Auf sie mit Idyll!

Gutgemeintes gegen LEGIDA

„Leipzig, du stolze Stadt!“ – so titelte die Bild-Zeitung, nachdem am Vortag, dem 12. Januar 2014, die erste LEGIDA-Demonstration über die Bühne gegangen war. Die Punktauswertung schien tatsächlich ziemlich eindeutig zu sein: Während sich auf der einen Seite rund 3000 „patriotische Europäer“ versammelt hatten, stellten sich ihnen etwa 30.000 Gegendemonstrant_innen in den Weg. „Für Toleranz, mit buntem, kreativem und vor allem friedlichem Protest – man kennt das ja. Die offene Gesellschaft wurde vorerst erfolgreich gegen ihre Feinde verteidigt.

Freiheitlich-demokratisches Liedgut

Allerdings wirken die demokratischen Abgrenzungsrituale einigermaßen befremdlich, wenn man ihnen aus der Nähe ausgesetzt ist. So geschah es an diesem Abend auch mir, als ich versuchte, mich eben mal geschmeidig durch die Menge zu schlängeln, die den Waldplatz verstopfte. Stattdessen fand ich mich minutenlang in der Menschenmasse eingekeilt und konnte mich nicht dagegen wehren, als plötzlich Sebastian Krumbiegel die nahegelegene Bühne betrat und ohne Umschweife ein Loblied auf die Toleranz anstimmte (1).

Die persönliche Integrität von Herrn Krumbiegel will ich hier nicht in Frage stellen – der Mann engagiert sich schon seit Dekaden „gegen rechts“, meint es also offensichtlich ernst und ehrlich. Aber trotzdem, und auch obwohl das Lied ziemlich kurz war, schaffte Krumbiegel es doch, erstaunlich viel Unsinn hineinzupacken. Das fing schon bei den ersten beiden Zeilen an: „Kein Mensch hat Lust auf Ärger / kein Mensch ist illegal“. Die erste ist eine Tatsachenfeststellung, die binsenhafter kaum sein könnte – klar, kein Mensch hat Lust auf Ärger. Dass kein Mensch illegal ist, ist dagegen bei weitem nicht so klar. Tatsächlich klassifiziert das demokratische Staatswesen alle naselang Menschen als „illegal“, wenn sie sich unerwünscht auf seinem Territorium aufhalten. In seinem ursprünglichen Kontext dient der Satz „Kein Mensch ist illegal“ auch genau dazu, dies als Tatsache zu benennen und zu skandalisieren – während in der Krumbiegel-Version nur noch die Aussage übrigbleibt: „Alles in Ordnung.“

Aber gut, es ist eh schon schwierig genug, es so hinzukriegen, dass sich am Ende alles reimt – wahrscheinlich wollte der Künstler beim Texten nur auf den Kehrreim hinaus, der da lautete: „Mal so von Mensch zu Mensch / Wir sind doch international.“ Mit „wir“ waren offenbar a) das weltoffene Leipzig, und b) der weltoffene Sebastian Krumbiegel gemeint. So berichtete Krumbiegel im Rest des Songs auch hauptsächlich von seinem Dasein als Tourist, wo er überall schon war (New York, Tokio) oder eben noch nicht war (in Rio, „aber das mach ich auch noch klar“). Gute Absicht hin oder her – es ist schon ziemlich doof oder dreist, sich mit Illegalisierten oder Geflüchteten zu vergleichen, weil man selber auch schon mal im Ausland war. Und auch die LEGIDA-Demonstrant_innen dürften sich kaum von ihrer Abneigung gegen bestimmte Menschengruppen abbringen lassen, nur weil Sebastian Krumbiegel so gern verreist. Im Ausland waren sie sicher auch schon mal – das hält im Zweifelsfall niemanden davon ab, rassistische Vorurteile zu hegen oder auf die eigene Nation stolz zu sein.

Das ficht Herrn Krumbiegel freilich nicht an. In seiner Perspektive „so von Mensch zu Mensch“ tauchen kompliziertere soziale Verhältnisse (wie z.B. das Verhältnis von Mensch und Staat) gar nicht erst auf. Was dann noch an Problemen übrig bleibt, sind letztlich nur Fragen der persönlichen Einstellung, die sich mit etwas gutem Zureden schon behandeln lassen: Seid tolerant, seid nett zueinander. Das klappt zwar nicht, aber darauf kommt es auch nicht an. Letztlich soll das „Courage zeigen“, „Farbe bekennen gegen rechts“ usw. ohnehin nur die eigene Identität bestärken: „Wir“ sind international, also weltoffen und tolerant und gute Demokrat_innen, während die anderen eben engstirnig, intolerant und undemokratisch sind.

Wer ist das Volk?

Mit so einer Identität kann man sich natürlich wohlfühlen. Man könnte sich aber auch fragen, wie denn „die anderen“, in diesem Fall also die LEGIDA-Demonstrant_innen, zu ihren Ansichten kommen. Und bevor man sich daran macht, den Status quo gegen all die unsympathischen „Auswüchse“ zu verteidigen, die er selbst mit schöner Regelmäßigkeit hervorbringt, könnte man sich auch über diesen mal ein paar Gedanken machen. Die „offene Gesellschaft“, das soll­ten wir nicht ver­gessen, ist auch eine Klassengesellschaft, die sich im Alltag (z.B. auf dem Arbeitsamt) nicht immer so nett ausnimmt wie auf lauschigen Demonstrationen für Toleranz.

Dreist gesagt ließe sich ja auch der Rassismus als Klassenfrage bestimmen: Bestimmte Merkmale, wie z.B. die Hautfarbe, werden als Begründung benutzt, um bestimmten Menschengruppen eine bestimmte Position in der gesellschaftlichen Arbeitsteilung zuzuweisen – es ist z.B. kein Zufall, dass Thilo Sarrazin gegen Hartz-IV-Empfänger_innen genauso hetzt wie gegen „Kopftuchmädchen“ und angeblich dumme Einwanderer aus dem arabischen Raum.

So thematisieren die LEGIDA-Demonstrant_innen – zumindest indirekt – immer auch ihre eigene Stellung in der Gesellschaft, wenn sie bestimmte Menschengruppen verteufeln und abwerten. Das Ziel ist es, die Nation und die eigene Position in dieser gegen eine vermeintliche Bedrohung von außen, also Werteverfall, unkontrollierte Einwanderung, islamische „Unterwanderung“ der Gesellschaft etc. pp. zu verteidigen. Wobei die Bewegung in der Tat vor allem für jene attraktiv zu sein scheint, die noch eine Position zu verteidigen haben: An den ersten LEGIDA-Demonstrationen beteiligten sich auffällig viele gut gekleidete Bürgerinnen und Bürger aus der Altersgruppe von vierzig an aufwärts – Menschen „aus der Mitte der Gesellschaft“ (2).

Das sorgte in den letzten Monaten für viel Verwirrung, weil sich eben auch die Gegner_innen von PEGIDA/LEGIDA als „Mitte der Gesellschaft“ fühlten und in Szene setzten. So gestaltete sich die ganze „Debatte“ hübsch spiegelbildlich. Zum Beispiel bezeichnete Justizminister Heiko Maas die PEGIDA-Demonstrant_innen als „Schande für Deutschland“ (3), was bei diesen wiederum für helle Empörung sorgte – den Vorwurf, sie seien nicht ordentlich nationalistisch, wollten sie nicht auf sich sitzen lassen. Politiker_innen und sonstige Prominente wiesen darauf hin, dass eine geregelte Einfuhr von „nützlichen“ Ausländern doch gut für den Standort sei (4) – während die PEGIDA-Demonstrant_innen schlicht abstritten, dass „die Ausländer“ irgendwelche besonderen Fähigkeiten mitbrächten, so wie ein älterer Demonstrant in Dresden es beispielhaft formulierte: „Das sind alles junge Kerle … Sie wollen mir doch nicht weismachen, dass das hochqualifizierte Fachkräfte sind!“ (5)

Und letztlich passt auch Sebastian Krumbiegel in dieses Szenario hinein: Während er ein imaginäres Deutschland verteidigt, wo „kein Mensch illegal“ ist und es auch sonst keine nennenswerten Probleme gibt, wollen die PEGIDA-Demonstrant_innen ein starkes, souveränes Deutschland, wo es nicht zu viele Ausländer, aber dafür schöne „christliche“ Weihnachtsmärkte gibt, wo erzgebirgische Holzschnitzkunst und sonstige Folklore gepflegt wird und alle fleißig den „Faust“ oder die „Buddenbrooks“ lesen. Die Bedrohung kommt in beiden Fällen von außen – von islamischen Barbarenhorden oder von einigen Ewiggestrigen, die es immer noch nicht gelernt haben, zu allen Menschen nett zu sein.Man muss den Vergleich natürlich nicht überstrapazieren. Wenn man Lust hat, kann man auch darüber streiten, welche Vorstellung von Deutschland man nun sympathischer findet – imaginär sind sie alle beide.

justus

(1) www.youtube.com/watch?v=bZZx0EPnBOA

(2) so mein subjektiver Eindruck, der von einer Studie der TU Dresden bestätigt wird: vgl. http://tu-dresden.de/aktuelles/newsarchiv/2015/1/pegida_pk

(3) www.spiegel.de/politik/deutschland/pegida-heiko-maas-nennt-proteste-schande-fuer-deutschland-a-1008452.html

(4) z.B. in der Bild-Zeitung: www.bild.de/politik/inland/pegida/promis-sagen-nein-zu-pegida-39208948.bild.html

(5) zu finden hier www.youtube.com/watch?v=Bl0KPaLPL7g ab Minute 8:30.

 

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