Anarchie in Warschau 2003

Vom 27.-30.06. fand in Warschau die anarchistische Osteuropa-Konferenz (siehe Aufruf FA!#6) statt. Verschiedene Gruppen und Projekte mit libertären Ansätzen, hauptsächlich aus den ehemaligen Ostblockländern, fanden sich zu einem Erfahrungsaustausch, zur Diskussion neuer Strategien sowie zum Knüpfen neuer Kontakte zusammen.

 

Die Teilnehmerinnen waren schon in den Einladungen zu einer hohen Eigenin­itiative und dem Vorstellen Ihrer lokalen Projekte aufgefordert worden. So wurde auch über die Repression gegen die Satire­zeitschrift in Navinki in Weißrußland be­richtet (siehe S. 1/2). Aus Weiß­rußland und der Ukraine sorg­ten zwei Theatergruppen mit sozialkritischen Stücken für die kulturelle Untermalung.

Anfangs nur wegen des güns­tigen Datums für diesen Zeit­raum angesetzt, um anschließend gemeinsam zum Grenzcamp nach Krynki an der weißrussischen Grenze zu fahren, kam es im Verlaufe der Vorbereitung zur Abspaltung einer Gruppe, die schon die Konferenz selbst direkt in den Kontext der Grenzcamp-Vorbereitung setzen wollte. War man sich im Vorfeld noch da­rüber einig gewesen, das Problem der neuen EU-Außengrenze im Osten Polens und der neuen Visa-Pflicht mit in die Konferenz einfließen zu lassen, kam jedoch keine Einigung über die Gewich­tung des Themas zustande. Aus diesem Grund entstand die pa­radoxe Situation, dass zur selben Zeit, im selben Gebäude, Tür an Tür mit dem AnarchistInnentreffen eine Antiborder-Konferenz stattfand. Teilneh­merinnen waren irritiert, wenn sie über einen speziellen Workshops zu hören be­kamen: „…wissen wir nicht — das gehört zur Anarchokonferenz.“ Die inhaltliche Qualität des Treffens litt spürbar darunter, obwohl zumindest schon die Begegnung an sich für die meisten Teilnehmerinnen des Treffens einen hohen Gewinn darstell­te.

Zum offenen Konfliktausbruch kam es nach der nicht angemeldeten Demonstra­tion am Montag, bei der über eine der größten Brücken Warschaus ziehend, der Verkehr fast zum Erliegen gebracht wur­de. Warnenden Stimmen bezüglich des Ab­schieberisikos für z.B. die weißrussischen und ukrainischen Teilnehmerinnen wur­de nur sehr nachlässig begegnet, was nur noch zu einer weiteren Vertiefung der Differenzen zwischen den Organisatorinnen führte. Dass es bei den folgenden kurzzei­tigen Gewahrsamnahmen und „nur“ 50 Zloty Strafe für jeden der 16 Verhafteten blieb, kann als großes Glück angesehen werden. Andererseits wird den meisten, wie immer, gerade diese spektakuläre Aktion als das obligatorische Adrenalin-&-Schweiß-Happening mit dem „Weißt Du noch…?!“-Effekt in Erinnerung bleiben.

Trotz aller Pannen und Kon­flikte wurde von den meisten Teilnehmerinnen eine eher positi­ve Bilanz gezogen. Dies vor allem im Vergleich zu den mehrfach in den 90igern stattgefundenen „Ost/West-Konferenzen“, welche für weitaus weniger Resonanz gesorgt hatten. Oft wurde hier zu sehr in den Denkschemen der westeuropä­ischen Gruppen (nicht selten aus der Perspektive einer besseren so­zialen Absicherung heraus) gedacht und geurteilt, welche sich aufgrund von Mentalitäts- und Struktur­unterschieden nicht immer auf die osteuropäischen Verhältnisse über­tragen lassen.

lydia

Links zu osteuropäischen gruppen: www.nadir.org/nadir/initiativ/osteuropa/

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