Im Folgenden drucken wir vorab einen Aufsatz aus dem von der Leipziger Kamera herausgegebenen Buch „Kontrollverluste. Interventionen gegen Überwachung“, das Anfang März im Unrast-Verlag erscheint. Wer nach der Lektüre Lust auf mehr verspürt, sollte unbedingt Ausschau halten.
Wir werden im Folgenden Kontrollstrategien des öffentlichen Raums am Beispiel Großbritanniens vorstellen und diese Maßnahmen im Zusammenhang mit der sozialstaatlichen Regulierung von Kindheit und Jugend kritisch analysieren. Im Zentrum stehen dabei das Instrument des Anti-Social-Behaviour-Order (ASBO) und begleitende Techniken der Überwachung, welche zusammen mit einschlägigen Programmen aus dem Umfeld von New Labour ein deutliches Beispiel für den gegenwärtigen Umgang mit Phänomenen von Devianz und sozialer Abkopplung darstellen. Sie arbeiten im Kern mit zwei Strategien: einerseits mit der Anrufung selbstverantwortlicher, für ihr eigenes Glück verantwortlicher Subjekte; andererseits mit Strafmaßnahmen für diejenigen, welche nicht gewillt oder nicht mehr fähig sind, ihre Eigenverantwortlichkeit im Sinne mehrheitlicher Normen oder gesellschaftlicher Produktivität zu nutzen.
„Everyone can change – if people who need help will not take it, we will make them“
Die Realität sozialen Ausschlusses kehrt in der Angst vor dem Ausgeschlossenen wieder, das als Folge eben solcher Abkopplung ein bedrohliches Eigenleben zu führen scheint. Kinder und vor allem Jugendliche, die in ihrem prekären Status als Noch-nicht-Erwachsene ohnehin ein höheres Maß an sozialer Ortlosigkeit mit sich bringen, geraten dabei, medial unterstützt, zu einer sowohl gefährdeten als auch gefährdenden Gruppe, welche die volle staatliche Aufmerksamkeit verdient. Aufschlussreich ist die doppelte Gefahrenperspektive, welche das Thema nicht nur in Großbritannien durchzieht. Auf der einen Seite existiert eine verbreitete Angstphantasie bezüglich gefährdeter Kindheit, vor allem im Hinblick auf extreme Vernachlässigung und sexuellen Missbrauch. Darin verdichtet sich das Bild des Kindes als ein noch unmündiges und ausgeliefertes Subjekt, das um seines eigenen Wohles willen Führung, Kontrolle und Hilfe benötigt. Die gegenläufige Perspektive stellt Kinder und Jugendliche als Agenten einer Gefährdung vor: Durch Vernachlässigung und Nicht-Integration werden sie zu anomischen und riskanten Subjekten, in ihrer Unmündigkeit sich selbst ausgeliefert, medial mitunter als kids from hell apostrophiert. Der Mord von zwei 11-Jährigen an dem zweijährigen Kleinkind James Bulgar 1993 nahe Liverpool integriert beide Phänomene und galt der späteren Labourregierung als stete Referenz in der Rechtfertigung ihrer Politik gegen ›antisoziales Verhalten‹ .
Beide Aspekte verweisen auf das Problem der Führung: Die wahrgenommenen Mängel der Selbstführung – sie ›führen sich auf‹ – markieren die Notwendigkeit der Außenführung. Das Problem der Führung und damit der Machtbeziehungen setzt stets ›freie Subjekte‹ voraus, die einem Feld mehrerer möglicher Antwort- oder Handlungsmöglichkeiten gegenüber stehen. Genau diese Dimension steht im Zentrum vieler staatlicher Anrufungen, welche sich um das Thema bemühen: »Everyone can change«, lautet ihre kürzeste Zusammenfassung, das Ziel in ebensolcher Prägnanz, aus dem Grundsatzpapier »Every Child Matters: maximise their potential«.
Die Auseinandersetzung mit sozialem Ausschluss und daraus resultierender Armut zielt darauf, die Betroffenen als freie Subjekte zu markieren, denen es immer offen stehe, sich und ihr Dasein zu ändern. Weil diese Zuschreibung jedoch die Verantwortlichkeit nur an die Betroffenen adressiert, werden diese zusätzlich mit Angeboten bedacht, welche eine grundsätzliche Hilfsbereitschaft der Gemeinschaft suggerieren. Solche Maßnahmen werden jedoch sowohl von überwachender Kontrolle ihrer Wahrnehmung als auch von entsprechenden Sanktionen bei ihrer Ablehnung abgesichert. So finden etwa Elternschulungsprogramme in so genannten Children Centers statt, welche im Rahmen des Sure-Start-Programms in deprivierten Stadtvierteln eingerichtet wurden. In diesen Centern werden Sozial- und Arbeitsvermittlungsangebote konzentriert, zu deren Inanspruchnahme die ›Kunden‹ jedoch individualisierte ›Kooperationsverträge‹ abschließen, welche die Grundlage für eine fortdauernde Beobachtung und Kontrolle der Anstrengung der hilfsbedürftigen Vertragspartner_innen bilden. Mangelndes Engagement bzw. Nichteinhaltung der Verträge kann dabei zum Entzug von Sozialleistungen führen. Das bedeutet, dass gerade diejenigen, denen gesellschaftliche Teilhabe und entsprechender eigenverantwortlicher Umgang damit fehlt, zu Objekten einer forcierten staatlichen Kontrolle werden, die Unmündigkeit systematisch fortschreibt.
„No more excuses“
Diese Problematisierung von Kindern und Jugendlichen im oben beschriebenen Spannungsverhältnis rückte ins Zentrum der Politik von New Labour. Dass in den neunziger Jahren ein Rückgang der Kriminalität in beinahe allen Bereichen festzustellen war, hatte kaum einen Einfluss auf die konstant hohe ›gefühlte Unsicherheit‹ der Mehrheit der britischen Bevölkerung. Im Vorwort des britischen Weißbuches zur Jugendkriminalität »No more excuses« von 1997 kündigte der damalige Innenminister Jack Straw eine Kehrtwendung zur Bekämpfung von Jugendkriminalität an: In der Jugendjustiz hätt esich »eine Kultur der Ausreden« etabliert, in der Vergehen von Kindern und Jugendlichen durch die »sozialen Umstände« entschuldigt würden. Der Begriff ›antisoziales Verhalten‹, der zum Schlagwort Blairscher Law-and-Order-Politik werden sollte, erscheint erstmalig im darauffolgenden Jahr im Crime and Disorder Act, definiert als: »Behaviour, which causes or is likely to cause harassment, alarm or distress«. Auf Grund der Dehnbarkeit dieser Minimaldefinition war das Home Office gezwungen, konkrete Aktionen zu benennen, welche als antisozial gelten: Lärm, Beleidigungen, Graffitis, Trunkenheit in der Öffentlichkeit, Belästigungen durch Haustiere sowie Vandalismus gehören dazu. Kleinere Nachbarschaftsstreitigkeiten, einmalige Fälle von Intoleranz und ›Anderssein‹ allein würden dagegen nicht ausreichen. New Labours bewusster Perspektivwechsel hin zu den Betroffenen, zu den Opfern von ›petty crime‹, zur lokalen Zelle der Gemeinschaft gründet auf der philosophischen Tradition des Kommunitarismus. Gegen neoliberale Positionen wie die von Margaret Thatcher (»There is no such a thing as society, there are individual men and women, and there are families.«) und gegen wohlfahrtsstaatliche ›Rundumversorgung‹ wird der berühmte ›Dritte Weg‹ proklamiert, der die lokale Gemeinschaft als zentralen Akteur in den Mittelpunkt rückt. Ein Weg, der soziale Verantwortung über individuelle Rechte stellt. Paradigmatisch ist Tony Blairs Deutung: »A decent society is not based on rights; it is based on duty … Our duty to one another … To all should be given opportunity; from all, responsibility demanded.« Dieser Rückgriff auf ethische und moralische Grundsätze etabliert einen neuen Nachbarschaftsraum, in dem Höflichkeit, Respekt und Anstand verordnet und reguliert werden.
Der ASBO – „Anti-Social Behaviour Order“
Als Gesicht dieser Techniken wurde 1999 der Anti-Social Behaviour Order (ASBO) eingeführt. Das durch ihn verfolgte ›antisoziale Verhalten‹ liegt seither in einem problematischen Spannungsfeld zwischen Ordnungswidrigkeit und Straftat. ASBOs können generell für »criminal and sub-criminal activity« (Burney 2002, 474) verhängt werden. Das heißt, den Gegenstand eines ASBO können auch durchaus Verhaltensweisen bilden, die keineswegs Straftatsbestände sind: letztendlich alles, was als ›unangemessen‹ empfunden wird oder gegen einen vagen moralischen Konsens bzw. den häufig bemühten Maßstab des common sense verstößt. Die juristische Tücke liegt darin, dass der ASBO somit eine Brücke darstellt, welche abweichende, ›sub-kriminelle‹ Verhaltensweisen indirekt in vollgültige Straftatsbestände umwandelt. Den Beschuldigten wird zunächst auferlegt, das im ASBO benannte antisoziale Verhalten einzustellen. ASBOs enthalten konkrete Verbote und sind oft mit Platzverweisen (Minimum: zwei Jahre) verbunden. Jeder Verstoß gegen die Auflagen eines ASBO ist jedoch eine volle Straftat. ASBOs werden von der Polizei oder den kommunalen Verwaltungen beantragt und vom Gericht ausgestellt, doch entspricht die notwendige Beweisdichte für die Verfügung eines ASBO nicht der eines üblichen Strafverfahrens. Beschwerden können anonym über Hotlines eingereicht werden. Oft werden Fotos der Beschuldigten (mit Namen und Adresse) sowie den Auflagen in Schaukästen, auf Plakaten an Bussen oder im Internet veröffentlicht. Die Praxis des Anprangerns ist vom britischen Home Office gewollt; zum einen soll die eigene Aktivität unter Beweis gestellt werden, zum anderen die Öffentlichkeit dazu angehalten werden, bei der Kontrolle über die Einhaltung des ASBOs mitzuhelfen. Die Durchsetzung des ASBO zeigt auch dessen wirkmächtige sozioökonomische Dimension. Seine primäre Zielgruppe sind sozial Benachteiligte sowie Kinder und Jugendliche. So lebten etwa 85 Prozent derer, gegen die 2004/2005 in Schottland ein ASBO verhängt wurde, in Sozialwohnungen. Antisoziales Verhalten wird von der großen Mehrheit vor allem mit ›herumlungernden Jugendlichen‹ assoziiert. Das Home Office riet den Behörden zwar davon ab, ASBOs an Jugendliche unter 18 Jahren zu verhängen, doch dies lief der öffentlichen Stimmung in den Kommunen zuwider. Mittlerweile geht jeder zweite ASBO an Kinder und Jugendliche zwischen 10 und 17 Jahren und knapp drei Viertel der Verweise an unter 21-Jährige. Der ASBO ist auch deshalb so populär, weil er erlaubt, gegen vielerlei Arten von subjektiv empfundenen Belästigungen vorzugehen. Er wird auch dazu benutzt, um öffentliche Räume von Bettlern, Alkoholiker_innen, Prostituierten und nichtkonformen Subkulturen ›zu säubern‹. Aufgrund der willkürlichen Definition antisozialen Verhaltens kommt es zwangsläufig nicht nur zu missbräuchlichen, sondern auch zu absurden Fällen. So wurde einer selbstmordgefährdeten Frau verboten, sich in die Nähe von Brücken, Flüssen und mehrstöckigen Parkhäusern zu begeben. Es wurde Leuten untersagt, sich nur in Unterhose bekleidet im eigenen Garten zu sonnen. Kinder durften auf der Straße nicht mehr singen oder das Wort Gras öffentlich aussprechen. Die verkündete Absicht, dem ›antisozialen Verhalten‹ an den Wurzeln zu begegnen, führt damit zu einem Blick auf Kinder und Jugendliche, der jegliche Anzeichen von Devianz als Symptome eines künftigen Übels zu lesen gezwungen ist. Weil sie im Werden begriffen sind, stellen Kinder und Jugendliche das genuine Objekt präventiver Taktiken dar, die ihre Legitimität aus den Risiken einer befürchteten Zukunft schöpfen, die noch nicht eingetroffen ist. Um solche Zukunft aus dem Kaffeesatz der Gegenwart zu lesen und gegebenenfalls abzuwenden, braucht es offenbar die flächendeckende Überwachung des Jetzt. Die Angst vor der Jugend oder auch die Sorge um sie ist damit an eine Angst vor Zukünftigem gekoppelt – und Angst ist das eigentliche Ziel und Medium im Kampf um das ›soziale Verhalten‹. Und weil aus den kleinen Abweichungen die großen Gefahren werden können, wird der Schluss gezogen, dass letztlich keine geringfügigen Vergehen existieren.
Rebelland
Durch die mediale Repräsentation des ASBO als ultimative Lösung des Problems ›nichtnormalen‹ Verhaltens eröffneten sich gleichzeitig Räume für Kritik und mannigfaltige kulturelle Aneignungen. Zum einen wird der ASBO inzwischen von vielen Jugendlichen als Ehrentitel verstanden. Das Sammeln von ASBOs erhöht das eigene soziale Kapital – die ›street credibility in the (neighbour)hood‹. Gleichzeitig wurden Initiativen für bzw. wider den ASBO gegründet. So verleihen die britischen Aktivisten von Schnews auf ihrer Webseite einen crap asbo of the month. Kein Geschenkeladen in Großbritannien ohne käuflich zu erwerbende ASBOs fürs schlechte Tanzen oder die schlechteste Frisur. Die Debatte um sozial akzeptierte Verhaltensweisen, das damit einhergehende ›Policing‹ von Subkulturen und vor allem die Fokussierung auf das Einhegen von Symptomen ohne eine tiefergehende Ursachenanalyse wurde zum Anlass für vielfältige künstlerische Interventionen wie Musiktitel oder sogar Theaterstücke. So gibt es einerseits Projekte, die darauf abzielen, den ›ASBO kids‹ eine Stimme zu geben und sie jenseits ihrer üblichen Identifikation sowohl in ihrer Bedingtheit als auch in ihrer Individualität und Widerständigkeit sichtbar zu machen. Die in Schottland lebende Künstlerin Maayke Schurer begab sich mit ihrer Kamera in Glasgows Außenbezirke auf die Suche nach den primären ›Zielgruppen‹ für Anti-Social Behaviour Orders und versuchte einen Blick zu eröffnen, der weder die tradierte Perspektive des Voyeurismus teilt noch die üblichen Bilder der Überwachung verdoppelt. Ähnlich, aber in seiner Arbeit Rebelland weiter ausholend, lässt der Glasgower Künstler Anthony Schrag Vorstadtkids ihre Alltagserfahrungen in der neighbourhood in Bezug zu Territorium, Selbstwertgefühl und ökonomischer Situation beschreiben und verwandelt in seinen daraus resultierenden Dokumenten die prekarisierten Nachbarschaften in seltsam lebendige Bruchzonen einer ungleichen wie auch ungleichzeitigen Gesellschaft. Neben diesen Versuchen einem staatlichen, auf Devianz und Kontrolle zielenden Blick mit alternativen Zugängen zu begegnen, existieren auch Wege einer direkteren Auseinandersetzung. In offener Konfrontation mit autoritären Facetten der britischen Criminal Justice Bill organisieren Künstler des Londoner Goldsmiths College öffentliche Guerilla-Parties im Stil von Flashmob-Performances. In einer beispielhaften Aktion verweisen sie deutlich auf die unterschiedlichen Maßstäbe, die bei der Durchsetzung der ›öffentlichen Ordnung‹ angewandt werden, etwa bei der musikalischen Beschallung des öffentlichen Raums. So existieren zur Unterbindung der kriminalisierten Raves Verbote des öffentlichen Abspielens ›repetetiv geprägter‹ Musik und des begleitenden Tanzens. Mitten in London beschallt jedoch ein großes Musikkaufhaus seine Innenräume und die Außenflächen großzügig mit ebensolcher Unterhaltungsmusik. Dieses musikalische Angebot an die Jugend maximal nutzend, organisieren sie in eben diesem quasiöffentlichen Bereich der städtischen Konsumsphäre einen ›spontanen‹ Rave, bei dem sie im und am Musikkaufhaus kollektiv der Aufforderung der Musik folgen und gemeinsam in plötzliche Rave-Ausgelassenheit verfallen, mit dem erklärten Ziel einen ASBO-Rekord aufzustellen. Der Bruch mit der impliziten öffentlichen Ordnung erfolgt durch das konsequente Ernstnehmen der hegemonialen musikalischen Anrufung aus den Lautsprechern des Kaufhauses, seine Jugend bitteschön unbekümmert und vergnügungsorientiert zu nutzen.
„And for me, one question above all – where were the parents?“
Die weitreichende Kritik an Praktiken wie der Kriminalisierung nichtkriminellen Verhaltens, öffentlichen Denunziationen und der damit einhergehenden Stigmatisierung sowie die Diskussion über die Wirksamkeit der ASBOs – immerhin wird jeder zweite gebrochen – haben innerhalb der britischen Regierung zu einer Verschiebung der Techniken geführt. Die vielfältigen Sanktionsmöglichkeiten des ASBO gegenüber auffälligen Jugendlichen werden zurückgenommen, zugunsten von stärker familienorientierten Maßnahmen wie den Parenting Orders, zwangsweisen Verpflichtungen zu Elternschulungsprogrammen in den bereits erwähnten Children Centers. Gleichzeitig verschiebt sich die Aufmerksamkeit von der Logik des Strafens hin zu Formen des Vertrags, sodass das äußerliche ›Anti-‹ zurückgeht und Platz macht für einen vertragsförmigen Zwang zum Sozialen, wie etwa den Acceptable Behaviour Contracts. Im Kampf gegen das ›antisoziale‹ Verhalten wird damit erneut sichtbar, dass dieser vor allem Rang und Bedeutung des Sozialen selbst verhandelt – die soziale Bindung und ihre Anforderungen werden keineswegs mehr als bereits gegeben angesehen, sie müssen offenbar erst in unmittelbarer Vertragsgestalt festgestellt werden, um anschließend eingefordert werden zu können. Diese individualisierten Zwangsverträge stellen somit eine bittere Parodie der Idee des ›Gesellschaftsvertrags‹ dar, die das gesellschaftliche Verhältnis selbst zum Objekt einer staatlichen Disziplinarmaßnahme machen. Die andere Seite dieser strategischen Neuausrichtung besteht in deutlich intensivierten Maßnahmen zur Verfolgung der notorisch Devianten. Innenministerin Jacqui Smith lobt die ›neuen Instrumentarien‹, allen voran die Anti-Social Behaviour Action Squads. Innerhalb der von der Polizei in Essex ins Leben gerufenen Operation Leopard werden unter anderem die ›troublemakers‹ zurückschikaniert und einer permanenten Kontrolle unterzogen: »where those responsible for anti-social behaviour have no room for manoeuvre and nowhere to hide, where the tables are turned on offenders so that those who harass our communities are themselves harried and harassed «.
Die Teams sollen nicht nur regelmäßig die Jugendlichen anhalten und durchsuchen dürfen, sondern sollen sie auch zu Hause aufsuchen und filmen. Diese Einschüchterungsstrategie stoppt nicht beim Unterbinden von bestimmten – als antisozial empfundenen – Handlungen, sondern kümmert sich um die Frage nach dem Charakter des Subjektes. Gleichzeitig erinnert die Vokabel vom nowhere to hide an das Leitmedium dieser Anstrengungen des paradoxen Zwangs zur sozialen Selbstverantwortlichkeit: die Überwachung des öffentlichen Raums bzw. die Aufhebung des privaten. Dahinter scheint die Überzeugung zu stehen, dass die Herstellung von Sichtbarkeit, ja der permanenten Möglichkeit des Gesehenwerdens eine unerlässliche Bedingung für adäquate Selbstführung bildet. Die Möglichkeit des Unsichtbarwerdens markiert damit die Grenze einer unsicheren Gesellschaft, in der Mechanismen der Kontrolle die erodierende Disziplin stützen sollen. Der technisch installierte Blick überwacht auf der untersten Stufe seiner Wirksamkeit also keineswegs die Einhaltung konkreter existierender Normen, in seiner Form als verallgemeinerter Blick des Anderen erinnert er zunächst an die offenbar alles andere als selbstverständliche Tatsache, dass Gesellschaft existiert. Diese Mahnung deutet auf den Kern der Besorgnis um das ›antisoziale Verhalten‹ hin, nämlich die Angst vor riskant individualisierten Subjekten, deren Sozialisierung nunmehr in der Einübung von Selbstbehauptungs- und Überlebenstaktiken besteht, die jenseits von Moralität oder Legalität angesiedelt sind. Daher rühren die so vehement vorgetragene Anrufungen der elementaren Gemeinschaften: der Familie und der Nachbarschaft. Dass alle noch so pragmatisch und gewissenlos ›Egotaktierenden‹ keineswegs in einem unerreichbaren Jenseits des Sozialen existieren, sondern ganz im Gegenteil um so unvermittelter das Resultat gesellschaftlicher Bedingungen sind, ist nur eine Tatsache, die das Schlagwort des Antisozialen und der daran gekoppelte Lobpreis der Gemeinschaft systematisch ausblenden.
(Florian Hessdörfer & Jan Bachmann)