Aus Alt mach Neu! Neu ist was?

Ein Nachtrag von Gerüchten, Tatsachen und Hybriden zur Eröffnung des Centraltheaters

Jede Metropole braucht, um ihren Status zu erringen, oder wenigstens zu etablieren, satte Skandale – nach allen Diskokriegsgeschichten ging dem frischgebackenen Großstädter das Herz auf und mit einem triumphalen Lächeln Richtung Berlin dreh­te er sich um, der Leipziger, und rieb sich die Großstadthände. Vor kurzem konn­te man sich auch endlich vom Pro­vinztheater befreien – Skandal, Skandal – das eben noch ehrwürdige Schauspielhaus gibt’s nicht mehr, die Diktatur des Wolfgang Engel ist nach 13 Jahren vorbei. Die Flaute in den Besucherzahlen war An­lass für den Kurswechsel. Die übliche Er­klä­rung eben. Nun ist da ein Neuer am Thea­terruder und schwingt Fahnen der Moderne über unsere Köpfe. Alles sollte anders werden, neu und neuer! Sebastian Hartmann, der „Ost-Brutalo“, wie man ihn liebevoll in der feuilletonistischen Opium­höhle nennt, hat die alten Köpfe abgesägt und die Hinterteile obendrein. Die, so sagt er in einem Interview mit dem Kreuzer, seien nämlich zu fett geworden, wie die meisten Hinterteile auf deutschen Intendantenstühlen nach Jahren unbe­schol­tener Nicht-falsch-Macherei. Mit die­sen Worten bricht er das wochenlange Schwei­gen, welches nach seiner Ernennung zum neuen Intendanten geherrscht hatte, sozusagen als Anheizer-Intro, und damit ließ er auch gleich die Bombe platzen.

Nichts darf mehr an die alte Zeit erinnern. Man soll wieder reden können über Leipzigs Theaterlandschaft. Es braucht junge Ideen, visionäre Kräfte und dergleichen. Schluss mit dem Theater für eine Bildungselite, die sich nach der Aufführung die rahmenlose Brille säubert und sagt: „Ja, das war angenehm.“ oder „Also die Luise war mir einen Hauch zu artifiziell.“. Dafür schafft man Spielpläne (irgend­wann) ab, stellt sich einen haus­eige­nen Philosophen ein und öffnet Vorhänge auch für Amateure. Man mag die Namen Skala und Centraltheater ja etwas de­kadent finden, aber fehlende Pub­li­kumsnähe kann man der Theaterleitung nicht vor­wer­fen, schließlich hatten die vor der Um­benennung einen Umfragebogen bei Studenten rumgeben lassen. Nur seltsam, dass die ersten Flyer mit den Namen schon vor der Auswertung der Fragebögen verteilt waren. Sei es drum. Allein es zählt der gute Wille! Aber was ist denn nun neu? Die al­te Belegschaft wurde raus­geschmis­sen, ganz im Gegensatz zur bro­deln­den Ge­rüchteküche traf es nicht die gesamte Mann­­schaft, sondern eben die Deppen, die immer gehen müssen: Dramaturgen und Schauspieler. Vielleicht hat der Hartmann aus den Fehlern der Alten doch nicht gelernt. In Eisenach bspw. durf­te sich der damalig neue Intendant am Landestheater, Schlicht sein Name, gegen Morddrohungen zur Wehr setzen, der Kampf zwischen altem Verwaltungsapparat und neuer Führung tobte heftig bis zum Tag der (schon lange beschlossenen) Schließung des Hauses. Aber davon ist in Leipzig nach eigenen Aussagen nichts zu spüren. Um seine persönlichen Leibeigenen in Lohn und Brot zu wissen, ist der Hartmann extra durch Deutschland gereist und wie es so kam, ließen sich im Lande nur diejenigen auftreiben, mit denen Hartmann sowieso schon seit Jahren zusammengearbeitet hatte. Im Gebälk mun­­kelt man von „inzestuösen“ Strukturen. Da ist schon wieder Herr Altmann hinter dem Hartmann, der Dunkelschat­ten, der immer da ist, aber keiner weiß, was genau er zu tun hat, außer kaugummikauend in Veranstaltungen der Theaterwissenschaft zu sitzen und den Studenten das neue Hauskonzept zu erklären. Und wie sollte es anders sein, auch der Hartmann-Zögling Thomas Lawinky ist wie­der da. Manche kennen ihn noch aus den guten alten Zeiten, da er Journalisten während der Aufführung den Schreibblock stibitzte. Daraufhin publizierte der bestohlene Schreiberling Stadelmeier einen empörten Artikel in einer unbedeutenden Zeitung mit der Überschrift „Bericht über einen Angriff auf mich“.

Aber eines muss man dem Hartmann lassen, er ist ein echter Marketingfuchs. Er wusste genau, was das Leipziger Herz begehrt, nämlich etwas, worüber man sich aufregen kann: Ein Skandal, ein Groß­stadttheatergroßstädterskandal. Mit einer geschickten Öffentlichkeitsarbeit im Stile der reduktionistisch gehaltenen Geheimtipp-Kampagne wurde die Neugier geschürt und als dann auch noch die Preispolitik revolutionierte wurde (5,- Euro für Studenten, 3,- Euro für ALGII-Empfänger bei freier Platzwahl), da war kein Halten mehr und sie strömten in Massen und strömen noch immer zu Rainald Grebes recht unterhaltsamer Bionade-Biedermeier-Revue, zu einem Macbeth in FKK-Manier, zu den noch immer existierenden Tocotronic-Boys und einer Matthäus­passion, für die man sich lieber Stullen schmieren sollte, um nicht zu verhungern. Das Konzept geht auf. Ein Konzept, das laut Gerüchteküche fleißige Helfer aus dem Theatrium geschrieben hatten und zum Dank dafür ein nettes Nichts bekamen. Hartmann ist aber nicht nur Neuerer und meist verhassteste Person in Theaterkreisen des alten Leip­zigs, er ist zudem ein grandioser Regisseur, der aus einem Repertoire oft politisch oder radikal-didaktisch motivierter Ideen schöpft. Immer etwas dekonstrukti­vi­stisch (ja ja, Brecht-Alarm und so), etwas mit Stadtbezug, mit Zeigefinger, etwas grausam, immer etwas Neues. Für den neuen Großstädter. Hartmanns Inszenierungen sind ein echtes Theatererlebnis und das findet er auch gut, denn Theater soll verstören und damit echte Gefühle aus unserem limbischen System heraus kitzeln. Da spürt man den heißen Atem der Schau­spieler direkt im Gesicht, wenn sie mal wieder die alte Kluft zwischen ihnen und uns einreißen, um Schlüpfer, Pudding und Texte ins Publikum zu schleu­dern, ja, es uns regelrecht ins Auge spucken, damit wir bloß nicht in die Genügsamkeit des Schauens abdriften. Da wird man endlich wieder Zeuge vom authentischen Wechselspiel der Gefühle, wenn das Publikum seiner­seits die Grenze zur Bühne einreißt und ein Gespräch mit den Darstellern beginnt. Da ist man mittendrin, wenn sich der Zuschauerraum nach der Aufführung spaltet, die eine Hälfte artig buht, während die andere klatschend rebelliert.

Wer dann immer noch nicht genug hat, kann ja in die recht eigenständig geworde­ne Skala gehen und bei einer der berüchtigten Open-Stage-Reihen mitmachen. Vielleicht sollte er auch erstmal damit war­ten, denn die hippen Skala-Boys und -Girls aus Berlin streiten sich wöchentlich in der Dis­po­sitzung darüber, wer sie eigentlich sind und was sie eigentlich machen wollen. Oder man trottet langsam zum Paoli in die Prüfgesellschaft für Sinn und Zweck – glückliche Arbeitslose erwünscht, aber lang­sam, denn das ist das Cre­do der selbsternannten „extremistischen“ Gruppe: Zeit dehnen. Auf den un­ter­haltungssuchenden Teil der Bevölkerung warten nette Konzerte und sogar ein Mu­sical. Wer dann gar nicht mehr zu halten ist, sucht sich eben eine der dutzend­fach vorhandenen Thea­ter­gruppen aus dem Spinnwerk. Frisch aus Magdeburg kam Katrin Richter daher, zeit­weilig berühmt durch Auftritte beim Quatsch Comedy Club, und sorgt für ein thea­terpädagogisches Imperium. Ein Imperium, so groß, dass nun andere Theatergruppen, wie die vom Theater der jungen Welt, händeringend um neue Mitglieder betteln. Die Freie Szene in Leipzig blickt der Kulturhegemonie durch das finanziell gut gefütterte Centraltheater skeptisch entgegen. Denn welchen Grund hat die Stadt noch, andere Theaterprojekte zu fördern? Es ist doch alles da. Und alles neu. In unserer Großstadt.

(amu)

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