wohl kaum sein vertrautes Umfeld ersetzen. Na ja, wir haben uns dann noch ziemlich lange unterhalten, was man sonst so machen könnte und auch paar gute Ideen gehabt. Irgendwie schien er dann schon bisschen erleichtert zu sein und hat mir dann versprochen noch mal drüber zu schlafen und auch mit Inge zu reden.

So, jetzt muss ich noch mal kucken, ob hier auch alles aus ist. Na ja, Olaf wird schon mal nach dem rechten schauen kommen. Der ist doch eh froh, wenn er die Bude mal für sich und seine „Revoluzzer-Freunde“ hat. Solange die hier alles wieder aufräumen… Bloß dass mir hinterher nicht noch mal irgendwelche komischen Kekse rumliegen und Rita kichert wieder die ganze Nacht.

Was? Nein nein, ich träume nicht rum. Klar hab ich die Pässe… und die Tickets auch, ja. Jawoll Rita – kann losgehen!

lydia

früh um 5 in stötteritz

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