Anarchismus im 21. Jahrhundert

Vom A-Kongress in Berlin

Vom 10. bis 13. April sollte in der Berliner Technischen Universität (TU) der Kongress „Anarchismus im 21. Jahrhundert – Anarchie organisieren“ stattfinden. Doch im Vorfeld sorgte eine zwei Tage vor Veranstaltungsbeginn gestartete Diffamie­rungskampagne seitens der Springer-Presse B.Z. dafür, dass die vorgesehenen Räumlichkeiten der TU den Kon­gress­teilneh­mer_innen verschlossen blieben. Am 08. April titelte das Klatsch­blatt mit der Schlag­zeile „Chaoten planen TU-Kongress“. Im zugehörigen Artikel werden Randale an der Hochschule vermutet, dem Programmheft des Kongresses der Aufruf zu kriminellen Handlungen unterstellt und Angst vor einem angeblich angestrebten „Gesellschaftssystem ohne Regeln“ geschürt. Von theoretischer Weiterbildung, Austausch und Vernetzung ist in dem Text keine Rede. In einer Mitteilung der Pressegruppe des A-Kongresses hingegen wird betont, dass die Veranstaltung „entgegen dem verbreiteten Klischee eines sogenannten Chao­tentreffs […] frei, friedlich, selbst or­ganisiert und ungezwungen eine Dis­kussionsplattform für kritische Betrachtungen der aktuellen wirtschaftlichen und politischen Situation anstrebt“. Noch am Tag der Veröffentlichung des B.Z.-Artikels zog die TU-Leitung ihre Genehmigung für die Nutzung der Räum­­­­­lich­keiten zurück, ob­wohl der AStA (Stu­die­ren­den­ver­tretung) der TU den Kongress lange vor­her angekündigt und die Räume re­ser­viert und auch zugesagt bekommen hatte.

Obwohl der Kongress damit von der sicherlich öffentlichkeitswirksameren universitären Struktur zurück in die Kreuz­berger subkulturelle Nische gedrängt war, funktionierte Plan B dank Selbstorga­nisa­tion und schönem Wetter bestens. Zwar mussten die größeren Veranstaltungen und der Open Space draußen auf einer leider etwas unruhigen Wiese stattfinden – aber die Location, die New Yorck (Raum emanzipatorischer Projekte) im Bethanien am Mariannenplatz, war doch sicherlich viel schöner…

Die paar hundert Besucher_innen waren nicht nur aus Deutschland, sondern auch aus Russland, England und Schweden angereist. Einige der geplanten Veranstaltungen mussten leider wegen des kurzfristigen „Umzugs“ und der geringeren technischen Möglichkeiten ausfallen. Dennoch gab es eine Vielzahl an Vorträgen, Diskussionen und Workshops zu einem breitgefächerten Themenspektrum (siehe linker Kasten), außerdem präsentierten sich verschiedene Gruppen und versuchten ihre Form der Organisierung schmackhaft zu machen.

Es ging aber nicht nur um die Selbstdarstellung der verschiedenen Strömungen, sondern es wurde auch Selbstkritik an den fast schon traditionellen Missständen innerhalb der Szene laut. Das Verharren im „subkulturellen anarchistischen Ghetto“ wurde ebenso thematisiert wie die problematische Zusammensetzung der Szene aus hauptsächlich männlichen weißen Menschen aus der Mittel- und Oberschicht. Eine Lösung wurde selbstverständlich (noch) nicht gefunden, genauso wenig wie die der männlichen Dominanz allgemein, die sich auch darin widerspiegelte, dass die meisten Veranstaltungen von Männern angeboten wurden (sogar der Anarcha­femi­nis­mus-Vortrag). Die Or­ga­ni­sa­tor_innen hat­ten sich bewusst gegen eine Quotierung der Veranstaltungen entschieden, da sie eben der angestrebten offenen Orga­ni­sa­tions­struktur widersprochen hätte.

Die rege Teilnahme und die insgesamt sehr gute Stimmung zeugten von dem vorhandenen Bedürfnis nach intensiverer Auseinandersetzung mit der Theorie der Herr­schaftsfreiheit. Leider lässt sich diese bei sol­chen kurzen Großveranstaltungen nicht verwirklichen, sondern kann in der Tiefe und im Zusammenhang mit aktuell relevanten Themen, wie bspw. dem Poststrukturalismus, nur in kontinuierlicher lokaler Auseinandersetzung passieren – und die ist leider immer noch selten.

Ob es in drei oder sechs Jahren einen nächsten von der anarchistischen Föderation Berlin veranstalteten Kongress geben wird, bleibt laut Veranstalter_innen abzuwarten. Wohl aber schienen einige Menschen aus Österreich von der Idee des Kongresses so angetan, dass es Aussichten auf einen A-Kongress 2011 in Wien gibt… Wer bis dahin nicht warten mag, dem/der seien die A-Tage in der Roten Flora in Hamburg vom 12. bis 14. Juni 2009 ans Herz gelegt.

„Kongressauflösung“

Noch ein paar Worte zum eher abrupten Ende des Kongresses am Sonntagabend.

Am Sonntagabend wurde der Kongress offiziell aufgelöst. Dies war der Endpunkt einer Auseinandersetzung, die am Sam­stagabend ihren Anfang durch das respektlose Auftreten einer Gruppe nahm, die sich als sexuelle Befreier_innen verstehen, Kritik an ihrer Nacktheit jedoch mit einer homophoben Beleidigung beantworteten. Weder das provozierende Aufdrängen ihrer Nacktheit, noch die Beleidigung führten zum direkten Rauswurf und so spitzte sich die Situation im Laufe des Sonntags durch ein neuerliches Entkleiden und absolute Uneinsichtigkeit zu. Ein Rausschmiss wurde nach stundenlanger Diskussion nicht verwirklicht, da bei einem Teil der Besucher_innen der Eindruck entstand, sie sollten nur aufgrund ihrer Nacktheit ausgeschlossen werden, worauf viele mit Unverständnis und relativer Unterstützung (zumindest durch Passivität) reagierten. Dadurch sahen die Organisator_innen einen antisexistischen Schutzraum nicht mehr gewährleistet und fühlten sich veranlasst den Kongress offiziell aufzulösen. Hier ist leider nicht der Platz um das Thema angemessen aufzuarbeiten, deshalb möchte ich für nähere Informationen und ausführliche Stel­lungsnahmen auf das Wiki des Kongresses, genauer auf die Diskussionsseite unter „Kongressauflösung“, verweisen.

pieke & konne

(www.ainleipzig.blogsport.de)

Mehr Informationen, Protokolle zahlreicher Veranstaltungen und teilweise auch Audio­aufnahmen findet ihr auf dem Kongress-Wiki: www.akongress.org/

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