Antifa in der Krise? Antifa in der Krise!

Seit nunmehr etwa 30 Jahren sind antifaschistische Gruppierungen damit beschäftigt, in der Bundesrepublik einen Kampf gegen den Faschismus zu organisieren – mit mäßigem Erfolg. Immer wieder ist es in den vergangenen Jahrzehnten, trotz vehementer antifaschistischer Agitation, zu Übergriffen auf Asylbewerberheime und Migrant_innen gekommen. Die Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrundes bildet da nur den absoluten Höhepunkt. Fremdenfeindliche Diskussionen finden in vielen demokratischen Leitmedien aus Rundfunk und Fernsehen seit Jahrzehnten regelmäßig statt. So diente der Spiegel im September 1991, ein knappes Jahr vor den Ausschreitungen von Rostock-Lichtenhagen, als Brandbeschleuniger für einen von Christ- und Sozialdemokraten seit den 1980er Jahren intensiv betriebenen, ausländer- und insbesondere asylbewerberfeindlichen Diskurs, als das Magazin titelte: „Flüchtlinge, Aussiedler, Asylanten – Ansturm der Armen“. (1) Auch als konsequente Argumentationshilfe für antimuslimische Rassist_innen traten demokratische Leitmedien in den letzten Jahren hervor.

Im Jahre 2004 berichtete der Spiegel über „Allahs Rechtlose Töchter“, im dazugehörigen Leitartikel durfte Alice Schwarzer die Öffentlichkeit über den schwierigen Umgang der Deutschen mit Musliminnen und den wachsenden Einfluss des Islam“ aufklären, im Jahre 2006 dann vom heiligen Hass“ der Muslime gegen die aufgeklärte Welt, und 2007 über die stille Islamisierung“ Deutschlands berichten. (2) Dass Thilo Sarrazin wenig später mit unverhohlenem Rassismus publizistische Erfolge erzielen konnte, verkommt da schon fast zur Randnotiz. Um den Antifaschismus in Deutschland scheint es nicht gut bestellt zu sein. Die Interventionistische Linke (IL) hatte deshalb im April in Berlin zu einem Kongress unter dem Motto „Antifa in der Krise?“ geladen.

Für die Organisator_innen stellte sich die Problematik dabei wie folgt dar. Es sei ein Erstarken rechter Bewegungen, Parteien und Bündnisse in Deutschland und im europäischen Ausland zu beobachten: „Der antisemitische und extrem rechte Front National um Marine Le Pen und die niederländischen Rechtspopulist_innen um Geert Wilders rücken zusammen und schmieden ein Bündnis gegen Europa. […] Auch in Deutschland wird auf dieser Klaviatur gespielt. Die NPD versucht, aus ihrer desolaten Situation durch die von ihr vielfach gesteuerten Proteste gegen Flüchtlingsunterkünfte herauszukommen. Mit der Alternative für Deutschland ist ein Parteiprojekt entstanden, in dem sich marktradikale Eurogegner_innen bis hin zu extrem rechten Kräften sammeln.“ (3) Die „neue Herausforderung“ bestünde nun darin, zu ermitteln, wie sich dieses Äußerliche in der Agitation der Rechten genau verändert haben könnte, und wie man als Antifa auf diese Veränderung im Äußerlichen des politischen Gegners am besten zu reagieren habe: „Nicht nur in Deutschland bringen sich neofaschistische und rechtspopulistische Parteien in Stellungen. Überall in Europa nutzen sie die aktuelle Situation zur Neugruppierung ihrer Kräfte. […] Wie sind die Veränderungen im Lager der extremen Rechten zu bewerten? Welche Rolle spielen die sich verändernden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen im Zeichen der Krise? Welche Schwerpunkte sind in der eigenen Arbeit zu setzen? Wie können geeignete Gegenstrategien aussehen?“ Diese Debatten seien notwendig, denn die „antifaschistische Bewegung tut sich mit der Analyse dieses europäischen Rechtsruck schwer“. (3)

Dieses zurecht festgestellte Unvermögen einiger Antifas, den Faschismus zu erklären, stellt jedoch keine Schicksalsfügung dar, sondern lediglich das Resultat einer gewollten Politik von Antifas wie der IL selbst, die sich mit Äußerlichkeitsbeschreibungen des politischen Gegners aufhalten, und sich bereitwillig zu Parteigängern der bestehenden Verhältnisse machen. Diesbezüglich ist die IL ein besonders drastisches Beispiel. Dem deutschen Parlamentarismus stellt sie, in den Worten Franz Josef Strauß’, ein befriedigendes Zeugnis aus: „Noch hat sich in Deutschland bundesweit keine Partei dauerhaft und erfolgreich rechts von CDU/CSU etablieren können. Doch immer wieder kommt es zu Vorstößen“. Ihr Urteil, die Union im Parlament sei immer noch besser als die NPD, lässt sich die IL auch nicht dadurch beschädigen, dass sie anschließend selbst feststellt, beim Verbreiten rassistischer Parolen sei „immer auch die bayrische CSU“ mit dabei. (3)

Die IL will den Faschismus bekämpfen, aber mit dem Staat als Waffenbruder. Ihre Integration in die Klassengesellschaft wertet sie daher auch als großen Erfolg. So ist IL-Mitglied und Mitorganisator des Antifa-Kongresses Henning Obens sehr stolz darauf, wenn auch einmal „jemand von uns“ in der Tagesschau sprechen darf. (4) Für Aktivist_innen mit einem Selbstverständnis wie Obens muss die Überraschung da natürlich groß sein, wenn derselbe Staat, den sie verzweifelt um Anerkennung für ihre Agitation ersuchen, ihnen dennoch „keinen Fuß breit traut“, sie beständig observiert, und ihnen Polizei und bundesrepublikanische Staatssicherheit ins Szenelokal oder in die Wohnung schickt, sobald einzelne Mitglieder auch nur im Verdacht stehen, die staatlich genehmigte antifaschistische Marschroute in Richtung Antikapitalismus verlassen zu haben. Doch für Obens ist der Verzicht auf Antikapitalismus als Grundlage antifaschistischer Agitation ohnehin kein Problem: „Auf diese politischen Konstellationen müssen wir auf der Höhe der Zeit reagieren. Das auf die Parole »Hinter dem Faschismus steckt das Kapital, der Kampf ist international« herunterzubrechen, […] geht dann nicht mehr. Daran ist zwar ganz viel Wahres, doch es spiegelt eben längst nicht alles wider.“ (4)

Obens Selbstverständnis und Arbeitsweise sind unter Antifaschist_innen keineswegs eine Rarität. So erschöpft sich dann auch die Agitation vieler Antifas in Blockade und Störung von Naziaufmärschen, Konzerten und anderen Verstaltungen, auf die minutiöse Dokumentation rechter Agitation und Gewalt, auf das Katalogisieren rechter Kleidungs- und Sprechcodes, und auf das Outen von Faschist_innen mit Namen und Anschrift. Dieselben Antifas stellen nun verdutzt fest, dass Faschist_innen im Zuge der ökonomischen Krise immer größere Teile der frustrierten, weil materiell zunehmend prekarisierten Arbeiterklasse ideell an sich binden können. Nichts fällt den Faschist_innen mittlerweile leichter, als all die staatlich produzierten Bildungsverlierer_innen, Niedriglohnempfänger_innen und Umsonstarbeiter_innen darauf hinzuweisen, dass Antifaschist_innen mit genau diesem Staat gemeinsame Sache machen wollen. Hier beweisen Faschist_innen politischen Instinkt, indem sie die materielle Not vieler Menschen als gegeben hinnehmen, und ursächlich in Zusammenhang zu bringen versuchen mit einem vom derzeitigen Staat und seinen mutmaßlichen Handlangern auf der linken Seite organisierten, vermeintlich „gegen das deutsche Volk gerichteten Kapitalismus“. Diesem „Antikapitalismus von rechts“ stehen viele Antifaschist_innen ratlos gegenüber. Sie können der Gesellschaft nicht nur nicht erklären, was an ihm so furchtbar falsch ist, sondern auch dem materiell prekarisierten Teil der Gesellschaft nicht erklären, was am demokratisch regierten Kapitalismus so großartig sein soll.

Einige dieser Antifas haben deshalb – konsequenterweise – auch ihre antifaschistische Stoßrichtung komplett umgeworfen, und den Faschismus kurzerhand zu einer Art Massenprojekt der Arbeiterklasse und des Islam umdeklariert. Dazu stellen die Journalist_innen Susann Witt-Stahl und Michael Sommer fest: „Und wenn Phase 2-Antifas heute ihren Haß auf den »Prolet-Arier« herausbrüllen, dann gilt die Aggression meist weniger den »Ariern«, den Neonazis, sondern dem Proleten: »Gerade antikapitalistischer Widerstand manifestiert sich leicht als antisemitischer, auch in der deutschen Arbeiterbewegung«, lautete schon vor zehn Jahren ein Argument in einem Streit zwischen Hannoveraner Antifas. […] Anetta Kahane, Vorstandsvorsitzende der »konsequent gegen Rechtsextremismus« engagierten Amadeu Antonio Stiftung, hat Antiimperialisten und Abgeordneten der Linkspartei, die sich an der »Free Gaza!«-Flotte beteiligt haben, den Kampf angesagt. […]Daher streitet Kahane lieber für das westliche Sanktionsregime gegen den Iran – beispielsweise auf der Kundgebung »Freiheit statt Islamische Republik« zusammen mit der neokonservativen Kriegslobby (Stop the Bomb und das Iranian Freedom Institute).“ (5)

Dass die faschistische Ideologie stete Kultivierung erfährt, durch die gegenwärtige, staatlich gewollte und gesetzlich festgeschriebene kapitalistische Vorsortierung von hier lebenden Menschen in Deutsche und „Asylanten“, nutzlose und nützliche Ausländer, Leistungsträger_innen und Sozialschmarotzer_innen, ist diesen Antifas dann natürlich unbegreiflich. Ebensowenig im Stande zu begreifen sind sie, dass auch Faschist_innen die heutigen Produktionsverhältnisse befürworten, und gar nichts auszusetzen haben an Privateigentum an Produktionsmitteln, Konkurrenz, Elitenbildung und Ausbeutung im Wege der Lohnarbeit, solange dies nur alles im Zeichen des „völkischen Gemeinwohls“ geschieht. Sowohl Faschist_innen als auch die große Mehrheit der Demokrat_innen innerhalb der Parlamente stimmen grundsätzlich darin überein, dass aufgrund gedachter Merkmale (Staatsbürgerschaft, Leistungsfähigkeit) unterschiedliche rechtliche und materielle Lebenspositionen gerechtfertigt sind. (6)

Die Organisator_innen des Kongresses haben mithin Recht: Der Antifaschismus in Deutschland steckt tatsächlich in einer Krise. Doch liegt diese Krise nicht etwa in Umgruppierungen, Machtverschiebungen oder Uniformwechseln innerhalb des rechten Parteienspektrums begründet, sondern einzig in der beständigen Weigerung vieler Antifaschist_innen, den Antikapitalismus wieder zur Grundlage ihrer Agitation zu machen. Wer, wie die IL, dem Staat bejahend gegenüber steht, hat letzten Endes gar keine andere Wahl, als sich in bloßer Beschreibung des politischen Gegners aus ästhetischer, ideeller und psychologischer Sicht zu ergehen. Denn eine Erklärung des Faschismus darf niemals über die Auseinandersetzung mit den bestehenden Verhältnissen erfolgen. Eine Erklärung des Faschismus aber, die sich einzig aus seiner Beschreibung ableitet, ist „nicht nur keine kritische Theorie des Faschismus, es ist überhaupt kaum Theorie“. (7)

carlos

(1) Spiegel, 37/1991

(2) Spiegel, jeweils: 47/2004, 6/2006, 13/2007

(3) kriseundrassismus.noblogs.org/warumdieserkongress/

(4) Martin Höfig, „Antifa auf der Höhe der Zeit?“, www.neues-deutschland.de/artikel/929872.antifa-auf-der-hoehe-der-zeit.html

(5) Suanne Witt-Stahl, Michael Sommer: „Position. Die Einsicht, dass Antifaschismus und Antikapitalismus zusammengehören, droht verlorenzugehen.“, www.antifa.de/cms/content/view/1991/32/

(6) vgl. Freerk Huisken, „Der demokratische Schoß ist fruchtbar“, S.66 ff., VSA-Verlag, 2012

(7) David Renton, zitiert nach: Suanne Witt-Stahl, Michael Sommer: „Position. Die Einsicht, dass Antifaschismus und Antikapitalismus zusammengehören, droht verlorenzugehen.“, www.antifa.de/cms/content/view/1991/32/

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